In Belarus finden am 26. Januar Präsidentschaftswahlen statt – dazu ein Interview
(Red.) Es ist nachvollziehbar: Ob Fernsehen oder Hörfunk, ob gedruckte Zeitung oder Online-Plattform, zurzeit sind vor allem der künftige US-Präsident Donald Trump und sein mittlerweile ständiger Begleiter Elon Musk das Thema. Aber es gibt auch Länder, die einfach übergangen werden, obwohl auch dort Präsidentschaftswahlen stattfinden – in Belarus, einem europäischen Land, zum Beispiel in zwei Wochen am 26. Januar. Wird es auch dort zu einer neuen Politik kommen? GlobalBridge hat zu diesem Anlass mit dem belarussischen Politologen Alexander Schpakowsky ein Interview gemacht. Die Fragen stellte Christian Müller. (cm)
Globalbridge: Wählen in Belarus die Stimmbürger den Staatspräsidenten direkt oder wählen sie «nur» das Parlament und dann wählt das Parlament den Staatspräsidenten, wie in vielen Ländern?
Alexander Schpakowsky: Um diese Frage zu beantworten, ist ein kurzer Exkurs in das System des belarussischen Wahlrechts erforderlich. Nach den geltenden Normen wird der Präsident in einer gleichberechtigten, direkten und geheimen Wahl von allen wahlberechtigten Bürgern gewählt. Die Wahl des Staatsoberhauptes gilt als gültig, wenn mehr als die Hälfte der Bürger der Republik Belarus, die in den Wählerlisten eingetragen sind, daran teilnehmen. Der Präsident der Republik Belarus wiederum gilt als gewählt, wenn mehr als die Hälfte der Bürger der Republik Belarus, die an der Wahl teilgenommen haben, für ihn gestimmt haben. Hat keiner der Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republik Belarus die erforderliche Stimmenzahl erhalten, so findet innerhalb von zwei Wochen auf Beschluss der Zentralen Wahlkommission ein zweiter Wahlgang für die beiden Kandidaten statt, die die meisten Stimmen erhalten haben.
Es muss darauf hingewiesen werden, dass für das Amt des Präsidenten ein Staatsbürger der Republik Belarus von Geburt an gewählt werden kann, der nicht jünger als 40 Jahre ist, das Wahlrecht besitzt und seit mindestens 20 Jahren unmittelbar vor der Wahl seinen ständigen Wohnsitz in der Republik Belarus hat, keine Staatsangehörigkeit eines ausländischen Staates besitzt und auch vorher nicht besessen hat und auch keine Aufenthaltserlaubnis oder ein anderes Dokument eines ausländischen Staates besitzt, das ihn zu Vergünstigungen und anderen Vorteilen berechtigt. (Nach diesen Kriterien hätte der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis nie Schweizer Bundesrat werden können, weil er als Italiener geboren wurde und sich erst im Hinblick auf den damals in Italien noch obligatorischen zweijährigen Militärdienst in der Schweiz hat einbürgern lassen. Und über die Entscheidung der deutschen AfD, ausgerechnet Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin zu machen, die seit vielen Jahren mit ihrer Lebenspartnerin aus Sri Lanka in ihrer „Wahlheimat“ Schweiz lebt, kann man nur staunen – oder den Kopf schütteln. Red.)
Die Wahl des Präsidenten ist somit das ausschließliche Vorrecht des belarussischen Volkes, was angesichts der weitreichenden Befugnisse des Staatsoberhauptes absolut logisch erscheint. An dieser Stelle sei darauf hinzuweisen, dass die Wahl der Abgeordneten des Unterhauses des Parlaments sowie der Abgeordneten der Gemeinderäte in Einmandatwahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht erfolgt, was eine enge Verbindung zwischen Politikern und Wählern gewährleistet und die Verantwortung der gewählten Volksvertreter direkt gegenüber den Bürgern und nicht gegenüber der Parteiführung oder anderen Machtzentren stärkt.
Globalbridge: In Kriegszeiten werden oft auch Wahlen beeinträchtigt oder gar verhindert. In der Ukraine sind gegenwärtig andere Meinungen verboten, die Medien unter strenger Kontrolle der Regierung und die fälligen Wahlen für den Präsidenten sind sogar abgesagt worden, sodass der «Präsident» Wolodymyr Selenskyj nicht mehr demokratisch legitimierter Präsident ist, sondern eigentlich nur noch ein Diktator. Sind aus Gründen des Krieges im Nachbarland Ukraine auch die Wahlen in Belarus irgendwie eingeschränkt worden?
Alexander Schpakowsky: Der Faktor der Kriegshandlungen auf dem Territorium der Ukraine prägt zweifellos die belarussische Realität, allerdings in erster Linie im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Sicherheit des Staates. Dasselbe gilt für die Organisation des Wahlprozesses. Dabei fallen Sicherheitsfragen in die Zuständigkeit der belarussischen Sonderdienste und Strafverfolgungsbehörden, die mit ihren Aufgaben zurechtkommen, ohne die Grundrechte der Bürger, einschließlich des Grundrechts zu wählen und gewählt zu werden, zu beeinträchtigen.
Es sei darauf hinzuweisen, dass Belarus seit Beginn des Krieges in der Ukraine zwei Wahlkampagnen erfolgreich durchgeführt hat – im Februar 2022 fand ein Referendum über Änderungen und Ergänzungen der Verfassung statt, gefolgt vom einheitlichen Wahltag im Februar 2024, an dem die Zusammensetzung des Unterhauses des Parlaments sowie die Abgeordneten der lokalen Räte gewählt wurden.
Dabei haben die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und ihre Verbündeten, einschließlich der Ukraine, seit dem gescheiterten Putschversuch („Farbrevolution“) nach den letzten Präsidentschaftswahlen im August 2020 ihre Versuche nicht aufgegeben, sich grob in die inneren Angelegenheiten von Belarus einzumischen. Neben Wirtschaftssanktionen werden diffamierende Informationskampagnen, militärische Provokationen und Spionage eingesetzt, und es wird versucht, belarussische Bürger in extremistische und terroristische Aktivitäten zu verwickeln. Solche unfreundlichen Aktionen wurden nach dem Beginn der militärischen Spezialoperation Russlands in der Ukraine noch intensiver. Nach vorliegenden Informationen gaben die Ukraine und die westlichen Unterstützer des Kiewer Regimes bis zu 2 Mio. Dollar für Informations- und psychologische Operationen gegen Belarus aus.
Dennoch führten diese Maßnahmen zu keinen nennenswerten destabilisierenden Ergebnissen, da die politische Kultur der belarussischen Gesellschaft in den letzten Jahren spürbar zugenommen hat. Soziologische Daten belegen, dass die Bürger in ihrer Mehrheit den staatlichen Kurs unterstützen und den offiziellen Massenmedien vertrauen. Die sozio-politische Lage in Belarus am Vorabend der Präsidentschaftswahlen ist freundlich und ruhig, so dass ein überzeugender Sieg der patriotischen Kräfte vorhergesagt werden kann.
Globalbridge: In welchem sozioökonomischen Zustand befindet sich Belarus vor den Wahlen, wie kommt das Land mit den zahlreichen Sanktionen zurecht?
Alexander Schpakowsky: Die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Belarus fügen unserem Land erheblichen Schaden zu und widersprechen sowohl dem Völkerrecht als auch bilateralen Abkommen mit einzelnen Staaten. Die Situation mit der Schließung des Transits von belarussischem Kali zum litauischen Hafen Klaipeda sieht absolut grotesk aus, wobei nicht nur das UN-Seerechtsübereinkommen nicht berücksichtigt wird, sondern auch die Tatsache, dass die belarussische Seite 30% des Terminals im besagten Hafen besitzt. Die Deklaration von Kalidüngemitteln aus Belarus als „Bedrohung für die nationale Sicherheit Litauens“ wirkt geradezu absurd.
Einigen Quellen zufolge beläuft sich der jährliche Schaden für die belarussische Wirtschaft durch westliche Sanktionen auf etwa 16 Mrd. USD. Gleichzeitig wird die Liste der Einschränkungen ständig erweitert, und auch die Außenhandelspartner von Belarus laufen Gefahr, unter sekundäre Sanktionen zu fallen. Risiken für die Weltwirtschaft, wie z. B. die negativen Auswirkungen des Ausschlusses belarussischer Düngemittel im Zusammenhang mit der globalen Ernährungssicherheit, wenn 800 Mio. Menschen auf der Welt von Hunger bedroht sind, werden nicht berücksichtigt.
Es liegt auf der Hand, dass solche groß angelegten Sanktionen darauf abzielen, die belarussische Wirtschaft zu zerstören, negative sozio-politische Folgen zu provozieren und die Voraussetzungen für einen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung zu schaffen. Das heißt, der Westen gibt die Idee eines Staatsstreichs in Belarus leider nicht auf und beabsichtigt nach wie vor, unser Land in seinem Spiel der geopolitischen Konfrontation mit Russland und China nach dem bereits erprobten „ukrainischen Szenario“ zu spielen.
Die belarussische Regierung seinerseits ergreift Maßnahmen zum Schutz von nationalen Interessen, auch im wirtschaftlichen Bereich. Belarus ist es gelungen, den Handel mit seinem wichtigsten Partner, der Russischen Föderation, erheblich zu steigern und die Ausfuhren in eine Reihe anderer Länder deutlich zu erhöhen. Sowohl in der Außenpolitik als auch in der Wirtschaft von Belarus findet nun eine „Wende nach Osten“ statt, um den Verlust der westlichen Märkte und der Ukraine auszugleichen.
Das dritte Jahr in Folge hat der Handel mit Russland ein Rekordniveau erreicht. In 2024 wird der gegenseitige Handelsumsatz von Waren und Dienstleistungen voraussichtlich 60 Mrd. USD erreichen, wobei die belarussischen Exporte in den russischen Markt 25 Mrd. USD übersteigen werden. Die Industrieproduktion in Belarus wächst und die Realeinkommen der Bevölkerung sind in diesem Jahr um 9,5 % gestiegen. Entgegen den düsteren Prognosen des IWF und der Weltbank wird die belarussische Wirtschaft in den Jahren 2023-2024 über dem Weltdurchschnitt liegen und um etwa 4 % des BIP pro Jahr wachsen.
Ungeachtet des gegen Belarus geführten Wirtschaftskriegs kann Minsk erfolgreich dem Sanktionsdruck widerstehen. Es sei hervorzuheben, dass westliche Politiker jahrelang in pharisäerhafter Weise erklärten, sie seien „um die Unabhängigkeit von Belarus besorgt“, was ausschließlich im Zusammenhang mit der Gewährleistung von Distanz zu Russland verstanden wurde. Es waren jedoch die EU und die USA, die durch die Sanktionspolitik zu einer beispiellosen belarussisch-russischen Annäherung sowohl in der Wirtschaft als auch in anderen Bereichen beigetragen haben. (Auszeichnung dieses Abschnitts durch die Redaktion.)
Globalbridge: Es gibt ja in etlichen Ländern die – in meinen Augen problematische – Regelung, dass auch die ausgewanderten und jetzt in einem anderen Land lebenden Staatsbürger stimmberechtigt und oft sogar für den Wahlentscheid ausschlaggebend sind. Wie ist das in Belarus: Können ausgewanderte Staatsbürger das Wahlresultat substanziell beeinflussen?
Alexander Schpakowsky: Nach den Präsidentschaftswahlen 2020 wurden in mehreren westlichen Ländern (Belgien, Litauen, Großbritannien usw.) Anschläge auf belarussische diplomatische Vertretungen durch radikalisierte Personen registriert. Diese Aktionen wurden unter faktischer Duldung der örtlichen Polizei durchgeführt und in einer Reihe von Fällen entstand der starke Eindruck, dass ausländische Geheimdienste an der Organisation solcher Provokationen beteiligt waren, was einen groben Verstoß gegen die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen darstellt. Darüber hinaus wurden in Litauen, Polen und in der Ukraine unter der Schirmherrschaft der örtlichen Behörden bewaffnete Gruppen aus flüchtigen belarussischen Extremisten gebildet, die offen ihre Pläne zur bewaffneten Konfrontation mit dem Ziel der Machtergreifung in Belarus verkünden.
Unter diesen Umständen sind die Möglichkeiten der belarussischen Seite, die Sicherheit der Wähler zu gewährleisten, sehr begrenzt, sodass die Wahllokale im Ausland nicht geöffnet werden. Gleichzeitig gibt es für alle willigen Vertreter der Diaspora aber die Möglichkeit, in der Republik Belarus zu wählen, und viele gesetzestreue Landsleute beabsichtigen auch, diese Möglichkeit zu nutzen.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Liste der Anforderungen an einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten von Belarus die Staatsbürgerschaft durch Geburt, den ununterbrochenen Wohnsitz im Lande seit mindestens 20 Jahren und keine ausländische Staatsbürgerschaft oder andere Dokumente, die das Recht auf Vergünstigungen bzw. Präferenzen im Ausland gewähren, umfasst. Daher ist es selbstverständlich, dass das Staatsoberhaupt von den Bürgern, die in Belarus wohnen, gewählt wird. Ich finde es sehr seltsam, wenn die Situation anders aussieht, wie zum Beispiel in der Republik Moldau, wo die Wahlen im Land vom Kandidaten der Opposition gewonnen wurden, aber die Stimmen der Diaspora in den westlichen Ländern zum Sieg der Präsidentin M.Sandu geführt haben.
Globalbridge: Wird das Wahlresultat einen Einfluss haben auf die Entscheidung von Belarus, einer internationalen Organisation – SOZ, BRICS, etc – beizutreten?
Alexander Schpakowsky: Im Jahr 2024 trat Belarus bereits als zehntes Mitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) bei, was das Ergebnis eines langen Verhandlungsprozesses war. Unser Land hat auch den Status eines Partnerstaates in der BRICS erworben und plant weitere Maßnahmen, um vollständig in die Reihen dieser internationalen Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden.
Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen gewinnen wird, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich der außenpolitische Kurs von Belarus grundlegend ändern wird.
In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass Minsk auch ein Initiator von Vereinigungsprozessen im postsowjetischen Raum ist, wo Belarus an drei Integrationskonturen teilnimmt – der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) und dem Unionsstaat Belarus-Russland, der als das am weitesten entwickelte Format gilt. Gleichzeitig wird die Republik Belarus im Jahr 2025 den Vorsitz in der EAEU übernehmen, und Minsk hat seinen Partnern bereits eine Reihe konstruktiver Ideen für eine weitere wirtschaftliche Annäherung unterbreitet.
Es sollte betont werden, dass die Teilnahme von Belarus an angesehenen Integrationsvereinigungen die Versuche des Westens, unser Land zu isolieren, widerlegt.
Globalbridge: In Belarus gibt es ja, im Gegensatz zu Russland und zu den Ländern im westlichen Europa, immer noch die Todesstrafe. Wer wäre zuständig, die Todesstrafe abzuschaffen? Das Parlament? Der Staatspräsident?
Alexander Schpakowsky: In Belarus ist die Todesstrafe für 14 Straftaten vorgesehen, darunter Terrorismus, vorsätzlicher Mord bei erschwerenden Umständen, Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit sowie Kriegsverbrechen. In der Praxis wird die Todesstrafe nur selten gegen Serienmörder verhängt. Im belarussischen Strafrecht ist die Todesstrafe als „außergewöhnliche Strafmaßnahme“ formuliert und wird dementsprechend nur in Ausnahmefällen verhängt.
Personen, die zur Todesstrafe verurteilt wurden, haben das Recht, beim Präsidenten der Republik Belarus um Begnadigung zu ersuchen. In der Strafverfolgungspraxis unseres Landes gibt es Präzedenzfälle, in denen solche Anträge wohlwollend geprüft und die Todesstrafe durch eine lange Freiheitsstrafe ersetzt wurde. Gerechtigkeitshalber sollte ich anmerken, dass es sich dabei um Einzelfälle handelt, da im Falle eines vom Gericht verhängten Todesurteils der Grad der öffentlichen Gefährlichkeit der begangenen Taten extrem hoch ist und die vom Täter an den Opfern begangene Grausamkeit es nicht erlaubt, von Gnade zu sprechen.
Im Jahre 1996 wurde die Frage nach der Angemessenheit der Todesstrafe im Strafrecht der Republik Belarus in einem Referendum gestellt, bei dem sich mehr als 80 Prozent der Wähler für die Beibehaltung dieser außergewöhnlichen Strafmaßnahme aussprachen. Seitdem hat sich die öffentliche Meinung in dieser Frage nicht wesentlich geändert.
Zu den konkreten Zahlen der Vollstreckungen: In den Jahren 2020 und 2021 sowie 2023 und 2024 wurden in der Republik Belarus keine Todesurteile vollstreckt. Im Jahr 2022 wurde das Urteil nur gegen den Verbrecher V. Pavlov, der zwei ältere Menschen vorsätzlich ermordet hatte, vollstreckt . (In den USA wurden allein im Jahr 2024 25 Todesurteile vollstreckt. Red.)
Im Jahr 2024 begnadigte der Präsident der Republik Belarus den deutschen Staatsbürger R. Krieger, der auf frischer Tat festgenommen wurde, als er einen Auftrag der ukrainischen Sonderdienste zur Begehung eines terroristischen Akts in einer Einrichtung der belarussischen Eisenbahn ausführte. Bei der Begnadigung wurde berücksichtigt, dass der Deutsche seine Schuld voll eingestand, seine Taten bereute und um Verzeihung bat.
Globalbridge: Belarus hat ja – vernünftigerweise! – wichtige Industriezweige, zum Beispiel die Produktion des Kunstdüngers Kali, im Eigentum des Staates behalten und nicht an Oligarchen verschenkt. Darf man damit rechnen, dass dies so bleiben wird?
Alexander Schpakowsky: Das Staatseigentum an strategisch wichtigen Vermögenswerten (nationales Erbe) ist einer der Hauptgrundsätze des modernen belarussischen Modells und ein zentraler Punkt im Programm von Alexander Lukaschenko während seiner Amtszeit als Präsident. Negative Beispiele aus einer Reihe postsowjetischer Republiken zeigen, dass der belarussische Staatsansatz absolut richtig ist. Es gibt auch die Meinung, dass die zahlreichen Angriffe und aggressiven Äußerungen von außen, mit denen die Republik Belarus im Laufe ihrer souveränen Geschichte konfrontiert war, neben geopolitischen Gründen auf den Wunsch externer Akteure zurückzuführen sind, unter dem Deckmantel des „Kampfes für die Demokratie“ eine raubende Beschlagnahmung des belarussischen Staatseigentums durchzuführen.
Langfristig erhoffen wir uns, dass die derzeitige Politik Alexander Lukaschenkos in dieser Frage von seinen Nachfolgern, den staatstreuen Patrioten im Rahmen der Pläne zur Sicherung der Kontinuität der Macht und des aktuellen Kurses in unserem Land fortgesetzt wird.
Globalbridge: Ihr Botschafter in der Schweiz, Alexander Ganevich, hat in einem Referat, das ich selbst gehört habe, gesagt, dass die Schweiz die Sanktionen gegen Belarus besonders kleinlich – wir sagen «pingelig» – einhalte, während die USA in gewissen Bereichen immer noch Handel mit Belarus betreiben.
Alexander Schpakowsky: Ehrlich gesagt war es für viele Experten überraschend, dass die Schweiz sich den Sanktionen gegen Russland und Belarus so pedantisch anschloss und einen gewissen Eifer aufweist, was die Befolgung dieser Einschränkungen angeht.
Wir verstehen die Abhängigkeit der Schweizer Wirtschaft von der EU und den USA, die ihre wichtigsten Handelspartner sind. Der Versuch Berns, amerikanischer als Washington aufzutreten, schadet jedoch ernsthaft dem Image der Schweiz nicht nur als Staat, der sich zur Neutralität bekennt, sondern auch als zuverlässiger und berechenbarer Partner. Erwähnenswert ist das Einfrieren russischer Vermögenswerte durch den Schweizer Bankensektor, das unserer Meinung nach das Ansehen der Schweizerischen Eidgenossenschaft in den Augen von Geschäftskreisen in vielen Ländern der Welt ernsthaft beeinträchtigt hat.
Die Sanktionseinschränkungen wiederum treffen auch Schweizer Unternehmen, insbesondere solche, die seit vielen Jahren eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit mit Belarus und Russland aufbauten und dort vielversprechende Investitionsprojekte umsetzten. Man kann nicht umhin, sich an das Schweizer Unternehmen Stadler zu erinnern, das gezwungen war, die vorbildliche Produktion von Zügen in Belarus faktisch „einzufrieren“, weil es aus Sanktionsgründen nicht möglich war, Komponenten dafür zu liefern.(Auszeichnung dieser zwei Abschnitte durch die Redaktion.)
Was den gegenseitigen Handel anbelangt, so geht es hier nicht nur und nicht so sehr um die Vereinigten Staaten, die im Außenhandel unseres Landes nicht den Ton angeben. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf eine weitere paradoxe Tatsache lenken – das Volumen der belarussischen Exporte in einige EU-Länder wächst trotz der aktuellen EU-Sanktionen. Dies beweist einmal mehr, dass die Wirtschaft an einer Zusammenarbeit mit Belarus interessiert ist und diese als aussichtsreich erachtet. Schließlich sollte man sich darüber im Klaren sein, dass, wenn man einen Markt einmal verlassen hat, es äußerst schwierig ist, wieder zurückzukommen.
Daher möchten wir darauf hoffen, dass die Regierung der Schweiz in der Lage ist, die Situation vernünftig einzuschätzen, nicht der politischen Konjunktur hinterherzulaufen, sondern in erster Linie die langfristigen Perspektiven der Zusammenarbeit zu sehen. (Auszeichnung dieses Abschnitts durch die Redaktion.)
Gleichzeitig erscheint die Formulierung über die „andauernde Beteiligung von Belarus an der russischen Aggression gegen die Ukraine“, die zum „casus belli“ für die Schweizer Regierung wurde, mehr als realitätsfremd.
Erstens kann man darüber diskutieren, dass Moskaus Handlungen keine Aggression darstellen, sondern von den Interessen der Verteidigung der eigenen Sicherheit diktiert werden, und zweitens hat kein einziger belarussischer Soldat innerhalb von fast drei Jahren der Kampfhandlungen die Staatsgrenze der Ukraine überschritten, was man von zahlreichen Saboteuren des Kiewer Regimes, die im gleichen Zeitraum auf belarussischem Territorium festgenommen wurden, nicht behaupten kann. Drittens kann man an die friedenserhaltende Mission der belarussischen Diplomatie zur Vermittlung des Konflikts in der Ukraine im Zeitraum 2014-2022 erinnern, bei der Belarus keine Schuld daran trifft, dass Kiew und seine westlichen Mentoren sich weigerten, die zuvor unterzeichneten Minsker Vereinbarungen einzuhalten und sich schließlich aus dem Verhandlungsprozess zurückzogen.
Und schließlich, viertens, fanden praktisch in den ersten Tagen der militärischen Spezialoperation zwei russisch-ukrainische Verhandlungsrunden in Belarus statt, bei denen es den Parteien praktisch gelang, Kompromissvereinbarungen zu treffen. Allerdings, und das ist inzwischen allgemein bekannt, drängten Vertreter der führenden westlichen Staaten, allen voran der ehemalige britische Premierminister Johnson, die ukrainische Führung zur Fortsetzung des Krieges. Daraufhin wurden die Verhandlungen von Belarus nach Istanbul verlegt und dort „festgefahren“, was ein Blutbad von globalem Ausmaß auslöste. (Auszeichnung dieses Abschnitts durch die Redaktion.)
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Länder des kollektiven Westens die Ukraine mit Ausrüstung, Waffen und finanziellen Mitteln für die Kriegsführung versorgen, ohne die die Auseinandersetzung längst beendet wäre.
Wer trägt also letztlich die Schuld an der gegenwärtigen Situation: Belarus, das alles Mögliche getan hat und weiterhin zum Frieden in der Ukraine aufruft, oder die „Kriegspartei“ im westlichen Establishment, die mit Waffenexporten Geld verdient und ihre geopolitischen Aufgaben auf Kosten der Opfer des ukrainischen Volkes löst?
Das Verhalten der Behörden der „neutralen“ Schweiz gegenüber Belarus und die Übernahme westlicher Sanktionen löst in dieser Hinsicht ein Gefühl tiefer Enttäuschung aus und erscheint untypisch für die etablierte Wahrnehmung der Schweizer Außenpolitik. (Auszeichnung dieses Abschnitts durch die Redaktion.)
Globalbridge: Ihre Enttäuschung ist nachvollziehbar und berechtigt. Die Schweizer Außenpolitik ist alles andere als erfreulich. Waren im ersten Kalten Krieg die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland und Belarus wenigstens in den Bereichen Sport, Kultur, Wissenschaft und auch in der Wirtschaft einigermaßen normal, ist der von den USA, UK, NATO und auch generell von der EU mit Erfolg aufgebaute Russenhass – inklusive Belarus – eine wahre Katastrophe. Als ob man je wieder Frieden haben könnte, wenn man nicht einmal mehr miteinander redet. – Wir danken Ihnen für Ihre informativen Antworten auf unsere Fragen!
Siehe zu Belarus auch:
«Auch in Belarus wird gewählt» (von Ralph Bosshard)
Belarus: «Im Wirtschaftskrieg hat Geld dieselbe Funktion, wie Munition im Feuergefecht.» (von Ralph Bosshard)
Die Schweiz hält die Sanktionen gegen Belarus besonders streng ein… (von Christian Müller)
Brief aus Moskau – warum Russen und Belarussen einander mögen (von Stefano di Lorenzo)
Zum Autor Alexander Schpakowsky: Absolvent der Fakultät für Geschichte der Belarussischen Staatlichen Pädagogischen Universität, Fachrichtung Geschichte und Religionswissenschaften; Absolvent der Fakultät für Rechtswissenschaften der Belarussischen Staatlichen Universität, Fachrichtung Rechtswissenschaft. Schpakowsky arbeitete als Geschichtslehrer in der Schule, in lokalen Exekutivbehörden; war lange Zeit Direktor des analytischen Zentrums „Actual Concept“. Zuletzt war er Gesandter der Botschaft der Republik Belarus in der Russischen Föderation. Er ist der Abgeordnete der Repräsentantenkammer der Nationalversammlung (des Parlaments) von Belarus und Mitglied des parlamentarischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Heute ist er Mitglied des Obersten Politischen Rates der Belarussischen Partei „Belaja Rus“, Beauftragter für den Schutz der Rechte von Journalisten der öffentlichen Vereinigung „Belarussischer Journalistenverband“. – Schpakowsky beteiligte sich an der Ausarbeitung von Änderungen und Ergänzungen der Verfassung der Republik Belarus als Mitglied der Verfassungskommission, des Konzepts der nationalen Sicherheit und der Ausarbeitung von Gesetzen zur Drogenbekämpfung.