SOCAR, der aserbaidschanische Staatskonzern, betreibt in der Schweiz rund 200 Tankstellen. Siehe die Informationen am Ende des Artikels. (Foto SOCAR)

Aushungern, Belagern: Politik im 21. Jahrhundert

Aserbaidschan sperrt seit bald drei Wochen die Lebensader Berg-Karabachs und lässt Abertausende ohne Lebensmittel, Medikamente, Treibstoff.

Die armenischen Nachrichtensendungen fangen seit kurzem täglich mit den letzten Entwicklungen aus dem «belagerten Berg-Karabach» an. «Am 16. Tag der Belagerung konnte endlich ein Konvoi des Internationalen Roten Kreuzes zum ersten Mal 10 Tonnen Hilfsgüter, inklusiv Baby-Nahrung und Medizin, nach Berg-Karabach bringen», hiess es letzten Sonntag in der internet-Plattform «Civilnet». «Die Versorgungslage der Belagerten bleibt prekär.» 

Das Leben sei schwieriger geworden, bestätigt am Telefongespräch auch die 68-jährige Pensionierte Amalia Arakelyan aus Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert. «Die Menschen rennen durch die Stadt und suchen nach Nahrungsmitteln, suchen nach Medikamenten, nach Babymilch und Treibstoff, aber die Läden, die Apotheken, die Tankstellen sind leer. Unser Leben spielt sich wie in einem Käfig ab». Der politische Beobachter Tigran Grigorjan ergänzt, dass die Behörden sich gezwungen sehen, immer wieder neue Rationierungsregelungen für lebenswichtige Güter einzuführen. «Ein Kilo Kartoffeln ist nirgends mehr zu finden und meine Mutter, die Diabetes hat, muss ohne die lebensnotwendigen Medikamente durchkommen», schrieb er auf Twitter. Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Lage der Zivilbevölkerung dabei etwas schlimmer.  

Blockade der Ökokrieger

Es war am frühen Morgen des 12. Dezembers, als eine Gruppe angeblich zorniger aserbaidschanischen Demonstranten unvermittelt an den unweit der historischen Stadt Schuschi (auf armenisch/Schuscha auf aserbaidschanisch) aufgestellten Barrikaden vorbeidrang und auf der Hauptstrasse des sogenannten Latschin-Korridors ihre Zelte aufstellte. Jenseits der Barrikaden beginnt das nach dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg 2020 noch als Rumpfstaat übrig gebliebene, von Armeniern besiedelte Gebiet Berg-Karabach. Als bewusste «Umweltschützer» protestierten sie gegen die «illegale Ausbeutung von Goldminen, die Berg-Karabachs Umwelt verschmutzen», erklärte eine in teurem Pelzmantel gehüllte Lady, die sich als ihre Sprecherin ausgab. Seither haben sich die selbsternannten Ökokrieger trotz frostigen Temperaturen mitten auf dieser Strasse niedergelassen.

Der Verkehr aus und zum Berg-Karabach brach zusammen. Seit bald drei Wochen kommen bei den Zelten der «Umweltschützer» keine Medikamente und keine frischen Nahrungsmittel, kein Treibstoff und kein Baumaterial mehr durch. Da die Route über den Latschin-Korridor aber der einzige Weg ist, der Berg-Karabach mit Armenien und damit mit der Aussenwelt verbindet, zeichnet sich für seine 120.000 Bürger, darunter 30.000 Kinder, eine humanitäre Katastrophe ab. Schwere medizinische Fälle können nicht behandelt werden. Familien wurden plötzlich von einander getrennt. Nach armenischen Angaben haben 1.100 Bürger, darunter 270 Minderjährige, seit dem 13. Dezember nicht die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren. 

Von einer «Blockade» will der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew und seine Regierung allerdings nichts wissen. Alles nur «armenische Heucheleien», so der aserbaidschanischen Aussenminister Jeyhun Bayramow vor kurzem. Und: «Der Weg ist frei für jeden, der Berg-Karabach verlassen will». Ilham Alijew führt seit 2003 eines der ruchlosesten Regimes im postsowjetischen Raum. Nun spricht in Aserbaidschans Hauptstadt Baku jeder Offizielle begeistert vom «berechtigten Protest der aserbaidschanischen Zivilgesellschaft». 

Getäuschte Hoffnungen

Seit Beginn der Blockade sieht sich die armenische Nation mit einem Dilemma konfrontiert, das ihre Seele seit einem Jahrhundert zerreisst: Im Schatten des Ersten Weltkriegs verübten die Jungtürken einen Völkermord,  bei dem über eine Million Armenier des Osmanischen Reichs elendiglich ums Leben kamen. Die armenische Kultur Kleinasiens wurde ausgelöscht. Das Trauma des Genozids trieb Armenien in den Schoss der Russen. Nur die Russen würden ihre Nation vor einer weiteren Vernichtung retten könnten, hiess es fortan, Armenien orientierte sich sicherheitspolitisch ausschliesslich an Moskau. Der Krieg in Berg-Karabach 2020 und vor allem der Krieg in der Ukraine hat das geostrategische Gleichgewicht der Kräfte in der Region aber fundamental verändert. Russland ist heute nicht imstande oder nicht gewillt, seinen Verpflichtungen als «strategischer Partner» zum Schutz Armeniens nachzukommen. Bezeichnenderweise haben die russischen Friedenstruppen, die seit dem Krieg 2020 in Berg-Karabach stationiert sind, wenig gegen den Ansturm der aserbaidschanischen Ökokrieger unternommen. Dabei müssten sie gemäss ihrer Mission in erster Linie den freien Verkehr durch den Latschin-Korridor «kontrollieren» und «schützen». Armenien fühlt sich von Russland im Stich gelassen.

Ein zweiter Teil der armenischen Seele wähnt sich schon aufgrund ihrer (christlichen) Religion als «Europäer». Nach den sozialen Umwälzungen 2018 wagte die Regierung Armeniens dann auch eine Neuorientierung an den Westen und schrieb sich demokratischen Reformen zu. Die EU müsste gemäss ihren Prinzipien Demokratien beistehen, hiess er in Jerewan. 

Der Krieg in der Ukraine hat aber diesbezüglich ihre Erwartungen getäuscht: Die Energiekrise zwingt die EU, alternative Energiequellen zu suchen, wenn es sein muss auch beim Autokraten Ilham Alijew. 

Am 20. Dezember hielt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Antrag Armeniens eine Dringlichkeitssitzung zur Lage im Lachin-Korridor. Eine Reihe von Diplomaten äusserten sich zwar besorgt über die «potentiell schwerwiegenden humanitären Folgen» und forderten die sofortige Freigabe des Korridors. Diese Aufforderung blieb aber wie auch die Warnung der EU an Baku, die anhaltende «Notlage der lokalen Bevölkerung» zu beenden, bislang folgenlos. 

Als Drehscheibe der globalen Energiesicherheit unverzichtbar

Ilham Alijew weiss, dass er am längeren Hebel sitzt. Der Krieg in der Ukraine hat Aserbaidschan und seinen engsten Alliierten, die Türkei, plötzlich zur Drehscheibe für europäische Energiesicherheit verwandelt. Selbst Russland exportiert Erdöl und Erdgas nach Europa neustens über Aserbaidschan. Baku und Ankara wissen ihre neue Machtstelle allzugut auszunützen. Verbale Proteste wegen gravierenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, in Berg-Karabach oder etwa in der Kurdenfrage lassen sie kalt. 

Menschen aushungern und frieren lassen. Ilham Alijew folgt dem von Putin in der Ukraine vordemonstrierten Beispiel. Aserbaidschan werde immer einen Vorwand finden, um die Strasse zu schliessen und die Gaslieferungen zu Berg-Karabach zu unterbrechen, schrieb vor kurzem Benyamin Poghosyan, Vorsitzender des angesehenen „Center for Political and Economic Strategic Studies“ in Jerewan. Denn Alijews strategisches Ziel sei es, die volle Kontrolle über Berg-Karabach zu erzielen, selbst auf Kosten der Zivilbevölkerung. Allmählich bezeichnen auch kühle Analytiker die Drohung einer ethnischen Säuberung in Berg-Karabach als «reell».

Die Menschen in Berg-Karabach hätten die Wahl zwischen «Integration mit Aserbaidschan, was im Endeffekt Assimilation bedeutet, Flucht oder Widerstand», sagte der De-facto-Ministerpräsident Ruben Vardanjan letzten Sonntag vor einer riesigen Menschenmenge im Zentrum Stepanakert. Mehrere Zehntausende hatten sich vor dem Gebäude des Parlaments versammelt. Seine Rückkehr am 2. September zeige, dass er sich für Widerstand entschieden habe, führte  Ruben Vardanjan fort. Vardanjan, der als Unternehmer in Russland reich geworden sein soll, ruft seit seiner Rückkehr seine Landsleute zum Zusammenhalt und Widerstand auf. Die Menschenmenge stimmte ihrem Sprecher zu. Denn eine Integration unter aserbaidschanischer Kontrolle konnten sich unter ihnen wohl nur die aller wenigsten vorstellen.

Meinungen in Beiträgen auf Globalbridge.ch entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Anmerkung der Redaktion: Die Informationen von Amalia van Gent und von Ralph Bosshard (Seltsame Allianzen um Berg-Karabach) stimmen überein: Die Lage in Berg-Karabach ist dramatisch. Was aber können wir tun, um den Menschen in Berg-Karabach zu helfen? Es gibt eine Lösung: Kein Benzin und keinen Diesel mehr von SOCAR-Tankstellen, im Tessin von Migrolino-Piccadilly-Tankstellen und in Österreich von A1 Tankstellen! SOCAR ist eine staatliche aserbaidschanische Firma! Nur wenn SOCAR an Umsatz sichtbar einbüsst, merkt Aserbaidschan, dass die Bevölkerung in Europa – im Gegensatz zu ihren Politikern! – die aggressive Politik von Ilham Alijew gegen Armenien nicht akzeptiert.

In der Schweiz kooperiert SOCAR mit der Migros. Auch dort kann man Protest einlegen.

Zur aggressiven Marktstrategie von SOCAR in Österreich siehe hier!