«Verhängnisvolle Freundschaft – Wie die USA Europa eroberten»

(Red.) Wer ihn kennt, der wusste, woran er arbeitete: Werner Rügemer. Er gehört zu jenen Publizisten, die sich trotz weitestgehender politischer und wirtschaftlicher US-Abhängigkeit Deutschlands noch getrauen, auch auf die Probleme dieser «Freundschaft» aufmerksam zu machen. Jetzt ist sein neustes Buch erschienen und im Buchhandel erhältlich: «Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten. Erste Stufe: Vom 1. zum 2. Weltkrieg.» Das Buch ist, wie manche Leute zu sagen pflegen, eine Wucht. Es darf jedem historisch und politisch interessierten Leser, jeder historisch und politisch interessierten Leserin ohne Vorbehalt zur Lektüre empfohlen werden. Nur gute Nerven muss man beim Lesen haben, denn die in diesem Buch aufgezeichneten Fakten, zum Beispiel der massive Einfluss der US-Rüstungsindustrie und der Finanz-Institute, machen auch im Rückblick nicht wirklich Spaß. – Statt einer formalen Besprechung mit kleinlichen Kritiken haben wir uns entschlossen, das erste Kapitel, so etwas wie ein Überblick, mit Erlaubnis des Autors hier abzudrucken. (cm)

Freundschaft, Verhängnis, möglicher Tod

»It may be dangerous to be America’s enemy, but to be America’s friend is fatal.«
»Es kann gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein; aber Amerikas Freund zu sein, ist verhängnisvoll.«
(Wobei „fatal“ auch „tödlich“ heißen kann.)

Das bilanzierte Henry Kissinger, ehemaliger Chef des State Department und langjähriger Berater mehrerer US-Präsidenten. So umwarb er in den 1970er Jahren mit Präsident Richard Nixon die Volksrepublik China, sie wurde diplomatisch anerkannt und wirtschaftlich gefördert. Solange China wirtschaftlich schwach war und die Supergewinne von Apple, Microsoft, Ford & Co. hoch waren, blieb China der Freund. Als China industriell und technologisch erstarkte, die Löhne anhob und breiten Wohlstand für die bisher Armen schaffte und mit einer militärisch nicht begleiteten, alternativen Globalisierung Erfolge hatte – da wurde es unter dem freundlich grinsenden Präsidenten Barack Obama zum System- und Todfeind, wird politisch und medial verhetzt, wirtschaftlich sanktioniert und militärisch umzingelt.

So werden Freunde zu Todfeinden – nur einige weitere Beispiele:

• Sowjetunion: Wall-Street-Banker geiferten mit Beginn der revolutionären Umbrüche 1917 in Russland auf noch mehr gewinnbringende Investitionen und umgarnten die neuen Regierungen. Nach der fehlgeschlagenen militärischen Intervention einer Allianz, an der sich auch die USA beteiligten, investierten Ford, General Electric, Radio Corporation of America, Harriman & Co. – die Sowjetunion erstarkte industriell, auch sonst, der Wohlstand der bisher Armen wuchs. 1933 anerkannte US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Sowjetunion. Aber für Ford & Co. wurde die Sowjetunion zum Todfeind. Im strategischen Schwenk rüsteten sie die Hitler-Wehrmacht auf. Nun sollte die Sowjetunion vernichtet werden.

• Kuba: In Kuba unterstützten die USA Ende des 19. Jahrhunderts zunächst die demokratische Aufstandsbewegung unter José Marti gegen die Kolonialmacht Spanien. Nach dem Sieg wurde die nationale Aufstandsbewegung abserviert, die USA setzten Diktatoren ein – eine vielfach geübte Praxis in den US-Hinterhöfen Lateinamerikas und Asiens.

• Vietnam: Bei den Friedensverhandlungen in Versailles wies der US-Friedensprediger Woodrow Wilson die Befreiungsbewegung Vietnams unter Ho Chi Minh ab. Dann im 2. Weltkrieg im Kampf gegen die japanischen Besatzer unterstützten die USA Ho Chi Minh kurzzeitig, um ihn sofort nach dem Krieg zum Todfeind zu erklären, die französische Kolonialmacht gegen Ho Chi Minh aufzurüsten und dann selbst den noch viel grausameren Vernichtungskrieg zu übernehmen. (Wie im Krieg gegen die Befreiungsbewegung in Vietnam war Kissinger Mittäter an zahlreichen weiteren Kriegsverbrechen, direkt und mithilfe verdeckter Operationen über Dritte u. a. in Kambodscha, Laos, Chile und weiteren lateinamerikanischen Staaten, mit Millionen an zivilen Toten und mit Genoziden in Ost-Pakistan und Indonesien.

State Department: Anspruch auf jeden Winkel der Erde

Die wechselnden Freund-Feindschaften beruhen seit der Verfassung des US-Staates 1787 auf dem Selbstverständnis, das bis heute gilt: Die USA haben als einziger wichtiger Staat kein Außenministerium, sondern ein State Department, Staats-Ministerium. So sind die nächsten wie die fernsten Territorien der Erde im national interest mögliche Staats-, Einfluss- und Herrschaftsgebiete der USA.

Ergänzt wird der Allein- und Allmachtsanspruch biblisch durch »God’s own Country« und »God bless America«, durch die »auserwählte Nation«, auch durch »America First«, »American Century« und »New American Century« und den »amerikanischen Exzeptionalismus oder auch »Wir sind die einzige Weltmacht«. All das gehört zu den Genen des US-Staates.

Erst einmal in den »Hinterhöfen«, dann in Europa und weltweit

So wurde der kleine Streifen des zur Demokratie erklärten Sklavenstaats an der Ostküste Nordamerikas schrittweise zuerst durch Eroberungen und Annexionen in Nordamerika (außer dem britischen Kanada, das nicht erobert werden konnte) erweitert, Völkermord an den Indigenen inbegriffen. Später waren die lateinamerikanischen, karibischen und asiatischen »Hinterhöfe« dran, seit dem 1. Weltkrieg bis heute dann Europa und die ganze Erde – durch den Zangengriff von Investitionen, Krediten, Militär, Geheimdiensten und Fake-PR.

Mithilfe von Putschen und Bürgerkriegen wurden Diktatoren eingesetzt oder gefördert. Im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sah dies so aus:
• Der erste faschistische Diktator, Mussolini, der die erstarkte demokratische und Arbeiterbewegung vernichtet hatte, wurde mit Krediten überhäuft und in den USA zum Politstar.
• Generalissimus Franco, der gegen die spanische Republik putschte, wurde von US-Rüstungs- und Ölkonzernen beliefert, von Mussolini und Hitler militärisch unterstützt – bis zum gemeinsamen Sieg.
• Hitler wurde zum Medienstar, auch mithilfe Hollywoods, das Olympische Komitee der USA, zusammen mit denen Englands, Frankreichs, Japans, Finnlands und Südafrikas, retteten gegen die internationale, auch jüdische Boykottbewegung die Olympischen Spiele 1936 für Hitler in Berlin, rüsteten die Wehrmacht gegen die Sowjetunion auf.

Mit der Wall Street von Mussolini zu Adenauer

Nach der Niederschlagung der im Krieg erstarkten Arbeiterbewegung wurde Benito Mussolini in den USA zum Politstar. Wall-Street-Anwalt John McCloy beriet vor Ort in Rom den päpstlich gesegneten Diktator: Er wurde mit US-Krediten überhäuft. McCloy vertrat die Interessen von US-Konzernen auch in Nazi-Deutschland. Das Olympische Komitee der USA bekämpfte erfolgreich die internationale, auch jüdische Boykottbewegung gegen die Abhaltung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin: Sie konnten dann prunkvoll stattfinden und förderten das internationale Ansehen des Nazi-Regimes. So durfte McCloy mit Ehefrau neben Göring und Hitler auf der Ehrentribüne im Berliner Olympiastadion sitzen.

Ab 1949 war McCloy Hoher Kommissar der USA für die Bundesrepublik Deutschland. McCloy beriet bzw. überwachte den ersten Bundeskanzler, den christlichen Politikdarsteller Konrad Adenauer, der ein früher Fan von Mussolini gewesen war. McCloy/Adenauer schützten gemeinsam deutsche wie US-amerikanische Komplizen der Hitler-Diktatur vor Aufdeckung und Anprangerung.

Außerhalb jeder internationalen Ordnung

Zum Anspruch der »einzigen Weltmacht« gehört: Die USA schlagen immer wieder internationale Ordnungen vor, unterlaufen aber die jeweils gegründeten Institutionen und bauen daneben ihre eigene internationale Anti-Ordnung auf, gegen Völkerrecht und Menschenrechte.

So regten die USA nach dem 1. Weltkrieg den Völkerbund an, traten dann aber nicht bei, sondern schlossen nach den Versailler Verträgen Einzelverträge mit allen Kriegsteilnehmern und förderten faschistische Diktaturen in China, Italien, Griechenland, Deutschland, Japan und Spanien. So werden die USA nach dem 2. Weltkrieg genauso mit der UNO verfahren.

Die USA führen nun jederzeit bei Bedarf Kriege nach eigener Wahl. Wenn die UNO/der Sicherheitsrat einen Krieg beschließt – gut; wenn nicht, dann führen die USA den Krieg alleine oder mit einer selbst gebastelten Allianz der jeweils »willigen« Vasallen.

Der Antikommunist Churchill hatte gegen Ende des 2. Weltkriegs von seinen Milit.rchefs den Plan .Operation Unthinkable. ausarbeiten lassen. Danach sollten sofort nach dem Waffenstillstand mit NS-Deutschland US-amerikanische und britische Truppen, verstärkt durch Teile der Wehrmacht, die Sowjetunion erobern. Angesichts der Stärke der Roten Armee und der öffentlichen Stimmung in Großbritannien wurde darauf verzichtet. Aber die Absicht blieb. Sie wurde und wird mit anderen Mitteln verfolgt, unter Führung der weitsichtigeren, mächtigeren USA.

Im 1. und 2. Weltkrieg förderten US-amerikanische Banken und Konzerne die Kriege der »Verbündeten«. Dann konnten zum Ende des Krieges die US-Militärs in den erschöpften Kriegsgebieten vergleichsweise leichte Siege holen. Und unter der Flagge freundschaftlicher »Hilfe« konnte die Siegermacht sich dem lukrativen »Wiederaufbau« widmen: Förderung von US-Investitionen, Durchdringung mit US-Waren und US-Militärstützpunkten.

Wie in Hiroshima und Nagasaki begonnen, wurde dem so scheinbar freundlich geförderten (West-)Europa zudem eine tödliche Aufgabe aufgezwungen: Mit der Doktrin des atomaren Erstschlags machten die USA Europa zum Standort eines möglichen atomaren Kriegesgegen die Sowjetunion: Das gilt bis heute.

Wilson, Obama: Friedensversprechen und ewiger Krieg

US-Präsident Woodrow Wilson von der Demokratischen Partei hatte seinen Wahlkampf 1913 mit dem hochheiligen Versprechen gewonnen: Die USA werden sich nie am Krieg beteiligen, der sich in Europa anbahnt. Mit Kriegsbeginn finanzierten und belieferten Wall Street und US-Konzerne die Kriegsparteien in Europa und förderten lukrativ den Krieg. Führend war dabei die Bank Morgan. 1917 brach Wilson mithilfe professioneller PR sein Versprechen und verkündete mit Berufung auf Gott das Gegenteil, nämlich den militärischen Eintritt der USA in den europäischen Krieg: »War to end all wars« – Wir führen jetzt Krieg, um alle Kriege zu beenden. So die Parole. Seitdem führten und führen die USA zahlreiche völkerrechtswidrige Kriege.

US-Präsident Barack Obama, ebenfalls von der Demokratischen Partei, hatte seinen Wahlkampf 2008 mit dem genauso hochheiligen Versprechen gewonnen: Wir werden abrüsten und die Atombomben abschaffen! Wir werden die Umwelt retten! Zu den Großbespendern für Obamas Wahlkampf gehörte die Bank Morgan. In seiner Amtszeit diktierte Obama den europäischen NATO-Mitgliedern Aufrüstung, rüstete seinerseits die USA mit Berufung auf Gott noch weiter auf, erneuerte die Erstschlagsdoktrin, weichte Umwelt- und Arbeitsgesetze zugunsten der umweltschädlichen und für Anwohner oft tödlichen Fracking-Industrie auf und ließ mit BlackRock-Managern in seiner Regierung China zum neuen Hauptfeind erklären, durch US-Konzerne die Ukraine aufrüsten und den Krieg gegen Russland vorbereiten.

So scharfsichtig wie kurzsichtig: Professionelle Selbsterblindung

1935 stellte die Künstlerin Mabel Dwight in einer Lithografie die Wall-Street-Banker, die mit dem 1. Weltkrieg und seinen vielen Millionen Toten riesige Gewinne gemacht hatten, als die Merchants of Death dar, Händler des Todes: Sie »hassen das Ideal der Demokratie, aber sie freuen sich über die lockeren Zügel und den Freiraum, den sie ihnen lässt«. Wegen der Gewinne, so Dwight, sind diese Händler des Todes »ausgesprochen scharfsichtig, dabei aber unheilbar kurzsichtig«.

US-Kapitalisten haben mit professioneller PR wie mit dem Committee on Public Information (CPI) im 1. Weltkrieg, mit den von ihnen finanzierten Elite-Universitäten und Massenmedien hochbezahlte, formal hochqualifizierte Profis und Wissenschaftler: Die inszenieren jeden noch so grausamen Krieg als Ausbund an Demokratie, Menschlichkeit und Friedenswillen.

So bestätigen und bekräftigen die Kriegsgewinner – und natürlich auch die Umweltschädiger usw. – und ihre Mittäter sich ständig gegenseitig in ihrer Wohltäterei.

Sie sind so scharfsichtig für jede lukrative Möglichkeit mithilfe von Kriegen, Umwelt- und Gesundheitsschäden – und gleichzeitig so kurzsichtig für die menschlichen und gesellschaftlichen Folgen: Professionelle Selbsterblindung.

Zum Autor des Buches: Werner Rügemer, *1941, Dr. phil., Publizist. Er veröffentlicht seit den 1980er Jahren zum politisch-moralischen Verfall der US-Gesellschaft, zum extremen Gegensatz von Arm und Reich, zur Verflechtung von Militär, Geheimdiensten und Hightech, zu Umweltzerstörung und Gesundheitsschäden für die migrantischen Niedrigstlöhner.

Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft. Verlag PapyRossa, Paperback, ISBN 978-3-89438-803-4, 324 Seiten. In Deutschland EUR 22,90, in der Schweiz zwischen ca. CHF 27.- und ca. 34.-, je nach Buchhandlung.