Die Headline auf Infosperber am 26. Juli 2023: Diese Aussage ist falsch. Die Ukraine wurde vor dem Krieg zum Vasallenstaat der USA, wie es gerade auch die Reformen der Landwirtschaft deutlich machen. (Screenshot)

Ukraine: Wenn Kriegsursachen als Kriegsfolgen bezeichnet werden

«Der Krieg macht die Ukraine zum Vasallenstaat des Westens», so titelte gestern die Online-Plattform «Infosperber.ch». Diese Aussage ist falsch. Es ist genau umgekehrt: Der russische Angriff erfolgte, weil die Ukraine seit dem Putsch auf dem Maidan im Jahr 2014 zu einem Vasallenstaat des Westens, insbesondere zu einem Vasallenstaat der USA und Großbritanniens geworden war. Die politische, wirtschaftliche und militärische Vereinnahmung der Ukraine durch den russlandfeindlichen Westen war die Ursache des Kriegsausbruchs.

Infosperber, genauer gesagt der Präsident der dahinter stehenden «Schweizerischen Stiftung für Unabhängigen Journalismus» SSUI und jetzige publizistische Leiter von Infosperber, Urs Gasche, verkauft in seinem neusten Artikel die in der Ukraine seit vielen Jahren betriebene Reform der Landwirtschaft vom Kleinbauerntum in eine neoliberale Landwirtschaft der Großbetriebe und des Großgrundbesitzes – die er zu Recht hart kritisiert! – als Folge des jetzigen Krieges, für den er in anderen Kommentaren Putin die alleinige Schuld zuschreibt. Seine Headline impliziert damit die Aussage, schuld an der katastrophalen Landwirtschaftsreform sei Putin – nicht zuletzt bei jenen Leserinnen und Lesern, die in der Hetze des Tages vor allem die Headlines, nicht aber lange Texte lesen. Deshalb die notwendige Richtigstellung: Gerade weil die Ukraine unter ihren Präsidenten Petro Poroshenko und Wolodymyr Selenskyj zum US-Vasallen verkommen ist, hat Putin militärisch eingegriffen.

Die Reformen, mit denen das Kleinbauerntum zugunsten von Großbetrieben und Großgrundbesitz strukturell zum Verschwinden gebracht werden sollte, sind – gegen den Widerstand der Kleinbauern! – vor allem seit der Übernahme der politischen Führung der Ukraine durch die USA anlässlich des Putsches auf dem Maidan im Jahr 2014 in Fahrt gekommen. Interessiert am Großgrundbesitz nach USA-Muster waren und sind einerseits die ukrainischen Oligarchen, die in ihrer Politik auch vor kriminellen Methoden nicht zurückschrecken, vor allem aber auch westliche Konzerne, die dieses Geschäft mit Erfolg auch in anderen osteuropäischen Ländern betreiben. Diese Entwicklung wurde nun erfreulicherweise von der Organisation «The Oakland Institute» genauer unter die Lupe genommen und dokumentiert. Das entsprechende höchstinformative Papier wurde – erfreulicherweise – von Infosperber ausführlich übersetzt und zitiert, nur – leider – zeitlich falsch ausgelegt. Das höchst massive Engagement westlicher Agro-Konzerne in der Ukraine war für Russland – neben der immer stärkeren militärischen Einmischung der NATO – ein zusätzliches Indiz, dass der Westen die Ukraine politisch und wirtschaftlich total zu vereinnahmen versuchte und weiterhin versucht, auch durch Behinderung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland. 

Am 28. September 2016 erklärte «US-Secretary of Commerce» Penny Pritzker an einem Meeting mit dem damaligen Präsidenten der Ukraine Petro Poroshenko wörtlich: «I first visited Ukraine in September 2014, at President Obama’s request, to discuss how the United States can support Ukraine’s transformation into a modern and rules-based European nation with an economy that is led by its private sector.» Zu Deutsch: «Ich besuchte auf Wunsch von Präsident Obama die Ukraine zum ersten Mal im Jahr 2014, um dort darüber zu diskutieren, wie die USA die Transformation der Ukraine in einen modernen und regelbasierten europäischen Staat unterstützen kann, mit einer Wirtschaft, die auf Privatbesitz basiert.»

Wer Osteuropa und die Ukraine persönlich kennt, der weiss, welche neuen Ungerechtigkeiten und Probleme die Privatisierung der Wirtschaft mit sich gebracht hat. Es ging längst schon vor dem im Februar 2022 begonnenen Krieg in der Ukraine um eine totale Umgestaltung der Wirtschaft nach neoliberalen US-Vorgaben.

So sehen dann die Monokulturen aus, wenn das landwirtschaftliche Land von westlichen Agro-Konzernen übernommen wird. Das Bild zeigt ein Rapsfeld in Tschechien, betrieben vom Agro-Konzern EUROFARMS Spearhead International. Aus dem Raps wird später Biosprit hergestellt. (Foto Christian Müller)

Und was bewirkt nun der Krieg?

Der größte Verlierer des jetzigen Krieges in der Ukraine wird so oder so die Ukraine sein, nicht nur der vielen Kriegsopfer wegen, sondern auch wegen der Zerstörungen der Infrastruktur und weil sie nicht nur Waffen in Milliarden-Höhe vom Westen geschenkt erhalten hat, sondern auch Waffen in Milliardenhöhe gekauft und sich damit als Staat zusätzlich verschuldet hat. Diese zusätzliche Verschuldung bei westlichen Ländern kann tatsächlich auch zu zusätzlicher Abhängigkeit der Ukraine vom Westen führen. Daraus aber zu folgern, die Ukraine sei durch den Krieg zum Vasallenstaat des Westens geworden, ist eine grobfahrlässige – im gewollten Fall sogar eine manipulative – „Verwechslung“ von Ursache und Folge: Russland hat die Ukraine angegriffen, weil sie mehr und mehr zum Vasall der USA geworden war und Russland nicht damit zu leben bereit war, dass ein US-Vasall an seine 2300 km lange gemeinsame Grenze stösst. So wie die USA gemäß der immer noch gültigen Monroe-Doktrin es nie akzeptieren würde, dass Mexiko ein Vasall Russlands würde.


Zum Autor: Christian Müller war über zehn Jahre lang Redaktionsmitglied der Online-Plattform Infosperber.ch und hat dort über Jahre hinweg über die immer gefährlicher werdende Kooperation der NATO mit der Ukraine berichtet und kommentiert. Nachdem er am 26. Februar 2022 einen Kommentar schrieb, wonach die USA und die NATO am Angriff Russlands auf die Ukraine mitverantwortlich seien, wurde er aus der Infosperber-Redaktion entlassen. Darauf gründete er die Plattform Globalbridge.ch. – Christian Müller ist promovierter Historiker, er kennt Mittelosteuropa von mehrjähriger beruflicher Tätigkeit als Medienmanager in Tschechien, und er hat Russland erstmals 1984 – noch im Kalten Krieg! – und seither mehrmals und die Ukraine erstmals 2006 und seither ebenfalls mehrmals bereist, auch im wichtigen Jahr 2014. Auch auf der Krim war er für einen kurzen Besuch im Jahr 2006 und für eine mehrwöchige Recherche im Jahr 2019. Etliche Male hat er auch an Internationalen Kongressen teilgenommen, so zum Beispiel am Jahreskongress der «World Association of News Publishers» 2006 in Moskau oder auch als offizieller Teilnehmer am «XVII Economic Forum» 2007 in Krynica in Polen. Christian Müller beansprucht für sich, ein aufmerksamer Beobachter der geopolitischen Verstrickungen USA-NATO-Ukraine-Russland zu sein, und dies nicht erst seit dem 24. Februar 2022 wie zahlreiche andere „Experten“.

Siehe dazu den lesenswerten, aber mit einer inakzeptablen Headline in eine falsche Richtung führende Bericht auf Infosperber.ch.

Zum vollständigen Bericht der Organisation «The Oakland Institute» über die Landwirtschaftsreformen in der Ukraine. Daraus sei auch hier ein kurzer Abschnitt aus dem «Executive Summary» übersetzt und zitiert: «Die größten Landbesitzer sind eine Mischung aus Oligarchen und einer Vielzahl ausländischer Interessen – vor allem aus Europa und Nordamerika, darunter ein Private-Equity-Fonds mit Sitz in den USA und der Staatsfonds von Saudi-Arabien. Mit einer Ausnahme sind alle der zehn größten Landbesitzer im Ausland registriert, hauptsächlich in Steueroasen wie Zypern oder Luxemburg. Selbst wenn sie von einem Oligarchen gegründet wurden und immer noch weitgehend von ihm kontrolliert werden, sind eine Reihe von Firmen an die Börse gegangen, wobei westliche Banken und Investmentfonds jetzt einen erheblichen Teil ihrer Aktien kontrollieren. Der Bericht nennt viele prominente Investoren, darunter die Vanguard Group, Kopernik Global Investors, BNP Asset Management Holding, die zu Goldman Sachs gehörende NN Investment Partners Holdings und Norges Bank Investment Management, die den norwegischen Staatsfonds verwaltet. Eine Reihe großer US-amerikanischer Pensionsfonds, Stiftungen und Universitätsstiftungen sind über NCH Capital, einen in den USA ansässigen Private-Equity-Fonds, der der fünftgrößte Landbesitzer in der Ukraine ist, ebenfalls in ukrainischen Grundstücken investiert. Die meisten dieser Unternehmen sind in erheblichem Umfang bei westlichen Finanzinstituten verschuldet, insbesondere bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Internationalen Finanz-Corporation (IFC), dem privatwirtschaftlichen Arm der Weltbank. Zusammen waren diese Institutionen die wichtigsten Kreditgeber für die ukrainische Agrarindustrie. In den letzten Jahren wurden allein an sechs der größten ukrainischen Landwirtschaftsbetriebe Kredite in Höhe von fast 1,7 Milliarden US-Dollar vergeben. Andere wichtige Kreditgeber sind hauptsächlich europäische und nordamerikanische Finanzinstitute, sowohl öffentliche als auch private.» 

Siehe auch «Die Rolle des Großkapitals im Ukraine-Krieg».