So belehrt der Schweizer SP-Co-Präsident «die Linke»
Der 37-jährige Co-Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, der italienisch-schweizerische Doppelbürger Cédric Wermuth, versucht mit einem Beitrag in den «Blättern für deutsche und internationale Politik» sich auch international Gehör zu verschaffen: Er erklärt, warum auch «die Linke» die Ukraine unterstützen müsse. Seine Argumentation basiert allerdings auf erstaunlichen Vorurteilen.
Cédric Wermuth gibt sich in seinem Artikel ausserordentlich belesen. Er zitiert gerne Lenin – und natürlich Timothy Snyder und etliche andere antirussische Autoren. Er erwähnt richtigerweise auch die Aufgabe der Linken, dem neoliberalen Wirtschaftssystem entgegenzutreten. Und er erwähnt nebenbei sogar den Irakkrieg, um dem Leser zu zeigen, dass er auch die problematische Politik der USA kennt.
Seine ganze Argumentation basiert aber auf dem Axiom, Russland unter Putin sei imperialistisch, die Ukraine aber tue alles, um ein perfekt demokratisches Land zu werden. Wörtlich: «Sicher, das Land war auch vor dem Krieg alles andere als eine perfekte Demokratie, viele Bereiche der Gesellschaft werden von oligarchischen Strukturen beherrscht. Aber immerhin ringt der ukrainische Staat spätestens seit dem Fall des Eisernen Vorhangs um seine demokratische Form und erzielt dabei auch offensichtlich Fortschritte, nicht zuletzt seit den Maidan-Protesten von 2014.»
Der Putsch auf dem Maidan mit der Absetzung des demokratisch gewählten Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch und der Einsetzung einer neuen Regierung unter aktiver Beteiligung der US-amerikanischen Stellvertretenden Staatssekretärin Victoria Nuland ein «offensichtlicher Fortschritt» beim «Ringen um die demokratische Form» des Landes»? Da bleibt einem die Spucke weg. Historische Ignoranz des Schreiberlings? Oder die Absicht, eine US-amerikanische Intervention als Segen für ein betroffenes Volk zu verkaufen?
So kommt Cédric Wermuth denn auch zum einfachen Schluss: «Es steht außer Frage, der aktuelle Krieg in der Ukraine ist Folge des Putinschen Imperialismus.» Hat Cédric Wermuth die Vorgeschichte des jetzigen Krieges in der Ukraine auch wirklich studiert? Hat er zur Kenntnis genommen, wie die USA, UK und die NATO in den Jahren seit 2014 alles getan haben, um die Ukraine aufzurüsten und militärisch NATO-kompatibel zu machen, inkl. Englisch-Unterricht für die ukrainischen Offiziere? Hat er zur Kenntnis genommen, dass Putin auf die Vereinbarungen von «Minsk II» vertraute, während Poroschenko, Merkel und Hollande, alle drei, mittlerweile zugegeben haben, dass sie dort nur zugestimmt haben, um der Ukraine Zeit zu geben, sich militärisch für einen Angriff auf den Donbass oder gar Russland aufzurüsten? Wermuths selektive Wahrnehmung der Vorgeschichte des Krieges ist eklatant.
Und natürlich weiß der Schweizer Politiker auch, wie der jetzige Krieg abläuft. Wörtlich: «Aber wir müssen die Erfahrung der vergangenen mehr als zwölf Monate Krieg schon richtig gewichten: Die russische Seite setzt auf eine systematische Strategie des Terrors gegen die Zivilbevölkerung. Das zeigt sich, wenn russische Truppen öffentliche, zivile Infrastrukturen bombardieren und so versuchen, den Widerstand zu brechen. Es zeigt sich aber vor allem mit Blick auf ihre Verbrechen in den von ihnen besetzten Gebieten, darunter systematische sexualisierte Gewalt.» Da kann also ein Schweizer Spitzenpolitiker es sich leisten, das öffentliche Geständnis der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Lyudmyla Denisova, die Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten schlicht erfunden zu haben, um ihrem Vaterland einen Gefallen zu tun, einfach übersehen zu haben.
Und zum Verhalten des Westens gegenüber Putin, inklusive seiner eigenen Partei, schreibt Cédric Wermuth: «Naiv hat Europa seine Strom- und Energieversorgung dem Markt überlassen. Die „unsichtbare Hand“ hat es Putin einfach gemacht, die Politik hinter den Gas- und Öllieferungen verschwinden zu lassen. Diese Abhängigkeit Europas war einer der offensichtlichen Gründe, weshalb man Putin nicht früher Einhalt geboten hat, obwohl er eine „rote Linie“ nach der anderen überschritt.» Wo bitte hat Putin beim Liefern von Gas und Öl „rote Linien“ überschritten? Er hat geliefert, so viel der Westen wollte, und war bereit, über Nord Stream II noch mehr zu liefern. Wermuth verzichtet großzügig darauf, für diese überschrittenen „rote Linien“ auch nur ein Beispiel zu nennen.
Basiert auf dieser erschreckend einäugigen Analyse der gegenwärtigen Situation empfiehlt Cedric Wermuth, die «Verteidigung der Ukraine mit allen möglichen Mitteln. Dazu gehört mit Blick auf die Dimension der Bedrohung für die Ukraine und darüber hinaus zwingend auch die militärische Unterstützung. Ein „naiver Gesinnungspazifismus“ kann keine Option sein», so Wermuth wörtlich. Nein, der sozialdemokratische Spitzenpolitiker ruft nicht nach Verhandlungen und sucht keinen Frieden, es müssen mehr Waffen geliefert werden, auch von der neutralen Schweiz!
Was also soll der Beitrag von Cedric Wermuths Artikel mit der Headline «Gegen den russischen Imperialismus; Warum die Linke die Ukraine unterstützen muss» in der renommierten deutschen Zeitschrift «Blätter für deutschen und internationale Politik»? Als internationaler Berater der Linken hat er sich damit schon mal tüchtig disqualifiziert, zu sehr hat er bereits verraten, dass er weder von der Ukraine noch von Russland etwas versteht. Seiner eigenen Partei, der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, der er als Co-Präsident vorsteht, tut er damit ebenfalls keinen Gefallen. Mit seiner Bemerkung, mit den Demonstrationen auf dem Maidan habe die Ukraine Fortschritte Richtung Demokratie gemacht, zeigt er zu deutlich, welch geopolitische Ignoranz selbst in der Spitze der Schweizer SP vorherrscht.
Dass in der gleichen Nummer der «Blätter» auch ein Artikel von Andreas Umland abgedruckt ist, macht die Sache auch nicht besser. Umland ist der aktivste Ukraine-Propagandist aller Zeiten und kommt in Dutzenden von Publikationen, nicht zuletzt auch in der NZZ, immer wieder zu Wort. Einäugigkeit pur, man muss nur nachsehen, für welche Denkfabriken Andreas Umland gearbeitet hat und noch immer arbeitet.
A propos NZZ: Die NZZ hat auf der Frontseite ihrer Samstagsausgabe vom 6. Mai 2023 einen Leitartikel von Ausland-Chef Peter Rásonyi des Inhalts publiziert, der Westen müsse endlich mehr Geld in Militär und Rüstung investieren. Als Schweizer kann man sich für solche kriegsgeilen Aufrufe im Intelligenzblatt der Zürcher Liberalen nur schämen. Aber was soll man dabei kritisieren, wenn selbst der Mann an der Spitze der Schweizer Sozialdemokraten in die gleiche Richtung argumentiert?
Zum vollständigen Artikel von Cédric Wermuth in «Blätter für deutsche und internationale Politik». Der Text kann gegen eine geringe Gebühr heruntergeladen werden.
Siehe dazu auch: «Wann endlich nimmt auch «Bern» die Geschichte der Ukraine in den Jahren 2013 und 2014 zur Kenntnis?»
Und siehe auch: «So ist der Krieg in der Ukraine entstanden – aus Sicht eines westlichen Geheimdienst-Generals»
Und hier zur Stimme eines ukrainischen Linken. Und auch hier.