US-Senator John McCain auf der Maidan-Rednerbühne in Kiew im Dezember 2014, hautnah begleitet von Oleh Tyahnybok (im Bild rechts), dem Bandera-Anbeter und Präsidenten der rechtsradikalen und radikal-nationalistischen Partei Swoboda. Tyahnybok wurde in Absprache mit der US-Diplomatin Victoria Nuland Mitglied der ersten Regierung nach dem Putsch auf dem Maidan.

So ist der Krieg in der Ukraine entstanden – aus Sicht eines westlichen Geheimdienst-Generals

(Red.) Generalmajor a.D. Petr Pelz war von 1996 bis 2001 Direktor des militärischen Geheimdienstes der Tschechischen Republik und später der Botschafter Tschechiens in Afghanistan. Jetzt hat er die aus seiner Sicht wichtigsten politischen und militärischen Ereignisse rund um die Ukraine ab dem Jahr 1990 aufgelistet. Die Beurteilung überlässt er, wie er selber dazu schreibt, seinen tschechischen Lesern. Die Sicht dieses westlichen Geheimdienst-Insiders ist aber auch für die deutschsprachigen Leser äusserst informativ – deshalb hier die Übersetzung. (cm)

Hier einige wichtige Momente und Fakten, eine Zusammenfassung der Ereignisse, die ich für wichtig halte. Möglicherweise habe ich in der Eile einige wesentliche Fakten vergessen, andere habe ich bewusst weggelassen, um mehr Klarheit zu schaffen. Ich lade den mutigen Leser, wenn er das Ende dieser Chronologie erreicht hat, ein, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.

16. Juli 1990: Erklärung der staatlichen Souveränität der Ukraine. In Kapitel IX: ‹Äußere und innere Sicherheit› finden wir die Erklärung: „Die Ukrainische SSR erklärt feierlich ihre Absicht, ein dauerhaft neutraler Staat zu werden, ohne Beteiligung an Militärblöcken, und die drei Prinzipien des Verzichts auf Atomwaffen zu beachten – keine Atomwaffen zu erwerben, zu produzieren oder zu kaufen.“

1990: Während der Gespräche über die deutsche Wiedervereinigung erhält der Präsident der UdSSR, Michail Gorbatschow, die Zusicherung, dass sich die NATO keinen Zentimeter nach Osten bewegen wird; diese Zusicherung gilt auch für andere Staatsoberhäupter der UdSSR und in späteren Jahren für die Russische Föderation.

24. August 1991: Erklärung der Unabhängigkeit der Ukraine

25.12.1991: Auflösung der UdSSR

5. Dezember 1994: OSZE-Konferenz in Budapest; Beitritt von Belarus, Kasachstan und der Ukraine zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Die Ukraine gab damit ihre Atomwaffen auf (sie befanden sich auf ihrem Territorium, wurden aber stets von Moskau kontrolliert) und erhielt im Gegenzug Sicherheitsgarantien von Russland, den USA und Großbritannien.

12. März 1999: Die Tschechische Republik, Polen und Ungarn treten offiziell der NATO bei.

24.3.1999: Ohne einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats beginnt die US-geführte NATO mit der Bombardierung Serbiens, die 78 Tage dauert.

7. Mai 2000: Wladimir Putin wird Präsident der Russischen Föderation.

7. Oktober 2001: Ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats marschieren US- und NATO-Truppen in Afghanistan ein.

13. Juni 2002: Die USA ziehen sich aus dem ABM-Vertrag zurück.

19. März 2003: Ohne einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates beginnen die USA den Krieg im Irak.

2004: Litauen, Lettland, Estland, Rumänien, Bulgarien, die Slowakei und Slowenien treten der NATO bei.

November 2004 – Januar 2005: Orange Revolution in Kiew zugunsten der pro-westlichen Kräfte.

2005: Überlegungen der US-Regierung, Komponenten eines „Raketenschildes“ in Europa zu stationieren, werden konkret.

Februar 2007: Putin hält eine wichtige Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz und schlägt eine neue Sicherheitsordnung in Europa vor.

2. bis 4. April 2008: Der NATO-Gipfel in Bukarest beschließt die Aufnahme von Kroatien und Albanien; Präsident Bush gelingt es nicht, die Verbündeten zu überzeugen, auch die Ukraine und Georgien aufzunehmen.

August 2008: Der georgische Präsident Saakaschwili wollte Abchasien und Südossetien, die zu Zeiten der UdSSR zu Georgien gehörten, militärisch annektieren. Russische Friedenstruppen wurden in diese Republiken entsandt. Mehrere russische Soldaten wurden bei dem georgischen Angriff getötet. Die russische Armee griff ein, und die Kämpfe wurden innerhalb weniger Tage beendet. Russland erkennt die Unabhängigkeit dieser Staaten an.

2009: Kroatien und Albanien treten der NATO bei.

19. März 2011: Französische, britische und US-Luftstreitkräfte überschreiten mit Luftangriffen auf Libyen das Mandat des UN-Sicherheitsrates.

2012: US-amerikanische und britische Spezialeinheiten operieren seit mindestens diesem Jahr in Syrien gegen den rechtmäßigen Präsidenten Bashar Assad und bewaffnen die Opposition, bei der es sich überwiegend um verschiedene Al-Qaida-Gruppen handelt.

2013: Der demokratisch gewählte Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, widersetzt sich dem zunehmenden Druck aus Washington und Moskau.

November 2013: Janukowitsch setzt die Vorbereitungen für ein Assoziierungsabkommen mit der EU aus, in Kiew kommt es zu Unruhen.

13. Dezember 2013: Im National Press Club in Washington D.C. erklärt die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland öffentlich, dass die USA seit der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine im Jahr 1991 zur „Entwicklung demokratischer Institutionen und der Fähigkeit zur Ausbreitung der Zivilgesellschaft … usw.“ mit mehr als 5 Milliarden US-Dollar beigetragen haben.

Januar, Februar 2014: Kiewer Unruhen verschärfen sich.

4. Februar 2014: Das „berühmte“ Fuck EU-Telefonat zwischen Victoria Nuland und dem US-Botschafter in Kiew Geoffrey Pyatt ist auf youtube erschienen. Gemeinsam diskutieren die beiden darüber, wer in der nächsten ukrainischen Regierung sein kann und wer nicht. Das schlimmste Blutvergießen ereignet sich vom 18. bis 23. Februar 2014. Scharfschützen töten sowohl Demonstranten als auch Polizisten von den Dächern entfernter Gebäude und von Orten, die von den „Revolutionären“ kontrolliert werden. Die Scharfschützen waren Georgier, die auf Geheiß des ehemaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili nach Kiew gekommen waren.

21. Februar 2014: Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, der deutsche Außenminister Frank Steinmeier und Eric Fournier (Direktor der Osteuropa-Abteilung des französischen Außenministeriums) unterzeichnen in Anwesenheit des russischen Ombudsmanns Wladimir Lukin und des Botschafters Michail Zarubow ein Abkommen über vorgezogene Wahlen, die unter der Kontrolle der OSZE stattfinden sollen. Janukowitsch soll bis dahin im Amt bleiben. Am selben Abend jedoch flieht Janukowitsch nach Charkiw, verbringt dann etwa eine Woche auf der Krim und reist dann nach Russland ab. Ich frage mich, was am Abend des 21. passiert ist, als endlich alles geklärt war? Die USA verarschen die EU live. Dann wechseln der Präsident, die Regierung und das Parlament. Die Sicherheit wird von Neonazi-Kämpfern des Rechten Sektors und des Asow-Bataillons gewährleistet. Die Ukraine wird zum einzigen Staat der Welt, in dem Neonazi-Truppen ein fester Bestandteil des nationalen Streitkräftesystems sind. Die neue Regierung signalisiert ihre Absicht, einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft zu stellen.

16. März 2014: Auf der Krim wird ein Referendum abgehalten; 96% der Wähler stimmten für den Anschluss an Russland, bei einer Wahlbeteiligung von 83%.

6. April 2014: In Donezk und Luhansk bricht der Bürgerkrieg aus.

2. Mai 2014: Dutzende pro-russische Demonstranten werden im Gewerkschaftshaus in Odessa absichtlich lebendig verbrannt.

17.7.2014: Das malaysische Flugzeug MH/MAS 17 wird über der Region Donezk abgeschossen. Der Westen gibt Russland die Schuld, Russland bestreitet die Schuld, es gibt keine eindeutigen Beweise, was seltsam ist. Selbst Malaysia glaubt nicht, dass Russland schuldig ist.

5. Sep 2014:  „Minsk I“-Gespräche zwischen der ukrainischen Regierung und Vertretern der Regionen Donezk und Luhansk unter der Schirmherrschaft der OSZE, Deutschlands, Frankreichs und Russlands.

12. Februar 2015: „Minsk II“. Nachdem Minsk I nicht umgesetzt wurde, wurde eine weitere Vereinbarung getroffen. Ihre wichtigsten Aspekte waren ein Waffenstillstand zwischen Regierungstruppen und Separatisten und ein Übergang zur Föderalisierung der Ukraine. Die Regierungstruppen – und in der Folge auch die sich verteidigenden Separatisten – hielten sich kaum an den Waffenstillstand, und konkrete Verhandlungen über eine Föderalisierung wurden von der Regierung in Kiew nie aufgenommen; Frankreich, Deutschland und die USA rieten der ukrainischen Regierung nachweislich davon ab, dies zu tun. Auch hier hätte alles im Jahr 2015 gelöst werden können.

1. Oktober 2015: Russland startet eine Militäroperation in Syrien gegen islamische Terroristen zur Unterstützung von Präsident Bashar al-Assad und betritt das Land auf Einladung des Präsidenten.

14. März 2016: Russland beginnt mit dem Truppenabzug aus Syrien.

2017: Montenegro tritt der NATO bei.

2017: Die USA beginnen mit der Bewaffnung der Ukraine mit effektiveren Waffen wie z. B. Javelin-Panzerabwehrraketen. Gegen wen?

2016, 2018: Stationierung von NATO-Raketenbasen in Rumänien und Polen. Gegen wen?

2. Februar 2019: Die USA ziehen sich aus dem Vertrag über die Abschaffung von Kurz- und Mittelstreckenraketen der Intermediate-Range Nuclear Forces (INF) zurück.

2020: Nordmazedonien in der NATO.

20. 11. 2020: Die USA ziehen sich aus dem Vertrag ‹Open Sky› zurück.

Dezember 2021: Russland übermittelt den USA und der NATO zunächst diplomatisch und dann öffentlich seine Forderungen und Vorschläge. Die wichtigsten Forderungen sind, dass die USA die Osterweiterung der NATO – auch in die Ukraine – beenden und keine Elemente von Raketenbasen in der Nähe der russischen Grenzen stationieren. Wenn die USA auf die wichtigsten Forderungen Russlands nicht zeitnah positiv reagieren, wird die Russische Föderation gezwungen sein, zu nicht näher spezifizierten militärisch-technischen Maßnahmen zu greifen.

Januar 2022: Die USA und die NATO lehnen diese wichtigsten russischen Forderungen ab, erhöhen die Truppenstärke der NATO in Osteuropa und verstärken die Waffenlieferungen an die Ukraine. Gegen wen?

19. Februar 2022: Präsident Selenskyj erklärt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass die Ukraine erwägt, aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen auszutreten, mit anderen Worten, sie erwägt den Erwerb von Atomwaffen. Gegen wen? (Siehe in Selenskyjs Rede seine Bemerkungen zum sogenannten «Budapester Memorandum», Red.)

24.2.2022: Die russischen Streitkräfte starten ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats eine Militäroperation in der Ukraine. Ihr Ziel ist „die Befreiung des Volkes vom Kiewer Regime, die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine“.

Zum Originalbeitrag in tschechischer Sprache.

Siehe dazu auch «Der Konflikt in der Ukraine wurde vom Westen angezettelt» auf Globalbridge.ch

Zu Petr Pelz: Geboren 1953. Von 1996 bis 2001 Direktor des militärischen Geheimdienstes der Tschechischen Republik. Von 2002 bis 2006 in New York als Sonder-Sicherheitsberater des tschechischen Botschafters bei den Vereinten Nationen. In den Jahren 2006-2007 Berater des CZ-Verteidigungsministers in Fragen des Geheimdienstes und der Außenbeziehungen. Von 2010 bis 2013 CZ-Botschafter in Afghanistan.