Des Schweizer Aussenministers Absicht, in Moskau als Interessenvertreter der Ukraine zu fungieren – in absoluter Verkennung der geopolitischen Lage – wurde prominent begrüsst: die Headline der Aargauer Zeitung am 10. Juli auf ihrer Frontpage.

Schweizer Aussenministerium: Unglaubliche Arroganz oder totaler Realitätsverlust?

Globalbridge.ch hat darüber berichtet: Die gegenwärtige Schweizer Regierung hat mit dem Entscheid, die Sanktionen der EU gegen Russland pauschal (!) zu übernehmen, die historisch und politisch gefestigte Neutralität der Schweiz dramatisch verletzt und vielleicht gar unwiederbringlich zerstört. Auch der Platz Genf als zweitwichtigster Standort der UNO wird seine Funktion als internationaler Konferenzort mehr und mehr verlieren. Und mit der «Ukraine Recovery Conference» in Lugano hat die Schweiz zusätzlich bestätigt, dass sie keine neutrale Haltung mehr einnehmen will. Nichtsdestotrotz hat das Aussenministerium Wolodymyr Selenskyjs absurde Idee, die Schweiz solle als Interessenvertreter der Ukraine in Moskau zum Einsatz kommen, positiv aufgenommen und zwischenzeitlich mit Kiev en détail abgesprochen. Doch die Quittung liegt bereits auf dem Tisch: Russland ist an den vermeintlich guten Diensten der Schweiz nicht mehr interessiert.

Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis ist bekanntlich unentwegt auf der Suche nach «Opportunitäten». Und offensichtlich hielt er Selenskyjs Vorschlag für eine solche «Opportunität». Nicht zufällig hat er ja am WEF in Davos vorgeschlagen, die schweizerische Neutralität in eine «kooperative Neutralität» umzubauen: neutral zu bleiben, aber mit der einen Seite eines Konflikts zu «kooperieren». Und er erhielt dafür prominentes Lob, insbesondere vom NATO-nahen NZZ-Redaktor Georg Häsler, der selber Oberst der Schweizer Armee ist.

Die Schweiz hat seit Ende Februar alle von der EU beschlossenen Sanktionen gegen Russland pauschal, also ohne jede Abweichung oder auch nur Präzisierung, übernommen. Wie kann man in so einer Situation auch nur darauf hoffen, von Russland als Interessenvertreter der Ukraine akzeptiert zu werden? Ist es eine massive Selbstüberschätzung unseres Aussenministers? Oder ist es einfach totaler Realitätsverlust? Oder eben einmal mehr einfach eine «Opportunität», die gepackt werden sollte? Das Nein aus Moskau war denn auch alles andere als überraschend.

Mehr und mehr wird Hass auf alle Russen und auf alles Russische gefördert

Ziemlich peinlich ist die ganze Geschichte auch für die grossen Schweizer Medien. Sie plädieren fast unisono für eine Weiterführung des Krieges in der Ukraine und gegen Verhandlungen, haben aber Ignazio Cassis‘ Vorhaben prominent begrüsst – siehe zum Beispiel die Frontseite der Aargauer Zeitung, oben. Und wo immer Behörden oder Organisationen etwas tun, um den bereits verbreiteten Russenhass noch anzuheizen, gibt’s Lob oder zumindest höfliches Schweigen. In St. Gallen zum Beispiel wurde für die Festspiele die Oper «Die Jungfrau von Orléans» des russischen Komponisten Tschaikowski abgesetzt und durch Verdis Oper «Giovanna d’Arco» ersetzt. Begründung: Eine öffentliche Aufführung von Kompositionen von Tschaikowski sei jetzt den ukrainischen Flüchtlingen hier nicht zuzumuten. Nota bene: Der russische Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowski lebte von 1840 bis 1893 …

Siehe den grünen Balken in der Mitte des Bildes: «IM GEDENKEN AN DIE BEFREIUNG EUROPAS». Aber in diesem Jahr dürfen keine russischen Fahrzeuge gezeigt werden, wo doch jeder auch nur halbwegs gebildete Schweizer weiss, dass es die Rote Armee war, die in Stalingrad und Kursk die Nazi-Truppen Deutschlands besiegt haben – mit Hunderttausenden von Toten – und damit Hitlers Niederlage eingeleitet haben.

Und im aargauischen Birmenstorf wurde der mittlerweile ebenfalls traditionelle «Convoy to Remember», wo gute 700 historische Kriegsfahrzeuge aus ganz Europa an diesem Wochenende zusammenkommen und 20’000 Besucher erwartet werden, ebenfalls umprogrammiert: In Absprache mit Spitzenvertretern der Schweizer Armee, wie man lesen konnte, wurde beschlossen, den Anlass trotz des Krieges in der Ukraine durchzuführen, diesmal aber keine russischen Panzer zu zeigen. Dazu die Aargauer Zeitung wörtlich: «Der ‹Convoy› erinnert laut Organisatoren an den D-Day – den Tag im Jahr 1944, als die Befreiung Europas durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg startete.» Die CH-Media-Zeitungen, zu denen die Aargauer Zeitung gehört, verpassen keine Gelegenheit, zu behaupten, Europa sei 1944 am D-Day von den Alliierten befreit worden, wo doch jeder, der schon mal ein Buch gelesen hat, weiss, dass Hitlers militärischer Niedergang mit den gigantischen – und eben verlorenen! – Schlachten von Stalingrad (1942/43) und Kursk (1943) begonnen hat. Dass an einem «Convoy to Remember» – einem Umzug zur Erinnerung! – ausgerechnet russische Panzer und Fahrzeuge nicht gezeigt werden dürfen, ist insofern ein besonders widerlicher Entscheid der Organisatoren – und dies in Absprache mit der Schweizer Armee!

Es ist einfach unglaublich: Die neutrale Schweiz ist zum Vasall der USA – die Schweizer Banken halten sich zum Beispiel an die Sanktionen der USA gegen Kuba – und jetzt auch der EU geworden, der sie nie beitreten wollte. Man kann sich für die Entscheidungen des Bundesrates und die Haltung der grossen Schweizer Medien nur noch schämen.

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Siehe auch: «Vom ‹Kalten Krieg› zum ‹Hass-Krieg› gegen Russland» (von Christian Müller)