Die drei FCL-Tops Vizepräsident Fredy Egli, Präsident Romano Simioni, Trainer Friedel Rausch und der Dolmetscher im September 1986 auf dem Roten Platz in Moskau. (Foto Christian Müller)

Vom «Kalten Krieg» zum «Hass-Krieg» gegen Russland

Die Zeit von 1945 bis um 1990 läuft in Europa historisch unter dem Namen «Kalter Krieg». Die Kontakte mit Russland in Kultur und Sport aber waren auch in dieser Zeit freundlich. Heute aber werden auch sportliche, kulturelle und sogar wissenschaftliche Kontakte mit Russland vom Westen unterbunden: Man soll Russland einfach nur noch hassen.

Am 8. Mai 1945 – in Moskau war es schon der 9. Mai – kapitulierte Nazi-Deutschland bedingungslos. Damit war der Zweite Weltkrieg formal zu Ende, auch wenn in verschiedenen Regionen der Welt weiterhin gekämpft wurde. Deutschland wurde in vier Zonen aufgeteilt und diese den vier Siegermächten Sowjetunion, USA, Grossbritannien und Frankreich zugeteilt. Aber vor allem der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme wegen – Kapitalismus im Westen, Kommunismus in der Sowjetunion – blieben zwischen den Siegermächten massive Spannungen erhalten. Es war die Zeit des sogenannten Kalten Krieges, der sich ab dem 13. August 1961 mit dem Mauerbau in Berlin auch in erheblichen Reisebeschränkungen sichtbar machte.

Nichtsdestotrotz: Man verkehrte miteinander, hatte Kontakte, nicht zuletzt in den Bereichen Sport und Kultur. In der Schweiz gab es zum Beispiel Konzerte des Chors der Don Kosaken unter Serge Jaroff (hier zum Anhören), ich selber ging in Baden (Aargau) zum Beispiel auch an ein Konzert der absolut phantastischen slowakischen Sängerin Hana Hegerová (Hier singt sie zum Beispiel das Chanson Mylord von Georges Moustaki).

Hana Hegerová singt im Badener Kursaal in den frühen 1960er Jahren (Foto Christian Müller)

Und umgekehrt: Ich selbst begleitete im Jahr 1972 meinen Freund, den Musiker André Jacot, mit seinem Streichquartett nach Prag und nach Warschau, wo das Quartett Konzerte gab.

Gut in Erinnerung geblieben ist mir aber vor allem auch meine erste Reise nach Moskau, damals im Kalten Krieg, im Jahr 1986. Ich war damals Chefredakteur der «Luzerner Neusten Nachrichten» LNN und wir waren die Sponsoren des Fussball-Clubs Luzern FCL mit den unvergesslichen Leibchen «Siehe LNN.» Da am 17. September 1986 ein Uefa-Cup-Spiel des FCL gegen den Fussballclub Spartak Moskau auf dem Programm stand, beschloss Friedel Rausch, der damalige Trainer des FCL, zwei Wochen vor diesem Cup-Spiel ein Spiel Spartak gegen Dniepr in Moskau zu besuchen, um die Spielweise und Taktik von Spartak zu studieren und damit die Gewinnchancen des FCL zu erhöhen. Mit ihm reisten der damalige FCL-Präsident Romano Simioni und der Vizepräsident Fredy Egli – und eben auch ich als interessierter Medien-Mann. Noch konnte man damals nicht von Zürich nach Moskau fliegen, wir mussten mit dem Zug nach Paris fahren, um dort einen Flug nach Moskau nehmen zu können. Und in Moskau, wo wir einen Dolmetscher hatten, schauten wir uns natürlich auch die Stadt an.

FCL-Trainer Friedel Rausch beobachtet Anfang September 1986 im grossen Stadion in Moskau die Mannschaft Spartak Moskau im Spiel gegen den ukrainischen Fussball-Club Dniepr Dniepropetrowsk, der seinerseits im Jahr 1983 und später auch wieder 1988 sowjetischer Meister wurde. Das Spiel endete 1:1. Neben Friedel Rausch FCL-Präsident Romano Simioni. (Foto Christian Müller)

Heute werden Sport- und Kulturkontakte mit Russland gezielt unterbunden

Um beim Fussball zu bleiben: Die Europäische Fussball-Union UEFA hat beschlossen, dass Russland nicht an den Nations League und an der Frauen EM teilnehmen darf, und Russland darf sich auch nicht mehr für die Austragung der Europameisterschaften 2028 und 2032 – in mehr als zehn Jahren! – bewerben. Und um auf die Kultur und auf Luzern zurückzukommen: «Lucerne Festival» hat die beiden Konzerte des «Mariinsky Orchestra» mit dem russischen Dirigenten Valery Gergiev am 21. und 22. August 2022 aus politischen Gründen abgesagt.

Heute werden sogar Konzerte, in denen Kompositionen des russischen Komponisten Peter Tschaikowski (1840-1893) auf dem Programm stehen, abgesagt. Und die Universität Milano-Bicocca wollte sogar eine Vorlesung des italienischen Dichters Paolo Nori über den russischen Dichter Fjodor Dostojewski (1821-1881) verbieten, musste dann allerdings zurückkrebsen.

Unnötig zu erwähnen, dass der internationale Katzenverband «International Cat Federation» den Veranstaltern von Katzenausstellungen verboten hat, russische Katzen zu zeigen. Worüber man, wenn es nicht zum Weinen wäre, wenigstens lachen könnte. Aber was, wenn der Europäische Verband der Wissenschaftler und Ärzte, die sich in der Forschung der Krebsbekämpfung mit radioaktiver Bestrahlung engagieren – «European Association of Nuclear Medicine» EANM – den russischen Verband ausschliesst? Auch zum Lachen? (Vielleicht ist es kein Zufall, dass die gegenwärtige Präsidentin dieses Verbandes, Dr. Jolanta Kunikowska, eine Polin ist.)

Nicht nur all diese Absagen und Verbote, jetzt wird Musik sogar zur Polit-Propaganda missbraucht

Die Musik ist die einzige «Sprache», die rund um die Welt verstanden wird und auch Menschen mit ganz unterschiedlichem kulturellen Hintergrund zusammenbringen kann. Doch nicht genug, dass Musik von russischen Komponisten oder mit russischen Musikern jetzt wo immer möglich blockiert wird. Jetzt wird sogar umgekehrt die Musik eingesetzt, um Polit-Propaganda zu machen. Am Eurovision Song Contest ESC am vergangenen Samstag in Turin in Italien, wo Russland ebenfalls ausgeschlossen war, haben, wie von politischen Beobachtern prognostiziert, nicht die musikalisch besten Teilnehmer gewonnen, sondern einfach die ukrainische Band «Kalush Orchestra» – zum Zeichen der Solidarität des Millionen-TV-Publikums mit der Ukraine. Wie recht hat doch der Musik-Journalist Stefan Künzli, der am 30. April 2022 den folgenden Satz schrieb: «Der Eurovision Song Contest wurde im Kalten Krieg ins Leben gerufen. Um den europäischen Zusammenhalt zu fördern. Nun hält der russische Angriffskrieg den Contest fest im Griff. Der einst friedliche Lieder-Wettbewerb wird zur Farce.»

Es gab von 1945 bis 1991 den Kalten Krieg. Was jetzt abläuft, ist nicht nur der Kalte Krieg 2.0, es ist der – neue – Russenhass-Krieg. Wie wichtig und wie schön wäre es doch, wenn wir auch heute noch – auch im Westen – den russischen Poeten und Chansonnier Bulat Okudschawa hören könnten und dürften: «Hol deinen Mantel. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen.»

(Dieser Beitrag ist mittlerweile von der Zeitung «Zeit-Fragen» übernommen und in der Ausgabe vom 31. Mai 2022 abgedruckt worden.)