Das Kiewer Höhlenkloster gehört zu den Kiewer Sehenswürdigkeiten und untersteht dem UNESCO Weltkulturerbe.

Erzwungener Glaubenswechsel in der Ukraine

Kiew will mit aller Macht die Wiege der slawischen Orthodoxie unter die Kontrolle der im Jahr 2018 durch den ukrainischen Staat künstlich geschaffenen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) bringen, koste es was es wolle.

Bis zum 29. März 2023 sollten die im Kiewer Höhlenkloster lebenden Mönche, die der Ukrainisch Orthodoxen Kirche angehören und dem Moskauer Patriarchen nahestehen, das Kloster verlassen oder den Glauben ändern. Der damalige Präsident Poroschenko schuf 2018 die «Orthodoxe Kirche der Ukraine» (OKU); zu dieser Kirche müssten die Mönche jetzt konvertieren oder das Kloster verlassen. 

In der Folge spreche ich der Einfachheit halber von der «Ukrainischen Staatskirche», wenn ich von der «Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU)» spreche, und ich nenne die «Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK)» die «ehemalige Russisch-orthodoxe Kirche». 

Das Kiewer Höhlenkloster ist laut UNO eine der bedeutendsten Einrichtungen dieser Art weltweit und gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Ergebnis: Erzwungener Glaubenswechsel

Dieser Zwang entspräche einem erzwungenen Glaubenswechsel mit all seinen Konsequenzen. Für Mönche ist ein solcher Schritt undenkbar und nach der ukrainischen Verfassung zudem rechtswidrig: Jeder hat das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich zu einer beliebigen Religion oder zu keiner Religion zu bekennen, ungehindert einzeln oder gemeinschaftlich Gottesdienste abzuhalten, Kulthandlungen zu vollziehen und eine religiöse Tätigkeit auszuüben.“ (Ukrainische Verfassung, Artikel 35.)

Der Ukrainekonflikt ist auch ein Glaubenskrieg

Der Krieg in der Ukraine zieht immer größere Kreise. Von seinem Anfang an – und hier reden wir nicht vom 24. Februar 2022 – war er ein alles umfassender Krieg. Es ging um die Menschen, um ihre Köpfe, und erst danach um Territorien, wenn auch mit völlig konträren Zielen. Wer die gescheiterten Minsker Vereinbarungen 1 und 2 aufmerksam liest, kann zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen. Die eine Seite hatte das Ziel, den Menschen ein menschenwürdiges Leben in und mit ihrer eigenen Kultur zu ermöglichen. Die andere Seite zielte auf deren physische Vernichtung.    

Die Ukraine ist ein Vielvölkerstaat. Nach wie vor, auch wenn in der Lebenswirklichkeit wohl eher nur noch auf dem Papier. So leben dort neben Ukrainern auch Ungarn, Slowaken, Polen, Griechen, Rumänen, Deutsche, Bulgaren … und vor allem eben auch Russen und Weißrussen. In einer funktionierenden Gesellschaft kann eine solche Vielfalt ein Segen sein. Die jeweiligen ethnischen Einflüsse befruchten sich gegenseitig, die Menschen wachsen in kultureller Verschiedenartigkeit auf, was sie von Kindheit an prägt und sie auf völlig natürlichem Wege zu Toleranz und gegenseitigem Respekt erzieht. Voraussetzung dafür ist jedoch, wie erwähnt, eine funktionierende Gesellschaft mit einem guten, humanistisch orientierten Bildungssystem, eine Wirtschaft, die allen zu Gute kommt und ganz besonders eine Politik, die sich dieses kulturellen Reichtums bewusst ist, ihn schätzt und durch kluge, auf Ausgleich bedachte Handlungen pflegt und entwickelt. Zu diesen klugen Handlungen gehört auch der Respekt und die Achtung vor den religiösen Ansichten und Traditionen der jeweiligen Nationalitäten in einer säkularen gesellschaftlichen Umgebung. 

Glaubensgemeinschaften in der Ukraine

Womit haben wir es nun in der Ukraine zu tun? Ungeachtet der beschriebenen ethnischen Vielfalt herrschten in Glaubensfragen lange Zeit die oben beschriebene gegenseitige Toleranz und Respekt. 

Historisch entwickelte sich die Russisch-Orthodoxe Kirche zur größten Glaubensgemeinschaft in der Ukraine. In der Ukraine existiert sie heute als „Ukrainische Orthodoxe Kirche“ (UOK), die ich im Folgenden wie oben beschrieben «ehemalige Russisch-orthodoxe Kirche» nennen werde. 

Daneben gibt es die Griechisch-Katholische Kirche, die Evangelisch-Lutheranische Kirche der Ukraine und weitere protestantische und orthodoxe Glaubensgemeinschaften. Im Jahre 2018 gab es insgesamt allein 14 orthodoxe Landeskirchen, die kirchenrechtlich alle dem Moskauer Patriarchat unterstanden. Diese Struktur ist über die Jahrhunderte hinweg so entstanden und hat nichts mit irgendeinem aktuellen Kreml-Einfluss zu tun, wie in den Medien immer wieder behauptet wird.

„Armee, Sprache, Glaube“

Mit den auch nach ukrainischem Recht klar als Staatsstreich zu qualifizierenden Ereignissen 2013/2014 in der Ukraine gab es eine ungehemmte Förderung nationalistischen Gedankenguts. Ausgehend davon konnte es nur eine Frage der Zeit und des richtigen Timings sein, dass diese massiv und systematisch durch den Westen geförderte Entwicklung auch auf Glaubensfragen übergriff, ja sogar übergreifen sollte. Der damalige Präsident Petro Poroschenko und seine Berater sahen den Moment dafür im Präsidentschaftswahlkampf 2019 gekommen, den Poroschenko unter der Losung „Armee, Sprache, Glaube“ führte. 

Zur nationalistischen Strategie des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko gehörten die Armee (zum Beispiel im Donbass), menschenverachtende Sprachgesetze und auch die Verstaatlichung jener Glaubensgemeinschaften, die dem Patriarchen in Moskau nahestanden.

Erinnern wir uns: Das erste Gesetz, das die ukrainische Regierung nach dem gewaltsamen Umsturz 2014 erließ, war das sogenannte Sprachengesetz vom 20. März 2014, das Ukrainisch zur alleinigen Staats-, Amts- und Verkehrssprache erklärte und somit mindestens 40 Prozent der Bevölkerung nach den bislang geltenden nationalen Gesetzen aber auch von der Ukraine international anerkannten Gesetzen und Vereinbarungen von heute auf morgen zu Bürgern zweiter Klasse machte. 

In einem inhomogenen Vielvölkerstaat wie der Ukraine musste dieses Gesetz wie eine Bombe mit Zeitzünder wirken. Es war folglich einer der Auslöser des Widerstands im Donbass. Dieses Gesetz wurde im Jahre 2022 noch einmal verschärft.  Soweit zum Punkt „Sprache“ in Poroschenkos Losung „Armee, Sprache, Glaube“.

Die „Armee“ bezog sich auf die Reorganisation der Ukrainischen Armee nach der Niederlage 2014/15 mit dem Ziel eines NATO-Beitritts unter Umgehung und Missbrauch der auch von der Ukraine unterzeichneten Minsker Vereinbarungen. Poroschenko, Merkel, Macron haben diesen Völkerrechtsbruch in den letzten Monaten selbstentlarvend und ohne jede Scham bar jedes Verantwortungsgefühls selbst öffentlich zugegeben. 

Aus Sicht Poroschenkos musste nun noch der „Glaube“ geregelt werden. Dieses „Problems“ nahm er sich im Dezember 2018 an mit der Gründung der sogenannten „Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU)“, also der „Ukrainischen Staatskirche“, unter aktiver Beteiligung von Poroschenko persönlich (also des Staates) sowie zweier Exarchen aus den USA und Kanada. „Ein Exarchat ist eine Diözese einer Ostkirche in der Diaspora“ (Quelle: Wikipedia), also ein kirchlicher Verwaltungsbezirk; in Deutschland eine Diözese oder ein Bistum. Weiter in Wikipedia: „Ein Exarchat wird für Gläubige außerhalb des angestammten Territoriums einer Kirche eingerichtet.“ 

Ukrainische Staatskirche von amerikanischen Gnaden?

Also der Staat Ukraine in Person seines Präsidenten gründet gemeinsam mit zwei kirchlichen Verwaltungsbezirken aus den USA und Kanada die „Ukrainische Staatskirche“. De facto schuf der ukrainische Staat damit eine Staatskirche, und das ohne Berücksichtigung der Meinung der 14 im Lande bereits existierenden orthodoxen Landeskirchen. Denn diese lehnten ausnahmslos die Abspaltung der „Ukrainischen Staatskirche“ von der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden „ehemaligen Russisch-orthodoxen Kirche“ ab. Dass diese „ehemalige Russisch-orthodoxe Kirche“ in ihrem Unterstellungsverhältnis eine weitreichende Autonomie besitzt, sei der Vollständigkeit halber ausdrücklich erwähnt. 

Ganz offensichtlich widersprach also dieser „Staatsakt“ geltendem ukrainischen Recht: „Die Kirche und die religiösen Organisationen sind in der Ukraine vom Staat und die Schulen von der Kirche getrennt. Keine Religion darf vom Staat als verbindlich anerkannt werden.“ (Ukrainische Verfassung, Artikel 35.) 

Eine mehr als Tausend Jahre alte Tradition wird zerstört 

Was bedeutet das nun für das Kiewer Höhlenkloster, für deren Bewohner und andere kirchliche Einrichtungen?

Das eingangs angeführte Ultimatum der ukrainischen Staatsmacht lässt Schlimmes erwarten. Im Gegensatz zu anderen Ländern sind die Mönche nur Mieter des eigenen Klosters. Somit wird die formaljuristische Seite wohl gewahrt, wenn die Mieter zum Verlassen des Objekts aufgefordert werden. 

Dieses Mietverhältnis ist ein Überbleibsel sowjetischer Politik. Die UdSSR konfiszierte alle Kirchengüter und übergab einzelne Einrichtungen auf Mietbasis der Kirche zur Nutzung. Nach der Gründung der Nachfolgestaaten der UdSSR wurden dann diese Fragen nach neuem nationalem Recht geregelt. Russland z.B. gab das früher konfiszierte Eigentum der Kirche zurück und half großzügig bei seiner Restaurierung und Wiederherstellung. 

Seit Gründung des ukrainischen Staates 1991 gab es wiederholt Vorschläge und Bitten seitens der „Ukrainischen orthodoxen Kirche“, das kirchliche Eigentum an den genutzten Einrichtungen  in der Ukraine insgesamt wieder herzustellen, jedoch erfolglos.

Das genannte Ultimatum zeigt, worum es tatsächlich geht: die Auslöschung jeglicher russischer Traditionen, die Zerstörung der Wiege der slawischen Orthodoxie und seien sie auch mehr als ein Jahrtausend alt.

Die gewaltsame Übergabe von Kircheneigentum von dem Moskauer Patriachat nahestehenden Glaubensgemeinschaften an die vom ukrainischen Staat geschaffene „Ukrainische Staatskirche“ ist seit deren Gründung in der gesamten Ukraine an der Tagesordnung und sowohl für die neue Kirche als auch für die ihr übergeordneten Kirchenstrukturen des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel ein sehr einträgliches Geschäft. Denn der Wert des der „ehemaligen Russisch-orthodoxen Kirche“ auf diesem Wege entzogenen materiellen und immateriellen Vermögens ist enorm. 

Die UNO schaltet sich ein

Inzwischen ist das Vorgehen der ukrainischen Staatsgewalt Thema in der UNO. Die UNO hat in ihrem Bericht die Schikanen gegen die „ehemalige Russisch-orthodoxe Kirche“ dargelegt. Die Maßregelungen umfassen Verhaftungen, illegale Durchsuchungen, Drohungen und Angriffe auf Kirchen, physische Gewaltanwendung gegen Kirchendiener und Gläubige unter dem Schutz des Geheimdienst SBU und der Polizei. Die nächsten Tage werden zeigen, wie die UNO selbst mit ihrem UNESCO-Weltkulturerbe Kiewer Höhlenkloster umgeht und inwieweit sich diese Organisation noch ernst nimmt bzw. noch ernst genommen werden kann.

Das Beklemmende, Bestürzende am Schicksal der Kiewer Mönche ist, dass die vom Westen großzügigst unterstützten politischen Allmachtsphantasien der ukrainischen Staatsspitze am Ende – neben der geistigen und kulturellen Barbarei, die dabei zum Ausdruck kommt – völlig unschuldige, unpolitische Mönche trifft.

Mehr als 200 Männer zum großen Teil im fortgeschrittenen Alter leben und beten im Höhlenkloster. Wenn die Räumung erfolgen wird – und die ist gewiss, da die Mönche eine Abkehr von ihrem Glauben kategorisch ausschlossen und ein „Sieg“ der Mönche in der Bevölkerung durchaus als politisches Signal angesehen werden würde – dann gehen sie buchstäblich ins Nichts. So war der Gottesdienst im Höhlenkloster von Kiew am 26. März dieses Jahres, an dem Tausende Gläubige noch einmal zusammenkamen, wohl der letzte jener Glaubensgemeinschaft in diesem im Jahre 1051 von den Mönchen Antony und Theodosius gegründeten Kloster. 

Es würde den Rahmen sprengen, an dieser Stelle auf die Bedeutung dessen einzugehen, dass  amerikanische Kirchenstrukturen die kirchliche Grundlage für die Schaffung einer weiteren orthodoxen Kirche in der Ukraine boten. Aber es gibt nicht nur einen Hinweis darauf, dass letztlich sehr viel amerikanisches Geld das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel als der „Ukrainischen Staatskirche“ übergeordnete kirchliche Verwaltungsstruktur dazu bewegt hatte, der Schaffung dieser neuen Kirche einen wie auch immer gearteten kirchenrechtlichen Rahmen zu geben. Dieser Rahmen wurde von der Mehrheit der orthodoxen Kirchenstrukturen weltweit massiv kritisiert und abgelehnt.   

Metropolit Pavel, stellvertretender Leiter des Höhlenklosters, wehrt sich.

Am 29. März 2023 wandte sich der Metropolit Pavel, Vikar der Kiewer Lawra (des Kiewer Höhlenklosters) in einer Video-Botschaft nochmals direkt an den ukrainischen Präsidenten Selenskyj, indem er ihn persönlich für das Geschehen verantwortlich machte: „Sie haben nicht das Recht, uns rauszuwerfen. Gestern haben wir einen Brief von der UNO erhalten, in dem steht, dass wir in der Lawra bleiben können, bis das Gericht entschieden hat. Wenn wir gewinnen, gewinnen wir, wenn Sie gewinnen, werden wir in Berufung gehen.“ Eine Entscheidung in dieser Sache liegt noch nicht vor. 

Man kann es als direkte Antwort Selenskyjs und als Missachtung der UNO betrachten, wenn noch am Tag der Videobotschaft das zuständige Gericht es ablehnte, die Räumung des Höhlenklosters während der Prüfung der Klage auszusetzen. 

Es scheint für die ukrainische Führung sehr wichtig zu sein, das Thema „Kiewer Höhlenkloster“ bis zum orthodoxen Osterfest abgeschlossen zu haben, das am 16. April gefeiert wird.  Und so ist es keine große Überraschung, dass der Metropolit Pavel inzwischen unter Hausarrest gestellt wurde. 

Fazit

In der Geschichte der Menschheit gibt es endlose Belege dafür, dass Herrscher gegen Glauben und Gläubige vorgingen. Aus machtpolitischen Gründen wurde gemordet, geplündert, gesündigt … und seit Heinrich VIII. wissen wir, dass Politik auch Kirchen neu schafft, wenn es opportun erscheint. 

Aus der Geschichte wissen wir jedoch auch, dass echter Glaube nicht besiegt wurde und nicht besiegt werden kann. Es war in der Geschichte vielmehr so, dass mit dem massiven Bekämpfen von Glauben und Gläubigen der Anfang vom Ende politischer Regime eingeläutet wurde. 

Dieser Beitrag erschien erstmals auf der Website Stimme aus Russland. Er wurde noch vor der orthodoxen Osterfeier geschrieben. Noch leben die Mönche im Kloster und sind noch nicht vertrieben worden, aber bei den Auseinandersetzungen vor Ort sind bereits zwei Mönche zu Tode gekommen. Wir werden in den nächsten Tagen über die neusten Ereignisse berichten. (Red./cm)