Noam Chomsky, mittlerweile 95 Jahre alt, ist einer der führenden US-amerikanischen Intellektuellen.

Auch in den USA gibt es genaue Beobachter und Beobachterinnen. Eve Ottenberg ist eine davon.

(Red.) Wer sich dafür interessiert, was die US-Amerikaner zum Krieg in der Ukraine denken, kommt nicht darum herum, auch ein Dutzend Plattformen zu konsultieren, die nicht von den großen Medien-Konzernen betrieben werden. Dazu gehört zum Beispiel auch ConterPunch.org, zu deren Autorinnen Eve Ottenberg gehört, die ihrerseits in den USA eine bekannte Buchautorin ist. Sie hat jetzt am 9. Juni auf CounterPunch beschrieben, wie es zum Krieg in der Ukraine gekommen ist und warum es bei der jetzigen US-Außenpolitik wahrscheinlich ist, dass dieser Krieg noch sehr lange andauert – und auch zum Dritten Weltkrieg führen könnte. (cm)

Von der vom Menschen verursachten Klimakatastrophe über einen nuklearen Showdown zwischen Washington und Moskau oder Peking bis hin zum aufsteigenden Faschismus – drei erschreckende Katastrophen drohen der Menschheit wie der Schatten des Todes. Diese Bedrohungen lauern schon seit einigen Jahren, aber der Krieg in der Ukraine, der durch Joe Bidens Ankunft im Weißen Haus im Jahr 2021 und seine ausgeprägte Aggressivität gegenüber Moskau begünstigt wurde, hat das nukleare Armageddon in den Mittelpunkt gerückt und die Uhr des Jüngsten Gerichts nahe an Mitternacht gerückt.

Das Vertrauen zwischen dem Kreml und den westlichen Regierungen ist schon vor langer Zeit geschwunden, so dass es schwer vorstellbar ist, wie diese Katastrophe jemals überwunden werden kann. Russische Beamte haben zugesehen, wie die USA mehr als 30 Milliarden Dollar an Rüstungsgütern an die Ukraine geliefert und weitere Milliarden in Aussicht gestellt haben, wie sie Neonazis bewaffneten, sie beschönigten und wie sie die Gehälter der Kiewer Regierung bezahlten. Sie haben die Waffen, die Washington geschickt hat, gesehen (und oft zerstört). Zu diesen Waffen würden niemals Langstreckenraketen gehören, die innerhalb Russlands einschlagen könnten, versprach Biden. Nun, dieser Schwur war das Klopapier nicht wert, auf dem er geschrieben war. Die USA würden der Ukraine niemals Panzer liefern, schwor Biden hoch und heilig – bis er seine Meinung änderte. Amerikanische Kampfflugzeuge, so gab er sein Wort, würden nicht in der Ukraine fliegen. Nun, jetzt sehen wir, was sein Wort wert ist. Was kommt als nächstes? NATO-Truppen in der Ukraine? Denn dann wird die Bombardierung amerikanischer, europäischer und russischer Städte beginnen. Das nennt man den Dritten Weltkrieg. Biden weiß das. Und die Russen auch. Und trotz ihrer lautstarken Proteste angesichts dieser unaufhörlichen US-Eskalation sind die Russen bedrohlich still geworden, was ihre roten Linien angeht.

Es war 2008 in Bukarest, als Moskau dem Westen erklärte, dass der Beitritt seines Nachbarn Kiew zur NATO das Ende der Ukraine bedeuten würde. Schwachköpfige Eurokraten und vogelhirnige amerikanische Präsidenten haben nicht hingehört. Jahre vergingen. Washington unterstützte 2014 einen Putsch gegen den rechtmäßig gewählten ukrainischen Staatschef und installierte dann ein westfreundliches russophobes Regime – oder wohl besser gesagt eine Marionette, deren idiotische Wirtschaftspolitik zur Abwanderung von Millionen von Ukrainern führte, während Washington die rechtsextremen Fanatiker massiv bewaffnete und ausbildete.

Die NATO eine Verteidigungsorganisation?

Während dieser ganzen Zeit, bis Dezember 2021, hat Moskau nur allgemein mit der Erwähnung von roten Linien protestiert. Außerdem deutete es regelmäßig an, dass es einzulenken bereit wäre. Dann, Ende 2021, schickte der Kreml detaillierte Briefe an Washington, in denen er die russischen Sicherheitsbedenken auflistete, vor allem, dass die Ukraine nicht der NATO beitreten dürfe. Moskau war auch beunruhigt über das Schicksal der Russen im Donbass, von denen die Ukraine seit 2014 12.000 abgeschlachtet hatte und an deren Grenzen Kiew Truppen zusammengezogen und Anfang 2022 die Angriffe sogar drastisch verstärkt hatte, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE feststellte. Ein solcher tödlicher Anstieg signalisierte einen Angriff und möglicherweise eine ethnische Säuberung für russischsprachige Ukrainer. Aber die USA antworteten munter mit dem Humbug, die NATO sei eine Verteidigungsorganisation. Ein Humbug, den jeder Halbidiot sofort durchschauen kann, wenn er sich die US-Raketen in Polen und Rumänien ansieht, zwei Ländern, die an Russland grenzen.

Washington bestand auch auf dem heiligen Recht eines jeden Landes, der NATO beizutreten. Es zeigte Moskau aber schon vor Jahrzehnten, als davon die Rede war, die kalte Schulter; offenbar hatte Russland dieses Recht nicht. Man sollte dem Kreml also verzeihen, wenn er die NATO als eine feindliche Militärachse betrachtet. Wie unser führender öffentlicher Intellektueller Noam Chomsky sagte: „Putins Einmarsch in die Ukraine war eindeutig provoziert, während der Einmarsch der USA in den Irak eindeutig unprovoziert war.“ (Er sagte auch, „Whataboutism“ sei als „elementare Ehrlichkeit“ bekannt.) Beide Invasoren haben das Zielland zerstört, Russland langsamer, aber man täusche sich nicht, auch hier wird es das Ergebnis sein, wenn dieser Krieg nicht bald beendet wird.

Die Moral von der Geschichte: Wenn Sie einen Krieg vermeiden können, ist das eine sehr gute Idee. Wenn jemand sagt: „Ich werde angreifen, wenn Sie nicht aufhören, mich zu bedrohen“, dann sollten Sie zuhören. Die Friedensstifter sind gesegnet, aber leider waren sie im Dezember 2021 in der imperialen Hauptstadt der Welt, in Washington, nicht anwesend. Derzeit sind sie überall dort abwesend, wo sie gebraucht werden, Punkt.

Dank Biden blicken wir jetzt also auf einen Atomkrieg. Die Alternative im Jahr 2024 wird wahrscheinlich Trump sein, der Errungenschaften wie das Kriegsrecht, eine Präsidentschaft auf Lebenszeit, Schauprozesse gegen seine politischen Feinde und möglicherweise einen Atomkrieg mit China, kurz gesagt, Faschismus, verspricht. Für diese lausige Wahl können wir unsere korrupte Plutokratie und ihre Medienparasiten verantwortlich machen. Anders ausgedrückt: Diejenigen, die in Washington an die Spitze kommen, sind nicht die Crème de la Crème, sondern der Rahm, der schon vor Jahren verdorben ist. Obama, Bush, Clinton – allesamt aalglatte Geschäftemacher, die auf der ganzen Welt Unschuldige abschlachteten, und alle sehr kurzsichtig, wenn es darum ging, etwas anderes zu tun, als auf die große Chance zu warten, selbst wenn das bedeutete, hilflose Bewohner verarmter Nationen zu bombardieren.

In der Zwischenzeit haben in der imperialen Hauptstadt der USA die blutgetränkten Neocons das Sagen. So kam es am 26. Mai zu den Ereignissen, als „das russische Außenministerium US-Diplomaten einbestellte, weil der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan ‚provokative Äußerungen‘ getätigt hatte“, so RT. „Der amerikanische Diplomat unterstützte de facto ukrainische Angriffe auf russisches Territorium“. In Anbetracht der Tatsache, dass Sullivan bis zu den Ellbogen im Blut steckt, weil er für das ukrainische Debakel verantwortlich ist, dem Blut von Hunderttausenden ukrainischen und Zehntausenden russischen Soldaten, überrascht es mich nicht, dass er de facto oder wie auch immer den Dritten Weltkrieg befürwortet hat. Moskau bezeichnete seine Unterstützung der ukrainischen Angriffe auf Russland als „heuchlerisch und unwahrhaftig“. Eine solche Formulierung nennt man „Understatement“ – eine Untertreibung.

Sullivan, Außenminister Antony Blinken und seine Unterstaatssekretärin Victoria Nuland haben in Washington das Sagen, anstelle der unkonzentrierten, vergesslichen Galionsfigur Joe Biden, und sie wollen Krieg, jahrzehntelang, wenn sie es denn so wollen. Unerwartet treten nun vernünftige Nicht-Neocons massenhaft aus dem Biden-Regime aus, eine Entwicklung, über die die Plattform «Moon of Alabama» am 25. Mai ausführlich berichtet hat. Rick Waters, Leiter des „China House“ des Außenministeriums, verlässt seinen Posten. Nach der lächerlichen Spionageballon-Hysterie mit ihren wilden Wahnvorstellungen von Angriffen und bösen Plänen eines Todfeindes war Waters einer der vernünftigeren Akteure, der versuchte, den Schaden zu begrenzen, indem er Berichten zufolge Mitarbeiter des Außenministeriums per E-Mail aufforderte, einige Sanktionen und Exportkontrollen gegen China zu verschieben – Sie wissen schon, Maßnahmen, die als, ähm, feindlich hätten angesehen werden können.

Die stellvertretende Außenministerin Wendy Sherman kündigte ebenfalls ihren Rücktritt an, was für diejenigen, die auf eine Eindämmung der imperialen Kriegspläne hoffen, ebenfalls entmutigend ist. Sherman hatte den ursprünglichen Iran-Atom-Pakt unterstützt und sich dafür eingesetzt, dass die unfähige Biden-Regierung zu ihm zurückkehrt, was Biden entgegen seinen Wahlversprechen nicht gelungen ist. Das Ergebnis ist, dass der Nahe Osten ständig am Rande eines regionalen Krieges steht, den der Pakt hätte verhindern können. Colin Kahl, ein Unterstaatssekretär des Verteidigungsministeriums, verlässt uns diesen Sommer. Er war gegen eine Eskalation des US-Stellvertreterkriegs in der Ukraine. Er war auch bei den verrückten Sinophoben – den China-Hassern – nicht beliebt. Um den Verlust dieser Realisten im Weißen Haus noch schlimmer zu machen, hat Biden einen glühenden China-Falken an die Spitze des Generalstabs berufen und damit den weniger fanatischen, aber ziemlich ineffektiven Mark Milley abgelöst. All diese Schritte bedeuten Ungemach. Sie bedeuten, dass jetzt wahnsinnige Kriegshetzer das Imperium regieren.

Die Situation hat sich also gefährlich verschlechtert, und genau das hat Noam Chomsky vorausgesagt, wenn Washington sich nicht der „hässlichen“ Entscheidung stellt, Moskau nach der Invasion zu belohnen, indem es die Neutralität Kiews und die Minsker Vereinbarungen für den Donbass durchsetzt. Niemand hat die Verderbtheit des US-Imperiums so lange und schonungslos dokumentiert wie Noam Chomsky. Sein neues Buch «Illegitimate Autority» setzt diese Bemühungen fort, indem es die Triade der Katastrophen – Klimakollaps, Atomkrieg und Faschismus – herausgreift, die wie der Untergang in den Vorgarten der Menschheit donnert. Diese von der Plattform «Truthout» gesammelten Interviews konzentrieren sich zunächst darauf, wie die reichen Länder, die Öl, Gas und Kohle verbrennen, alles, was einem normalen Klima ähnelt, zerstört haben, und einige wenige Interviews konzentrieren sich auf den aufkommenden Faschismus.

Doch als das Buch Anfang 2022 erschien, verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Ukraine. Chomsky ist sich der Provokationen Washingtons sehr wohl bewusst, während er die Reaktion Moskaus darauf als kriminell bezeichnet. Er zitiert den Osteuropa-Spezialisten Richard Sakwa: „Die Existenz der NATO wurde durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die durch ihre Erweiterung hervorgerufenen Bedrohungen zu bewältigen.“ Nun, jetzt hat die NATO eine Bedrohung heraufbeschworen, die laut Nuland, deren Hände rot vom Blut dieses Krieges sind, „16 Jahre dauern könnte“.

Chomsky geht auch auf die schwachsinnige Phantasie des Regimewechsels ein und stellt fest, dass dies in der Vergangenheit jeweils zu noch schlimmeren, extremeren Polit-Führern geführt hat, wofür er eine überzeugende Diskussion von Andrew Cockburn zitiert. Chomsky bezeichnete die Träume der NATO, Wladimir Putin zu stürzen, als „stupide“, da sehr wahrscheinlich jemand viel Bedrohlicheres die Macht übernehmen würde. Unter den Kremlführern ist Putin in der Tat ein gemäßigter Mann, der weit weniger Lust auf Krieg hat als die anderen, die jahrelang für eine Invasion in der Ukraine plädierten, während er sich zurückhielt.

Im März 2022, als neutrale Länder Gespräche zwischen Moskau und Kiew unterstützten, warnte Chomsky: „Die Verhandlungen werden zu nichts führen, wenn die USA sich weiterhin beharrlich weigern, daran teilzunehmen … und wenn die Presse weiterhin darauf besteht, dass die Öffentlichkeit im Dunkeln bleibt, indem sie sich weigert, über Selenskyjs Vorschläge auch nur zu berichten.“ Nun, dank dem damaligen britischen Premierminister Boris Johnson, der angeblich auf Bidens Geheiß nach Kiew flog und Selenskyj klar machte, dass der ukrainische Präsident zwar vielleicht zum Frieden bereit sei, der Westen jedoch nicht. Das hat die Gespräche zum Scheitern gebracht.
Und genau da stehen wir jetzt. Washington hat sich gerade aus einem 20-jährigen militärischen Sumpf in Afghanistan befreit. Jetzt steckt es bis zum Hals in einem Stellvertreterkrieg, der nach Ansicht seiner Befürworter Jahrzehnte dauern könnte. Zum Unglück für das imperiale Team ist der Gegner in diesem jüngsten Aderlass bis an die Zähne mit Atomwaffen bewaffnet. Es handelt sich nicht um ein hilfloses, unterentwickeltes Land, das Washington tyrannisieren kann, um sich dann damit herauszureden, dass das zurückhaltende Verhalten der Amerikaner keiner militärischen Niederlage gleichkomme. Russland ist eine Großmacht und eine Nuklearmacht. In 16 Jahren der Konfrontation mit diesem Land kann sehr, sehr viel schief gehen.

Zum Originaltext in Englisch auf CounterPunch.
Zur Autorin Eve Ottenberg hier ihre Biographie.