Schon zur Zeit von US-Präsident Ronald Reagan 1981-1989 wurde eine neue US-Interkontinental-Rakete zum Transport von nuklearen Sprengköpfen auf «Peacekeeper» getauft: auf «Friedenserhalter». Die Methode, die Tötungsmaschinerie in Vorkriegszeiten verbal zu "befrieden", ist also nicht ganz neu ...

Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIV) – Diesmal dabei: „neues Gefühl“, „Oma Courage“, „Pearl-Harbor-Moment“ und „Placebo-Truppe“

Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – an das Undenkbare zu gewöhnen und möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln.

Massen- und Impulsproblem
Was klingt wie aus einer Thermodynamik-Vorlesung, meint schlicht: die Eroberung Kaliningrads! „Wir haben die Fähigkeit entwickelt, dieses Massen- und Impulsproblem, das Russland für uns darstellt, mit 22 Divisionen zu stoppen.“ (Wozu natürlich die „offensive Kapazität“ aller NATO-Akteure garantiert sein muss.) So in dankenswerter Offenheit US-General Donahue (Europe and Africa) auf der LandEuro-Konferenz im Juli 2025 in Wiesbaden. (vgl. „Anwendungsfall“, „interoperabel“, „Suwalki-Lücke“)

Militärschlag
Zum Beispiel am 22. Juni der USA gegen den Iran. Sprachlich nicht so holprig wie „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“, sondern fast so kompakt wie der „Strike“ selbst. Bringt also – Herr de Saussure lässt grüßen – Bezeichnendes („signifiant“) und Bezeichnetes (signifié“) nahezu kongenial zur Deckung! (Im Gegensatz zu den tolpatschig von „Militärischer Spezialoperation“ stammelnden – sprich: zumindest propagandistisch weit zurückgebliebenen – Russen!) (vgl. „Engagement“, „Mission“)

Mörder und Killer
Damit meinte Marie-Agnes Strack-Zimmermann einen gewissen russischen Staatsmann, der laut MASZ bereits – darunter macht sie es nicht – „Hunderte von Millionen Menschen unter die Erde gebracht hat“. (vgl. „Bestie“, „zweiter Hitler“ etc.)

mutmaßlicher Kriegsverbrecher
„Donald Trump trifft in Alaska morgen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Putin“, anmoderierte am 14. August 2025 Christof Heinemann im Deutschlandfunk ein Gespräch mit seinem Hauptstadtkorrespondenten Steffen Wurzel über eine „Videoschalte“ des am Vortag extra aus Kiew nach Berlin angereisten „Präsident Wolodymyr Selenskyj“ mit Bundeskanzler Merz und „weiteren Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der westlichen Verbündeten“. Dass Heinemanns Standardtitulierungen „Kremlchef“ und „Russlands Machthaber“ ihm diesmal nicht mehr ausreichten, kann man aus seiner Perspektive nachvollziehen. Dass er aber sicherheitshalber – man weiß ja nie! – noch das Wörtchen „mutmaßlich“ vorschaltete, befremdet denn doch. Da war Black-Rot-Kanzler Merz mit seinem „vielleicht schwersten Kriegsverbrecher unserer Zeit“ zumindest beim Adjektiv doch erheblich mutiger!

Narrativ
Einst ein akademisches Schwergewicht, heute auf BILD-Niveau hinaufgestiegener Begriff für die beliebte Methode, Fakten zu einer scheinbar kohärenten Geschichte nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip aufzufädeln: „Widdi-widdi-wie-sie-mir-gefällt!“

neue Entschlossenheit
„Deutschland ist wieder zurück auf der europäischen und der internationalen Bühne“, jubelte Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung kurz vor dem Brüsseler NATO-Gipfel vom Juni 2025. Die neue Entschlossenheit Deutschlands werde in der Welt registriert und von den Partnern begrüßt. – Heidegger und Sartre in Berlin und Brüssel! (vgl. „mitgestalten“, „neue Stärke“)

neues Gefühl
Aufgepasst! Hier geht es nicht etwa um – was durchaus naheliegen würde – das erste erfolgreiche Masturbationsabenteuer eines Zwölfjährigen, sondern um noch Großartigeres: „Wie es sich anfühlt, einen Menschen zu töten?“, fragte das RedaktionsNetzwerk Deutschland einen 20jährigen Deutschen, der seine Ausbildung zum Verkäufer abbrach, um „seinem Herzen zu folgen“ und im Raum Charkiw für die Ukraine zu kämpfen. Antwort: „Das ist ein neues Gefühl“, sagt Hanz (Kampfname). Und dann bescheiden: „Die Russen versuchen, mich zu töten. Anscheinend mache ich einen besseren Job.“ – So einfach ist das. Mit den neuen Gefühlen. (vgl. „professionelle Ebene“, „Sinnsuche“)

neue Stärke
Die „neue Entschlossenheit“ erfordert natürlich zwingend auch noch etwas anderes: „Wir Europäer müssen zu neuer Stärke finden“, rüttelte der „von meinem ersten EU-Rat mit sehr gutem Gefühl nach Hause“ fahrende Kanzler Merz am 27. Juni 2025 die deutsche Öffentlichkeit auf. Am Besten natürlich, indem man die Bundeswehr via Fünf-Prozent-Dauer-Viagra „konventionell zur stärksten Armee Europas“ macht! (vgl. „neue Entschlossenheit“, „rauhes geopolitisches Umfeld“)

Nie wieder Krieg!
Hört man heutzutage, wenn überhaupt, nur noch von einem Häuflein grauhaariger Ostermarschierer. Nach 80 Jahren Enthaltsamkeit lautet nun von der FAZ über Udo Lindenberg bis zur taz die (noch schamhaft unausgesprochene) neue „Animal Farm“-hafte Ergänzung: „Nie wieder Krieg – ohne uns!“

(Noch)
Auf die Klammer kommt es hier an! „(Noch) keine Wehrpflicht: Union und SPD im Koalitionsvertrag“, titelte die Plattform „Soldat & Technik“ am 10. April 2025. – Heißt im Klartext: Nicht ob sie kommt, sondern wann, ist noch unklar! (vgl. „im Augenblick“, „Teilverpflichtung von Teiljahrgängen“, „zunächst auf Freiwilligkeit“, „zur Zeit“)

Noch nicht Krieg, aber auch nicht Frieden
Eine Formel, die sich in verschiedensten Variationen gerade einbürgert. Hier, lange vor Merz und Pistorius, bereits Anfang 2025 verwendet als Titel eines Dossiers der „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“. Erinnert – Hegels „List der Vernunft“ lässt sich einfach nicht an der Nase herumführen! – ausgerechnet an die berühmte Trotzki‘sche Formel „Weder Krieg noch Frieden“ vom Februar 1918 anlässlich der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk. – Idealer rhetorischer Nebelwerfer, um einen „neuen Normalzustand“ zu installieren. Suggeriert, die Zeit des „richtigen Friedens“ sei nun definitiv vorbei. Umso eleganter wird dann demnächst der schleichende Übergang zum „richtigen Krieg“ vonstatten gehen… (vgl. „grauer Krieg“, „hybrid“, „Wir sind im Krieg mit Russland“)

normalisieren
„Wir müssen unser Verhältnis zum Krieg normalisieren. Und wir müssen kriegsbereit sein.“ Dekretiert tapfer – die noch gestern tabuisierte Ausnahmesituation zum Alltag machend – ein Johannes A. Kaufmann in der Braunschweiger Zeitung. Und mit der Softcorenummer gibt sich ein berühmter Regionalreporter und lokaler Wissenschaftsredakteur selbstverständlich nicht zufrieden. Deshalb brüllt der Braunschweiger Löwe so laut, dass man es bis nach Wolfenbüttel hören kann: „Nicht sich zu verteidigen und zurückzuschießen. Sondern wirklich Krieg zu führen.“ Wirklich Krieg! So tönen die neuen harten Männer. Am Schreibtisch zu Braunschweig.

notwendig
Ist laut RedaktionsNetzwerk Deutschland: „Töten“! Konsequenz: „Man muss es halt machen.“ Die jahrtausendealte Logik: „Die oder wir.“

offensive Mentalität
„Der schlichte Panzeroffizier braucht auch in der Verteidigung eine offensive Mentalität. Wir müssen den Kampf zum Gegner tragen. Wir müssen die Entscheidung so früh wie möglich suchen.“ So ganz offen offensiv im Kiesewetter-Jargon Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrat am 19.11.2024 zur NZZ. Ergo: „Wir dürfen für Russland nicht berechenbar sein, sonst ist Abschreckung schwierig zu erreichen. Es darf keine roten Linien geben, die Russland einkalkulieren kann.“ – Und nochmal, weil‘s so schön war: „Keine roten Linien.“ Keine! (vgl. „aktive Verteidigung“, „Mentalitätswechsel“)

Oma Courage
Als solche wollte uns die FDP zur EU-Wahl 2024 ihre „Eurofighterin“ und dreifache Großmutter Agnes Strack-Zimmermann andrehen. Leider ging der Schuss nach hinten los. (Hegels „List der Vernunft“ schlägt nun mal früher oder später unerbittlich zu!) Brechts berühmte Marketenderin ist keine couragierte Heldin, sondern eine auf ewig unbelehrbare Kriegsprofiteurin, die durch ihre Geschäfte nach und nach alle drei Kinder verliert – aber trotzdem weiter emsig auf den Schlachtfeldern Handel treibt. Oder in den Worten des Stückeschreibers: „Sie glaubt an den Krieg bis zuletzt. Sie lernt so wenig aus der Katastrophe wie das Versuchskarnickel über Biologie lernt.“ Passt doch überraschend gut…

outsourcen
Deutschland habe Kriege früher „outgesourced“. Das ginge nun nicht mehr, monierte Redakteurin Anja Reinhardt am 31. August 2025 früh morgens im Deutschlandfunk. – Hören wir mal genauer hin: Outsourcen bedeutet Auslagerung von Unternehmenseinheiten. Hat Deutschland also seine Kriege bis gestern wie Callcenter nach außen verlagert? Innere Konflikte einfach exportiert? Und wohin? Nach Jugoslawien? Afghanistan? Mali? Und sowas kann man heutzutage ungestraft im DLF behaupten?! Ist Frau Reinhardt am Ende noch ein Putin‘sches U-Boot – outgesourced aus Moskau?

Peacekeeper
So taufte einst US-Präsident Ronald Reagan stolz im Herbst 1982 die neueste Interkontinentalrakete – bestückt mit bis zu zehn thermonuklearen Sprengköpfen. Als Sprachschablone wird der inzwischen aussortierte und durch ‚bessere‘ Systeme ersetzte Peacekeeper aber sicher bald wieder, zeitengewendet recycelt, neue Dienste erfüllen.

Pearl-Harbor-Moment
Den, das hofft inständig man im Westen, soll das ukrainische „Husarenstück“ – der Drohnenangriff auf die russische strategische Bomberflotte vom 1. Juni 2025 – in Russland ausgelöst haben. – By the way: Die japanische Attacke auf Pearl Harbor im Dezember 1941 verwandelte den zu diesem Zeitpunkt noch europäischen Krieg in den II. Weltkrieg. Ob die Akklamateure des „Husarenstücks“ dies auch zuende gedacht haben?

Placebo-Truppe
Militärische Schwester der „Fencheltee-Diplomatie“. Gesichtet von Dr. Hauke Friederichs, seines Zeichens Sicherheitspolitischer Korrespondent der ZEIT. Eine Placebo-Truppe für die Ukraine, warnte er dringend am 5. September im (einstigen) ‚Flaggschiff der Entspannungspolitik‘, würde nur schaden. Kurz: So wird das nichts. Da ist erheblich „mehr Stärke“ – sprich: militärisches Viagra – gefragt! Nach dem berühmten Motto: „Jungs, seid nicht feige – lasst mich hintern Baum!“

professionelle Ebene
„Dass die ausländischen Kämpfer in ihren Heimatländern oft mit Argwohn betrachtet werden, liegt womöglich auch an der russischen Propaganda – die ohne Belege versucht, sie allesamt als Kriminelle oder Terroristen, als Mörder oder Neonazis zu diskreditieren“, nimmt das RedaktionsNetzwerk Deutschland Deutsche auf „Sinnsuche“ in Schutz, die diesen als „Internationale Legionäre“ an der ukrainischen Front fanden. „Wizard“ (Kampfname), einer der Glücklichen, „sagt: ‚Mir sind einige Idioten untergekommen, aber eben auch viele gute Jungs. Keiner von denen kommt von der Front zurück und sagt, geil, ich habe viele Russen kaltgemacht. Das läuft bei uns auf einer professionellen Ebene ab.‘“ – Gottseidank sind unsere sinnsuchenden Jungs in der Ukraine also keine jämmerlichen Lustmörder, sondern – „professionelle Ebene“ – coole Berufskiller! (vgl. „coolste Ausschnitte“)

prorussisch
Ist alles, was nicht der offiziellen westlichen Sicht der Dinge entspricht. 

Putin (II)
Kürzestes Wort für folgende komplizierte Formeln: „Machthaber“, „Kreml-Chef“, „brutaler Mafiaboss“, „Despot“, „Diktator“, „russischer Widerpart“, „dummer Hurensohn“ („stupid son of a bitch“), „Kriegstreiber“, „Schlächter“ („butcher“ – in Butscha?), „Mörder und Killer“, „(vielleicht) schwerster Kriegsverbrecher unserer Zeit“, „Raubtier“, „Bestie“, „zweiter Hitler“.

(wird fortgesetzt)

Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (I) – „auf dem Hintergrund unserer Geschichte“, „Du willst immer nur mehr“, „Freiheitsdienst“ und „humane Kosten“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (II) – Heute: „militärisch all-in“, „Pazifismus-DNA“, „Resilienz“, „robust“ und „Russisch lernen“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (III) – „2030“, „feministische Außenpolitik“, „Gesicht zeigen“ und „kulturelle Umprogrammierung“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (IV) – „Figuren“, „lodernder Glutkern“, „Opfermut“, „rechtsoffen“ und „Realitätsverweigerung“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (V) – Von der „Suwalki-Lücke“ über „unsere Lebensweise“ zu „Woke und wehrhaft“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VI) – Von der „Abrüstungsmentalität“ über „Body bags“ zur „Drecksarbeit“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VII) – Von „Fencheltee-Diplomatie“ über „Glück“ zum „menschgewordenen Hitler-Stalin-Pakt“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VIII) – „Nachhaltige Wehrhaftigkeit“, „NGOs“ und „Regelbasierte Armee“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (IX) – Von der „tektonischen Verschiebung“ über „weit in die Tiefe des russischen Raumes“ zum „weltpolitischen Beben“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (X) – “absolut mega“, „Bösewichte in Anführungszeichen“, „Daddy“ und „demokratische Krieger“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XI) – Heute: „dienende Führung“, „Dünger“, „einen Gang hochschalten“, „Gamechanger“ und „Greening the armies“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XII) – „Gesülze“, „Husarenstück“, „keine Faxen reißen“ und „kneifen“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIII) – Heute: „Kaltstart-Akte”, „Ladehemmung”, „Leben“ und „meinem Herzen folgen”.

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