10 Jahre später: die Maidan-Revolution in der Ukraine
(Red.) Heute vor zehn Jahren geschah, was ungeahnte Folgen hatte: Der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch stoppte die Unterzeichnung des sogenannten Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU – nicht um es zu verhindern, aber um es seiner massiven Auswirkungen auf die ukrainische Wirtschaft wegen auch mit dem Haupthandelspartner der Ukraine, mit Russland, besprechen zu können. Daraus entstanden Proteste und daraus wurde – mit massiver Hilfe der USA – schließlich ein Staatsstreich, der seinerseits dann zur Sezession der Krim und Jahre später zur Sezession des Donbass führte. Der Bericht darüber von Globalbridge.ch-Autor Stefano di Lorenzo zeigt, dass auch gesteuerte Medien-Aktivitäten einen großen Einfluss auf die damaligen Geschehnisse hatten. (cm)
Heute vor zehn Jahren, am 21. November 2013, kündigte der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch an, dass die Ukraine die Unterzeichnung des geplanten Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union erstmal aussetzen würde. Zu diesem Zeitpunkt war das Ausmaß dieser Entscheidung schwer zu bewerten. Doch es war der Beginn einer Reihe von Ereignissen, die das Schicksal der Ukraine in den folgenden Jahren radikal und in unvorstellbarer Weise prägen sollten. „Die Ukraine hat ihre Pläne, ein historisches Abkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen, das das Land aus dem Orbit des Kremls herausführen sollte, abrupt aufgegeben“, so kommentierte zum Beispiel die britische Zeitung The Guardian damals. Eine durchaus bemerkenswerte Formulierung, muss man sagen.
Östliche Partnerschaft
Und was war das für ein historisches Abkommen, das „das Land aus dem Orbit des Kremls herausführen sollte“? Im Jahr 2013 trieb die Ukraine mehr Handel mit Russland als mit der Europäischen Union, wie es praktisch seit Jahrhunderten der Fall war. Die ukrainische Wirtschaft, insbesondere im industriellen Sektor – oder genauer gesagt, das, was nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom industriellen Sektor übrig geblieben war – war weitgehend in die russische Wirtschaft integriert. Das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union, das Teil der so genannten Östlichen Partnerschaftsinitiative der Europäischen Union war, sollte diese Situation ändern.
Nach dem Plan der EU sollte die 2009 ins Leben gerufene Östliche Partnerschaft „eine strategische und ambitiöse Partnerschaft sein, die auf gemeinsamen Werten und Regeln, gegenseitigen Interessen und Verpflichtungen sowie gemeinsamer Verantwortung beruht“. Die Initiatoren waren Radosław Sikorski und Carl Bildt, damals die Außenminister von Polen und Schweden. Die Östliche Partnerschaft und die Assoziierungsabkommen sahen eigentlich keine EU-Mitgliedschaft vor, aber die Initiatoren machten keinen Hehl daraus, was das Endziel sein sollte: „Wir alle wissen, dass die EU der Erweiterung überdrüssig ist. Wir müssen diese Zeit nutzen, um uns so gut wie möglich vorzubereiten, damit, wenn die Müdigkeit vorüber ist, die Mitgliedschaft etwas Natürliches wird“, so Sikorski damals.
Eine russische Marionette?
Das Narrativ a posteriori besagt, dass der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch „pro-russisch“ war. Nichts anderes als eine Kreml-Marionette, die in jeder Hinsicht von Putin kontrolliert werde. Dies ist das allgegenwärtige Interpretationsschema, das heute universal verwendet wird. Janukowitsch sei eine Kreml-Kreatur gewesen, daher habe er seinem Land einseitig und willkürlich verweigert, was der legitime Wunsch eines ganzen Volkes war, nämlich die Integration in die Europäische Union. Die einzige Wahl, die der Ukraine eine menschenwürdige Zukunft garantieren würde. Aber diese Erzählung ist tendenziös und letztlich falsch. Ein Narrativ, das in sich vollständig und kohärent erscheinen mag, aber einige wichtige Fakten außer Acht lässt.
In seiner Rede zum Unabhängigkeitstag im August 2013, einige Monate vor jenem schicksalhaften November, bezeichnete der ukrainische Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union als „einen wichtigen Impuls für die Bildung eines modernen europäischen Staates“. In derselben Rede fügte er hinzu: „Gleichzeitig müssen wir unsere Beziehungen [und] die Integrationsprozesse mit Russland, den Ländern der eurasischen Gemeinschaft, anderen führenden Ländern der Welt und neuen Zentren der wirtschaftlichen Entwicklung bewahren und weiter vertiefen“.
Im September 2013 noch drängte der „prorussische“ Präsident Janukowitsch entschlossen auf eine Integration mit der EU: „Wir werden die Integration mit Europa vorantreiben“. Er weigerte sich, denjenigen unter seinen Beratern zuzuhören, die für eine engere Anbindung der Ukraine an Russland standen, und wies sie wütend zurück. Als einige Geschäftsleute aus der Ostukraine, der Region, aus der Janukowitsch selbst stammte, einwandten, dass die Wirtschaft Schaden nehmen würde, wenn die Ukraine ihre engeren Beziehungen zu Russland nicht aufrechterhalte, soll Janukowitsch ausgerastet sein: „Genug davon… für immer!“. Selbst an dem Tag, an dem bekannt wurde, dass Janukowitsch beschlossen hatte, die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU zu verschieben, bestand der damalige ukrainische Präsident darauf: „Die Ukraine hat keine andere Wahl als die europäische Integration“.
Berichten zufolge fühlte sich Janukowitsch von Russland als zweitklassiger Staatschef behandelt und empfand die Europäer als viel höflicher. „Russland hat die Ukraine nicht als gleichwertigen Partner betrachtet“, so ein Mitglied der Partei der Regionen, Janukowitschs Partei. Schließlich gelang es seinen Beratern (und Russland), Janukowitsch dazu zu bewegen, das Abkommen mit der EU zu überdenken.
Ein Abend im November
Am Abend des 21. November, dem Tag, an dem die Entscheidung über das Abkommen mit der Europäischen Union vorerst verschoben wurde, begannen die ersten Proteste in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Die Legende der Revolution besagt, dass der ukrainische Journalist afghanischer Herkunft Mustafa Nayyem die Revolution mit einem Tweet ausgelöst hat, ähnlich wie es bei den verschiedenen arabischen „Frühlingen“ fast drei Jahre zuvor der Fall gewesen war: „Ich gehe auf den Maidan: Wer kommt mit?“, schrieb der Journalist auf Twitter. Einige Stunden später hatten sich 2000 Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew versammelt. Es waren vor allem junge Leute, Studenten, die blaue Europaflaggen mit goldenen Sternen trugen und Lieder sangen. Die Proteste wurden in den nächsten Tagen fortgesetzt, wobei es zu Scharmützeln zwischen den Menschen auf dem Platz und der Polizei kam.
Innerhalb einer Woche zählten die Demonstranten bereits etwa hunderttausend Menschen und hatten auf dem Unabhängigkeitsplatz Lager gebildet. Die Studenten drohten mit einem landesweiten Streik, falls Janukowitsch das für den Gipfel in Vilnius am 29. November vorgesehene Abkommen mit der EU nicht unterzeichnen würde. Die Führer der ukrainischen Opposition, darunter der ehemalige Boxer Witali Klitschko, Arsenij Jazenjuk von Julia Timoschenkos Partei „Batkiwschtschyna“ („Vaterland“) und Oleh Tjahnybok, der Vorsitzende der rechtsextremen Partei „Svoboda“ („Freiheit“), versuchten von den ersten Tagen an, die Demonstrationen zu kooptieren, wurden aber häufig ausgebuht und von den Demonstranten generell mit Misstrauen betrachtet.
Von den ersten Tagen der Proteste an war die Berichterstattung in den westlichen Medien, auch in den deutschsprachigen, sehr positiv, wenn nicht sogar enthusiastisch. Die jungen Menschen auf dem Platz wollten Europa und die Demokratie – ihre Gegner offensichtlich nicht, sie waren Gegner der Demokratie.
Am 29. November fand dann das Treffen zwischen der ukrainischen Regierung und EU-Vertretern in Vilnius statt. Janukowitsch bekräftigte seine Entscheidung, das Assoziierungsabkommen mit der EU erstmal nicht zu unterzeichnen. Von vielen europäischen Politikern wurde dies als Demütigung empfunden. „Wir hatten mehr erwartet“, sagte Angela Merkel, die in Vilnius dabei war, dem ukrainischen Präsidenten.
In der Nacht räumte die ukrainische Sonderpolizeieinheit Berkut den Platz, wobei sie Berichten zufolge exzessive Gewalt anwandte und auf den Einsatz von Blendgranaten und Schlagstöcken zurückgriff. „Das sind doch nur Kinder“, war der neue empörte Aufschrei der sich anbahnenden Revolution. In gewisser Weise hatte die Revolution in dieser Nacht bereits einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gab. Janukowitsch selbst zeigte sich erstaunt über das Ausmaß der Polizeigewalt und versprach, eine Untersuchung der Angelegenheit einzuleiten.
Von da an begannen die Demonstranten in einer zunehmend revolutionären Stimmung, Gewalt als ein gerechtfertigtes Mittel in ihrem Kampf gegen eine ihrer Meinung nach unterdrückerische Regierung zu betrachten. Die friedlichen Demonstrationen verwandelten sich zunehmend in einen Aufstand, der die nächsten drei Monate andauern sollte. Die Bilder von brennenden Autoreifen und Molotowcocktails wurden dem westlichen Publikum vertraut. Und die Demonstranten konnten weiter mit der Unterstützung der europäischen und amerikanischen Regierungen und Medien rechnen. Janukowitsch wurde wiederholt gewarnt. Selbst der damalige US-Vizepräsident Joe Biden soll Janukowitsch zumindest einmal vor einem harten Durchgreifen auf dem Maidan gewarnt haben. Die Proteste gingen in den nächsten Wochen weiter, mehr oder weniger gewaltsam, aber ohne eine klare Vorstellung davon, welche Ziele erreicht werden könnten.
Der Aufstand erreichte einen neuen Höhepunkt bei den Zusammenstößen vom 19. bis 22. Januar 2014 in der Hruschewski-Straße im Regierungsviertel. Einige Tage zuvor hatte die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die die Demonstrationsfreiheit stark einschränken. Die Gesetze wurden als „Diktaturgesetze“ bezeichnet. Es war jedoch von Anfang an klar, dass diese neuen „Diktaturgesetze“ in Wirklichkeit nicht mehr als Tinte auf dem Papier sein würden. Eine Gruppe radikaler „Aktivisten“ griff die Präsidialverwaltung an, wie üblich bewaffnet mit Molotow-Cocktails, Stöcken und Kieselsteinen, die sie von den umliegenden Bürgersteigen mitnahmen. Bei den anschließenden Zusammenstößen mit der Polizei starben mindestens drei Demonstranten. Sie waren die ersten Opfer des Maidan. Bald sollten es noch mehr werden. Die „Diktaturgesetze“ wurden aufgehoben.
Der Euromaidan wurde allmählich zum zentralen Mythos der sich formierenden neuen Ukraine, im Bewusstsein (einiger) Ukrainer, aber vorerst vor allem in der Wahrnehmung der westlichen Öffentlichkeit. Die Ukraine wollte europäisch sein, wollte „wie wir“ sein. Das war einfach ein unaufhaltsamer Prozess, zu dem es keine Alternative gab. Die Ukrainer selbst teilten nicht unbedingt diesen rosigen Mythos von der neuen „europäischen“ Ukraine. Laut einer Umfrage, die Anfang Februar 2014 in der Ukraine durchgeführt wurde, war die Zahl derjenigen, die die EuroMaidan-Proteste missbilligten, höher als die derjenigen, die sie befürworteten: 48% gegenüber 45% der Ukrainer. Kurzum, ein klassisches Beispiel für eine gespaltene Gesellschaft. Aber die Legende der Revolution war zu schön und verführerisch, als dass Kleinigkeiten wie diese sie hätten zerstören können.
„Ich bin die Ukrainerin“
In der ersten Februarwoche 2014 ging ein YouTube-Video mit einer jungen Frau viral. Innerhalb weniger Tage wurde das Video mehrere Millionen Mal angeschaut. Nach Angaben der BBC war es das Video mit dem größten Einfluss auf die ukrainische Revolution. Zumindest im Ausland. Die junge Frau, die in dem Video zu sehen ist und offenbar nur zufällig an den Maidan-Demonstrationen teilgenommen hat, rezitierte vor der Kamera auf Englisch eine Botschaft, die es wert ist, ausführlich wiederzugeben. Vor allem angesichts der Prägnanz ihrer symbolischen Sprache:
„Ich bin die [sic] Ukrainerin, die [sic] gebürtige Kiewerin. Und jetzt bin ich auf dem Maidan, im zentralen Teil meiner Stadt. Ich möchte, dass Sie wissen, warum Tausende von Menschen in meinem Land auf der Straße sind. Dafür gibt es nur einen Grund: Wir wollen von der Diktatur frei sein. Wir wollen frei sein von Politikern, die nur für sich selbst arbeiten, die bereit sind, zu schießen, zu schlagen, Menschen zu verletzen, nur um ihr Geld zu retten, nur um ihre Häuser zu retten, nur um ihre Macht zu retten. Ich möchte, dass diese Menschen, die hier sind, die Würde haben, die tapfer sind, ein normales Leben führen können. Wir sind zivilisierte Menschen, aber unsere Regierung ist barbarisch. Das ist nicht eine [sic] Sowjetunion. Wir wünschen, dass unsere Gerichte nicht korrupt wären. Wir wollen frei sein. Ich weiß, dass wir vielleicht schon morgen kein Telefon oder Internet mehr haben und hier allein sein werden. Und vielleicht wird uns die Polizei einen nach dem anderen umbringen, wenn es hier dunkel ist. Deshalb bitte ich Sie jetzt, uns zu helfen. Wir haben diese Freiheit in unseren Herzen. Wir haben diese Freiheit in unseren Köpfen. Und jetzt bitte ich Sie, diese Freiheit in unserem Land aufzubauen. Sie können uns helfen, indem Sie diese Geschichte euren Freunden erzählen, indem Sie dieses Video teilen. Bitte teilen Sie es. Sprechen Sie mit Ihren Freunden, mit Ihrer Familie, mit Ihrer Regierung und zeigen Sie, dass Sie uns unterstützen. Bitte wenden Sie sich an Ihre Vertreter und bitten Sie sie, das ukrainische Volk in seinem Kampf für Freiheit und Demokratie zu unterstützen. Bevor es zu spät ist“.
Eine Botschaft der Hoffnung in einem Zustand der Verzweiflung, fast naiv in ihrer Einfachheit, so hörte es sich an. Die Art von Schwarz-Weiß-Beschilderungen, die einen nicht gleichgültig lassen können: Wie zynisch sollte man sein, um so ein klares Bild zu hinterfragen? Eine junge Frau, die den Tränen nahe ist, beschwört ein düsteres und erschreckendes Szenario herauf, in dem „die Polizei uns einen nach dem anderen töten will, wenn es dunkel ist“, und bittet die Menschen, ihr Land im Kampf für „Freiheit und Demokratie“ zu retten. Wie kann man solchen Appellen widerstehen?
Ein wenig Recherche über die Hintergründe des Videos hätte gezeigt, dass dieser kurze Clip vielleicht nicht so spontan entstanden ist, wie es zunächst den Anschein haben mag. Das Video war von dem amerikanischen Filmemacher und Dokumentarfilmer Ben Moses produziert und auf YouTube eingestellt worden. Er hielt sich gerade zu dieser Zeit in der Ukraine auf und arbeitete an einem Dokumentarfilm über Demokratie mit dem Titel A Whisper to a Road. Die Inspiration für den Dokumentarfilm kam von einem gewissen Larry Diamond, einem leitenden Mitarbeiter der «Hoover Institution» und Berater der berüchtigten «National Endowment for Democracy», einer US-amerikanischen „Nichtregierungsorganisation“. Die National Endowment for Democracy (NED) wird oft als eine Kreatur der CIA bezeichnet, eine Organisation, die offen Dinge tut, die die CIA nur im Verborgenen tun kann. Übrigens hatte der Gründer des NED, Carl Gershman, in einem Artikel in der Washington Post im September 2013 die Ukraine als „größten Preis“ bezeichnet und die USA zu einem durchsetzungsstärkeren Engagement aufgefordert, um die Ukraine aus dem russischen Lager herauszuholen. Vielleicht ist das NED nicht gerade die CIA, wie viele gesagt haben. Aber angesichts der umfangreichen US-Unterstützung sah die ukrainische Revolution bereits nicht wirklich wie eine organische Graswurzelbewegung aus. Eher ein klassisches Beispiel für Astroturfing. (Meinungsmache-Marketing, Red.)
In denselben Tagen Anfang Februar wurde ein weiteres Video auf YouTube veröffentlicht, das die Rolle der USA bei der spontanen ukrainischen Volksrevolution deutlich machte. Es handelte sich um das berühmte abgehörte Telefonat zwischen Victoria Nuland, damalige stellvertretende Außenministerin für europäische und eurasische Angelegenheiten, und dem US-Botschafter in der Ukraine Geoffrey Pyatt. In diesem Telefonat diskutierten die beiden darüber, welche der ukrainischen Oppositionsführer die nächste Regierung bilden sollte. Berühmt wurde das Telefonat durch die herablassende und eher undiplomatische Art und Weise, mit der die äußerst selbstbewusste und durchsetzungsfähige amerikanische Diplomatin von der Europäische Union sprach: „And you know, fuck the EU!“. „Genau“, antwortete der amerikanische Botschafter.
Volksrevolution oder Staatsstreich?
Über Victoria Nuland und die Rolle der USA in der ukrainischen Revolution von 2013/14 ist viel geschrieben worden. Diese Revolution war ein Schlüsselereignis der ukrainischen Geschichte in den letzten Jahren, ein Wendepunkt, der direkt zum offenen Krieg zwischen der Ukraine und Russland von heute führte. Über Victoria Nuland, über die Einmischung der USA, über die Scharfschützen auf dem Maidan gäbe es noch so viel mehr zu sagen. Doch in der Regel wird die ukrainische sogenannte „Revolution der Würde“ in dem grand récit, im Metanarrativ des kollektiven Diskurses, immer als die Revolution eines Volkes dargestellt, das durch den Wunsch vereint ist, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Die Revolution wäre somit der legitime Ausdruck der Demokratie gewesen, der Triumph des Willens des Volkes. Europäer und Amerikaner, das muss man zugeben, haben einen gewissen Fetisch für die Pornographie der Revolution – solange diese in sicherer Entfernung stattfindet, versteht sich.
Diejenigen, die die Ereignisse auf dem Maidan trotz der offensichtlichen Einmischung der USA als Staatsstreich betrachten, werden in der Regel sofort als Verschwörungstheoretiker abgetan. Doch dabei handelt es sich in dem Fall nicht nur um ungebildete Fanatiker, die auf russische Propaganda in den sozialen Medien hereingefallen sind. Die ukrainische Revolution wurde von prominenten und hochgeschätzten Wissenschaftlern wie John Mearsheimer, Jeffrey Sachs und George Friedman als Staatsstreich bezeichnet. Letzterer, Gründer der Informationsdienste Stratfor und Geopolitical Futures, sagte in einem Interview: „Es war wirklich der offenste Staatsstreich der Geschichte. […] Die USA haben Menschenrechtsgruppen in der Ukraine offen unterstützt, auch finanziell. Währenddessen haben die russischen Geheimdienste diese Tendenzen völlig ignoriert“.
Aber natürlich kann der große Mythos der demokratischen Revolution und der europäischen Werte kaum durch ein paar böswillige Zungen zerstört werden. Die Macht der historischen Ereignisse ist die Macht der Erzählung. Die Vergangenheit ist Vergangenheit, unwiederbringlich. Nur was – immer noch, ob wahr oder unwahr – gesagt wird, zählt. Nur der Mythos formiert das Bewusstsein der Menschen.
Siehe dazu: «So führt das Verschweigen von Fakten zur Unwahrheit» (von Christian Müller)
Und siehe dazu auch: «Wann endlich nimmt auch «Bern» die Geschichte der Ukraine in den Jahren 2013 und 2014 zur Kenntnis?» (von Christian Müller)
Und siehe dazu vor allem: «Senator John McCains Aufruf in Kiev bleibt unvergessen» (von Christian Müller)