Jochi Weil, in vielen unterschiedlichen Bereichen ein sozial engagierter Jude aus Zürich. (Bild tsri.ch)

«Zwei hochtraumatisierte Bevölkerungen stehen einander gegenüber»

(Red.) Offizielle Verlautbarungen von Behörden und Organisationen sind das eine, persönliche Ansichten und Meinungen das andere. Das trifft nicht zuletzt auch in der Beurteilung des Gaza-Krieges zu. Die Zeitschrift «Zeitgeschichte im Fokus» hat dazu mit einem aufgrund ihres großen sozialen Engagements gesamtschweizerisch bekannten Ehepaares Jochi und Anjuska Weil ein Interview gemacht. (Details zu den Interviewten am Ende des Beitrags.)

Zeitgeschehen im Fokus: Weltweit hört man von jüdischer Seite «Not in our name!» Was ist damit gemeint?

Jochi Weil: Die israelische Regierung beansprucht im Namen von allen Jüdinnen und Juden zu sprechen. Das ist ihre Grundhaltung abgeleitet von «Am Israel», das heisst «das Volk Israel». «Not in our name!» heisst: Wir sind zwar Juden, genau wie die anderen auch, aber was die israelische Regierung da verkündet und macht, das ist nicht in unserem Namen. So sehe ich das vereinfacht. Hast Du eine Ergänzung?

Anjuska Weil: In den USA ist diese Bewegung schon recht stark. Noch eine Ergänzung, ich bin nicht Jüdin. Ich habe einen jüdischen Vater. Im Judentum geht die Religionszugehörigkeit von der Mutter aus.

ZiF: Auf welchen ethischen Grundlagen beurteilen Sie die Lage im Nahen Osten?

Jochi Weil: Für mich gibt es zwei ethische Grundlagen. Einerseits wichtige Stellen in der Thora wie «Suche den Frieden, jage ihm nach», Psalm 34 – vom Christentum später übernommen, aber ganz klar jüdischen Ursprungs – und natürlich dann in der Thora «Gerechtigkeit, und nur Gerechtigkeit sollst Du verfolgen». Andrerseits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Das Individuum, der einzelne Mensch ist für mich das Zentrum schlechthin. Was ich jetzt erlebe, diese vielen Tötungen, bis jetzt schon über 19 000 Menschen, und Verletzte an Leib und Seele sowie dann die vielen Zerstörungen, das tangiert das, was mir wichtig ist. Ich sehe natürlich auch, dass wir Menschen widersprüchlich sind mit all unseren Idealen.

Anjuska Weil: Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung – ethische Grundlagen – sind eigentlich seit der Staatsgründung von Israel ein ganz schwieriges Problem. Eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina (Balfour-Deklaration 1917) heisst nicht per se, dass man alle anderen ausschliesst, sondern dass es eine Heimstätte für jüdische Menschen ist. Aber dann hat die jüdische Seite die anderen immer mehr verdrängt. Gleichberechtigung hat bei der Staatsgründung Israels nicht mehr existiert oder gar nie existiert. 

ZiF: Die Balfour-Erklärung spricht auch von der «Massgabe, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina» in Frage stellen könnte.

Jochi Weil: In der Unabhängigkeitserklärung von 1948 heisst es, dass man mit der örtlichen Bevölkerung zusammenleben will.¹ Aber erst mit der Zeit erhielt diese das Wahlrecht. So sind die Widersprüche ein Beispiel dafür.

ZiF: Der österreichisch-israelische Religionsphilosoph Martin Buber äusserte einmal, Juden seien als Gäste nach Palästina gekommen und sollten sich dort auch wie Gäste verhalten.

Anjuska Weil: Ja, Israel war bei der Staatsgründung ein Fremdkörper in der Levante und ist es leider geblieben, weil man sich nicht wie Gäste verhalten hat, im Gegenteil. Man kam mit einem europäischen, kolonialistischen Selbstverständnis, das die anderen – nicht explizit, aber implizit – als minderwertig betrachtete. Hätte man die Gedanken von Martin Buber berücksichtigt, wäre die Geschichte anders verlaufen. 

ZiF: Diese ethische Grundlage von Martin Buber …

Jochi Weil: Sie hat sich nicht durchgesetzt. Buber, ein Kulturzionist, gehörte zu dieser Gruppe, die einen binationalen zionistischen Staat wollte, in dem Juden und Araber gleichwertig und gleichberechtigt miteinander leben. Der Begriff «Palästinenser» ist relativ neu. Er ist später entstanden im Zusammenhang mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in den 1960er Jahren. Dieser binationale Staat sollte auch sehr kulturell ausgerichtet sein. Bis zur Staatsgründung war auch der zionistische Hashomer Hatzair, die jüdische, zionistische, sozialistische Jugendbewegung, die ja auch international vertreten ist, einst stark von Martin Buber geprägt. Nach der Staatsgründung hat sich der Hashomer Hatzair nicht mehr für einen binationalen Staat geäussert. 

Anjuska Weil: Es gab ja auch diese Stimmen, die sagten, «nicht vorpreschen mit der Staatsgründung», warten, bis die arabische Seite auch so weit ist. 

Jochi Weil: Ja, das ist die berühmte Auseinandersetzung zwischen Ben Gurion und Nahum Goldmann, Gründer und Präsident des «World Jewish Congress» und Präsident der «World Zionist Organisation». Beide waren Zionisten, aber sie haben sich unterschieden. Ben Gurion hat gesagt: «Nein, jetzt proklamieren wir diesen Staat.» Und damit war Goldmann nicht einverstanden. 

ZiF: 1982 haben Sie das Gedicht «Friede» geschrieben, in dem Sie von einer Zweistaatenlösung sprechen. 

Jochi Weil: Das war vor der Konferenz in Algier von 1988, als Arafat mit «C’est caduc» (das ist hinfällig), Artikel 15 und 22 in der palästinensischen Nationalcharta ausser Kraft setzte, so unter anderem den Wortlaut «Beseitigung der zionistischen und imperialistischen Präsenz» in Palästina. 

Anjuska Weil: Damals war eine Zweistaatenlösung möglich. Es gab die Siedler noch nicht so wie jetzt, noch nicht diese Festungsstädte. 

Jochi Weil: Ja, vor allem noch nicht so viele Siedler. Und dann, wohlverstanden noch unter der sozialdemokratischen Regierung. Der Likud kam erst später. 

ZiF: Ausgehend von der aktuellen Situation im Nahen Osten: Was bräuchte es für einen wirklichen Frieden? 

Anjuska Weil: Nicht diese Politiker, die jetzt an der Macht sind. Das kann man ganz klar festhalten. Wie auch immer es jetzt weitergeht mit dem schrecklichen Krieg, in jedem Fall braucht es Menschen – jüdisch-israelische, aber auch jüdische in der Diaspora und palästinensische dort und in der Disapora – , die etwas Konstruktives miteinander machen können. Eine ganz wichtige Grundlage für die Zukunft ist, dass man einander vertraut und sich auf Augenhöhe begegnet. 

Jochi Weil: Ja, das kann ich ohne Vorbehalt unterschreiben. Für einen wirklichen Frieden braucht es – die Schweiz müsste dabei mithelfen – eine internationale Konferenz, bei der die Frage Palästina/Israel wirklich aufs Tapet kommt, und zwar ernsthaft. Es hat schon viele Konferenzen gegeben mit bla, bla, bla. Es ist sehr wichtig, dass das auch national auf den Tisch kommt und in anderen Ländern auch. In dem Sinne folge ich meinem Freund, Alon Liel. Er war einst als israelischer Botschafter in Südafrika ein Gesprächspartner von Nelson Mandela. Vor einigen Jahren ist er in Europa zu verschiedenen Parlamenten gereist und hat sie aufgefordert, den Staat Palästina anzuerkennen. 

Anjuska Weil: Noch etwas wäre wichtig. Immer wieder wird gesagt, auf palästinensischer Seite gäbe es keine Gesprächspartner. Es gibt aber jemanden, der den Konsens von allen palästinensischen Fraktionen hätte. Es ist Marwan Barghouti, der seit 2004 im Gefängnis ist. Es geht nicht darum, einfache Parallelen zu ziehen zu Südafrika. Dort hat es auch jemanden gegeben, der im Gefängnis war, Nelson Mandela. Der südafrikanische Staatspräsident Frederik Willem de Klerk hatte die Weisheit, diesen aus dem Gefängnis zu entlassen und ihn als Gesprächspartner zu akzeptieren. Wenn es möglich wäre, Marwan Barghouti als Gesprächspartner aus dem Gefängnis zu holen, wäre das ein ganz grosser und wichtiger Schritt. 

Jochi Weil: Ja, das vertrete ich auch. Israel müsste Marwan Barghouti  befreien. Er hat einen ähnlichen Weg gemacht wie Nelson Mandela. Irgendwann kam er zu der Erkenntnis «Nein, Gewalt ist es nicht. Diesen Weg gehen wir friedlich». Israel müsste  bereit sein, ihn frei zu lassen, und das sehe ich im Augenblick nicht. Aber auch Mustafa Barghouti, Präsident der «Palestinian Medical Relief Society» (PMRS), wäre ein palästinensischer Gesprächspartner für Friedensverhandlungen. Er ist eine wichtige Persönlichkeit, nur hat er keine Hausmacht. 

Anjuska Weil: Die Frage ist, was man machen kann. Eine internationale Kampagne zur Freilassung von Marwan Barghouti könnte etwas bringen und würde ihn auch bekannter machen. 

Jochi Weil: Das finde ich gut, sehr gut. Er gehört zur Fatah.

ZiF: Was sind Ihre weiteren Überlegungen? 

Jochi Weil: Ich würde der Hamas empfehlen: «Ergebt Euch, sonst gibt es eine unglaubliche Katastrophe. Ihr habt militärisch keine Chance – wirklich keine.» 

Ich kenne meine Leute, ich bin ja auch einer von ihnen, aber ich gehe mit dem anders um. Diese Härte, die sie haben und mit der sie im Gazastreifen vorgehen, das ist etwas, was sie durchziehen werden. Man hört deutliche Kritik von Uno-Generalsekretär Guterres, von der WHO, von Uno-Resolutionen und so fort. Ich gehe auch vom Individuum aus. Diese vielen Opfer, Tote und Verletzte, wir haben alle nur ein Leben auf dieser Erde. Und da muss ich sagen, das darf nicht sein. Das darf nicht sein! Und darum sage ich ganz bewusst: «Ergebt Euch». Das sage ich um der Menschen willen. Das hat kaum mit Gerechtigkeit zu tun, aber mit dem Leben von jedem einzelnen Palästinenser und jeder Palästinenserin. Das könnte zu einer gewissen Ruhe führen. Dann könnte man dann auch eine Konferenz realisieren. Das ist meine feste Überzeugung. 

Anjuska Weil: Wir sind da unterschiedlicher Meinung. Ich respektiere, was Du sagst. Ich weiss, dass Du das nicht im billigen Sinne meinst, überhaupt nicht. Aber ich denke, es geht nicht. Was ihnen noch bleibt, ist die eigene Würde zu behalten, in dem Sinne, dass sie sich nicht ergeben. Im Laufe der Geschichte sind viele untergegangen. Aber was geblieben ist, ist, dass sie sich nicht ergeben, sondern tapfer gekämpft haben. In Europa die Pariser Kommune (1871), die Spanische Republik (1931 bis 1939), in den USA der Aufstand der Indigenen von Wounded Knee oder die Sklavenaufstände seit Spartakus. Der Mythos jener, die sich nicht ergeben haben, ist immer wieder die Basis für andere, weiterzukämpfen. Natürlich gibt es auch Leute in der Bevölkerung, die sich lieber ergeben würden als weiter zu kämpfen, das muss man auch respektieren. Hier haben wir eine unterschiedliche Position. Die Latinos sagen dazu «Patria o muerte». Das ist eine Haltung bei vielen, vor allem auch bei jüngeren palästinensischen Menschen. Ich weiss nicht, wie respektiert die Palästinenser sein werden bei den eigenen Leuten, bei den internationalen Playern und bei den Israeli, wenn sie sich ergeben haben. 

Jochi Weil: Ich muss vielleicht präzisieren: «Ergebt Euch im bewaffneten Kampf. Ihr habt keine Chance.» Und das mit der Würde möchte ich jetzt einfach einmal etwas in Frage stellen. Wenn ich jetzt sehe, wie die Hamaskämpfer am 7. Oktober gewütet haben, dann muss ich sagen, da ist nichts von Würde. Ich rede auch davon, wie die Hamas mit ihrer Zivilbevölkerung umgeht.

Anjuska Weil: Ja, da bin ich mit Dir einverstanden. Aber es gibt nicht nur die Hamas. Es sind auch die palästinensischen Menschen in der Westbank, beispielsweise in Jenin und in Chalil (Nablus). Das sind nicht einfach «Hamas». Auch sie kämpfen für ihre Würde. Es ist die «ongoing Nakba» seit 75 Jahren. Es hat immer wieder Widerstand gegeben. Ich erinnere mich an eine Fahrt mit unserem palästinensischen Freund Saad in der Westbank. Als wir an hohen Felsen vorbeikamen, sagte er: «Schaut, von diesen Felsen haben sie unsere Kämpfer hinuntergestossen.» Es war klar, das überlebt man nicht. Ich habe dann gefragt: «War das in der Zeit der englischen Mandatsmacht?» Saad antwortete: «Jawohl, in dieser Zeit, aber ein Mandat von uns hatten die nie!» Die Art und Weise und die Würde, mit der er das gesagt hat, beeindruckte mich zutiefst. 

ZiF: Bräuchte es nicht eine Klage gegen Israel und die Hamas vor dem Internationalen Strafgerichtshof?

Jochi Weil: Das läuft bereits. Karim Ahmad Khan, Chefankläger des ICC, war bereits in Israel. Er wird auf beiden Seiten untersuchen. Dann gibt es natürlich die pfannenfertigen Voruntersuchungen vor allem zu den früheren Gazakriegen von 2008/2009 und 2014 unter Fati Bensouda. Die kommen dann auch noch dazu. Also das läuft. 

Anjuska Weil (Photo P.S.)

Es gibt noch etwas, was mir sehr wichtig ist. Anjuska, kannst Du das erzählen? 

Anjuska Weil: Ich bin so aufgewachsen, dass ich gegenüber palästinensischen Menschen nie Angst entwickelt habe. Wir lebten im Wadi Jamal, etwas südlich von Haifa. Unsere palästinensischen Nachbarn, bei denen ich ein- und ausgegangen bin als kleines Mädchen, sind die ersten Leute, an die ich mich erinnern kann, die freundlich zu mir waren – ausser meiner engsten Kleinfamilie. Die Nachbarn waren sehr gut zu mir. Etwas ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Etwas weiter weg wohnte eine Familie, bei der die Frau aus dem Konzentrationslager gekommen ist. Sie hatte immer wieder, so wie wir das erlebt haben, völlig unvermittelt Schreianfälle, so auch, als ihr Sohn und ich miteinander gespielt haben. Das war so grässlich, dass es einem die Knochen zersägte. Wir Kinder haben augenblicklich alles fallen gelassen und sind weggerannt. Weil unsere palästinensischen Nachbarn am nächsten waren, haben wir uns bei ihnen in Sicherheit gebracht. Diese gute Erfahrung, dass wir uns in Sicherheit bringen konnten bei palästinensischen Nachbarn, das ist mir geblieben. Das Arabische gehört auch zum Soundtrack meiner Kindheit, obwohl ich kein Arabisch verstehe. 

Jüdische und palästinensische Leute haben jedoch – beide aus ihrer Erfahrung heraus und natürlich auch auf Grund der Propaganda – in der Regel Angst voreinander. Wie Jochi immer sagt, es sind zwei hochtraumatisierte Bevölkerungen, die einander gegenüberstehen. Die jüdisch-israelische Seite hat Angst vor Attentaten von Palästinensern. Die palästinensische Seite – im Gazastreifen sowieso – hat Angst vor Krieg und Bombardierungen. Die Kinder, die dort aufwachsen, kennen gar nichts anderes. Im Westjordanland kennen sie Israelis praktisch nur als Siedler und Soldaten und nicht als sich normal benehmende Zivilpersonen. Ich erinnere mich an einen Besuch bei einer palästinensischen Freundin im Gazastreifen. Während die Erwachsenen miteinander geredet haben, hat ihr ältester Sohn, damals etwa acht Jahre alt, gezeichnet. Er zeichnete Panzer mit ganz bösen Gesichtern. Vor den Panzern hatte es so kleine Strichmännlein, tote Kinder. Immer wieder hat er dasselbe gezeichnet, immer wieder ein neues Blatt und immer wieder das. Das war nach dem Gazakrieg von 2008/2009. Jetzt ist er ein junger Mann, er muss 23 oder 24 Jahre alt sein. 

Jochi Weil Ja, das wollte ich auch ergänzen. Diese tiefen Verwundungen, die da sind und aufeinanderstossen, die sind ein hochexplosives Gemisch, eingerahmt von den Ängsten, von denen du erzählt hast. Das ist ein Kernpunkt, je aus diesen Geschichten, der palästinensischen und der jüdischen. Es ist kein Konflikt. Es ist eine absolute Tragödie. 

Anjuska Weil Ein Merkmal der Traumatisierung kann auch sein, dass man für andere keine Empathie mehr entwickelt. Hin und wieder sieht man das bei Flüchtlingsfrauen. Obwohl ihr Kind bitterlichst weint, reagieren sie nicht. Diese Unfähigkeit zur Empathie kommt dann noch zu allem anderen dazu. 

Jochi Weil: Ja, das ist eine klassische Haltung. Gestern Abend ist das auch zum Ausdruck gekommen. Es ist Chanukkazeit. Gestern hat man das vierte Licht angezündet. Es war sehr friedlich, und es wurde der israelischen Opfer und Geiseln, die umgekommen sind, gedacht. Aber kein Wort, kein einziges Wörtchen zu den Opfern im Gazastreifen, und das, das unterscheidet mich. 

ZiF: Was für ein Friedensmodell wäre für die politische Zukunft von Israel und dem besetzten Palästinensischen Gebiet sinnvoll?

Jochi Weil: Mein Fernziel ist jetzt, weil ich ein überzeugter Schweizer bin, das Schweizer Modell mit den Kantonen und der Gewaltenteilung. Ich kann mir einen Kanton rund um Hebron oder rund um Jenin oder dann rund um Nazareth oder in Tel Aviv und so weiter vorstellen. Ich meine aber auf keinen Fall ein «Copy-paste». Wir – die Schweiz – sind ja das «gelobte Land», das muss man einfach sehen. Am prominentesten vertritt das Micheline Calmy-Rey. Sie kennt die Schweiz, sie war ja Bundesrätin. Sie war auch Mitbegründerin oder Gründerin der Genfer Initiative im Jahr 2003. Das ist meine Vision. Es muss eine demokratische Lösung geben für alle. Wenn man zum Beispiel einen Kanton Nazareth hat, sind jüdische Menschen dort in der Minderheit. In Tel Aviv gibt es mehr Jüdinnen und Juden als Araber, die israelischen Palästinenser müssen dort genauso geschützt sein. In jedem Kanton müssten dann die Minderheiten gleichberechtigt sein, wie zum Beispiel bei uns die romanische Bevölkerung, das ist für mich sehr zentral. Unser Schweizer Modell gefällt mir trotz all den vielen Problemen, die wir im Land haben. Aber ich bin so dankbar, dass ich hier leben darf. Das möchte ich Israel-Palästina auch gönnen. Aber das ist das Fernziel, bis dann sind meine Knochen schon längstens verstaubt. 

ZiF: Herr und Frau Weil, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Dr. phil. Henriette Hanke Güttinger

Zum Original-Interview in der Zeitschrift «Zeitgeschehen im Fokus»

* Anjuska Weil (1946) verbrachte ihre ersten Lebensjahre in Jugoslawien und Israel. Sie war Kindergärtnerin und Hortnerin und gründete mit ihrem Mann die  Sektion Ostschweiz von «Terre des hommes». Zusammen mit einem Knaben aus Tunesien und einem Mädchen aus Korea bilden sie eine Familie. Sie engagiert sich gegen Apartheid und Rassismus und für Frieden und Solidarität mit den Völkern des Südens, so auch gegen den US-Krieg in Vietnam. Sie arbeitete mit an Projekten von «medico international schweiz» in Vietnam. Seit 1994 ist sie Präsidentin der Vereinigung Schweiz-Vietnam. 2006 wurde sie von Vietnam mit der Freundschaftsmedaille ausgezeichnet, 2016 für 25 Jahre Engagement für die Leprakranken sowie für 50 Jahre Vietnam-Solidarität. Von 2001 bis zu ihrer Pensionierung 2013 war sie Geschäftsführerin der «Kampagne Olivenöl aus Palästina». Für die FraP! (Frauen Macht Politik!) sass sie 1991 bis 99 im Zürcher Kantonsrat. 

* Jochi Weil (1942) lebt mit seiner Frau Anjuska in Zürich. Er war Lehrer an der Volksschule und an der Berufsschule und engagierte sich für Reformen im Strafvollzug Er amtete als Schlichter in Mietsachen, als Arbeitsrichter und als Beisitzer an Arbeitsgerichten. Er war engagiert bei «medico international schweiz», vormals «Centrale Sanitaire Suisse» CSS Zürich, und Mitbegründer der «Kampagne Olivenöl aus Palästina». Er ist im Vorstand der Religiös-Sozialistischen Vereinigung der Deutschschweiz (Resos) und arbeitet mit im Komitee Brückenschlag Zürich-Amed/Diyarbakir in der Solidarität mit Kurden und Kurdinnen. Jochi Weil ist Mitglied der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ICZ.