Während man zu glauben geneigt ist, Kinderarbeit komme nur noch in Dritt-Welt-Ländern vor, erlauben ausgerechnet in den USA neue Gesetze ihre Wiedereinführung. (Symbolbild)

Wieder deutlich mehr Kinderarbeit – in den USA!

(Red.) Während sich die USA nach außen immer noch als «Traumland» verkaufen, wo man «vom Tellerwäscher zum Milliardär» aufsteigen kann, ist die dortige soziale Realität eine ganz andere. Der bekannte Historiker und Buchautor Steve Fraser hat es so formuliert: «Die Rückkehr der Kinderarbeit ist das jüngste Zeichen des US-amerikanischen Niedergangs.» Globalbridge.ch hat seinen jüngsten Bericht zum Thema Kinderarbeit übersetzt. (cm)

Ein alter Indianerhäuptling besuchte im Jahr 1906 zum ersten Mal New York City. Er war neugierig auf die Stadt und die Stadt war neugierig auf ihn. Ein Reporter eines Magazins fragte deshalb den Häuptling, was ihn bei seinen Erkundungen in der Stadt am meisten überrascht habe. „Kleine Kinder, die arbeiten“, antwortete der betagte Besucher.

Kinderarbeit mag diesen Außenstehenden irgendwie schockiert haben, aber sie war damals im städtischen, industriellen Amerika durchaus alltäglich (und natürlich auch auf den Bauernhöfen, wo sie seit Jahrhunderten üblich war). In jüngerer Zeit ist sie jedoch ein weitaus seltenerer Anblick geworden. Die meisten von uns gehen davon aus, dass Gesetz und Sitte Kinderarbeit fast verunmöglicht haben. Unsere Reaktion auf ihr Wiederauftauchen könnte deshalb der des Häuptlings ähneln: Schock und Unglauben!

Besser ist, uns wieder daran zu gewöhnen, denn die Kinderarbeit erlebt gerade ein Comeback, und zwar mit voller Wucht. Eine auffallend große Zahl von Parlamentariern unternimmt gerade konzertierte Anstrengungen, um Gesetze, die seit langem die Ausbeutung von Kindern verhindert oder zumindest stark eingeschränkt haben, außer Kraft zu setzen oder zumindest abzuschwächen.

Halten Sie den Atem an und nehmen Sie Folgendes zur Kenntnis: Die Zahl der arbeitenden Kinder in den USA ist zwischen 2015 und 2022 um 37 Prozent gestiegen! In den letzten zwei Jahren haben 14 Bundesstaaten Gesetze eingeführt, mit denen die vorherigen Vorschriften für die maximale Anzahl der Stunden, die Kinder beschäftigt werden dürfen, und/oder die vorherigen Beschränkungen im Bereich gefährlicher Arbeiten und die vorherigen vorgeschriebenen Mindestlöhne für Jugendliche außer Kraft gesetzt wurden.

In Iowa dürfen jetzt bereits 14-Jährige in industriellen Wäschereien arbeiten. Im Alter von 16 Jahren können sie Jobs im Dachdeckerhandwerk, im Baugewerbe, im Erdbau und im Abbruchgewerbe annehmen und sie dürfen nun auch Maschinen mit schweren Motoren bedienen. 14-Jährige können jetzt sogar Nachtschichten machen und 15-Jährige an Fließbändern arbeiten. All dies war natürlich bis vor kurzer Zeit noch verboten.

Die Gesetzgeber liefern fadenscheinige Begründungen für solche Eingriffe in bisher übliche Praktiken. So sagen sie uns etwa, dass die Arbeit die Kinder von ihren Computern, Videospielen oder vom Fernseher wegbringe. Oder sie entziehe der Regierung die Macht, vorzuschreiben, was Kinder tun dürfen und was nicht, und überlasse die Kontrolle den Eltern – eine absurde Behauptung, da bereits die Bestrebungen zur Abschaffung von Schutzgesetzen dazu führte, dass 14-jährige Kinder ohne formale elterliche Genehmigung arbeiten dürfen.

Im Jahr 2014 veröffentlichte das «Cato Institute», eine rechtsgerichtete Denkfabrik, „A Case Against Child Labor Prohibitions“ (Ein Fall gegen das Verbot von Kinderarbeit) und argumentierte, dass solche Gesetze die Chancen armer – und insbesondere schwarzer – Kinder einschränken. Die «Foundation for Government Accountability», eine Denkfabrik, die von einer Reihe reicher konservativer Spender, darunter die Familie DeVos, finanziert wird, hat sich an die Spitze der Bemühungen um eine Schwächung der Kinderarbeitsgesetze gestellt, und «Americans for Prosperity», die Stiftung der milliardenschweren Koch-Brüder, hat sich dem angeschlossen.

Diese Angriffe beschränken sich auch nicht auf die Staaten mit republikanischen Mehrheiten wie Iowa oder den Süden. Auch Kalifornien, Maine, Michigan, Minnesota und New Hampshire oder auch Georgia und Ohio sind im Visier dieser „Reformer“. Sogar New Jersey hat in den Jahren der Pandemie ein Gesetz erlassen, das die zulässige Arbeitszeit für 16- bis 18-Jährige vorübergehend angehoben hat.

Die ungeschminkte Wahrheit ist, dass sich Kinderarbeit für die Arbeitgeber auszahlt und schnell auffällig omnipräsent wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Fast-Food-Ketten seit Jahren minderjährige Kinder beschäftigen und die gelegentlichen Geldstrafen dafür einfach als Teil der Geschäftskosten betrachten. In Kentucky schuften Kinder im Alter von 10 Jahren in solchen Boxenstopps, und ältere Kinder arbeiten über die gesetzlich vorgeschriebene Stundenzahl hinaus. In Florida und Tennessee dürfen jetzt schon 12-Jährige als Dachdecker arbeiten.

Vor kurzem hat das Arbeitsministerium in Minnesota und Nebraska mehr als hundert Kinder im Alter zwischen 13 und 17 Jahren gefunden, die in Fleischverarbeitungsbetrieben und Schlachthöfen arbeiteten. Und das waren alles andere als Eintagsfliegen. Unternehmen wie «Tyson Foods» und «Packer Sanitation Services» (im Besitz von BlackRock, der größten Vermögensverwaltungsgesellschaft der Welt) standen ebenfalls auf der Liste.

Heute ist praktisch die gesamte Wirtschaft auffallend offen für Kinderarbeit. Bekleidungsfabriken und Autoteilehersteller (die Ford und General Motors beliefern) beschäftigen Kinder von Einwanderern, manche mit 12-Stunden-Tagen. Viele solche Jugendliche sind gezwungen, die Schule abzubrechen, nur um mithalten zu können. In ähnlicher Weise sind die Lieferketten von Hyundai und Kia von Kindern abhängig, die in Alabama arbeiten.

Wie die «New York Times» im Februar letzten Jahres berichtete und damit die Geschichte des neuen Kinderarbeitsmarktes aufdeckte, arbeiten minderjährige Kinder, vor allem Migranten, in Getreideverpackungsanlagen und lebensmittelverarbeitenden Fabriken. In Vermont bedienen „Illegale“ (weil sie zu jung zum Arbeiten sind) Melkmaschinen. Einige Kinder helfen bei der Herstellung von J. Crew-Hemden in Los Angeles, backen Brötchen für Walmart oder arbeiten bei der Produktion von «Fruit of the Loom»-Socken. Die Gefahr lauert. Amerika bietet notorisch unsichere Arbeitsplätze und die Unfallrate bei Kinderarbeitern ist besonders hoch, einschließlich einer erschreckenden Bilanz von gebrochenen Wirbelsäulen, Amputationen, Vergiftungen und entstellenden Verbrennungen.

Die Journalistin Hannah Dreier spricht von einer „neuen Ökonomie der Ausbeutung“, vor allem, wenn es sich um Migrantenkinder handelt. Ein Lehrer aus Grand Rapids, Michigan, der die gleiche Situation beobachtet hat, bemerkte: „Sie nehmen Kinder aus einem anderen Land und versetzen sie fast in industrielle Knechtschaft.“

So war es in der traurigen Vergangenheit

Heute sind wir vielleicht genauso fassungslos über dieses beklagenswerte Schauspiel wie jener Häuptling um die Wende zum 20. Jahrhundert. Unsere Vorfahren wären es allerdings nicht gewesen. Für sie war Kinderarbeit noch eine Selbstverständlichkeit. Außerdem wurde harte Arbeit von denjenigen in der britischen Oberschicht, die nicht arbeiten mussten, lange Zeit als geistiges Stärkungsmittel angesehen, das die widerspenstigen Triebe der unteren Schichten zügeln sollte. Ein elisabethanisches Gesetz aus dem Jahr 1575 stellte öffentliche Gelder zur Verfügung, um Kinder als „Prophylaxe gegen Vagabunden und Bettler“ zu beschäftigen.

Im 18. Jahrhundert plädierte der Philosoph John Locke, damals ein gefeierter Verfechter der Freiheit, dafür, dass Dreijährige in den Arbeitsmarkt einbezogen werden sollten. Daniel Defoe, der Autor von «Robinson Crusoe», war froh, dass „Kinder ab vier oder fünf Jahren ihr eigenes Brot verdienen können“. Später sprach sich Jeremy Bentham, der Vater des Utilitarismus, für vier Jahre aus, da die Gesellschaft andernfalls „kostbare Jahre verlieren würde, in denen nichts getan wird! Nichts für die Industrie! Nichts für moralische oder intellektuelle Verbesserungen.“

Der amerikanische „Gründungsvater“ Alexander Hamilton stellte in seinem Bericht über das Manufakturwesen aus dem Jahr 1791 fest, dass Kinder, „die sonst müßig wären“, stattdessen zu einer Quelle billiger Arbeitskräfte werden könnten. Und die Behauptung, dass Arbeit in jungen Jahren die sozialen Gefahren von „Müßiggang und Entartung“ abwehrt, blieb bis weit in die Neuzeit hinein ein fester Bestandteil der Elite-Ideologie. Offensichtlich ist dies auch heute noch der Fall.

Als die Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ernsthaft begann, stellten Beobachter fest, dass die Arbeit in den neuen Fabriken (insbesondere in den Textilfabriken) „besser von kleinen Mädchen im Alter von 6 bis 12 Jahren verrichtet wurde“. Um 1820 machten Kinder in drei Neuenglandstaaten 40 Prozent der Fabrikarbeiter aus. Im selben Jahr machten Kinder unter 15 Jahren 23 Prozent der Arbeitskräfte in der verarbeitenden Industrie und sogar 50 Prozent der Produktion von Baumwolltextilien aus.

Und diese Zahlen stiegen nach dem Bürgerkrieg noch weiter an. Tatsächlich wurden die Kinder ehemaliger Sklaven durch belastende Lehrlingsausbildungsverträge praktisch erneut versklavt. In New York City und anderen städtischen Zentren trieben italienische Padrone die Ausbeutung von Einwandererkindern voran und behandelten sie brutal. Selbst die damals brahmanisch gesinnte (die Interessen der obersten Schicht vertretende, Red.), einwanderungsfeindliche «New York Times» nahm Anstoß daran: „Die Welt hat es aufgegeben, Männer von der afrikanischen Küste zu stehlen, um stattdessen jetzt Kinder aus Italien zu entführen.“

Zwischen 1890 und 1910 arbeiteten 18 Prozent aller Kinder zwischen 10 und 15 Jahren, etwa zwei Millionen junge Menschen, oft zwölf Stunden am Tag und sechs Tage die Woche. Ihre Jobs erstreckten sich über das gesamte Hafengebiet – und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn unter der Aufsicht der Padrones schälten Tausende von Kindern Austern und pflückten Krabben. Die Kinder waren auch Straßenkuriere und Zeitungsausträger. Sie arbeiteten in Büros und Fabriken, in Banken und Bordellen. Sie waren „Brecher“ und „Wagenschieber“ in schlecht belüfteten Kohleminen, besonders gefährliche und ungesunde Jobs. Im Jahr 1900 waren von 100.000 Arbeitern in den Textilfabriken im Süden 20.000 unter zwölf Jahre alt.

Waisenkinder aus der Stadt wurden zur Arbeit in die Glashütten des Mittleren Westens verfrachtet. Tausende von Kindern arbeiteten zu Hause und halfen ihren Familien bei der Herstellung von Kleidung für die Ausbeuterbetriebe. Andere verpackten Blumen in schlecht belüfteten Mietskasernen. Ein Siebenjähriger erklärte: „Mir gefällt die Schule besser als zu Hause. Ich mag mein Zuhause nicht. Dort gibt es zu viele Blumen.“ Und unten auf dem Bauernhof war die Situation nicht weniger düster, denn Kinder im Alter von drei Jahren arbeiteten beim Schälen von Beeren.

Es ging um das Überleben der Familien

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war der Industriekapitalismus auf die Ausbeutung von Kindern angewiesen, die billiger zu beschäftigen waren, weniger Widerstand leisten konnten und bis zum Aufkommen ausgefeilterer Technologien gut geeignet waren, mit den relativ einfachen Maschinen umzugehen, die es damals gab. Darüber hinaus entsprach die vom Chef ausgeübte Autorität den patriarchalischen Vorstellungen der damaligen Zeit, sei es in der Familie oder auch in den größten der damals überwiegend in Familienbesitz befindlichen neuen Industrieunternehmen wie zum Beispiel Andrew Carnegies Stahlwerk. Und dieser Familienkapitalismus brachte eine perverse Allianz von Chef und Untergebenem hervor, die Kinder zu kleinen Lohnarbeitern machte.

In diesen Zeiten wurden die Arbeiterfamilien so stark ausgebeutet, dass sie das Einkommen ihrer Kinder dringend benötigten. So machte die Arbeit der Kinder in Philadelphia um die Jahrhundertwende zwischen 28 und 33 Prozent des Haushaltseinkommens von einheimischen Familien mit zwei Elternteilen aus. Bei irischen und deutschen Einwanderern lagen die Zahlen bei 46 Prozent bzw. 35 Prozent. Es überrascht daher nicht, dass Eltern aus der Arbeiterklasse häufig gegen Vorschläge für Kinderarbeitsgesetze waren. Wie Karl Marx feststellte, war der Arbeiter nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen, also „verkauft er jetzt seine Frau und sein Kind. Er wird zu einem Sklavenhändler“.

Nichtsdestotrotz begann sich der Widerstand zu formieren. Der Soziologe und Muckraking-Fotograf Lewis Hine skandalisierte das Land mit herzzerreißenden Bildern von Kindern, die in Fabriken und in den Gruben der Minen schufteten. (Er verschaffte sich Zugang zu diesen Orten, indem er sich als Bibelverkäufer ausgab.) Mother Jones, die kämpferische Verfechterin der Arbeiterorganisation, führte 1903 einen „Kinderkreuzzug“ im Namen von 46.000 streikenden Textilarbeitern in Philadelphia an. Zweihundert Delegierte von Kinderarbeitern erschienen in der Residenz von Präsident Teddy Roosevelt in Oyster Bay, Long Island, um zu protestieren, aber der Präsident wies den Schwarzen Peter einfach weiter, indem er behauptete, Kinderarbeit sei eine Angelegenheit der einzelnen Bundesstaaten und nicht der Bundesregierung.

Hier und da versuchten die Kinder wegzulaufen. Als Reaktion darauf begannen die Besitzer, ihre Fabriken mit Stacheldraht zu umgeben oder ließen die Kinder nachts arbeiten, wenn ihre Angst vor der Dunkelheit sie von der Flucht abhalten konnte. Einige der 146 Arbeiterinnen, die 1911 bei dem berüchtigten Brand in der «Triangle Shirtwaist Factory» in Greenwich Village in Manhattan ums Leben kamen – die Besitzer dieser Bekleidungsfabrik hatten die Türen verriegelt und zwangen die eingeschlossenen Arbeiterinnen, aus den Fenstern der oberen Stockwerke in den Tod zu springen – waren erst 15 Jahre alt. Diese Tragödie war aber nur einer der Gründe, warum die Sorgen über Kinderarbeit immer stärker wurden.

Im Jahr 1904 wurde ein Nationales Komitee zum Kampf gegen Kinderarbeit gegründet. Jahrelang setzte es sich dafür ein, dass die Staaten die Kinderarbeit verbieten oder zumindest einschränken sollten. Dessen Siege waren jedoch oft nur Pyrrhussiege, denn die erlassenen Gesetze waren stets schwach, enthielten Dutzende von Ausnahmen und wurden nur unzureichend durchgesetzt. Schließlich wurde 1916 ein Bundesgesetz verabschiedet, das die Kinderarbeit überall verbot. Im Jahr 1918 jedoch erklärte der Oberste Gerichtshof dieses Gesetz wieder für verfassungswidrig.

Erst in den 1930er Jahren, nach der Großen Depression, begann sich die Lage zu verbessern. Angesichts der damaligen wirtschaftlichen Verwüstung könnte man annehmen, dass billige Kinderarbeit sehr gefragt gewesen wäre. Da die Arbeitsplätze jedoch so knapp waren, bekamen Erwachsene, vor allem Männer, den Vorrang und übernahmen Arbeiten, die früher den Kindern vorbehalten waren. In denselben Jahren wurden in der Industrie immer komplexere Maschinen eingesetzt, die sich für jüngere Kinder als zu kompliziert erwiesen. Gleichzeitig stieg die Dauer der Schulpflicht stetig an, was die Zahl der verfügbaren Kinderarbeiter noch weiter einschränkte.

Vor allem aber änderte sich der Tenor der Zeit. Die aufständische Arbeiterbewegung der 1930er Jahre verabscheute die Idee der Kinderarbeit. Gewerkschaftlich organisierte Fabriken und ganze Industriezweige waren No-Go-Zonen für Kapitalisten, die Kinder ausbeuten wollten. Und 1938 verabschiedete die New Deal-Administration von Präsident Franklin Roosevelt mit Unterstützung der organisierten Arbeiterschaft schließlich den «Fair Labor Standards Act», der zumindest theoretisch der Kinderarbeit ein Ende setzte (obwohl er den landwirtschaftlichen Sektor ausnahm, in dem solche Arbeitskräfte weiterhin üblich waren).

Außerdem veränderte Roosevelts New Deal den nationalen Zeitgeist. Ein Gefühl wirtschaftlicher Gleichheit, ein neu entdeckter Respekt für die Arbeiterklasse und ein bodenloses Misstrauen gegenüber der Unternehmerkaste ließen Kinderarbeit besonders abstoßend erscheinen. Außerdem läutete der New Deal eine lange Ära des Wohlstands ein, einschließlich eines steigenden Lebensstandards für Millionen von Arbeitern, die nicht mehr auf die Arbeit ihrer Kinder angewiesen waren, um über die Runden zu kommen.

Zurück in die Zukunft …

Umso erstaunlicher ist die Entdeckung, dass eine Plage, von der man glaubte, sie sei besiegt, wieder lebt. Der amerikanische Kapitalismus ist ein globales System, seine Netzwerke erstrecken sich praktisch überall hin. Heute gibt es weltweit schätzungsweise 152 Millionen Kinder, die arbeiten. Natürlich sind nicht alle von ihnen direkt oder auch nur indirekt bei US-Firmen beschäftigt. Aber sie sollten uns daran erinnern, wie rückschrittlich der Kapitalismus hierzulande und anderswo auf der Welt wieder einmal geworden ist.

Die Prahlerei über die Macht und den Reichtum der amerikanischen Wirtschaft ist Teil unseres Glaubenssystems und der Rhetorik der Eliten. Die Lebenserwartung in den USA, ein grundlegendes Maß für die soziale Entwicklung, geht jedoch seit Jahren unaufhaltsam zurück. Die Gesundheitsversorgung ist nicht nur für Millionen unerschwinglich, auch ihre Qualität ist bestenfalls zweitklassig geworden, wenn man nicht zum obersten 1-Prozent gehört. Ähnlich verhält es sich mit der Infrastruktur des Landes, die aufgrund ihres Alters und jahrzehntelanger Vernachlässigung seit langem im Niedergang begriffen ist.

Stellen Sie sich die Vereinigten Staaten von Amerika also als ein „entwickeltes“ Land vor, das sich in einer Phase der Unterentwicklung befindet. Schon vor der Großen Rezession, die auf die finanzielle Implosion von 2008 folgte, war der Lebensstandard gesunken, insbesondere für Millionen von Arbeitnehmern, die von einem jahrzehntelangen Tsunami der Deindustrialisierung betroffen waren. Diese Rezession, die offiziell bis 2011 andauerte, hat die Situation nur noch weiter verschärft. Sie erhöhte den Druck auf die Arbeitskosten, während die Arbeit immer unsicherer wurde, immer weniger Leistungen bot und nicht gewerkschaftlich organisiert war. Warum sollte man sich unter diesen Umständen also nicht einer anderen Quelle für billige Arbeitskräfte zuwenden – den Kindern?

Die am meisten gefährdeten unter ihnen kommen aus dem Ausland, Migranten aus dem globalen Süden, die vor einer scheiternden Wirtschaft fliehen, die ihrerseits oft auf die wirtschaftliche Ausbeutung und Vorherrschaft der USA zurückzuführen ist. Wenn dieses Land jetzt an seiner Grenze eine Krise erlebt – und das tut es –, dann liegen die Ursprünge dieser Krise auf der US-Seite der Grenze.

Die Covid-19-Pandemie von 2020-2022 führte zu einem kurzzeitigen Arbeitskräftemangel, der als Vorwand diente, um Kinder wieder arbeiten zu lassen (auch wenn die Rückkehr der Kinderarbeit de facto schon vor der Pandemie begann). Betrachten Sie solche Kinderarbeiter im 21. Jahrhundert als ein deutliches Zeichen einer sozialen Pathologie. Die USA mögen immer noch Teile der Welt tyrannisieren, während sie endlos mit ihrer militärischen Macht prahlen. Zu Hause jedoch sind sie krank.

Zum Original dieses Artikels auf TomDispatch. Im Originaltext finden sich zahlreiche Links zu den Quellen der von Steve Fraser gemachten Aussagen. – Die Erlaubnis zur Übersetzung und Publikation dieses Artikels auf Globalbridge.ch gaben Steve Fraser und TomDispatch-Editor Tom Engelhardt.

Zum Autor: Steve Fraser ist Historiker, Schriftsteller und Publizist. Er forscht und schreibt vor allem zu zwei Themen: Geschichte der Arbeit und Geschichte des amerikanischen Kapitalismus. Er ist der Autor des Buches «Class Matters: The Strange Career of an American Delusion.» Zu seinen früheren Büchern gehören «The Age of Acquiescence» und «The Limousine Liberal». Er ist Mitbegründer und Mitherausgeber des «American Empire Project».