Der ehemalige slowakische Premierminister Ján Čarnogurský

Wie es war und wie es mit der Ukraine sein wird …

(Red.) Die Zukunft wird aus der Gegenwart und der Vergangenheit geboren, und die Vergangenheit und die Gegenwart beeinflussen die Zukunft. Heute frage sich die ganze Welt, wie und wann der Krieg in der Ukraine zu Ende gehen werde, schreibt Ján Čarnogurský, damaliger Dissident und ehemaliger Premierminister der Slowakischen Republik. Er wagt eine Prognose.

Mit dieser Frage beschäftigte sich kürzlich Fiona Hill, von 2017 bis 2019 Direktorin für Osteuropa und Russland beim Nationalen Sicherheitsrat der USA (einem Beratungsgremium des Präsidenten mit Sitz im Weißen Haus) und jetzt Fellow an der Brookings Institution in Washington. Mehrere Jahre lang nahm sie an den Treffen des Valdai Clubs in Moskau teil. Sie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit russischen Themen, spricht gut Russisch und kennt russische Außenpolitikexperten.

In einem Artikel in der Zeitschrift «Foreign Policy» berichtet sie über die Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine, die im März/April letzten Jahres in Istanbul getroffen wurde. Moskau verpflichtete sich, seine militärische Sonderoperation in der Ukraine zu beenden, seine Truppen abzuziehen und die Sicherheit der Ukraine zu garantieren, wenn die Ukraine zustimme, nicht der NATO beizutreten, ihre Neutralität in der Verfassung zu verankern und den Status der russischsprachigen Bevölkerung zu garantieren. Russland habe sogar seine Truppen aus Kiew abgezogen, wie Hill schreibt. Als das Abkommen allerdings auf Bidens Schreibtisch landete, lehnte er es ab, und Boris Johnson, der damalige britische Premierminister, lehnte es ebenfalls ab. Daraufhin lehnte auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj es ab. Biden und Johnson versprachen ihm militärische und mediale Unterstützung und das Aufblühen der Ukraine. 

Hill schreibt weiter, dass Russland ein großes Risiko einging, weil das Abkommen der zweite Versuch war, einen Deal mit dem Westen zu schließen. Der erste Versuch war Putins Angebot im Dezember 2021, das der Westen ablehnte. Putin ging das Risiko ein, nahm aber an, dass der Westen es wieder ablehnen würde. Und genau das ist passiert. Aber das große Spiel erforderte große Einsätze. Fiona Hill schreibt, dass der Westen nicht verhandeln wollte. Er beurteilte eine Annahme des Deals als Schwäche gegenüber Russland. Also wurde Russland erneut enttäuscht. Der Preis für diese Enttäuschung dürfte hoch sein. 

Damals stimmte die russische Seite zu, sowohl die Ukraine als auch das ukrainische Regime zu erhalten, aber jetzt wird alles anders sein. Im Grunde genommen haben Joe Biden und Boris Johnson die Ukraine in ihrer heutigen Form zerstört. Die ehemalige Beraterin des US-Präsidenten fügte hinzu, im Moment wisse niemand, ob der Staat namens Ukraine auf der Landkarte überhaupt erhalten bleiben werde, und wenn ja, in welcher Form. Russland wird nicht mehr an den Verhandlungstisch gehen und den Krieg zu Ende führen.

Die Militäroperation in der Ukraine wird im russischen Fernsehen täglich diskutiert. Es wird täglich über den Fortschritt der Front und über die ukrainischen Verluste berichtet. (Die ukrainischen Medien, die zu sehen und zu hören in Russland nicht verboten ist, berichten ihrerseits über die russischen Verluste.) Russische Drohnenaufnahmen zeigen deutsche Leopard-Panzer oder britische Challenger-Panzer, die brennen. Das russische Fernsehen zeigt auch Spuren von US-Streubomben, die in Donezk eingesetzt wurden. Der Einsatz von Streubomben ist durch ein internationales Abkommen verboten.

Zu den Diskussionsteilnehmern gehören die angesehenen russischen Generäle und heutigen Universitätsprofessoren Jewgeni Buschinski und Konstantin Siwkow sowie der ehemalige Leiter des israelischen Geheimdienstes Nativ, Jakow Kedmi. Sie sind sich einig, dass Russland einen vollständigen militärischen Sieg auf dem Schlachtfeld erringen muss, denn jeder noch so kleine Sieg wäre der Keim für einen zukünftigen Krieg. Ein militärischer Sieg sollte noch in diesem Jahr errungen werden. 

Die ukrainische Armee ist offensichtlich nicht mehr in der Lage, ihre Gegenoffensive erfolgreich voranzutreiben. Sie hat nicht einmal die erste der drei russischen Verteidigungslinien durchbrechen können. Im Oktober wird sich das Schlachtfeld in Schlamm verwandeln, schwere Waffen werden dann unbrauchbar sein. Spätestens dann wird die russische Armee den Krieg entscheiden. Der jetzige Krieg kann nicht ohne Luftüberlegenheit entschieden werden. In diesem Punkt hat Russland aber eindeutig die Oberhand, und daran werden auch die Kampfjets F-16 nichts ändern, selbst wenn die Ukraine sie bis Ende des Jahres bekommt.

Wenn das so passiert, haben der US-Präsident und der britische Premierminister die Zerstörung einer slawischen Nation auf dem Gewissen. Falls sie denn überhaupt ein Gewissen haben.


Zum Originalbeitrag in slowakischer Sprache.