Tanz auf dem Pulverfass in Georgien
Vor zwei Wochen erschütterten gewalttätige Proteste die georgische Hauptstadt Tiflis. Auslöser war der Gesetzesentwurf über „Foreign Agents“: Dieses bringe autoritäre Zustände wie in Russland, so lautete die Kritik. Gerne verschweigt die westliche Berichterstattung, dass in den USA schon seit den Dreißigerjahren ein analoges Gesetz existiert und seit kurzem wieder angewendet wird. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt in Tiflis. Aber die Krise ist vielleicht noch lange nicht ausgestanden (1).
Mit dem neuen Gesetz angeblich russischen Musters wollte die georgische Regierung Institutionen, die von ausländischen Geldgebern finanziert werden, zur Deklaration als Foreign Agents verpflichten (2). Vorbild dafür war das Foreign Agents Registration Act FARA in den USA. Dieses, aus dem Jahr 1938 stammende Gesetz verlangt von politisch aktiven Vertretern ausländischer Auftraggeber regelmäßig die Publikation ihrer Finanzbeziehungen, ihrer Aktivitäten, Einnahmen und Ausgaben. Dies soll der Regierung und dem amerikanischen Volk die Bewertung ihrer Aktivitäten erleichtern. In den USA ist die Umsetzung des FARA Aufgabe der Abteilung für Spionageabwehr und Ausfuhrkontrolle in der Behörde für nationale Sicherheit (3). Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz können mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.
Ein altes Gesetz, bei Bedarf neu aufgewärmt
Ursprünglich richtete sich das FARA gegen die Propaganda des nationalsozialistischen Dritten Reiches in den USA und ging zurück auf das „McCormack-Dickstein Committee„, das erste Komitee für unamerikanische Umtriebe. Über dieses sagte US-Präsident Harry S. Truman einmal:
„I’ve said many a time that I think the Un-American Activities Committee in the House of Representatives was the most un-American thing in America!“ (4)
Das Komitee konkurrenzierte in den Fünfzigerjahren mit dem von Senator Joseph McCarthy geleiteten Ständigen Unterausschuss für Untersuchungen, das mit öffentlichen Gesinnungsprüfungen die angebliche kommunistische Unterwanderung der amerikanischen Gesellschaft bekämpfen zu müssen glaubte (5).
Nachdem das FARA seit 1966 kaum mehr zur Anwendung gekommen war, wurde es 2017 reaktiviert, um die US-amerikanische Tochter des russischen Fernsehsenders Russia Today zur Deklaration als Foreign Agent zu zwingen (6). Als Antwort darauf verabschiedete das russische Parlament im November 2017 einen Zusatz zu dem seit 2012 gültigen Gesetz über „ausländische Agenten“, welcher verlangt, dass sich neu auch amerikanische Medien als ausländische Agenten deklarieren müssen (7).
All das konnte die georgische Staatspräsidentin Salome Surabischwili natürlich nicht sagen, als sie, auf Staatsbesuch in Washington weilend, die georgische Bevölkerung zum Widerstand gegen das neue Gesetz aufrief. Das verbot der diplomatische Takt. Und so machte man einmal mehr Russland zum Sündenbock.
Rezeptbuch für Regimewechsel
Der amerikanisch-russische Schlagabtausch ist im Zusammenhang mit diversen „farbigen Revolutionen“ zu sehen, bei welchen fremde Nichtregierungs-Organisationen NGO in mehreren Ländern teilweise eine bedeutende Rolle spielten. Die Unterstützung durch ausländische Geldgeber ist bei vielen davon kaum zu bestreiten (8). Ob diese Finanzierung uneigennützig der Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten diente, oder ob dahinter geopolitische Ambitionen standen, ist irrelevant, denn angesichts der langen Liste verdeckter US-Operationen, Mordanschläge und Staatsstreiche in fremden Ländern ist ein gewisses Misstrauen gegen amerikanisch finanzierte Organisationen durchaus verständlich (9). Nicht nur sogenannte Verschwörungstheoretiker mögen sich fragen, weshalb die finanzielle Förderung von Aktivitäten zugunsten von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nicht offengelegt werden soll.
In den letzten Jahren traten mehr und mehr sogenannte „farbige Revolutionen“ an die Stelle von Putschversuchen gegen Regierungen. Seit der Publikation eines eigentlichen Rezeptbuches für Regimewechsel durch den US-amerikanischen Politikwissenschaftler und Gründer der Albert Einstein Institution Gene Sharp im Jahr 1993 stellt sich bei Protesten heutzutage immer die Frage, ob diese Ausdruck der freien Meinungsäußerung durch die Bevölkerung darstellen oder eher Teil einer Regimewechsel-Operation, der bei Bedarf auch eine militärische Operation folgen kann (10).
Zwei „Farbige Revolutionen“ haben gerade auch die aktuelle Lage in der Ukraine herbeigeführt. Die ukrainische Entwicklung mag im postsowjetischen Raum manchem als Warnung dienen.
Region zwischen historischen Großreichen
Die Konflikte der letzten Jahre im Raum Südkaukasus zeigten deutlich, dass Russland, der Iran und die Türkei die relevanten Akteure in der Region sind und nicht der Westen (11). Solange die Türkei ihr Territorium nicht als Aufmarschbasis für NATO-Truppen zur Verfügung stellt, hat diese im Südkaukasus kaum militärische Handlungsoptionen. Sollte in diesem Raum tatsächlich einmal ein Krieg ausbrechen, dann wären insbesondere die Westeuropäer auf einen lokalen Akteur angewiesen, der ihre Interessen mit militärischen Mitteln vertritt.
Für Russland ist Georgien wichtig als Transitland zu seinem Verbündeten Armenien, das seinerseits auf den Zugang zu den Häfen an der georgischen Schwarzmeer-Küste angewiesen ist. Für die geopolitischen Ambitionen der Türkei hat die ganze Südkaukasus-Region eine Brückenfunktion zwischen dem Mittelmeer-Becken und Zentralasien (12). Der Umgang, den Aserbaidschan sich dank türkischer Unterstützung mit Armenien erlauben kann, sollte den Georgiern eine Warnung sein. Derzeit glaubt Präsident Ilham Alijew in Baku, sich auch gegenüber dem Westen alles erlauben zu können (13).
Das kleine Georgien, das sich einst aus Furcht vor den osmanischen Türken unter den Schutz der russischen Zaren stellte, steht heute zwischen Skylla und Charybdis.
Schwierige Demographie
Wie viele andere ehemalige Republiken der Sowjetunion betrachtet auch Georgien seine Sprache, Religion und Geschichte als konstituierende Merkmale des Staates und als Möglichkeit der Abgrenzung vom übermächtigen Russland. Eine weitere Gemeinsamkeit mit vielen ehemaligen Sowjetrepubliken besteht darin, dass auch Georgien sich mit den sprachlichen und kulturellen Besonderheiten seiner nationalen Minderheiten schwertut. In der Vergangenheit sahen georgische Regierungen in diesen Minderheiten in erster Linie eine Gefahr für den Bestand des Staates und ihre Bemühungen zielten auf Konfliktverhütung ab (14).
Auch ohne die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien ist Georgien ein Vielvölkerstaat, in welchem gut zwei Dutzend Ethnien leben. Dazu gehören neben den ethnischen Georgiern, die circa 84 Prozent der Bevölkerung stellen, auch Aserbaidschaner, Armenier, Osseten, Abchasen, Assyrer, Kurden, Pontosgriechen und andere. In einzelnen Regionen Georgiens stellen nicht-georgische Volksgruppen die Bevölkerungsmehrheit, wie beispielsweise die Armenier in der Grenzregion Samzche-Dschawachetien und die Aserbaidschaner in Kwemo-Kartli. Eine weitere Herausforderung für Tiflis könnten die muslimischen Bürger Georgiens werden, namentlich in der Grenzregion Adscharien. Und ein weiterhin ungelöstes Problem sind die Forderungen der Mescheten, auch als Ahiska Türken bezeichnet, nach Rückkehr in ihre alte Heimat. Diese turksprachige Volksgruppe war 1944 aus Georgien vertrieben worden und musste 1989 auch Usbekistan verlassen, wo viele von ihnen nach der Vertreibung angesiedelt worden waren. Heute leben zahlreiche Mescheten in der Russischen Föderation (15). Eine Rückkehr nach Georgien steht nach wie vor zur Debatte, stößt dort aber auf Widerstand (16). Zusammen mit den Armeniern würden die Mescheten in Samzche-Dschawachetien eine satte Bevölkerungsmehrheit stellen, was in Tiflis möglicherweise Ängste vor einer weiteren Sezession hervorruft.
Vor allem im Zug der Wirtschaftskrise der Neunzigerjahre emigrierten viele Pontosgriechen und Juden aus Georgien nach Griechenland bzw. nach Israel. Auf der anderen Seite ist derzeit ein Zuzug von Russen nach Georgien zu beobachten, vor allem solcher, die infolge der westlichen Wirtschaftssanktionen in Russland ihre Geschäfte nicht mehr weiter betreiben konnten und deshalb nach Georgien auswichen. Besonders eifrige Zeitgenossen werden darin schon russische Unterwanderung vermuten.
Karte: Regionen Georgiens
Quelle: StepMap (17)
In der Vergangenheit nahmen sich zahlreiche internationale Institutionen und Organisationen der Minderheiten-Problematik in Georgien an, unter anderem auch der Hohe Kommissar der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE für nationale Minderheiten. Auffallend hierbei ist, dass vor allem westliche Kommentatoren betonen, wie wichtig der Georgisch-Unterricht für Angehörige nationaler Minderheiten sei, während sie über die Bedeutung des Unterrichts von Georgiern in Minderheitensprachen kaum ein Wort verlieren. Zumindest der Bevölkerungsanteil der Armenier und Aserbaidschaner in Georgien würde entsprechenden Sprachunterricht rechtfertigen, denn sie stellen jeweils schon alleine einen Anteil an der Gesamtbevölkerung, der mit jenem der italienischsprachigen Minderheit in der Schweiz vergleichbar ist. Die Förderung des gegenseitigen Sprachverständnisses ist umso wichtiger, als nach dem Zerfall der Sowjetunion Russisch als lingua franca entfiel und aus politischen Gründen auf absehbare Zeit wohl auch nicht gefördert werden wird (18).
Wichtige Infrastruktur
In Georgien verlaufen vier Erdöl- bzw. Erdgaspipelines, von denen drei seit den diesbezüglichen Sanktionen gegen Russland für die Europäische Union enorm an Bedeutung gewonnen haben: Dazu gehören die Western Route Export Pipeline WREP, auch Baku-Supsa-Pipeline genannt, sowie die Baku-Tbilisi-Ceyhan Pipeline BTC für Erdöl bzw. Erdölprodukte. Dem Transit von Erdgas dient die South Caucasus Pipeline SCP, auch als Baku-Tbilisi-Erzurum-Pipeline BTE bezeichnet. Diese drei Pipelines kreuzen sich in der Nähe von Tiflis mit der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden North-South Main Gas Pipeline NSMP (19).
Karte: Pipelines in Georgien
Quelle: David Ninikelashvili: GOGC – Ensuring Energy Security of Georgia (20), Ergänzungen: Verfasser
Damit sind wirtschaftliche Interessen aller Nachbarn und auch Westeuropas im Spiel. Wenn infolge von Unruhen oder Konflikten die Gefahr aufkommen sollte, dass die georgischen Pipelines unterbrochen oder zerstört werden könnten, dann ist insbesondere eine aserbaidschanische Intervention durchaus nicht ausgeschlossen, denn die Staatseinnahmen Aserbaidschans hängen ganz wesentlich von diesen Pipelines ab. Eine solche Intervention hätte gute Chancen, westliche Duldung zu genießen, denn der aserbaidschanische Staatspräsident Ilham Alijew pflegt gute Beziehungen mit westlichen Spitzenpolitikern und hat anlässlich seines kürzlichen Staatsbesuchs in Berlin auf Schönwetter gemacht (21).
Getarnte Militäroperationen Georgiens
Eine der schillerndsten Figuren in der europäischen Politik der letzten 25 Jahre war der Georgier Micheil Saakaschwili. Im Jahr 1995 zog er als Gefolgsmann des Staatspräsidenten Eduard Schewardnadse ins Parlament ein, wandte sich aber bald von diesem ab und mauserte sich zu einem der Führer der pro-westlichen Opposition in Georgien. In der sogenannten „Rosenrevolution“ stürzte er 2003 seinen früheren Mentor nach einem Handgemenge im Parlament und wurde im Januar 2004 zum neuen Präsidenten Georgiens gewählt (22).
Schon vor der Amtszeit Saakaschwilis ging die Westorientierung des Landes einher mit zunehmendem Nationalismus, aber unter Saakaschwili verstärkte sich dieser Trend noch. Er machte nach seinem Amtsantritt im Januar 2004 rasch klar, dass die Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens für ihn oberste Priorität habe. Eine militärische Drohgebärde gegenüber der Region Adscharien im Südwesten Georgiens führte bereits im Mai desselben Jahres zur Reintegration der Region in georgisches Hoheitsgebiet. Im Sommer 2004 führte das georgische Innenministerium in Südossetien eine angebliche Polizei-Operation durch, welche offiziell den Schmuggel in der Region bekämpfen sollte, aber eher militärische Züge trug. Misstrauisch geworden, sorgte die russische Regierung für die Beendigung der Grenzüberwachungsmission der OSZE an der Grenze zwischen Georgen und den russischen Provinzen Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan im Nordkaukasus (23).
Im Juli 2006 drangen schwer bewaffnete georgische Sicherheitskräfte ins Kodori-Tal ein, offiziell, um den Schmuggel in der Region zu unterbinden und die lokalen Milizen zu entwaffnen. Russland betrachtete dies als Bruch des Moskauer Waffenstillstandsabkommens von 1994, das es zwischen Abchasien und Georgien vermittelt hatte.
Fünf Tage Krieg im Sommer
Nach seinen erfolgreichen, als Polizeiaktionen getarnten, halbmilitärischen Aktionen glaubte Saakaschwili 2008 offenbar, nun auch das Südossetien-Problem definitiv lösen zu können und riss im August den Fünf-Tage-Krieg vom Zaun. Ähnlich wie der Chef der argentinischen Junta, General Leopoldo Galtieri 1982 in Bezug auf die Falkland-Inseln, mag auch Saakaschwili geglaubt haben, nach einer handstreichartigen Besetzung des strittigen Territoriums werde sein Gegner keine Gegenmaßnahmen ergreifen (24). Auch wenn Russland im Fall des Georgienkriegs von 2008 nicht frei von Kritik bleibt, so darf nicht vergessen werden, dass die Administration Saakaschwili verantwortlich war für die Eskalation der Gewalt in den ersten Augusttagen 2008.
In all diesen Jahren ließ sich Saakaschwili von westlichen Beratern, namentlich dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Daniel Kunin und dem französischen Journalisten Raphaël Glucksmann beraten. In seine Regierung berief Saakaschwili auch viele im westlichen Ausland ausgebildete Akademiker. Die Militärausgaben kletterten von 70 Mio. $ bzw. 1.37% des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2004 auf knapp eine Milliarde $ und 9.16% des BIP im Jahr 2007 (25). Ganz entscheidend trug die finanzielle Unterstützung der USA dazu bei (26).
Auch nach der Niederlage im Fünf-Tage-Krieg vermochte Saakaschwili sich im Amt zu halten, wurde aber 2013 abgewählt und emigrierte in die USA.
Ein Polit-Migrant gegen Russland
Aufgrund seiner Erfolge im Kampf gegen die Korruption in Georgien wurde Saakaschwili 2015 in der Ukraine als Leiter der Anti-Korruptionsbehörde portiert, stieß dabei aber auf Ablehnung (27). Anstatt dessen ernannte ihn Präsident Poroshenko zum Gouverneur von Odessa (28). Nach zwei Jahren fiel Saakaschwili aber in Ungnade. Ihm wurde die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen und er wurde nach Polen abgeschoben, kehrte im darauffolgenden Jahr aber wieder in die Ukraine zurück. Im Jahr 2019 fügte der neue ukrainische Präsident Selenskyj der Posse ein neues Kapitel hinzu, indem er Saakaschwili den Posten eines Stellvertretenden Premierministers anbot (29). Dieser zog es aber vor, in seine alte Heimat Georgien zu reisen, um in Lokalwahlen zu kandidieren, wurde dort aber prompt festgenommen. In Georgien wird seit 2013 gegen Saakaschwili wegen der Verwendung öffentlicher Gelder für private Zwecke, Amtsmissbrauchs und der gewaltsamen Niederschlagung einer Demonstration in Tiflis ermittelt (30). Ob diese Vorwürfe gerechtfertigt oder konstruiert sind, ist von außen kaum abschließend zu beurteilen. Dass die Verfahren auch politisch motiviert sind, ist aber plausibel. Saakaschwilis alte Weggefährtin und neue Staatspräsidentin Georgiens Salome Surabischwili lehnte eine Begnadigung vorerst kategorisch ab, krebste inzwischen aber offenbar unter massivem Druck zurück (31). Derzeit befindet sich Saakaschwili in Haft, wo sich sein Gesundheitszustand verschlechtert haben soll (32).
Insgesamt hinterließ Saakaschwili im Verlauf seiner Karriere den Eindruck eines Polit-Migranten, der überall dort auftaucht, wo anti-russische Politik betrieben werden soll. Mit westlichen Beratern und westlichem Geld betrieb er in Georgien eine nationalistische Politik und stürzte sich in militärische Abenteuer, die scheiterten.
Neuauflage der Ära Saakaschwili?
Die in Frankreich als Tochter georgischer Emigranten geborene und aufgewachsene Salome Surabischwili schloss 1973 in Paris ein Studium der politischen Wissenschaften ab und studierte danach in den USA beim US-amerikanischen Geopolitiker Zbigniew Brzeziński (33), einem der bekanntesten Protagonisten des Kalten Kriegs. Im Jahr 2004 wechselte sie auf ausdrücklichen Wunsch Saakaschwilis aus dem diplomatischen Dienst Frankreichs, dem sie seit 1974 angehört hatte, in den georgischen Staatsdienst. Das war eine Win-Win-Situation für beide Seiten, denn Georgien erhielt eine erfahrene westliche Diplomatin zur Verfügung gestellt, die bei der Reform des georgischen Außenministeriums wichtige Impulse gab, und Frankreich bekam dadurch einen gewissen Einfluss auf die georgische Außenpolitik. Surabischwili avancierte später zur georgischen Außenministerin und wurde 2018 zur Staatspräsidentin gewählt.
Alleine schon der Umstand, dass Surabischwili während der Rosenrevolution als französische Botschafterin in Tifllis tätig war und kurz danach auf ausdrücklichen Wunsch Saakaschwilis in den georgischen Staatsdienst wechselte, ist geeignet, Misstrauen und Spekulationen über ihre Rolle in den damaligen Ereignissen aufkommen zu lassen.
Pulverfass Georgien
Seit der Unabhängigkeit des Landes haben schwache und teilweise sicherlich korrupte Eliten ausländischer Einflussnahme in Georgien Tür und Tor geöffnet und das Land zum Spielball fremder Mächte gemacht. Dieselben Eliten haben versucht, die nationalen Probleme mit westlicher, primär US-amerikanischer Finanz- und Militärhilfe zu lösen und missbrauchen bis heute ihre Macht für eigene Zwecke. Die Demographie des Landes birgt alte und vielleicht bald schon neue Quellen der Instabilität in sich. Heute stellt sich die Frage, ob Salome Surabischwili mit den zukünftigen Gefahren besser umgeht, als seinerzeit Saakaschwili.
Aus diesen geopolitischen, geoökonomischen und innenpolitischen Faktoren entsteht zusammen mit dem gegenseitigen Misstrauen der Akteure eine gefährliche Mischung, in einem Raum, welcher infolge der Ereignisse in Berg-Karabach ohnehin auf der Schwelle zum Krieg steht. Georgien würde von mehr Transparenz und Vertrauen wohl am meisten profitieren. Sollte Georgien sich in einer Krisenlage aber als zu schwach erweisen, sein Territorium zu schützen, sind Interventionen von außen zu befürchten, die zu einer Eskalation und zu einer Konfrontation zwischen Großmächten führen könnten. In einem kleinen Land mit wichtiger Infrastruktur auf engem Raum könnte eine Eskalation sehr schnell verlaufen. Die Demonstranten in Tiflis tanzen auf einem Pulverfass.
Anmerkungen:
- Siehe stellvertretend für die Berichterstattung im Westen Frank Aischmann: Proteste in Georgien, Kritik am geplanten „Agentengesetz“, bei Tagesschau, 08.03.2023, online unter https://www.tagesschau.de/ausland/europa/georgien-proteste-gesetz-101.html und Simone Brunner: Proteste in Tiflis: „Der Krieg steht uns noch bevor“, bei Zeit Online, 19.03.2023, online unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-03/tiflis-proteste-bevoelkerung-regierung-georgien.
- Siehe Alexandra Brzozowski: Gesetz zu „ausländischen Agenten“: Georgiens Präsidentin trifft Michel, bei EURACTIV.com, übersetzt von Luka Krauss, 14.03.2023, online unter https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/gesetz-zu-auslaendischen-agenten-georgiens-praesidentin-trifft-michel/. Vgl. „Proteste in Georgien gehen trotz Rücknahme von „Agenten“-Gesetz weiter“, bei Stern, 09.03.2023, online unter https://www.stern.de/news/proteste-in-georgien-gehen-trotz-ruecknahme-von–agenten–gesetz-weiter-33268080.html.
- Englisch Counterintelligence and Export Control Section, CES und National Security Division, NSD. Siehe Homepage des US-Justizministeriums unter https://www.justice.gov/nsd-fara#:~:text=FARA%20requires%20certain%20agents%20of,in%20support%20of%20those%20activities. Zum Hintergrund des Gesetzes siehe „History of the Lobbying Disclosure Act„, bei CleanUpWashington.org, online unter http://www.cleanupwashington.org/lobbying/page.cfm?pageid=38&print=1.
- Das Zitat online bei https://www.brainyquote.com/quotes/harry_s_truman_122872.
- Englisch Permanent Subcommittee on Investigations, Zu McCarthy siehe „Joseph McCarthy“ im Biographical Directory of the United States Congress, online unter https://bioguide.congress.gov/search/bio/M000315. Zu seinem Abstieg siehe Wolf-Dieter Roth: Der unaufhaltsame Abstieg des Senators McCarthy, bei Telepolis, 17.10. 2005, online unter https://www.telepolis.de/features/Der-unaufhaltsame-Abstieg-des-Senators-McCarthy-3403229.html.
- Zeeshan Aleem: RT, Russia’s English-language propaganda outlet, will register as a “foreign agent”, bei vox.com, 10.11.2017, online unter https://www.vox.com/world/2017/11/10/16633586/rt-russia-propaganda-foreign-agent und Megan R. Wilson: Russian network RT must register as foreign agent in US, in: thehill.com, 09.12.2017. online unter https://thehill.com/business-a-lobbying/business-a-lobbying/350226-russian-network-rt-must-register-as-foreign-agent-in/.
- Siehe „Russian parliament votes for law that could list CNN as ‚foreign agent'“, bei The Guardian, 15.11.2017, online unter https://www.theguardian.com/world/2017/nov/15/russia-to-register-international-media-as-foreign-agents.
- Siehe Ron Nixon: U.S. Groups Helped Nurture Arab Uprisings, bei: New York Times. 14.04.2011, online unterhttps://www.nytimes.com/2011/04/15/world/15aid.html?_r=1&pagewanted=all. Vgl. Renate Flottau, Erich Follath, Uwe Klussmann, Georg Mascolo, Walter Mayr, Christian Neef: Die Revolutions-GmbH, in: Der Spiegel. Nr. 46, 2005, S. 178–199, online unter https://www.spiegel.de/politik/die-revolutions-gmbh-a-0ff5abd6-0002-0001-0000-000043103188?context=issue. Und dieselben: Traum vom Frühling, in: Der Spiegel. Nr. 47, 2005, S. 184–194, online unter https://www.spiegel.de/politik/traum-vom-fruehling-a-cfbfa6e8-0002-0001-0000-000043216142?context=issue. Zitat: „Die Amerikaner helfen bei den Volksaufständen mit Geld und Logistik“. Vgl. Ian Traynor: US campaign behind the turmoil in Kiev, bei The Guardian, 26.11.2004, online unter https://www.theguardian.com/world/2004/nov/26/ukraine.usa. Georg Mascolo: Robert Helvey, der Umsturzhelfer, bei Spiegel Online. 21.11.2005, online unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/robert-helvey-der-umsturzhelfer-a-386006.html.
- Bekannt geworden sind der Opiumhandel der Air America in Vietnam, die Operation Ajax zum Sturz des iranischen Premierministers Mossadegh 1953, die Operation Pbsuccess zum Sturz des guatemaltekischen Präsidenten Jacobo Arbenz Guzmán 1954, die Ermordung Che Guevaras in Bolivien 1967, die Invasion in der Schweinebucht auf Kuba 1961, die Operation Mongoose mit gezielten Attentaten auf führende kubanische Politiker 1961–1975, der Waffen- und Kokainhandel, der in der Iran-Contra-Affäre publik wurde und die verdeckten Operationen gegen die Regierung Allende in Chile (Project Fubelt).
- Siehe Gene Sharp: From Dictatorship to Democracy A Conceptual Framework for Liberation, The Albert Einstein Institution, 4. Ausgabe, East Boston, MA 2010, online unter http://www.aeinstein.org/organizations/org/FDTD.pdf.
- Vgl. Ralph Bosshard: Brüssels Schwarz-Peter-Spiele im Südkaukasus, bei bkoStrat, 30.01.2023, online unter https://bkostrat.ch/2023/01/30/bruessels-schwarz-peter-spiele-im-suedkaukasus/ und ders.: Seltsame Allianzen um Berg-Karabach, bei bkoStrat, 02.01.2023, online unter https://bkostrat.ch/2023/01/02/seltsame-allianzen-um-berg-karabach/.
- Siehe Marion Sendker: Erdoğan wendet sich nach Osten, bei: Die Zeit, 28.12.2022, online unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-12/einfluss-tuerkei-turkstaaten-nationalismus-panturkismus und Berna Pekesen: Panturkismus, bei: Europäische Geschichte online, 04.03.2014, online unter http://ieg-ego.eu/de/threads/transnationale-bewegungen-und-organisationen/internationale-organisationen-und-kongresse/pan-ideologien/berna-pekesen-panturkismus#:~:text=Als%20Panturkismus%20wird%20die%20Idee,eines%20gro%C3%9Ft%C3%BCrkischen%20Staates%20zu%20vereinigen.
- Vgl. Ralph Bosshard: Höchste Zeit für Pragmatismus im Südkaukasus, bei Global Bridge, 18.03.2023, online unter https://globalbridge.ch/hoechste-zeit-fuer-pragmatismus-im-suedkaukasus/.
- Siehe Council of Europe: Secretariat of the Framework Convention for the Protection of National Minorities: Advisory Committee on the Framework Convention for the Protection of National Minorities: Opinion on Georgia, adopted on 19 March 2009, online unter https://www.refworld.org/docid/4ad2ecfa2.html. Tsypylma Darieva: Religiöse Vielfalt in Georgien, eine Herausforderung auf dem Weg nach Europa?, bei Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, ZOiS Spotlight 44/2020, 02.12.2020, online unter https://www.zois-berlin.de/publikationen/religioese-vielfalt-in-georgien-eine-herausforderung-auf-dem-weg-nach-europa.
- Siehe Ufuk Coşkun: Ahiska/Meskhetian Turks in Tucson, An Examination of Ethnic Identity, Lizentiatsarbeit, Tucson/Arizona, 2009, online unter http://www.u.arizona.edu/~ufukc/UfukCoskun_2009%20Ahiska%28Meskhetian%29_Turks_in_Tucson-Edited.pdf, namentlich S. 5, 16 – 18. Vgl. „Uzbekistan, Meskhetian Turks„, bei Minority Rights Group International, World Directory of Minorities and Indigenous Peoples, 2018, online unter https://minorityrights.org/minorities/meskhetian-turks/.
- Siehe „Uzbekistan, Meskhetian Turks“, bei Minority Rights Group International, World Directory of Minorities and Indigenous Peoples, 2018, online unter https://minorityrights.org/minorities/meskhetian-turks/ und Ufuk Coşkun, a.a.O., S. 71.
- StepMap: Georgien Regionen, online unter https://www.stepmap.de/landkarte/georgien-regionen-q3GyWl3KKP-i.
- Vgl. Natia Gogoladze-Hermani: Minderheitenschulen in Georgien als Hindernis der Integration. Eine Bestandsaufnahme, in: Matthias Theodor Vogt, Jan Sokol, Dieter Bingen, Jürgen Neyer, Albert Löhr (Hrsg.): Der Fremde als Bereicherung. Schriften des Collegium PONTES, Band V, Bern, u.a. 2010, S. 235-264, online unter https://kultur.org/wordpress/wp-content/uploads/GOLOLADZE_HERMANI_CP_5_MINDERHEITENSCHULEN_101027.pdf und Manon de Courten: Maßnahmen gegen die Isolation von Minderheiten in Georgien. Projekte als Schlüsselinstrument des HKNM, bei IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2012, Baden-Baden 2013, S. 355-372, online unter file:///C:/Users/USER/Documents/%D0%A0%D0%B0%D0%BB%D1%8C%D1%84/06%20Recherchen%20&%20Artikel/23-03%20Georgien/Courten_de-dt.pdf.
- Siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Georgien – Transitland internationaler Erdöl- und Erdgaspipelines, Sachstand WD 5 – 3000 – 057/19, 05.07.2019, online unter https://www.bundestag.de/resource/blob/653460/8ff4f5df53b7a00de4f1d9a2b0db570f/WD-5-057-19-pdf-data.pdf.
- David Ninikelashvili: GOGC – Ensuring Energy Security of Georgia, bei Georgia Today, online unter http://gtarchive.georgiatoday.ge/news/1090/GOGC—Ensuring-Energy-Security-of-Georgia
- Siehe „Präsident Ilham Aliyev und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier treffen sich in erweitertem Format in Berlin“, bei Azertac, 14.03.2023, online unter https://azertag.az/de/xeber/Prasident_Ilham_Aliyev_und_Bundesprasident_Frank_Walter_Steinmeier_treffen_sich_in_erweitertem_Format_in_Berlin_AKTUALISIERT_VIDEO-2531267.
- Ausgiebig zu diesem Thema Felix Steiner (Hrsg.): Die „Rosenrevolution“ in Georgien, das Ende der Ära Schewardnadse, bei Deutsche Welle, DW-Monitor Ost-/Südosteuropa, Bonn, Dezember 2003, online unter file:///C:/Users/USER/Downloads/Dossier%20Georgien.pdf.
- Siehe Rory McCorley: Der Grenzüberwachungseinsatz in Georgien 1999-2004 und die Nachfolgeprojekte 2005-2009, Erfahrungen und mögliche Angebote für zukünftige Einsätze, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2015, Baden-Baden 2016, S. 383-399, online unter https://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/15/McCorley-dt.pdf.
- Damals verfolgte die argentinische Junta die sogenannte „Goa-Strategie“, welche die überfallartige Besetzung Goas durch indische Truppen im Jahr 1961 zum Vorbild hatte. Galtieri und die Junta dachten, nach einer handstreichartigen Besetzung der Falkland-Inseln bzw. der Malvinas würde die argentinische Diplomatie ein paar schwierige Tage in internationalen Foren erleben, aber danach würde wieder Ruhe einkehren.
- Siehe „Georgia Military Spending/Defense Budget 1996-2023“ bei macrotrends, online unter https://www.macrotrends.net/countries/GEO/georgia/military-spending-defense-budget. Vgl. Wjatscheslaw Zelujko: Die Militärreformen in Georgien unter Saakaschwili im Vorfeld des Fünf-Tage-Kriegs im August 2008, in: Ruslan Puchow (Hrsg.): Die Panzer des August, Zentrum für strategische und technologische Analysen, deutsche Ausgabe, Moskau 2012, S. 5 – 33.
- Siehe Marietta S. König: Statt „eingefroren“ nun brandheiß: Konfliktlösung in Georgien nach dem Machtwechsel, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2006, Baden-Baden 2007, S. 91-104, online unter https://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/06/Koenig-dt.pdf, namentlich S. 91 – 99.
- Siehe Oleg Friesen: Analyse, Micheil Saakaschwili – „Reformator“ oder „Scharlatan“?, bei Bundeszentrale für politische Bildung, 10.02.2016, online unter https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/221234/analyse-micheil-saakaschwili-reformator-oder-scharlatan/.
- Siehe „Poroschenko beruft früheren georgischen Präsidenten als Berater“, bei Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.02.2015, online unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/kiew-poroschenko-beruft-saakaschwili-als-berater-13428357.html und „Georgiens Ex-Präsident wird Gouverneur von Odessa“, bei Zeit online, 30.05.2015, online unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2015-05/michail-saakaschwili-georgien-ex-praesident-gouverneur-odessa
- Siehe „Georgia ex-leader Saakahvili has Ukrainian citizenship restored„, bei BBC News, 28.05.2019, online unter https://www.bbc.com/news/world-europe-48437792 und „Georgian ex-President Saakaschwili offered vice-PM’s post in Ukraine„, bei agenda.ge, 22.04.2020, online unter https://agenda.ge/en/news/2020/1246.
- Siehe David M. Herszenhorn: Georgia, Prosecutors Investigate Spending of Government Funds, bei The New York Times, 31.05.2013, online unter https://www.nytimes.com/2013/06/01/world/europe/georgia-prosecutors-investigate-spending-of-government-funds.html, ders.: Georgia Files Criminal Charges Against Ex-President, bei The New York Times, 29.07.2014, online unter https://www.nytimes.com/2014/07/29/world/europe/georgia-files-criminal-charges-against-ex-president.html und Jason Horowitz: Exile in Brooklyn, With an Eye on Georgia, bei The New York Times: 19.09.2014, online unter https://www.nytimes.com/2014/09/20/world/europe/mikheil-Saakaschwili -georgias-ex-president-plots-return-from-williamsburg-brooklyn.html?_r=1.
- Siehe „Zurabishvili Vows to ‘Never’ Pardon Saakaschwili“, bei civil.ge, 02.10.2021, online unter https://civil.ge/archives/444908. „President says “principal question” on pardoning Saakaschwili will be “answered in time”, bei agenda.ge, 28. Dezember 2022, online unter https://agenda.ge/en/news/2022/5085 und „President Zurabishvili Complains of Pressure over Saakaschwili ’s Pardon„, bei civiil.ge, 28. Dezember 2022, online unter https://civil.ge/archives/520396.
- Siehe Reinhard Veser: Wird Micheil Saakaschwili in Haft vergiftet? bei Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.02.2023, online unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/georgien-wird-der-frueherer-praesident-saakaschwili-vergiftet-18678336.html.
- Portrait über sie bei Nino Lejava, Lara Depenbrock: Des Löwen Kind, die erste Präsidentin Georgiens Salome Surabischwili, bei Heinrich Böll Stiftung, 22.05.2019, online unter https://www.boell.de/de/2019/05/22/des-loewen-kind-die-erste-praesidentin-georgiens-salome-surabischwili.
- Titelbild: Archikl, Tbilissi, online unter https://pixabay.com/photos/tbilisi-city-capital-city-georgia-488518/.