Der Westen liefert der Ukraine immer mehr und immer bessere Waffen und erlaubt ihr, damit auch Ziele innerhalb Russlands anzugreifen. Aber ist sich der Westen, insbesondere Europa, auch bewusst, wie Russland antworten kann? (Im Bild eine ATACMS-Rakete).

Speziell die Europäer sollten sich „warm anziehen“ …

Nachdem die USA mit dem «Conventional Prompt Global Strike»-Programm der ganzen Welt das Messer an den Hals gesetzt haben, beschloss Russland vor einigen Jahren, dagegenzuhalten und seinerseits zumindest den Europäern Druck aufzusetzen (1). Präsident Putin hat aber schon vor längerem klargemacht, dass auch die USA ihren Anteil am Schaden abbekämen, wenn es zum Äußersten kommen sollte.

Während die ukrainische Armee im Osten des Landes Tag für Tag Gelände, Dörfer und Städte preisgeben muss, konzentriert sich die öffentliche Diskussion im Westen seit längerem auf Abstandswaffen, von denen man sich teilweise eigentliche Wunder erwartet. ATACMS, Storm Shadow, HIMARS und andere sollen Schläge tief hinein nach Russland führen. Umgekehrt haben die russischen Streitkräfte in den letzten Monaten ihr neustes Arsenal an Abstandswaffen eingesetzt: Die Einsätze der Kurzstreckenraketen und -Marschflugkörper der Typen „Iskander“, „Kinzhal“  und „Tsirkon“, sowie der Mittelstreckenrakete „Oreshnik“ hatten neben dem physischen Effekt wohl auch noch die Funktion einer Demonstration der technologischen Fähigkeiten Russlands – und auch eines Tests im Hinblick auf zukünftige Konfrontationen (2). Die kurzen Flugzeiten aller dieser Raketen lassen einem Opfer nur wenige Minuten zur Reaktion.

Neue Bedürfnisse – neue Lösungen 

Diskussionen um nicht-nukleare strategische Waffen wurden in Russland bzw. der Sowjetunion schon seit den Achtzigerjahren geführt, als die Generalstabschefs Nikolai Ogarkow und Sergej Achromejew Zweifel an der Nützlichkeit der nuklearen strategischen Abschreckung bekamen (3). Der Krieg in der Ukraine hat nun gezeigt, dass die Russen in aller Stille eine konventionelle Erstschlagsfähigkeit aufgebaut haben. Parallel dazu gingen die Arbeiten am Kernwaffenarsenal weiter, denn es musste sichergestellt werden, dass Kernwaffen aller Art die weiterentwickelten Abwehrsysteme überwinden können. Hierfür war eine markante Steigerung der Geschwindigkeit von Nöten und damit die Entwicklung neuer Antriebe. 

Zu solchen neuen Formen des Antriebs zählen magnethydrodynamische Antriebe. Dabei nutzt man aus, dass elektrisch leitfähige Flüssigkeiten wie Meerwasser in einem elektromagnetischen Feld beschleunigt werden können. Ähnliches gilt für extrem heiße, ionisierte Luft. Diese Eigenschaft kann genutzt werden, um beispielsweise Wasserfahrzeuge anzutreiben, aber auch, um Flugkörper im Flug durch die Erdatmosphäre vor Überhitzung zu schützen und um solche zu steuern. Unbestritten ist, dass die Russen auf diesem Gebiet viel Wissen besitzen (4). Offensichtlich haben russische Techniker solche Antriebe in den letzten Jahren zur Einsatzreife gebracht. 

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Nach wie vor bestreiten weite Teile der westlichen Presse Russlands Fähigkeit zur Entwicklung modernster Waffentechnik. Aber es wäre nicht das erste Mal in der neueren Geschichte, dass Russland in Teilbereichen der Technologie die Nase vorn hat. Das im heutigen Zusammenhang aussagekräftigste Beispiel betrifft die Technologie der Staustrahltriebwerke, ohne welche Fluggeschwindigkeiten von mehr als dreifacher Schallgeschwindigkeit (Mach 3) kaum möglich sind. Im Jahr 1991 scheiterte ein Versuch der US-Marine, einen von einem Staustrahltriebwerk angetriebenen, tieffliegenden, überschallschnellen Seezielflugkörper zu entwickeln an technischen Fehlschlägen, Verzögerungen im Zeitplan und einem massiven Anstieg der Programmkosten (5). Daraufhin beschaffte die Navy kurzerhand in Russland den zu Sowjetzeiten entwickelten Schiffsabwehr-Flugkörper Kh-31 „Krypton“ als Zieldrohne. Diese diente bis vor wenigen Jahren zur Ausbildung von Schiffsbesatzungen in der Abwehr modernster Schiffsabwehr-Raketen (6). 

Das Jahr 1999 mit dem völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Serbien war wohl schon ein erster Einschnitt in die politisch-militärischen Beziehungen in Europa, die Russland dazu bewegt haben dürfte, auf den Forschungsergebnissen der letzten Jahre der Sowjetzeit aufzubauen und neue strategische Waffen zu entwickeln. Das Conventional Prompt Global Strike Programm der USA war der zweite Impuls und die Verschärfung der Lage in der Ukraine 2013 der dritte (7).

Atombomben im All

Das Fractional Orbital Bombardment System FOBS wurde in der Sowjetunion schon in den Sechzigerjahren entwickelt. Es bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass man eine Atombombe auf eine niedrige Erdumlaufbahn schießt und dort so lange um die Erde kreisen lässt, bis man entschieden hat, wann und wo sie zuschlagen soll. Der atomare Gefechtskopf kann dann – wie andere Raumflugkörper auch – abgebremst werden, um in die Erdatmosphäre einzutauchen und auf sein Ziel zuzufliegen. Die Vorwarnzeit vor solchen Sprengköpfen ist sehr gering, was als Gefährdung der Stabilität galt und zum Verbot von FOBS-Waffensystemen im SALT-II-Vertrag führte (8). 

Die Sowjetunion verfügte über die R-36-O Interkontinentalrakete mit FOBS mit je einem Sprengkopf von einer Sprengkraft von 1–3 MT. Sie hieß bei der NATO SS-9 Scarp. Es gab auch eine Variante mit drei getrennten Gefechtsköpfen, sogenannten Multiple Re-entry Vehicles, MRV, die auch Täuschkörper ausstoßen konnten, um die gegnerische Raketenabwehr zu überwinden (9). Der SS-9 wurde in einzelnen, weit verteilten Silos stationiert, die einem Einsatz einer 1-MT-Waffe in unmittelbarer Nähe standhalten konnten. Die Reaktionszeit der Rakete im normalen Bereitschaftszustand betrug drei bis fünf Minuten und konnte beinahe unbegrenzt aufrechterhalten werden. Bei einem Angriff mit ballistischen Raketen war sie somit das geeignete Mittel für eine Launch-on-warning Strategie (10). Das ist eine Vorgehensweise, bei welcher der Startbefehl an eigene Interkontinentalraketen sofort nach Eintreffen einer Warnung vor dem Anflug gegnerischer Raketen erteilt wird (11).

Gegenschlag mit Ansage

Der Nachteil der FOBS-Technologie besteht darin, dass eine im Vergleich zu herkömmlichen ballistischen Interkontinentalraketen erheblich stärkere Rakete benötigt wird, ähnlich einer Rakete, welche einen Satelliten auf eine Erdumlaufbahn bringen soll. Das dürfte mit ein Grund gewesen sein, weshalb die sowjetischen Militärs sich gegen Ende des Kalten Kriegs mit dem Verbot dieser Waffenkategorie einverstanden erklären konnten. Der Start einer derart starken Interkontinentalrakete wird heute von Überwachungssatelliten bemerkt werden, wodurch das Überraschungsmoment verlorengeht. Und im Orbit ist ein solcher Gefechtskopf durchaus abzuschießen. Ein weiterer Nachteil der FOBS-Technologie ist die längere Flugzeit, die einem Gegner genügend Zeit lässt für den Start seiner eigenen Atomraketen (12). 

Im Zuge der Demontage des Systems der Rüstungskontrolle, an welchem der Westen durchaus mitschuldig ist, griff Russland auch das FOBS-Konzept wieder auf und entwickelte die neue Interkontinentalrakete „Sarmat“ (13). Sie besitzt westlichen Erkenntnissen zufolge sowohl die Fähigkeit, Atombomben in einen erdnahen Orbit zu bringen als auch den Atmosphärengleiter „Avangard“ zu lancieren (14). Letzterer kann ebenfalls die Erde umrunden, allerdings nicht auf einer Umlaufbahn. Vielmehr sinkt er nach dem Abkoppeln von der Trägerrakete in einem flachen Winkel auf die oberen Atmosphärenschichten hinunter und prallt von diesen ab. Dieser Vorgang kann sich mehrere Male wiederholen. 

Geschützt werden die Silos der Sarmat durch ein neues System, das im Westen noch kaum Beachtung fand. Das aktive Verteidigungssystem Mozyr (russ. комплекс активной защиты КАЗ) besteht aus fest installierten Geschützen, die eine „Wolke“ aus Metallkugeln und Pfeilen verschießen, welche angreifende Sprengköpfe direkt über dem Silo zerstören. Die Entwicklung dieses Systems begann in den Achtzigerjahren, stockte dann aber, weil genügend leistungsfähige Radargeräte zur Zielerfassung und Computer zur Flugbahnberechnung nicht verfügbar waren (15). 

Langsam, aber gut geschützt und kaum zu stoppen: Sollte jemand Russland mit Raketen angreifen, kommt der Gegenschlag der Sarmat mit Sicherheit. 

Atombomben gegen Flugzeugträger

Auch unter Wasser rüstete Russland nach. Bei der „Poseidon“ handelt es sich um eine Unterwasserdrohne globaler Reichweite mit einem atomaren Sprengkopf. Die russische Marine hat mit Nuklearantrieben große Erfahrung – auch leidvolle – und nutzte die Fortschritte beim Bau kleinerer Kernreaktoren. Schon ein einzelner Nuklearantrieb erzeugt genügend Energie, damit ein Unterwasser-Fahrzeug über Tausende Kilometer Entfernung, in großer Tiefe und mit hohen Geschwindigkeiten, fahren kann. Bisher war die russische Seite mit technischen Details knausrig, aber die Rede ist von einer Reichweite von 10’000 km bei einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h in 1’000 m Tiefe (16). 

Poseidon-Torpedos können Marinestützpunkte aus großer Distanz angreifen und ganze Schiffsverbände mit Kernwaffen vernichten (17).

Karte: Distanzen von den russischen Küsten an die Küsten der USA. Quelle: Verfasser.

Die Poseidon U-Drohne kann von den großen U-Booten abgeschossen werden, über welche die russische Marine verfügt. Eventuell besteht auch die Möglichkeit, dass die Drohne so lange auf dem Meeresboden wartet, bis sie aktiviert wird. Die Stationierung von Atomwaffen auf dem Meeresboden jenseits der 12-Meilen-Grenze verstößt allerdings gegen den Meeresboden-Rüstungskontrollvertrag von 1972. Dieser untersagt die Stationierung von Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden jenseits des Küstenmeers, d.h. der 12-Meilen-Zone (18). Russland könnte die Poseidon aber durchaus auch in seinen Hoheitsgewässern stationieren. 

Der Einsatz von Kernwaffen gegen große Kriegsschiffe wurde schon kurz nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki in Betracht gezogen und auch getestet. In der Operation Crossroads 1946 im Bikini-Atoll löste die Explosion einer Atombombe von 23 kT Sprengkraft einen Tsunami aus, der die ausrangierten Flugzeugträger und Schlachtschiffe versenkte oder irreversibel verstrahlte, die als Versuchsziele aufgestellt worden waren. Nach der Detonation entstand eine erste Welle von 29 m Höhe. Der 6 km entfernt liegende Strand der Bikiniinsel wurde von neun Brandungswellen von bis zu 5 m Höhe getroffen (19). 

Der Nukleargefechtskopf der Poseidon soll angeblich eine variable Sprengkraft von 2 bis 100 MT aufweisen, d.h. das 1’000-fache des Sprengkopfs der Operation Crossroads. Wenn Poseidon wirklich gegen Häfen eingesetzt werden soll, dann wären die Effekte wohl vergleichbar mit jenen von Crossroads, einfach zehnmal stärker. Die 500 m hohe Tsunami-Welle, von welcher zuweilen berichtet wird, ist vielleicht etwas hoch gegriffen, aber schon 50 m hohe, tief ins Landesinnere vordringende Wellen würden wohl Häfen und Städte an der Küste aufs schwerste verwüsten. 

Langsam, aber unvermeidlich

Mit Hilfe der erwähnten magnethydrodynamischen Antriebe ist der Bau sehr geräuscharmer U-Boote und auch U-Drohnen möglich. Bereits mit herkömmlicher Technologie sind heute aber derart geräuscharme Antriebe möglich, dass moderne U-Boote extrem schwierig zu orten sind. Das zeigte sich beim Zusammenstoß zweier Atom-U-Boote aus Frankreich und Großbritannien im Atlantik 2009 (20). Aber leise Antriebe sind nicht das einzig Seligmachende im Krieg in den Tiefen der Ozeane: Zwar sind hydroakustische Mittel die bekanntesten, aber es existieren durchaus noch andere Methoden zur Ortung von getauchten U-Booten. Änderungen des Magnetfelds beispielsweise und radioaktive Strahlung können ebenfalls verräterische Signaturen abgeben. Darüber hinaus können die Geräusche unter dem Packeis oder auch von anderen Schiffen durchaus die Antriebsgeräusche von U-Booten überdecken. 

Die Poseidon wird in erster Linie als Zweitschlagwaffe angesehen, welche militärische Einrichtungen und Bevölkerungszentren an Küsten trifft. Sie kann aber nach dem Abschuss wohl kaum gesteuert oder zurückgerufen werden, weil die Telekommunikation mit so tief tauchenden Objekten über große Distanzen schon aus rein physikalischen Gründen nicht ganz einfach ist. Das spricht für ein hochentwickeltes Navigationssystem, das allenfalls sogar mit Künstlicher Intelligenz kombiniert ist und damit in der Lage sein könnte, bislang nicht bekannten Hindernissen auszuweichen und gegnerische Abwehrmaßnahmen zu kontern.

Insgesamt dürfte es westlichen Seestreitkräften schwerfallen, eine Poseidon U-Drohne aufzuklären und abzufangen. Allerdings macht die lange Laufzeit von Tagen die Waffe nicht zum geeigneten Mittel für einen überraschenden Erstschlag. Sie bringt langsame, aber unvermeidliche Vernichtung.

Bomber ohne Piloten

Technisch vielleicht am schwierigsten zu realisieren und am wenigsten dokumentiert scheint derzeit das Projekt „Burevestnik„. Zwar wird die Burevestnik zuweilen als tief-fliegende Überschall-Rakete (englisch SLAM für Supersonic Low Altitude Missile) oder als Überschall-schneller Marschflugkörper bezeichnet, stellt aber eher einen unbemannten Bomber dar, der über sehr große Distanzen in sehr geringer Höhe mit Mach 3,5 fliegen und auf seinem Flugweg mehrere Atombomben abwerfen kann. Angetrieben werden dürfte er durch ein Staustrahltriebwerk mit Nuklearantrieb, denn nur ein solches erzeugt die enorme Energie, die notwendig ist, um einen 14 m langen Flugkörper von 2 m Durchmesser in wenigen Metern Höhe mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel fliegen zu lassen (21).

Mit dem Burevestnik griffen die Russen eine alte Idee aus den USA aus den späten Fünfzigerjahren wieder auf und profitierten von den Fortschritten in den Bereichen Metallurgie und Navigation.  Die Beanspruchungen an die Materialien sind enorm und die starke radioaktive Strahlung, welche das Triebwerk abgibt, legen den Verzicht auf eine Besatzung nahe. 

Theoretisch kann der Burevestnik auch dank der praktisch unbegrenzt verfügbaren Energie auf seinem Flugweg in großer Höhe einen elektromagnetischen Impuls abgeben, der zwar keine physischen Schäden an Lebewesen und Gegenständen am Boden anrichtet, aber alle ungeschützten Funk-Empfänger und elektronischen Datenverarbeitungsgeräte zerstört (22). Die Auswirkungen auf eine moderne Gesellschaft, die ein Ausfall von Strom- und Wasser-Versorgung, sowie von Telekommunikation hätte, wären wohl verheerend. Zurück ins frühe 19. Jahrhundert, wäre wohl angesagt. Eine Waffe wie die Burevestnik ist in Rüstungskontrollverträgen nicht erfasst, denn sie stellt eine neue Waffenkategorie dar (23).

Aber selbst wenn die Burevestnik in großer Höhe 4½ fache Schallgeschwindigkeit fliegt, benötigt sie bis zu zwei Stunden, bis sie tief aus dem Inneren Russlands Ziele in den USA erreicht. 

Karte: Distanzen aus dem Innern Russland ins Innere der USA (Colorado). Quelle: Verfasser

Zudem ist sie aufgrund der radioaktiven Strahlung, die das Triebwerk abgibt, wohl nicht eben „stealthy„. Fraglich ist somit die Eignung des Systems für einen überraschenden Einsatz. Auch dürfte die Aufrechterhaltung einer hohen Einsatzbereitschaft technisch nicht einfach sein (24). Die Waffe für den überraschenden Erstschlag ist die Burevestnik wohl nicht.

Hauptgegner Europa

Es zeichnet sich ab, dass Russland sich bereits auf den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel globaler Sicherheit vorbereitet: Die Einsätze von neuen Hyperschall-Waffen und namentlich der Oreshnik-Mittelstreckenrakete waren erste Demonstrationen an den Westen (25). Insgesamt hält Russland sein Arsenal zum weltweiten nuklearen Zweitschlag auf aktuellem Stand und diversifiziert seine Mittel hierfür. Darüber hinaus baut es eine Fähigkeit zur nicht-nuklearen strategischen Abschreckung gegenüber seinen Nachbarn auf. Das wichtigste aber ist: Russland richtet sich auf den neuen Hauptgegner Europa aus. Die Europäer, die geglaubt haben, mit den USA im Rücken gegen Russland auftrumpfen zu können, stehen eventuell bald schon ohne den großen Bruder da.

Das Szenario gleicht jenem im Kalten Krieg, als Bundeskanzler Helmut Schmidt befürchtete, dass die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen, namentlich der RSD-10 „Pionier“ bzw. SS-20, wie sie bei der NATO genannt wurde, zu einer Entkoppelung der Sicherheit Deutschlands von jener der USA führen könnte. Konkret bestand die Befürchtung darin, dass die USA und die Sowjetunion sich nach einem verheerenden Atomkrieg in Deutschland darauf einigen könnten, es dabei bewenden zu lassen. Im Gegensatz dazu ist ist die Entkoppelung heute gewollt. 

Karte: Distanzen aus dem Inneren Russlands an die Ränder Europas. Quelle: Verfasser

Mit dem NATO-Doppelbeschluss von 1979 kombinierte der Westen die Aufrüstung mit einem Verhandlungsangebot (26). Letzteres ist im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg derzeit einfach nicht zu erkennen. Der Westen hat geglaubt, mit Hilfe der Ukraine Russland auf die Knie bringen zu können und könnte jetzt glauben, er könne sich mit ein paar entschuldigenden Worten aus der Affäre ziehen. Das wird so nicht gehen. Die ukrainischen Angriffe auf die russischen Frühwarn-Radarstationen und die Basen der strategischen Bomberflotte wurden in Moskau bestimmt als Hauptprobe für den Dritten Weltkrieg interpretiert (27). Territoriale Zugeständnisse seitens der Ukraine reichen jetzt nicht mehr. Da muss mehr kommen. Europa muss sich bewegen.

Donald Trump hingegen kann die für Deutschland vorgesehene „Multi-Domain Task-Force„, die nichts anderes ist als eine strategische Raketenbrigade, als Verhandlungsmasse nutzen gegen die neuen, nicht-nuklearen strategischen Waffen Russlands (28). Die europäischen Verbündeten werden jammern, aber Donald Trump verbreitete in den letzten Wochen nicht den Eindruck, dass er auf die Meinung der Europäer viel geben würde. 

Anmerkungen: 

  1. Zum CPGS Programm siehe „The New START Treaty does not contain any constraints on current or planned U.S. Conventional Prompt Global Strike capability„, auf der Homepage des US State Department, 08.04.2010, online unter http://www.state.gov/t/vci/rls/139913.htm. Das US-Außenministerium sagt es gleich rundheraus: „The growth of unrivaled U.S. conventional military capabilities…„. Vgl. Hans M Kristensen: Talks at U.S. Strategic Command and University of California San Diego, bei Federation of American Scientists, FAS Strategic Security Blog, 12.08.2012, online unter http://www.fas.org/blog/ssp/2012/08/talks.php, Craig Whitlock: U.S. looks to nonnuclear weapons to use as deterrent, bei Washington Post, 08.04.2010, online unter https://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/04/07/AR2010040704920.html und „In the works: A missile to hit anywhere in 1 hr„, bei The Times of India, 02.04.2010, online unter https://timesofindia.indiatimes.com/world/us/in-the-works-a-missile-to-hit-anywhere-in-1-hr/articleshowprint/5857401.cms
  2. Siehe „Wenn Überheblichkeit Menschenleben kostet“ bei Global Bridge, 22.04.2023, online unter https://globalbridge.ch/wenn-ueberheblichkeit-menschenleben-kostet/
  3. Vgl. „Betonköpfe und Propagandisten am Hebel europäischer Sicherheit“ bei Global Bridge, 14.12.2024, online unterhttps://globalbridge.ch/betonkoepfe-und-propagandisten-am-hebel-europaeischer-sicherheit/
  4. Über die Möglichkeiten der MHD in der Luftfahrt referierten V.A. Bityurin und Vladimir Zeigarnik vom Institut für Hochtemperaturen an der Russischen Akademie der Wissenschaften zusammen mit A.L. Kuranov im Juni 1996 am 27th Plasma Dynamics and Lasers Conference, New Orlean LA [sic]. Ihr Papier dazu: V.A. Bityurin, V.A. Zeigarnik, A.L. Kuranov: On a perspective of MHD technology in aerospace applications, AIAA 96-2355, 27th AIAA Plasma Dynamics and Lasers Conference, 17-20 June 1996, steht zum Herunterladen zur Verfügung unter https://www.researchgate.net/publication/271369148_On_a_perspective_of_MHD_technology_in_aerospace_applications. Ein weiterer Artikel von Bityurin: V.A., Bityurin, A.N. Bocharov: Ground MHD experiments in hypersonic flows, bei Heat and Mass Transfer and Physical Gasdynamics, 29 December 2010, Volume 48, pages 874–880, (2010), online unter https://doi.org/10.1134/S0018151X10060143. Zu den Möglichkeiten für den Antrieb von Booten siehe Werner Pluta: US-Militär lässt lautlosen U-Boot-Antrieb entwickeln, bei golem.de, 31.05.2023, online unter https://www.golem.de/news/magnetohydrodynamischer-antrieb-us-militaer-laesst-lautlosen-u-boot-antrieb-entwickeln-2305-174596.html. Dass der Wirkungsgrad von MHD-Antrieben schlecht ist, stört bei Atom-U-Booten wenig, da der Atomreaktor Energie in Hülle und Fülle abgibt. Vgl. auch Robert Klatt: US-Militär entwickelt lautlosen U-Boot-Antrieb, bei Forschung & Wissen, 31.05.2023, online unter https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/technik/us-militaer-entwickelt-lautlosen-u-boot-antrieb-13377566. Vgl. auch Gernot Kramper: Lautlose U-Boote: USA entwickeln magnetohydrodynamischen [sic] Unterwasserantrieb, bei Stern, 05.06.2023, online unter https://www.stern.de/digital/technik/lautlose-u-boote—usa-entwickeln-magnetohydrodynamischen-unterwasserantrieb-33530542.html. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Russen das realisiert haben, was die Amerikaner derzeit realisieren möchten. Siehe auch das Interview mit Jobst Landgrebe auf Kontrafunk, 02.01.2025, online unter https://kontrafunk.radio/de/sendung-nachhoeren/politik-und-zeitgeschehen/kontrafunk-aktuell/kontrafunk-aktuell-vom-2-januar-2025
  5. Siehe „Martin Marietta AQM-127 SLAT“ auf der Homepage des Directory of U.S. Military Rockets and Missiles, online unter https://www.designation-systems.net/dusrm/m-127.html
  6. Joseph Trevithik: Navy Needed Targets To Mimic Supersonic Anti-Ship Missiles So They Bought Real Ones From Russia, beiThe Warzone, 07.05.2020, online unter https://www.twz.com/33337/navy-needed-targets-to-mimic-supersonic-anti-ship-missiles-so-they-bought-real-ones-from-russia
  7. Siehe generell Jill Hruby: Russia’s New Nuclear Weapon Delivery Systems – An Open-Source Technical Review, hrsg. von der Nuclear Threat Initiative, 13.11.2019, online unter https://media.nti.org/documents/NTI-Hruby_FINAL.PDF und Congressional Research Service: Russia’s Nuclear Weapons: Doctrine, Forces, and Modernization, Updated April 21, 2022, Washington DC, S. 23-31, online unter https://sgp.fas.org/crs/nuke/R45861.pdf
  8. Siehe Asif A. Siddiqi: „The Soviet Fractional Orbital Bombardment System: A Short Technical History“ (PDF). International, beiQuest, the History of Spaceflight Quarterly, Volume 7, Number 4, Spring 2000, s. 22-33, online unter https://faculty.fordham.edu/siddiqi/writings/p15_siddiqi_quest_2000-04_fobs.pdf
  9. Siehe „SS-9“ bei missilethreat.com, online unter http://www.missilethreat.com/missiles/ss-9_russia.html
  10. Siehe „R-36 / SS-9 SCARP“ bei globalsecurity, online unter https://www.globalsecurity.org/wmd/world/russia/r-36.htm
  11. Siehe „Launch-On-Warning (LOW)“ bei atomwaffen A-Z, online unter https://www.atomwaffena-z.info/glossar/begriff/launch-on-warning-low. In diesem Zusammenhang wird auch oft von „Hairtrigger Alert“ gesprochen. 
  12. Siehe Miroslav Gyűrösi: The Soviet Fractional Orbital Bombardment System Program, Technical Report APA-TR-2010-0101, bei Air Power Australia, Updated April, 2012, online unter https://www.ausairpower.net/APA-Sov-FOBS-Program.html
  13. Siehe Missile Defense Project: „RS-28 Sarmat„, Missile Threat, Center for Strategic and International Studies, May 17, 2017, last modified April 23, 2024, https://missilethreat.csis.org/missile/rs-28-sarmat/. Taunton Paine: Bombs in orbit? Verification and violation under the Outer Space Treaty, bei The Space Review, 19.03.2018, online unter https://www.thespacereview.com/article/3454/1. Drago Bosnic: RS-28 „Sarmat“ ICBM – why Russia needs such doomsday weapons, bei BRICS Portal, 21.04.2022, online unter https://infobrics.org/post/35593
  14. Siehe Mark Melamed, Lynn Rusten: Russia’s New Nuclear Weapon Delivery Systems, Implications for New START, Future Arms Control, and Strategic Stability, bei Nuclear Threat Initiative, November 2019, online unter https://www.nti.org/analysis/articles/russias-new-nuclear-weapon-delivery-systems-open-source-technical-review/#:~:text=Authored%20by%20Jill%20Hruby%2C%20NTI%27s,schedule%2C%20provides%20insight%20into%20the, „Avangard“, bei Missile Threat, CSIC Missile Defense Project, 31.07.2021, online unter https://missilethreat.csis.org/missile/avangard/ und „Avangard (Hypersonic Glide Vehicle)“, bei Missile Defence Advocacy Alliance, o.D., online unter https://missiledefenseadvocacy.org/missile-threat-and-proliferation/todays-missile-threat/russia/avangard-hypersonic-glide-vehicle/, sowie „Ukraine War: Russia’s 2nd Regiment Of Avangard Hypersonic Missile, With ‘Mach 27’ Speed, Takes Up Combat Duty„, bei Eurasian Times, 17.12.2022, online unter https://www.eurasiantimes.com/ukraine-war-russias-2nd-regiment-of-avangard-hypersonic/. Vgl. NATO Science & Technology Organization: Science & Technology Trends 2020-2040, Exploring the S&T Edge, Brüssel, März 2020 , online unter https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2020/4/pdf/190422-ST_Tech_Trends_Report_2020-2040.pdf, Kapitel F, Hypersonics, S. 86 – 93, Abbildung F.2, S. 87.
  15. Siehe „ОКР Мозырь / изделие 171 / Камчатская ПРО“, bei Military Russia, 15.11.2011, online unter http://militaryrussia.ru/blog/index-776.html, Ардашев А.: Защита шахтных пусковых установок МБР от высокоточного оружия, bei Ракетная техника, 27.04.2010, online unter https://missilery.info/article/zashchita-shahtnyh-puskovyh-ustanovok-mbr-ot-vysokotochnogo-oruzhiya, „Министерство обороны возобновляет испытания комплекса активной защиты от ракет и высокоточного оружия с перспективными поражающими элементами“, 11.12.2012, online unter http://eurasian-defence.ru/node/2626 und Алексей Михайлов, Дмитрий Бальбуров: Последний рубеж ПРО вооружат стрелами и шариками, bei Известия (Izvestiya), 11.12.2012, online unter https://iz.ru/news/541076, alle in russischer Sprache. Siehe auch „Mozyr: will the most unusual anti-missile system be revived?„, bei VPK News, 01.04.2022, online unter https://vpk.name/en/591501_mozyr-will-the-most-unusual-anti-missile-system-be-revived.html, „OCD „Mozyr“. Soviet missile defense system„, bei Top War, 03.12.2018, online unter https://en.topwar.ru/150650-sovetskaja-sistema-pro-okr-mozyr.htmlund „Mozyr active defense complex (KAZ)„, bei Global Security.org, 10.11.2019, online unter https://www.globalsecurity.org/wmd/world/russia/mozyr-kaz.htm. Vgl. „Drohnen gegen den Kreml“, bei Global Bridge, 04.05.2023, online unter https://globalbridge.ch/drohnen-gegen-den-kreml/
  16. H.I. Sutton: Poseidon Torpedo, bei Covert Shores, 22.02.2019, online unter http://www.hisutton.com/Poseidon_Torpedo.html. Vgl. Matthias Koch: Nukleare Drohung aus Moskau; Unterwasserdrohne Poseidon: Putins teuflische Tsunamiwaffe, bei RedaktionsNetzwerk Deutschland, 10.05.2022, online unter https://www.rnd.de/politik/poseidon-putins-teuflische-tsunamiwaffe-im-krieg-gegen-die-ukraine-WYT36PNNTBEF7H5IWSEA46YFXI.html.
  17. Ebd. 
  18. Siehe die deutsche Übersetzung „Vertrag über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresgrund“ auf der Homepage der eidgenössischen Bundesverwaltung, online unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1976/1430_1431_1431/de
  19. Siehe Samuel Glasstone, Philip Dolan: The Effects of Nuclear Weapons (3rd ed.), U.S. Government Printing Office, Washington DC, 1977, S. 52ff, online unter https://www.fourmilab.ch/etexts/www/effects/eonw_2.pdf#zoom=100 und S. 249, online unter https://www.fourmilab.ch/etexts/www/effects/eonw_6.pdf#zoom=100
  20. Siehe „Atom-U-Boote zusammengestoßen“ bei taz, 16.02.2009, online unter https://taz.de/Kollision-im-Atlantik/!5167728/#:~:text=PARIS%2FLONDON%20dpa%20Trotz%20ihrer,beider%20Atomm%C3%A4chte%20am%20Montag%20mitteilten
  21. Siehe Alexander S. Yermakov: The Nuclear Triad: Alternatives from The Days Gone By and Possible Futures, Working Paper No. 68/2022 Russian International Affairs Council (RIAC), Moscow, 2022, online unter https://russiancouncil.ru/en/activity/workingpapers/the-nuclear-triad-alternatives-from-the-days-gone-by-and-possible-futures/. Vgl. Hruby, Russia’s New Nuclear Weapons, a.a.O., S. 10f, 33f. Siehe auch „Ракета 9М730 Буревестник / Крылатая ракета с ЯЭУ – SSC-X-9 SKYFALL“ bei Military Russia, online unter http://militaryrussia.ru/blog/topic-895.html, in russischer Sprache. 
  22. Siehe Peter Vincent Pry: Russia; EMP Threat; the Russian Federation’s Military Doctrine, Plans, and Capabilities for Electromagnetic Pulse (EMP) Attack, bei Defense Technical Information Center, online unter https://apps.dtic.mil/sti/citations/AD1124730, S. 18. 
  23. Siehe Mark Melamed, Lynn Rusten: Russia’s New Nuclear Weapon Delivery Systems, Implications for New START, Future Arms Control, and Strategic Stability, bei Nuclear Threat Initiative NTI, November 2019, online unter https://media.nti.org/documents/NTI-Melamed-Rusten_FINAL.pdf, S. 2, 4-6.
  24. Eine Beschreibung des Projekts auf der Homepage der Herstellerfirma Vought, online unter https://www.vought.org/products/html/slam.html. Siehe auch J. S. Butz Jr.: Pluto; a New Strategic System or Just Another Test Program?, in Air & Space Forces Magazine, 01.07.1964, online unter https://www.airandspaceforces.com/article/0764pluto/. Vgl. “ SLAM“ in der Encyclopedia Astronautica, online unter http://www.astronautix.com/s/slam.html
  25. Siehe „Betonköpfe und Propagandisten am Hebel europäischer Sicherheit“, bei Global Bridge, 14.12.2024, online unter https://globalbridge.ch/betonkoepfe-und-propagandisten-am-hebel-europaeischer-sicherheit/
  26. Siehe „22. November 1983: Bundestag bestätigt Entscheidung zum NATO-Doppelbeschluss“, bei Bundeszentrale für politische Bildung, 21.11.2018, online unter https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/280816/22-november-1983-bundestag-bestaetigt-entscheidung-zum-nato-doppelbeschluss/. Vgl. „Historische Debatten (9): Nato-Doppelbeschluss“ auf der Homepage des Deutschen Bundestags, online unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/natodoppelbeschluss-200098. Vgl. auch Theo Sommer: Kompromiß beim Waldspaziergang, die Geschichte der Nitze-Kwitzinskij-Formel, bei Zeit Online, 03.06.1983, online unter https://www.zeit.de/1983/23/kompromiss-beim-waldspaziergang
  27. Siehe „Spiel mit dem atomaren Feuer“, bei Global Bridge, 03.01.2023, online unter https://globalbridge.ch/spiel-mit-dem-atomaren-feuer/. Vgl. Tilman Michael Dralle: Der Nato-Doppelbeschluss; neue geschichtswissenschaftliche sowie rechtliche Perspektiven auf eine umstrittene bündnispolitische Entscheidung, Oktober 2010, online unter http://tilman-dralle.de/pdf/Nato_Doppelbeschluss_Tilman_Dralle.pdf. Ein Übersichtsartikel über die Vorgeschichte des NATO-Doppelbeschlusses stammt von Hellmuth Vensky: Nato-Doppelbeschluss; Als der Kalte Krieg auftaute, in ZEIT Online, 12.12.2009,online unter https://archive.ph/20220213220130/https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2009-12/nato-doppelbeschluss/komplettansicht.  Eine Sammlung diplomatischer Dokumente findet sich bei Timothy McDonnell: The Euromissiles Crisis and the End of the Cold War: 1977-1987, auf der Homepage des Wilson Center, 07.07.2011, online unter https://www.wilsoncenter.org/publication/the-euromissiles-crisis-and-the-end-the-cold-war-1977-1987
  28. Siehe Wolfgang Richter: Stationierung von U.S. Mittelstreckenraketen in Deutschland Konzeptioneller Hintergrund und Folgen für die europäische Sicherheit, bei Friedrich-Ebert-Stiftung, Regionalbüro für Zusammenarbeit und Frieden in Europa, Juli 2024, online unter https://library.fes.de/pdf-files/bueros/wien/21371.pdf