Der neue US-Botschafter und LGBTIQ-Aktivist Scott Miller übergibt Bundespräsident und Außenminister Ignazio Cassis das Beglaubigungsschreiben. (Foto EDA, Thomas Holder)

So zerstört der US-Botschafter in der Schweiz die Kunst der Diplomatie

(Red.) Patrick Lawrence, ein prominenter Autor und Kolumnist in den USA, erklärt seinen eigenen Landsleuten, wie der US-Botschafter in der Schweiz, Scott Miller, alle diplomatischen Regeln mit Füßen tritt und der Schweiz vorzuschreiben versucht, wie sie sich politisch zu verhalten hat. Und er bezeichnet das die Schweizer und Schweizerinnen beleidigende Auftreten dieses Botschafters als typisch für die gegenwärtige Außenpolitik der USA. Sehr lesenswert! (cm)

Bin ich der einzige Amerikaner, der ins Ausland reist und sich peinlich berührt fühlt vom Verhalten der Diplomaten, die Washington ins Ausland schickt, um für unsere Republik zu sprechen? Es ist schon seltsam, wenn man sich als normaler Bürger für die aufdringlichen, einschmeichelnden, schikanösen, beleidigenden und anderweitig groben Äußerungen dieses oder jenes Botschafters in diesem oder jenem Land entschuldigen muss. Aber so ist der Stand der Dinge, wenn das Imperium in der Spätphase seine Ellbogen ausfahren lässt – ein Begriff, den ich mir von den Schweizern entliehen habe, die igegenwärtig unter uns leiden.

Scott Miller, der seit etwas mehr als einem Jahr Botschafter des Biden-Regimes in Bern ist, ist in der Tat ein Prachtkerl in dieser Branche. Seiner oft geäußerten Ansicht nach ist er in der Schweiz, um den Schweizern zu sagen, was sie tun sollen. Im Moment ist Miller im ganzen Land unterwegs, weil die Schweiz sich nicht an Washingtons Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine beteiligt. Er setzt Minister unter Druck, verunglimpft diejenigen, die die Weisheit des Krieges in Frage stellen, und beleidigt die Schweizer in Reden und Zeitungsinterviews. Es ist ein Ein-Mann-Angriff auf die lange, lange Tradition der Neutralität der Schweiz, der im Stil eines kaiserlichen Prokonsuls geführt wird, der eine abtrünnige Provinz diszipliniert. Schweizer Kommentatoren fragen sich, warum das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) diesen taktlosen Ignoranten noch nicht des Landes verwiesen hat. 

Wir sollten auf Leute wie Miller achten und auf das, was sie anrichten, auch wenn sie in unseren US-Konzernmedien nur selten Schlagzeilen machen. Es ist heute fast schon Geschichte, aber die Europäer wurden effektiv dazu gezwungen – und gelegentlich auf Führungsebene bestochen – den Amerikanern zu folgen, als diese den Ersten Kalten Krieg anzettelten und auslösten. Es ist ratsam, diesen Prozess nun in Echtzeit zu beobachten, damit die Realitäten des Kalten Krieges II nicht so leicht verdunkelt werden. 

So sollten sich Diplomaten verhalten

Nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, das seit 1961 in Kraft ist, ist es Diplomaten untersagt, sich in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes einzumischen. Das US-Außenministerium kümmert sich in letzter Zeit um dieses auch von der UNO geförderte Abkommen ebenso wie um das internationale Recht insgesamt: nämlich gar nicht, wie Sie feststellen werden, wenn Sie diese Männer und Frauen aus der Nähe beobachten. 

Ich weiß nicht, wann diese Verstöße gegen die Etikette und in der Tat gegen das Gesetz begonnen haben, aber im Moment sind illegale diplomatische Interventionen in die Politik anderer Länder die „Anti-Konventions-Konvention“ des US-Außendienstes. Diese Nötigungen sind der Schlüssel zu der konzertierten Kampagne des Biden-Regimes, die Welt erneut in konfrontative Blöcke aufzuteilen und jede Spur von prinzipieller Neutralität zu verwischen. Die Finnen haben nachgegeben und sind gerade der NATO beigetreten. Die Schweden können wir in dieselbe Schublade stecken. Jetzt sind es die Schweizer und ihre Neutralität in internationalen Angelegenheiten, die den Kopf hinhalten müssen. Das ist das Problem mit den liberalen Imperialisten: Sie können keine Abweichung von ihren illiberalen Orthodoxien dulden. Es war George W. Bush, der der Welt bekanntlich sagte: „Entweder sind Sie auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen.“ Amerikanische Liberale, die als Diplomaten eingesetzt werden, können von diesem Gedanken nicht genug bekommen …

Wenn Sie über den Verfall der Diplomatie zu einer grobschlächtigen Forderung nach Anpassung der Gastländer an die Wünsche anderer Mächte sprechen wollen, müssen Sie mit Andriy Melnyk beginnen, dem unverblümten Machtdelegierten, der die Ukraine bis Mitte 2022 in Berlin vertrat, als selbst das Selenskyj-Regime, dem es nie an pubertärem, beleidigendem Verhalten mangelte, ihn nicht mehr ertragen konnte. Melnyk hielt nichts davon, deutsche Minister „verdammte Arschlöcher“ zu nennen, wenn sie die Weisheit der Bewaffnung der Ukraine in Frage stellten, und feierte offen Stepan Bandera, den russenfeindlichen Judenmörder, der vor und während des Zweiten Weltkriegs mit dem Dritten Reich verbündet war. 

In Sachen Vulgarität ist Melnyk unübertroffen. Ich vermisse den Kerl, ganz ehrlich. Amerikanische Diplomaten wirken zwar geschliffener, aber sie stehen Melnyk in nichts nach, wenn es um die selbstgerechte Anmaßung geht, dass das, was Washington von anderen verlangt, auch das ist, was andere tun sollten. 

Sie ahnten, was kommen würde, als Mike Pompeo, Trumps Außenminister, Richard Grenell 2018 zum Botschafter in Berlin ernannte. Grenell drohte unter anderem deutschen Unternehmen mit Sanktionen – und zwar öffentlich! – für den Fall, dass sie sich an dem Nord Stream 2-Pipelineprojekt beteiligen würden, das, wie Seymour Hersh nun gründlich und überzeugend berichtet hat und dem (von Washington, Red.) nicht widersprochen wurde, vom Biden-Regime im vergangenen Jahr in einer verdeckten Operation zerstört wurde. Zu seiner Zeit hatte Richard Grenell Angela Merkel für die Öffnung der Tür der Bundesrepublik für syrische Flüchtlinge im Jahr 2015 niedergemacht. Seine umfassendere Mission, so erklärte Grenell, bestand darin, rechtsgerichtete europäische Führer zu ermutigen: Sebastian Kurz, der Rechtspopulist, der zu Grenells Zeiten als österreichischer Bundeskanzler amtierte, war in den Augen des amerikanischen Botschafters in Berlin „ein Rockstar“.

Man kann dies mit vielen Namen bezeichnen, aber „Diplomatie“ gehört nicht dazu. Für mich ist es ein Maßstab für Washingtons Verlust des Interesses an Dialog, Verhandlungen, Kompromissen – insgesamt an einem Verständnis für andere Länder und deren Interessen. Es ist die Diplomatie der Nicht-Diplomatie, wie ich bereits an anderer Stelle bemerkt habe. Diplomaten sind eigentlich die Hüter des Vertrauens zwischen den Nationen: Ordnungsgemäße Staatskunst erfordert, dass sie in der Lage sind, auch oder vor allem mit Gegnern zu sprechen. Aber die politischen Cliquen in Washington zeigen sich gleichgültig gegenüber dem Vertrauen, sogar unter Verbündeten, zugunsten einer sturen Unterwürfigkeit. 

Die Welt verdunkelt sich in vielerlei Hinsicht. Dieser Zusammenbruch der traditionellen Staatskunst ist ein sicheres Zeichen für unseren nicht gerade schleichenden Abstieg in eine Barbarei, die uns alle beunruhigen sollte. 

Zurück zu Scott Miller

Kommen wir zum Fall des Botschafters Miller, der im Januar 2022 als Beauftragter des Biden-Regimes in Bern eintraf. In den letzten Monaten hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Schweiz dazu zu bewegen, ihre Neutralitätspolitik aufzugeben und Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine zu liefern, während er gleichzeitig das Verbot für andere Länder aufhebt, Schweizer Waffen an das Kiewer Regime zu exportieren. 

Das ist schon auf den ersten Blick ein Irrweg. Ich würde sagen, dass der Versuch, die Schweizer zu überreden, ihre Neutralität aufzugeben, dem gleichkommt, den Amerikanern zu sagen, sie sollten die Unabhängigkeitserklärung beiseitelegen – außer dass das Neutralitätsprinzip in der Schweizer Geschichte viel weiter zurückreicht. Der Wiener Kongress garantierte der «Confoederatio Helvetica», so der offizielle Name der Schweiz, formell den neutralen Status, als er 1815 eine neue europäische Ordnung schuf. Schon vorhin hatten sich die Schweizer in internationalen Angelegenheiten seit dem späten Mittelalter als neutral betrachtet. 

Aber wen kümmert das alles? Wen kümmert es, dass die Schweizer stolz darauf sind, was sie durch ihre neutrale Rolle im Weltgeschehen erreicht haben – nicht zuletzt, aber nicht nur während und nach dem Zweiten Weltkrieg? Wen kümmert es, dass die Schweiz, weil sie formell neutral ist, seit 1961 die amerikanischen Interessen in Kuba und seit der Revolution von 1979 im Iran vertritt? Wen kümmert es, dass Genf eine Stadt ist, die, abgesehen von den Uhren, von ihrem Engagement für die Vermittlung lebt und in der zu viele Verhandlungen stattgefunden haben, um sie noch zählen zu können? 

Botschafter Miller kümmert das sicher nicht.

Sicherlich auf Anweisung des Blinken-Außenministeriums hat Miller die Schweizer in Reden und öffentlichen Foren dazu gedrängt, ihre langjährige Bestimmung aufzuheben, dass Länder, die in der Schweiz hergestellte Waffen kaufen, diese nicht reexportieren dürfen, sowie ihre Entschlossenheit, keine Waffen an Länder im Krieg zu verkaufen. Es zeugt von der Verzweiflung des Biden-Regimes, dass die Schweizer, deren Rüstungsexporte sich auf 900 Millionen Dollar pro Jahr belaufen, plötzlich unverzichtbar sind, um die Ukraine vor einer Niederlage zu bewahren. 

Die Schweizer sind keineswegs unverzichtbar. Der Gedanke ist lächerlich. Meines Erachtens ist die Absicht weitaus heimtückischer. Es geht darum, jeden Gedanken an Neutralität unter den Nationen zu beseitigen, und zwar im (unerklärten, aber offensichtlichen) Namen der Absicht des Biden-Regimes, alle für einen schönen, langen, profitablen neuen Kalten Krieg auf seine Seite zu bringen.

Bei seiner Ankunft beschimpfte Miller Schweizer Beamte, die den Sinn der von den USA und der Europäischen Union gegen Russland verhängten Sanktionen in Frage stellten. Die Schweizer Regierung hat die Sanktionen, die auf den Ausbruch der Feindseligkeiten im letzten Jahr folgten, widerwillig und umstritten mitgetragen, aber Miller hat Bern dazu gedrängt, nicht nur weitere Gelder, die von russischen Oligarchen angelegt wurden, zu sperren, sondern sie zu konfiszieren, damit sie nach Kiew geschickt werden können, um den eventuellen Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. 

Eine solche Konfiszierung ist schlichtweg illegal – etwas, das den USA völlig egal ist, der Schweiz aber sehr wichtig. Als zwei Journalisten der Neuen Zürcher Zeitung Scott Miller vor einigen Wochen in einem Interview dazu befragten, zog sich Miller in die wattebauschige Sprache zurück, die Amerikaner üblicherweise von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hören. „Das erfordert einen internationalen Dialog“, antwortete Miller. „Wir gehen davon aus, dass wir einen Weg finden werden.“ Mit anderen Worten: Wir bestehen darauf, dass Sie internationales Recht brechen – aber keine Sorge, wir machen das ständig.

Als die Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung darauf hinwiesen, dass der Schweizer Bundespräsident Alain Berset kürzlich die Neutralität der Schweiz verteidigt und frühzeitige Verhandlungen zur Beendigung des Krieges gefordert hatte, antwortete Miller: „Jeder kann zu Verhandlungen aufrufen.“ Sehr schön. Amerikanische Diplomatie in ihrer besten Form. Oder eben in ihrer typisch miesesten Form in diesen Tagen. 

Es ist bekannt, dass Miller sich in die Beratungen der Minister über die Sanktionen und die Waffenverkäufe eingemischt hat und an einer Stelle damit geprahlt hat, dass hohe Beamte des Schweizer Außenministeriums EDA „wissen, was wir erwarten“.  Aber es war eine Bemerkung, die Miller während des Interviews mit der Neuen Zürcher Zeitung gemacht hat, die ihn bei den Schweizern in schlechten Ruf gebracht hat. „In gewisser Weise ist die NATO ein Donut“ (ein handtellergroßes, ringförmiges Gebäck, Red.), sagte er mit erlesener Unsensibilität, „und die Schweiz ist das Loch in der Mitte.“

Die darauf folgende Empörung hat mir gefallen. Er habe die Schweiz als „Nichts in der Mitte eines fettigen amerikanischen Konfekts“ bezeichnet, rief Roger Kōppel, ein populistischer Abgeordneter des Nationalrats, des Unterhauses der Legislative, aus. „Bern hätte ihn sofort zurechtweisen müssen.“

Das hätte es tatsächlich tun sollen, aber es hat es nicht getan. Die einzigen Wähler, die mit Millers widerwärtigem Drängen sympathisieren, sind Teile der Geschäftswelt, die davon profitieren würden, wenn die Schweiz ihre Neutralität aufgeben würde, um den Amerikanern und den mit ihnen verbündeten politischen Gruppierungen zu gefallen. Miller wird bleiben, aber es ist nicht vorstellbar, dass die große Mehrheit der neun Millionen Einwohner der Schweiz einen so grundlegenden Wandel in der Politik – und auch in der nationalen Identität – akzeptieren würde. 

Und wie steht es mit der Demokratie?

Dies führt mich zu einem weiteren Punkt. Miller kann über sein Engagement für die Demokratie schwadronieren, wie er will, aber sein Verhalten seit seiner Ankunft in Bern zeigt, dass er sich einen Dreck um die Schweizer Demokratie schert – die eine beeindruckende direkte Demokratie ist –, wenn sie Washingtons imperiale Bestrebungen behindert. Sagen Sie mir bitte nicht, dass Sie schockiert sind: Amerikanische Diplomaten vertreten nicht mehr die Amerikaner im Ausland. Sie vertreten die amerikanischen Eliten gegenüber den Eliten anderer Länder. 

Miller ist 43 Jahre alt und kam mit seinem Partner ohne einen einzigen Tag Erfahrung in der Staatskunst an. Gemeinsam waren und bleiben sie Großspender der Demokratischen Partei und erwecken den Anschein, dass sie die Ernennung für Bern gekauft haben – eine gängige Praxis mindestens seit den Reagan-Jahren. Scott Miller ist ein Beispiel für den Preis, den solche Praktiken für unsere Institutionen in Form von Kompetenz bedeuten. 

Der Krieg gegen die Neutralität – und damit gegen Souveränität und Selbstbestimmung – geht weiter. Letzte Woche berichtete «Le Temps», die führende Genfer Tageszeitung, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (den Schweizer Bundesrat, Red.) Berset während dessen Besuchs in Berlin mit der Forderung konfrontierte, die Schweiz müsse „unbequeme, aber richtige Entscheidungen“ zur Neutralität, zu Waffenverkäufen und zur Ukraine-Frage treffen. „Wir hoffen, dass bestimmte Dinge erledigt werden“, fügte Scholz mit der ganzen Subtilität von… Scott Miller hinzu. 

Bestimmte Dinge werden nicht erreicht werden. Die Amerikaner werden dieses Spiel nicht gewinnen, egal, wie viele unterwürfige Olaf Scholzs sich in der Schweiz für sie einsetzen. Berset hat keine Zeit verschwendet, dies in Berlin deutlich zu machen. 

Mir gefiel die Reaktion von Benedict Neff, einem Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung, nach Millers „Hole-in-the-Donut“-Bemerkung. Diplomaten wie Miller „gehen ein erhebliches Risiko ein“, schrieb er. „Wenn ihre öffentlichen Zurechtweisungen zu selbstherrlich sind, lösen sie gereizte Reaktionen aus. Die Undiplomaten sind daher nützlich, um kritische Überlegungen über die eigene Politik anzustellen und ihr eine klarere Richtung zu geben.“

Das ist nicht immer so, wie es bei den Europäern aussieht – Scholz ist Beweis genug dafür –, aber es ist so, wie es sein sollte und wie man hofft, dass es so sein wird.

Zum Original dieses Artikels in US-englischer Sprache auf Scheerpost. Und hier zum Autor Patrick Lawrence. (Die Zwischenüberschriften hat die Redaktion Globalbridge.ch gesetzt.)