Mit «Das Zögern des Westens kostet viel Blut» und ähnlichen Schlagzeilen plädiert die meistgelesene Zeitung der Schweiz für eine Aufgabe der Schweizer Neutralität und für mehr Krieg in der Ukraine. (Screenshot der Seiten 2 und 3 der Ausgabe vom 1. Juli 2023 der «Schweiz am Wochenende»)

So lassen sich rund eine Million Schweizer und Schweizerinnen „informieren“.

Macht Medienkritik in einer Zeit, da fast alle großen Medien eh das Gleiche schreiben, überhaupt noch Sinn? Es gibt Tage, da hat man nur die eine Option: zur Vermeidung einer schlaflosen Nacht selber in die Tasten zu greifen. So geschehen – nicht zum ersten Mal – an diesem Wochenende in der Schweiz.

«Gemäss der Wemf-Studie Mach Basic 2022-2 ist die ‹Schweiz am Wochenende› mit einer Auflage von 376’976 Exemplare und 960’000 Leserinnen und Lesern die meistgelesene Zeitung der Schweiz. Die ‹Schweiz am Wochenende› erscheint in 26 Regionalausgaben und deckt die Gebiete der Nordwestschweiz, Zentralschweiz und der Ostschweiz ab, wie es in einer Mitteilung heisst. Das sei eine attraktive Plattform für Werbekunden, die Wert auf ein Qualitätsmedium mit hoher Reichweite legen würden.» Diese Information erschien am 13. Dezember 2022 auf der Medien-Plattform Persönlich.com

Zu ergänzen wäre: Wenn die ‹Schweiz am Wochenende› die meistgelesene Zeitung der Schweiz ist, dann ist sie nicht nur für Werbetreibende wichtig, dann müsste sie auch besonders verantwortungsvoll informieren und Platz für verschiedene Meinungen anbieten. Dem ist leider nicht so. Ein politisches Thema dominiert: Russland! Aber nein, es wird nicht über Russland informiert, wie über andere Länder informiert wird. Es wird über Russland nur in einem Sinn berichtet: Russland, und in Russland natürlich vor allem dessen Staatspräsident Wladimir Putin, ist allein schuld an der jetzigen geopolitisch äusserst gefährlichen Lage und allein schuld am Krieg in der Ukraine. Allein nur Russland!

In der Ausgabe der ‹Schweiz am Wochenende› vom 1. Juli gab es folgende Artikel über Russland zu lesen:

  1. Auf der Frontseite rechts oben ein Anriss: «Blocher warnt vor Putin – und Gauck kritisiert Neutralität». 
  2. Die ganzen zwei Seiten 2 und 3 erscheinen unter der Spitzmarke «Russlands Angriffskrieg». Hauptartikel: «Wie Putin die SVP umtreibt» – mit einem seitenübergreifenden Bild von Putin und drei kleineren Fotos von SVP-Politikern. Dann «98 Prozent der Schweizer sind innerlich auf der Seite der Ukraine; Christoph Blocher positioniert sich deutlicher gegen Russland als zuvor». Etwa 1/3-Seite groß, mit einem Foto von Blocher. Dann «Das Zögern des Westens kostet viel Blut», eine halbe Seite, mit einem Bild eines schwedischen Schützenpanzers.
  3. Seite 9: «Aber warum mag uns die Welt nicht?», ein Bericht der Korrespondentin aus Moskau, etwas mehr als eine halbe Seite, mit Bild von einer Pro-Putin-Demo in Moskau.
  4. Seiten 10 und 11: «Das Festhalten an einer absoluten Neutralität hilft den Russen», ein sich über zwei volle Seiten erstreckendes Interview mit dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, mit einem großen und zwei kleineren Fotos. Gauck, von zuhause aus christlicher Theologe, plädiert für mehr Waffen an die Ukraine und kritisiert die Schweiz: im Ukraine-Krieg müsse jedes Land Partei ergreifen. (Wie Joachim Gauck in seinem neuen Buch «Erschütterungen» für mehr Waffen an die Ukraine und für mehr Krieg plädiert, kann man auf Globalbridge.ch nachlesen.)
  5. Seite 19: Ein Kommentar «Verpasste Chance für Russlands Zivilgesellschaft», eine knappe halbe Seite groß. Auf der gleichen Seite eine Karikatur mit Panzern, die um eine (mit einem Kreuz als Schweiz markierte) Schildkröte herum eine Kurve machen, eine gute Viertelseite groß. 
  6. Seite 24: Eine weitere Karikatur. «Putin hat Schwein gehabt», sagt der eine, «Ja – Blutwurst vermutlich» meint der andere. Eine gute Viertelseite groß.
  7. In der Wochenendbeilage Seite 6: «Aufschrei gegen die Gleichgültigkeit». Und darunter er Vorspann: «Die Schriftstellerin Oksana Sabuschko fragt sich, warum Tausende von Büchern und Filmen über die Nazis uns nicht wacher machen gegenüber dem neuen faschistischen Reich Putins». Mit einem großen Foto eines Konzertes in der Ukraine.

Man rechne: Zehn Beiträge, davon zwei Karikaturen, und zehn Fotos zum Thema Russland und/oder Putin, auf zusammengezählt sechs (sechs!) vollen Zeitungsseiten. Inhalt: Bitte endlich mehr Waffen für die Ukraine, Russland muss besiegt oder von innen heraus zerstört werden, die Schweizer Neutralität muss zugunsten der Ukraine aufgegeben werden.

Und natürlich kein Wort über die Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine, über den von den USA unterstützten Putsch auf dem Kiever Maidan 2014, über die Provokationen der NATO mit ihrer Osterweiterung bis an die russische Grenze, mit Raketenbasen in Polen und in Rumänien und mit gigantischen Militärmanövern an der russischen Grenze, keine Information über die von der Schweiz mitgetragenen, mittlerweile zehn Sanktionen der EU gegen Russland, die Westeuropa und insbesondere Deutschland wirtschaftlich mehr schaden als Russland. Zehn Beiträge auf zusammengezählt sechs ganzen Zeitungsseiten, alles mit nur einem gemeinsamen Nenner: Wir müssen Putin, wir müssen Russland und wir müssen die Russen endlich mehr hassen. Es darf kosten, was es will: Wir müssen mehr Waffen liefern, um Russland zu zerstören.

Und all das in einer einzigen Ausgabe der meistgelesenen Zeitung in der viersprachigen Schweiz mit ihren rund neun Millionen Einwohnern.

Auch die Schweiz kannte schon bessere Zeiten.


Zur Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine.

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