Die deutsche «BILD» benützt den Einsatz russischer Legionäre in der Gegend um Belgorod nahe der ukrainischen Grenze, um auf die (vermeintliche) Schwäche der ordentlichen russischen Truppen hinzuweisen. (Screenshot)

Russische „Legionäre“ in Kiews Diensten

(Red.) Russland trauert um die Toten und Verletzten des Terroraktes vom Freitagabend. Eine Gruppe von vier bis fünf in Kampfuniform gekleideten Männern verschaffte sich Zutritt zu der am westlichen Stadtrand von Moskau gelegenen „Krokus-City“-Konzerthalle, in der die Band Picnic auftreten sollte. Die Konzerthalle fasst 6000 Zuhörer. Aus Moskau berichtet Ulrich Heyden. (Um 12.20 Uhr aktualisiert. Red.)

Auf Videos von Augenzeugen war zu sehen, wie die Terroristen im Foyer der Konzerthalle kaltblütig aus halbautomatischen Waffen auf Konzertbesucher schossen. Menschen liefen schreiend an die Ränder des Foyers, waren aber den Schüssen schutzlos ausgeliefert. In der Konzerthalle brach ein Brand aus und es gab eine Explosion. Ein Drittel der Konzerthalle brannte aus. 

Nach Mitteilung des russischen Ermittlungskomitees wurden 93 Menschen getötet. Nach Angaben des russischen Gesundheitsministeriums wurden 145 Menschen verletzt. In Moskau und weiteren russischen Regionen wurden Massenveranstaltungen am Wochenende abgesagt. Die Sicherheitsmaßnahmen an Bahnhöfen und Flughäfen wurden verstärkt. 

Der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Aleksander Bortnikow, gab bekannt, dass elf Personen – darunter auch vier Terroristen – verhaftet worden seien. Nähere Angaben wurden nicht gemacht. 

Kiew bestreitet Beteiligung an dem Terrorakt

Merkwürdig war die Reaktion der USA und der Ukraine auf den Terrorakt. Das Weiße Haus erklärte, Kiew habe mit dem Anschlag nichts zu tun, der „Islamische Staat“ stecke dahinter. Schon Anfang März hatten die USA vor Terrorakten in Moskau gewarnt, aber keine weiteren Angaben gemacht. Die Botschaft der USA in Moskau drückte ihr Beileid für die Opfer in Moskau aus.  

Das russische Außenministerium erklärte, die Reaktion der USA auf den Terrorakt „wirft Fragen auf“. Der Berater des ukrainischen Präsidenten, Michail Podoljak, erklärte, die Ukraine habe mit dem Anschlag in Moskau „nichts zu tun“. Zahlreiche Länder schickten Beileidsbekundungen nach Moskau, darunter auch Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Italien.

Russische Legionäre in Diensten Kiews greifen russische Grenze an

Dass der Anschlag in Moskau nur wenige Tage nach den russischen Präsidentschaftswahlen durchgeführt wurde, weckt den Verdacht, dass die Terroristen und ihre Hintermänner demonstrieren wollten, dass der Wahlsieger Wladimir Putin keine Kontrolle über Russland hat.  Auffällig war auch, dass bereits am 12. März, drei Tage vor dem Beginn der Präsidentschaftswahlen, eine Angriffswelle 1500 russischer Legionäre, die in Kiews Diensten stehen, auf die russische Grenze nahe der russischen Regionen Belgorod und Kursk begann. 

Die mehrtägigen Angriffe der drei Verbände „Legion Freies Russland“, „Sibirisches Bataillon“ und „Russischer Freiwilligen Korpus“ auf die russische Grenze wurden nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums alle zurückgeschlagen. Die Angreifer präsentierten allerdings ein Video, auf dem zu sehen ist, wie an einem Verwaltungsgebäude in einem russischen Dorf die staatlichen russischen Flaggen heruntergerissen wurden. Es ist unklar, ob die Szene gestellt wurde oder echt ist.  Wladimir Putin erklärte am 17. März, die Bataillone mit Personen russischer Herkunft, die für Kiew kämpfen, seien 1500 Mann stark, hätten aber starke Verluste erlitten. 

Nach Mitteilung des russischen Verteidigungsministeriums wurden in den Tagen vor der russischen Präsidentschaftswahl 580 Angreifer, welche die russische Grenze überqueren wollten, „vernichtet“. Die ukrainische Armee habe außerdem 19 Panzer, 21 gepanzerte Fahrzeuge, darunter 11 Bradley aus den USA, aufgeben müssen. In Ihrer Mitteilung unterschied das russische Verteidigungsministerium nicht zwischen „Legionären“ russischer Herkunft und der ukrainischen Armee.

Schweizer Radio – kaum verdeckte Sympathie für russische Legionäre

Die Sonderkorrespondentin des Schweizer Radio SRF, Judith Huber, berichtete am 22. März nicht neutral über die Angriffe auf russisches Territorium. Ihr Bericht war eine Mischung aus unbewiesenen Behauptungen und verdeckter Sympathie für die russischen Legionäre, wenn sie etwa sagte, die Angriffe der Legionäre auf russisches Territorium seien eine „PR-Aktion“, mit der sie „Kämpfer rekrutieren“ wollen „und dies insbesondere bei den Russen und Russinnen, die nach der Tötung des Kreml-Kritikers Navalny und nach den inszenierten Wahlen völlig desillusioniert und vielleicht deshalb jetzt offen sind für so einen Schritt.“ 

Woher weiß die Korrespondentin, dass die Russen desillusioniert sind?  War die Korrespondentin in dieser Zeit in Russland?  Hat sie mit Russen gesprochen? Sie erklärt auch nicht, wie das funktionieren soll. Man greift friedliche russische Dörfer an und dann laufen die desillusionierten Russen auf die ukrainische Seite über? 

Weiter behauptete die SRF-Korrespondentin Judith Huber, die Russen hätten „entsprechend mehrerer Quellen“ mit „großflächigem Bombardement“ ein Dorf auf russischem Territorium „ausradiert, so wie sie es auch in der Ukraine machen“. Ich fand bei meiner Recherche in den  russischen Medien keine Meldungen über Zerstörungen in russischen Dörfern durch die russischen Streitkräfte, geschweige denn „Flächenbombardements auf Dörfer“. Vermutlich stützte sich die SFR-Sonderkorrespondentin in ihrem Bericht diesbezüglich allein auf ukrainische Quellen.

Wladimir Putin: „Wir werden sie bestrafen, wo auch immer sie sind.“

Wladimir Putin erklärte am 19. März auf einer Sitzung des Kollegiums des russischen Inlandgeheimdienstes FSB, „ich bitte darum, so wie es immer in unserer Geschichte war, nicht zu vergessen, wer diese Leute sind, und sie namentlich zu identifizieren. Wir werden sie ohne Verjährungsfrist bestrafen, wo immer sie sich auch aufhalten.“ Putin erklärte weiter: „Wir erinnern uns, was die Wlassow-Leute auf der sowjetischen Erde angerichtet haben. Denen werden wir niemals vergeben.“

Der wiedergewählte russische Präsident verglich die russischen Freiwilligen-Bataillone in Kiews Diensten mit dem russischen General Wlassow. Dieser hatte 1944 in deutscher Gefangenschaft die „Russische Befreiungsarmee“ gegründet, welche die Wehrmacht im Kampf gegen die Rote Armee unterstützte.

In den letzten Tagen gab der russische Geheimdienst Verhaftungen von Personen bekannt, welche die „Legionäre“ von russischem Boden aus unterstützt haben sollen. Im Gebiet Belgorod wurde ein Mann verhaftet, der verdächtigt wird, dass er über Whatsup Kontakt mit dem rechtsradikalen Russischen Freiwilligen Korpus aufgenommen und Informationen über Stationierungsorte russischer Streitkräfte an das „Freiwilligen Korpus“ übergeben hat. 

„Forum Freies Russland“ unterstützt russische „Legionäre“

Fast zeitgleich zu den Angriffen auf die russische Grenze nahe Belgorod und Kursk fand am 17. März, dem letzten Tag der russischen Präsidentschaftswahl, in Kiew eine nicht öffentliche Veranstaltung des „Forum Freies Russland“ statt. Diese Organisation russischer Polit-Emigranten war 2016 von dem 42 Jahre alten Russen Iwan Tjutrin und dem ehemaligen Schachweltmeister Garri Kasparow in Vilnius gegründet worden. Auf dieser Veranstaltung in Kiew ging es um die Unterstützung russischer „Legionäre“ und um das Werben für Unterstützungsgelder und die humanitäre Hilfe für verletzte Legionäre. Die Absicht, stärker zusammenzuarbeiten, wurde von den Teilnehmern mit einem „Memorandum“ bekräftigt. Die Teilnehmer äußerten die Absicht, mit dem ehemaligen russischen Öl-Magnaten Michail Chodorkowski und der Gruppe um den verstorbenen russischen Oppositionellen Aleksej Navalny Kontakt aufzunehmen.

An der Veranstaltung in Kiew nahmen Vertreter der Kampforganisationen „Legion Freies Russland“, das „Sibirische Bataillon“ und der „Russische Freiwilligen Korpus“ teil. Über das „Freiwilligen Korpus“ ist bekannt, dass es mit dem rechtsradikalen Asow-Bataillon zusammen kämpfte. Nach russischen Medienberichten kämpfen in diesen von der ukrainische Armee-Führung gelenkten russischen Bataillonen auch russische Kriegsgefangene.

Zu den Teilnehmern der Veranstaltung in Kiew gehörten mehrere bekannte russische Liberale, die in den letzten Jahren nach Kiew emigriert sind. Anwesend war der russische Anwalt Mark Fejgin, der ein Mitglied der Punk-Rock-Gruppe „Pussy Riot“ vor einem russischen Gericht verteidigte, die russische Umweltaktivistin Jewgenija Tschirikowa, die in der Emigration in Estland lebt, sowie der ehemalige Abgeordnete der russischen Duma, Ilja Ponomarjow, der seit 2016 in Kiew wohnt. 

Ehemaliger Duma-Abgeordneter droht Russland mit Revolution

Der ehemalige Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow saß von 2007 bis 2016 für die Partei „Gerechtes Russland“ – einer kleinen, sozialdemokratischen Partei – im russischen Unterhaus. Gegenüber der britischen Zeitung „The Sun“ schlug der 48jährige im Januar dieses Jahres nun Töne an, die man schwerlich als sozialdemokratisch oder liberal bezeichnen kann. 

Ponomarjow erklärte, er sei „Aufständischer“ und befehlige „eine Armee von Anti-Putin Kämpfern“. Diese Armee werde in Russland eine Revolution machen. Im Interview mit The Sun deutet Ponomarjow an, dass es ein Untergrund-Netzwerk in Russland gebe, welches Anschläge ausführe. Einer dieser Anschläge sei eine Bombenexplosion in Sibirien im Severomuysky-Eisenbahn-Tunnel im November 2023 gewesen.

Öko-Aktivistin bekam Auszeichnung von Joe Biden

Unter den Teilnehmern der Veranstaltung in Kiew war auch die russische Öko-Aktivistin Jewgenija Tschirikowa. In Russland wurde die 48-jährige bekannt durch ihre Teilnahme an Protesten gegen den Autobahnbau durch einen Wald bei Chimki, nördlich von Moskau. Sie war auch Teilnehmerin der Protestaktionen gegen Wahlfälschungen nach der Duma-Wahl 2011. Im März 2011 bekam sie von dem damaligen amerikanischen Vize-Präsidenten Joe Biden die Auszeichnung „Woman of Courage Award “ überreicht. 

Auf der Veranstaltung in Kiew erklärte Tschirikowa, sie werde „wegen Anti-Kriegs-Tätigkeit“ in Russland als „Terroristin“ bezeichnet, worauf sie stolz sei.  Es gebe jetzt „die Chance, eine aufständische Anti-Putin-Armee zu gründen“. Diese Armee werde „die Ukraine befreien“ und Russland „von Putins KGB-Okkupanten“ befreien.  

Russischer Politemigrant Tjutrin: „Ich habe in Vilnius Polizeischutz“

Den russischen Oppositionellen, die seit 2014 nach Kiew und in andere osteuropäische Staaten übergesiedelt sind, beschreiben die Situation, in der sie sich befinden, als nicht ungefährlich. In einem Video-Interview, welches der in Kiew lebende liberale, russische Journalist Jefgeni Kiseljow mit Iwan Tjutrin, einem der Gründer der Emigranten-Organisation „Forum Freies Russland“ führte, erklärte Tjutrin, „Sicherheit im Ausland gibt es nicht. Siehe die Fälle Bandera und Trotzki“. Man erinnert sich: Der ukrainische Faschist Stepan Bandera wurde 1959 in München und der russische Revolutionär Lew Trotzki 1940 in Mexiko von russischen Agenten umgebracht. 

Tjutrin erklärte, er habe in Vilnius, wo er wohne, Polizeischutz beantragt und erhalten. Er habe Polizeischutz beantragt, weil das führende Mitglied des Navalny-Teams, Leonid Wolkow, vor kurzem in Vilnius von Unbekannten angefallen und verletzt wurde. 

Ehemaliger russischer Star-Moderator Kiseljow als „Terrorist“ gelistet

Wer ist Iwan Tjutrin? Der 42-jährige stammt aus der sibirischen Stadt Tomsk. Dort leitete er 2005 die vom ehemaligen Schachweltmeister Garri Kasparow gegründete „Bürgerfront“. 2008 bis 2012 hatte Tjutrin führende Positionen in der liberalen Oppositionsgruppe „Solidarnost“. 2012 verließ er aus Angst vor Strafverfolgung Russland und lebt seitdem in Vilnius, wo er 2016 mit Garri Kasparow das „Forum Freies Russland“ gründete.

Auf einer Konferenz des „Forums“ im Februar 2024 erklärte Kasparow, mit dem „Forum“ schaffe man einen Ort für Russen außerhalb Russlands. Die Aufgabe des „Forums“ sei es, „den Westen zu beruhigen, dass Russland nicht zerfällt und keine Atomwaffen in die Hände Chinas kommen“. Auf die Frage des Journalisten Kiseljow, „ob die russische Opposition Gewalt nicht mehr ausschließe“, antwortete Tjutrin im Interview mit Kiseljow, der politische Kampf „der Anti-Putin-Opposition in Russland ist nicht mehr effektiv. Der Krieg in der Ukraine hat die Lage verändert.“ 

Dass der Journalist Kiseljow so freundschaftlich mit Tjutrin über einen gewaltsamen Umsturz in Russland plauderte, ist schon bemerkenswert. Der 67jährige Kiseljow ist in Russland bekannt. Er war von 1992 bis 2003 Moderator des Wochenmagazins „Itogi“, welches der russische Fernsehkanal NTW ausstrahlte. NTW gehörte damals dem russischen Oligarchen Wladimir Gussinski. Seit Februar 2024 wird Kiseljow von den russischen Strafverfolgungsbehörden als „Extremist und Terrorist“ gelistet. 

Und was denken die Liberalen in Russland?

Ich vermute, dass sehr viele der Liberalen, die in Russland leben und früher Kundgebungen von Navalny und anderen Oppositionsführern besuchten, heute über die Äußerungen ihrer ehemaligen „Stars“ Kiseljow, Tjutrin, Tschirikowa und Ponomarjow erschreckt sind. Manchem wird ein kalter Schauer über den Rücken laufen. Man ist in den letzten 13 Jahren gegen Korruption und Wahlfälschung auf die Straße gegangen, aber nicht für einen gewaltsamen Umsturz mit Hilfe von rechtsradikalen Bataillonen.