Jalta am Schwarzen Meer war und ist ein beliebtes Ziel für Touristen – bis 2014 für Touristen aus der ganzen Welt, seither der westlichen Sanktionen wegen nur noch für Touristen aus Russland, aus der Ukraine und aus anderen Ländern, die noch frei reisen können. Und obwohl berühmt, Jalta ist kein Ort fü den Jetset! Die Preise für die Übernachtungen und in den Restaurants sind nicht überhöht, wer will kann dort sogar sehr preisgünstige Ferien am Meer erleben. (Im Bild die Promenade von Jalta, Foto Christian Müller).

Krim VI: Die imaginäre Krim und die reale Krim

(Red.) Stefano di Lorenzo, unser Korrespondent in Moskau, war diesen Frühling auf der Krim, um sich von der dortigen Situation ein eigenes, realistisches Bild zu machen. In diesem vorläufig letzten Bericht von seiner Reise schildert er, wie er mit einigen lustigen Experimenten herauszufinden versuchte, wie die dortige Bevölkerung, nachdem sie sich freiwillig wieder Russland angeschlossen hat, mit Ukraine-freundlichen Menschen umgeht. Und anderes mehr. (cm)

Zu Beginn dieses Jahres hätte ich mir sicher nicht vorstellen können, dass ich bald die Krim besuchen würde. Als sich die Gelegenheit bot, habe ich aber nicht lange überlegt. Sicherlich ist eine Reise auf die Krim heute mit Risiken verbunden, vor allem wegen des Krieges in der Ukraine und der Tatsache, dass allein die Einreise auf die Krim aus ukrainischer Sicht einen Rechtsverstoß darstellt. Für jemanden wie mich, der einen Teil seiner Familie (die Familie meiner Frau) in der Ukraine hat, stellte dies keine geringe Unannehmlichkeit dar. Aber ok, wenn ich ein vorhersehbares und völlig risikofreies Leben gewollt hätte, hätte ich mich wahrscheinlich nie dafür entschieden, als freiberuflicher Journalist zu arbeiten… 

Letztendlich haben die Neugierde und der Wunsch, die Krim mit eigenen Augen zu sehen, die Oberhand gewonnen. In den letzten Jahren wurde in Europa viel über die Krim gesprochen. Da die Zukunft Europas von den Ereignissen in der Ukraine und auf der Krim abhängig zu sein scheint, hielt ich es für meine berufliche Pflicht, die Krim zu besuchen und die Lage vor Ort zu verstehen.

Unruhe im Paradies

Die Landschaften und das Klima auf der Krim erinnern definitiv mehr an Italien als an das, was man in Russland erwarten würde. Aber Russland ist ja auch ein sehr großes und vielfältiges Land. Jahrzehntelang war die Krim vor allem ein Urlaubsort, die Region lebte vom Tourismus. Zu Sowjetzeiten wurde die Krim von acht Millionen Menschen pro Jahr besucht. Für viele Bürger der Sowjetunion war die Krim der Ort für den Sommerurlaub schlechthin. Zum Vergleich: Die spanische Insel Mallorca wurde im Jahr 2023 von 18 Millionen Menschen aus ganz Europa besucht. Zwischen 1991 und 2014, während der ukrainischen Jahre der Krim, wurde der Touristenstrom auf 5-6 Millionen Besucher pro Jahr geschätzt. Auf der Krim wurde zu dieser Zeit leider nicht viel investiert, der neue ukrainische Staat verfügte nicht über die wirtschaftlichen Mittel, um mit der Sowjetunion zu konkurrieren. Denn trotz aller wirtschaftlichen Probleme, die später zu ihrem Zusammenbruch führten, war die Sowjetunion in den Jahren des Kalten Krieges immerhin die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt gewesen.

Im Jahr 2019, dem letzten normalen Jahr vor dem Pandemie-Notstand, kamen nach offiziellen Angaben 7 Millionen Touristen auf die Krim. Eine ähnliche Zahl wie 2021, als die Pandemie-Beschränkungen zum Teil wieder aufgehoben wurden. Doch mit dem Beginn der letzten Phase des Ukraine-Krieges im Februar 2022 hat auch der Tourismus auf der Krim offensichtlich gelitten. Der neue Zivilflughafen in Simferopol, auf den viele auf der Krim zu Recht stolz waren, ist heute für den zivilen Flugverkehr nicht mehr in Betrieb. Nach Angaben des russischen Hotelbuchungsportals Ostrovok.ru lag der Anteil der Buchungen auf der Krim im Sommer 2023 bei nur einem Prozent, während im Jahr 2022 sich noch drei Prozent der Russen für die Krim entschieden hatten. Im Jahr 2021 waren es 19 Prozent gewesen. Kurzum, die Zahlen sprechen für sich. „Wir kommen knapp über die Runden“, sagt Olga, eine Frau, die Ferienwohnungen in Jalta vermietet. Jalta ist schon seit den Tagen des Zarenreichs das Juwel auf der Krim. 

Doch Geld ist nicht alles. Für viele hier auf der Krim standen der Geldbeutel und wirtschaftliche Erwägungen nicht immer unbedingt an erster Stelle.

Eine parallele Realität

Im Jahr 2014 nahmen die politischen Ereignisse in der Ukraine und in Europa eine völlig unerwartete Wendung. In Kiew triumphierte die pro-europäische Revolution über die „Diktatur“ des „pro-russischen“ Präsidenten Janukowitsch. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich fast komplettes Vertrauen in die europäischen Institutionen und die großen Medien gehabt. Wie viele andere junge Italiener, die wie ich in der Berlusconi-Ära aufgewachsen waren, hatte ich deutlich mehr Vertrauen in die Europäische Union als in die Institutionen meines eigenen Landes. In Italien lief alles schlecht, es gab keine Arbeit, es gab viel Korruption. Die Medien in den Ländern, die ernst zu nehmen waren, wie zum Beispiel Deutschland und England, sagten das ständig: Italien war ein marodes Land. Europa konnte über Italien und Berlusconi nur lachen. Ich erinnere mich an einige wenig respektvolle Titelseiten im «Spiegel», eine Zeitschrift, die ich damals trotz allem immer noch sehr hoch schätzte.

Aber zurück zur Ukraine und der Krim. In der Ukraine hatten die „europäischen Werte“ gesiegt, die einzigen wirklich akzeptablen Werte im 21. Jahrhunderts. Auf der Krim hingegen hatte Russland die Halbinsel nach einem Scheinreferendum annektiert. Ich lebte damals in Berlin, und meine Angelegenheiten erlaubten es mir nicht, in die Ukraine zu reisen, um mir selbst ein Bild von der Lage zu machen. Also begann ich über VKontakte, das russische Pendant zu Facebook, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die auf der Krim lebten, und sie zu fragen, was sie von den Ereignissen hielten. Dutzende, Hunderte von Menschen im Laufe mehrerer Wochen. Es waren die Gespräche mit diesen Menschen, jungen und alten, die für mich das Medien-Narrativ eines „illegalen Referendums“ und der „Annexion“ in Frage stellen liess. Natürlich waren meine Umfragen nicht wissenschaftlich perfekt, aber sie waren dennoch quantitativ und aus menschlicher Sicht von Bedeutung. 

Einst hatte ich davon geträumt, für The EconomistThe Times oder DIE ZEIT zu schreiben. Jetzt wuchs langsam mein Misstrauen gegenüber den großen Medien. Wie war es möglich, den Willen und die Stimmung der Krim-Bevölkerung so hartnäckig ignorieren zu wollen? Warum wurde in Kiew das Volk der Demonstranten glorifiziert, während die Leute auf der Krim verunglimpft und als ein Haufen mit sowjetischer Propaganda vollgestopfter seniler Narren hingestellt wurden, weil sie sich Russland nahe fühlten?

Natürlich sind Gesetze und Regeln wichtig. Aber warum konnte die Revolution in Kiew die Regeln brechen und die Menschen auf der Krim nicht? Die Rechtmäßigkeit des Referendums soll irgendwann von einem internationalen Gericht geklärt werden. Das ist nicht der erste Territorialstreit in der Welt und wird wahrscheinlich auch nicht der letzte sein. Aber die Menschen leben dort weiter auf der Krim. Sie können nicht 20 oder 30 Jahre warten, bevor ein Weltgericht ihr Recht auf Selbstbestimmung endlich legitimiert. Das Gesetz ist wichtig, aber das „nackte Leben“, das materielle Leben jenseits der Regeln und des Gesetzes, ist es auch. Das ist natürlich ein schwer zu verstehendes Konzept, wenn man sich dem Thema mit einer legalistischen Denkweise nähert. Aber wer war ich, um den Bewohnern der Krim vorschreiben zu können, wie sie sich selbst regieren und entscheiden sollten, mit wem sie zusammen sein wollten?

Die Ukraine hatte die Chance, die Krim zu kontrollieren, hatte sie aber leider vertan. Die Ukraine schien nicht in der Lage zu sein, die Logik des fragilen Gleichgewichts der friedlichen Koexistenz mit Russland verstehen zu wollen. 1991 hatte Russland der Ukraine zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Unabhängigkeit gewährt. Doch die Geburt einer Nation ist oft ein gewaltsamer und schmerzhafter Prozess, wie die jüngste ukrainische Geschichte einmal mehr zu beweisen schien. 

Doch kehren wir zurück in die Gegenwart. Glücklicherweise gibt es viele andere Sachen als nur Politik. 

Die Krim-Riviera

Meine russischen Freunde hatten mich davor gewarnt, dass Jalta ein etwas pompöser und aufgeblasener Ort sein könnte. Ich hatte eine Art russisches Cannes oder Monaco erwartet, mit überhöhten Preisen und vielen unnahbaren und etwas protzigen stinkreichen Leuten. Doch das war nicht der Fall. Auf der Promenade von Jalta tummelten sich Leute aller möglichen sozialen Schichten, es sah nicht aus wie ein Ort, an dem sich der internationale Jetset versammelt. Im Gegenteil. Preislich wirkte es wie ein ziemlich demokratisches Reiseziel. Auf den Straßen, vor allem im historischen Zentrum von Jalta, standen viele Menschen mit kleinen Schilden in der Hand, sie stellten ihre Wohnungen zur Verfügung, um sie für ein paar Tage an Touristen zu vermieten. Die Preise schienen recht günstig zu sein und begannen bei 3000 Rubel, etwa 30 Euro, pro Nacht für eine kleine Einzimmerwohnung.

Vielleicht lag es daran, dass es noch nicht Sommer war, die Hauptsaison würde erst in ein paar Monaten anfangen. Aber es waren immerhin die ersten Tage im Mai, die sogenannten Maifeiertage, zwischen dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wie auch in Europa, und dem 9. Mai, dem Tag des Sieges über Nazi-DDeutschland. Dieses Jahr fiel auch das russische-orthodoxe Osterfest dazwischen. Die Promenade in Jalta war voll, die Restaurants auch.

Apropos Restaurants, auch hier waren die Preise recht bescheiden. Zumindest aus europäischer Sicht. Jalta ist sicherlich etwas teurer als weniger touristische Orte auf der Krim, aber nicht viel mehr. Für zehn bis fünfzehn Euro pro Person zu speisen, ein Getränk inbegriffen, ist nicht so schwierig. Und wenn man nicht in einem Restaurant essen will, gibt es viele Kantinen, in denen man für zwei bis fünf Euro essen kann. Es gibt viele Cafés und Restaurants mit tatarischer und ukrainischer Küche, die ich eifrig besuchte, um mich davon zu überzeugen, dass die russischen Behörden nicht daran interessiert waren, alle Spuren nicht-russischer Kulturen auszuradieren, wie ich es oft in den Zeitungen gelesen hatte. Auf der anderen Seite kann ich mich nicht an viele russische Restaurants in der Ukraine erinnern, wie zum Beispiel auch nicht in Polen…

Die Zeit in Jalta verging wie im Flug. Das Meer hat immer eine hypnotisierende und beruhigende Wirkung. Zumindest für ein paar Tage gelang es mir, nicht an den Krieg zu denken. In Jalta gibt es, anders als in Sewastopol, keine strategischen militärischen Ziele, und die Menschen kommen, um das Leben zu genießen. Aber alles Gute hat irgendwann ein Ende, und wir mussten nach Simferopol zurückkehren. Eines heiterte mich auf: Ich hatte herausgefunden, dass es zwischen Jalta und Simferopol die längste Trolleybuslinie der Welt gibt, und wir würden mit ihr fahren. Ich war gespannt.

Jalta und Simferopol sind 84 Kilometer voneinander entfernt. Es gibt mehr als 60 Haltestellen zwischen den beiden Städten. Der Obus fährt entlang der Küste zwischen Jalta und Aluschta, einem anderen berühmten Urlaubsort, und steigt dann das Krimgebirge hinauf, bis auf eine Höhe von fast 800 Metern. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ein solcher Bus in diese Höhe fahren kann. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gibt es Trolleybusse in fast jeder Stadt, aber Trolleybusse zwischen Städten sind eine sehr seltene Sache. Die Fahrt zwischen Jalta und Simferopol dauert etwa drei Stunden. Aber gut, man kommt nicht auf die Krim, um wie ein Besessener überall rumzulaufen. Auf der Krim will man jeden Augenblick genießen…

Auf der Suche nach der Ukraine

Manchmal bedeutet es, als Journalist zu arbeiten, sich in komische Situationen zu begeben. Letztes Jahr, nachdem ich (von der westlichen Presse) erfahren hatte, dass in Moskau wie im Rest der Welt die „Barbie-Manie“ ausgebrochen war, hielt ich mehrere Stunden lang Frauen auf der Straße an und fragte sie, was sie von Barbie hielten. Da ich nur relativ junge Frauen ansprach, denke ich, vielleicht hätte in Europa früher oder später die eine oder die andere die Polizei angerufen, dann wäre die Polizei gekommen und ich hätte eine schöne Anzeige gekriegt. Auch damals in Russland sahen mich einige Frauen an, als würde ich etwas völlig Absurdes fragen, vielleicht auch wegen meines Akzents, fürchte ich. Die Polizei kam aber nicht.

In Simferopol hingegen hatte ich die brillante Idee, auf der Straße Ukrainisch zu sprechen, und zwar laut, damit die Leute es hören konnten. Ja, ja, ich weiß, laut zu sprechen ist überhaupt nicht schön, aber das hatte ja einen Aufklärungszweck. Meine Frau und ich spazierten im Park und sprachen eine Stunde lang Ukrainisch. Abgesehen von ein paar leicht neugierigen und überraschten Blicken gab es keine Reaktion. Niemand sagte etwas zu uns. 

Die «Gemeinschaft der Ukrainer auf der Krim», die ich besucht hatte, schenkte mir dann eine weiße Baseballkappe mit der Aufschrift „Festival der ukrainischen Kultur“. Die Gemeinschaft ist sehr pro-russisch, aber ich bezweifle, dass die Leute auf der Straße das wussten. Ich habe das Pech, einen großen, eckigen Kopf zu haben, und ich habe noch nie eine Kappe oder einen Hut gefunden, die mir halbwegs passen würden. Normalerweise würde ich deshalb nie im Leben eine Kappe tragen. Dennoch bin ich zwecks eines sozialen Experiments ein paar Tage lang durch Simferopol und Sewastopol mit meiner Kappe mit der Aufschrift „Festival der ukrainischen Kultur“ gegangen. Am Ende erwies sich das Experiment als langweilig. Niemand sagte etwas zu mir, nicht einmal ein böser Blick, nichts…

Die «Gemeinschaft der Ukrainer auf der Krim» war tatsächlich sehr großzügig mit Geschenken gewesen. Neben der Kappe hatten sie mir auch viele von ihnen herausgegebene Bücher geschenkt, viele davon mit Texten in zwei Sprachen, Russisch und Ukrainisch. Mein Ukrainisch ist etwas improvisiert, aber ich lese gerne auf Ukrainisch, selbst wenn ich nicht alles verstehe. Das Problem war, dass die Menge an Büchern, Zeitungen und Zeitschriften langsam zu viel für meinen einzigen Koffer wurde. Ein Rad des Koffers zeigte bereits erste Ausfallerscheinungen, worüber meine Frau gar nicht erfreut war und mir, wie es sich gehört, die Schuld zuschob. Es musste etwas getan werden, um den Koffer leichter zu machen, ansonsten würde ich Ärger von meiner Frau kriegen. So kam ich auf die Idee, ein weiteres Experiment durchzuführen und zu versuchen, einige der ukrainischen Bücher an eine Bibliothek in Sewastopol zu spenden. Natürlich ist es nicht schön, etwas zu spenden, das man geschenkt bekommen hat. Aber dies war eine Notsituation…

Ich ging also in die erste Bibliothek, die ich im Stadtzentrum sah, die „Morskaja Biblioteka“, zu Deutsch „Meeresbibliothek“, im Jahr 1822 für Offiziere der Schwarzmeerflotte gegründet. Ich erkläre die Situation. Die Dame ist sehr erfreut, dass ich Bücher spenden möchte. Dann sage ich ihr, dass die Bücher auf Ukrainisch sind, und die Dame: „Verstehen Sie, das ist die Bibliothek der Offiziere der Flotte, das wäre nicht sehr willkommen…“. Klar, kann ich nachvollziehen. Es wird interessanter. Endlich. Ich frage eine junge Frau auf der Straße, wo es eine andere große Bibliothek in der Stadt gibt, und sie verweist mich an die Tolstoi-Bibliothek, die größte der Stadt. Auch hier erkläre ich die Situation und sage, dass die Bücher auf Ukrainisch sind. Hier nimmt man sie ohne Probleme, ohne mit der Wimper zu zucken… 

* * *

An der Universität in Simferopol wurde ich zu einem Gespräch mit Studenten der Fakultät für Politikwissenschaft und Journalismus eingeladen. Viele sind sehr jung, erst im zweiten Semester. Wahrscheinlich denken viele von ihnen, dass es viel interessantere Dinge zu tun gäbe, als in diesem Klassenzimmer zu sitzen. Ich kann nicht ausschließen, dass sie Recht haben. Ich stelle mich kurz vor. Ich bin Ausländer, ich nehme mir dann die Lizenz, Dinge zu sagen, die sich wahrscheinlich nicht gehören: „Ich denke, es ist nicht richtig, die Ukraine zu verteufeln, denn früher oder später wird man mit ihr leben müssen“. Viele der Studenten haben Familie und Verwandte in der Ukraine. Ich habe selbst eine kurze Zeit in der Ukraine gelebt, aber ich muss davon ausgehen, dass sie die Ukraine viel besser kennen als ich. Die Diskussion wird plötzlich lebhafter. Viele Studentinnen und Studenten wollen jetzt ihre Sicht der Dinge äußern. „Wir dämonisieren die Ukraine nicht, wir sehen einfach, wie sie sich mit uns all diese Jahre benommen hat“, sagt ein Junge, der eigentlich bis vor kurzem in Kiew wohnte. „Ich spreche nicht mehr mit meinen Verwandten“, sagt ein anderer Student.

Ein weiterer Beweis dafür, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine in Wirklichkeit ein Bruderkrieg ist, ein Krieg von Bruder gegen Bruder, von Kindern gegen Eltern. Jahrelang haben die Menschen in der Ukraine die in Russland oft geäußerte Vorstellung, Russen und Ukrainer seien brüderliche Völker, mit Ärger abgelehnt. Die Ukrainer hatten keine Lust mehr, der jüngere Bruder zu sein, jetzt wollten sie alle Verbindungen zu Russland abbrechen. Europa und Amerika ermutigten sie dabei. Heute muss leider die Ukraine die Folgen dieser fatalen Entscheidung am eigenen Leib erleben. Wie lange kann das noch dauern?

Siehe dazu von Stefano di Lorenzo: «Die Krim zehn Jahre danach», «Krim II: Kertsch – Antike, Widerstand und Brücken». «Krim III: Die Krim und die Geopolitik des Schwarzen Meeres», «Krim IV: Wem gehört die Krim?», «Krim V: Selenskyj und die Krim»

Siehe zur Krim auch die Berichte von Christian Müller, der die Krim im Frühling 2019 persönlich besucht hat: