Auch am 1. Januar 2023, dem 114. Geburtstag von Stepan Bandera, wurde der Nazi-Kollaborateur und an der Juden-Vernichtung in der Ukraine in führender Position Beteiligter, in Lviv von zahlreichen Verehren gefeiert.

In der Ukraine wird Stepan Bandera noch immer verehrt

(Red.) Wie Globalbridge.ch vor ein paar Tagen berichtet hat, gibt es in der Ukraine immer noch Bestrebungen, den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera, der 2010 vom damaligen ukrainischen Staatspräsidenten Wiktor Juschtschenko posthum zum Nationalhelden ernannt wurde, zusätzlich zu verehren, zum Beispiel mit der Umbenennung von Straßen oder Sportanlagen auf seinen Namen oder auf den Namen eines seiner Mitläufer. Und der kollektive Westen schaut einfach weg – zum Glück mit Ausnahmen. Die US-amerikanische Plattform «History News Network» hat eben einen Artikel von Norman J. W. Goda aus dem Jahr 2010 veröffentlicht, einem auf Holocaust-Studien spezialisierten Professor an der «University of Florida», der daran erinnert, welch traurige Figur dieser in der Ukraine noch immer verehrte Mann Stepan Bandera tatsächlich war. (cm)

Am 22. Januar 2010 ehrte der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko Stepan Bandera, indem er ihm posthum die staatliche Auszeichnung „Held der Ukraine“ verlieh. Der sowjetische KGB ermordete Bandera, einen ukrainischen Nationalisten im Exil, im Jahr 1959.  Viele Ukrainer, darunter auch ukrainische Emigrantengruppen in Kanada, drängten damals Juschtschenko, die Ehrung zu vorzunehmen, die, wie es in einer Erklärung hieß, „die Gerechtigkeit und die Wahrheit über Bandera und den von ihm angeführten Befreiungskampf wiederherstellen würde.“ Bis zum heutigen Tag betrachten viele Ukrainer Bandera als einen gemarterten Freiheitskämpfer. 

Als kompromissloser Anführer des militanten, terroristischen Zweigs der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) wurde Bandera zum Nazi-Kollaborateur, der nach Beginn des Zweiten Weltkriegs mit seinen Stellvertretern unter deutschem Schutz lebte. In Vorbereitung des Angriffs auf die UdSSR rekrutierten die Nazis Banderas Anhänger als ukrainischsprachige Polizisten und für den Dienst in zwei ukrainischen Freiwilligenbataillonen. Durch seine Zusammenarbeit mit den Nazis hoffte Bandera, die Ukraine von der sowjetischen Herrschaft zu befreien und in der Ukraine eine eigene Regierung zu errichten. Eine unabhängige Ukraine, so versprach Bandera, würde Deutschland gegenüber freundlich gesinnt bleiben.

Der Historiker Karel Berkhoff hat unter anderem gezeigt, dass Bandera, seine Stellvertreter und die Nazis eine zentrale Obsession teilten, nämlich die Vorstellung, dass die Juden in der Ukraine hinter dem Kommunismus und dem stalinistischen Imperialismus standen und vernichtet werden mussten. „Die Juden der Sowjetunion“, hieß es in einer Erklärung der Banderisten, „sind die treuesten Anhänger des bolschewistischen Regimes und die Vorhut des moskowitischen Imperialismus in der Ukraine.“ Als die Deutschen im Juni 1941 in die UdSSR einmarschierten und die ostgalizische Hauptstadt Lemberg (heute Lviv, Red.) einnahmen, gaben Banderas Gruppenführer in seinem Namen eine Unabhängigkeitserklärung heraus. Sie versprachen außerdem, eng mit Hitler zusammenzuarbeiten, und halfen dann bei einem Pogrom, bei dem innerhalb weniger Tage viertausend Lemberger Juden mit unterschiedlichen Waffen, von Gewehren bis hin zu Metallstangen, ermordet wurden. „Wir werden eure Köpfe zu Hitlers Füßen legen“, verkündete ein banderistisches Pamphlet an die ukrainischen Juden.

Die Deutschen hatten die Absicht, die Ukraine für sich zu behalten. Sie verhafteten Bandera deshalb wegen seiner Uneinsichtigkeit in der Frage der Unabhängigkeit, ließen ihn aber 1944 wieder frei, als sich abzeichnete, dass seine Popularität bei den Ukrainern dazu beitragen könnte, den sowjetischen Vormarsch aufzuhalten. Doch unabhängig von ihrer Enttäuschung über die Deutschen, von deren Judenpolitik, der allein schon in der Ukraine schließlich über 1,5 Millionen Juden zum Opfer fielen, haben sich die Banderisten nie distanziert.

Dies ist eine Realität, die viele in der Ukraine, insbesondere in den westlichen Landesteilen, immer noch leugnen. In seinem Buch «Ausgelöscht» (2007) befasst sich Omer Bartov mit der großen Bronzestatue von Bandera, die in einem Park in der ostgalizischen Stadt Drohobytsch steht, in der die meisten der dort lebenden 15.000 Juden ermordet wurden.  Der Park befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Ghettos der Stadt, aber für die jüdischen Toten gibt es im Park nicht einmal eine Gedenktafel. Dieses und andere ähnliche Beispiele machen es notwendig, Juschtschenkos Schritt, Stepan Bandera zum Staatshelden zu erklären, zu verurteilen.

In der ostgalizischen Stadt Drohobytsch steht da, wo früher das jüdische Ghetto war, zu Ehren Stepan Banderas eine Bronzestatue. Für die dort ermordeten etwa 15.000 Juden aber gibt es nicht einmal eine Gedenktafel, wie der Historiker Omer Bartov schreibt.

Und so ging es weiter

Aber auch der Rest der Geschichte, die zum großen Teil aus 2007 veröffentlichten CIA-Aufzeichnungen hervorgeht, offenbart die Ironie von Juschtschenkos Auszeichnung. Nach dem Krieg lebte Bandera in München. Der britische Geheimdienst setzte ihn ein, um Agenten in die Ukraine einzuschleusen, die nachrichtendienstliche Informationen sammeln und den ukrainischen Untergrund gegen die Sowjets unterstützen sollten. Die CIA setzte einige von Banderas ehemaligen Kumpanen aus ähnlichen Gründen ein, aber nie Bandera selbst, da Bandera in seine eigene Legende vernarrt war. „Bandera“, so heißt es in einem CIA-Bericht aus dem Jahr 1948, „ist von Natur aus ein politisch Unnachgiebiger mit großem persönlichem Ehrgeiz, der sich … allen politischen Organisationen in der Emigration widersetzt hat, die eine repräsentative Regierungsform in der Ukraine befürworten, im Gegensatz zu einem Einparteien-Regime der OUN/Bandera“.

Ukrainische Quellen bestätigten, dass „die kämpfenden Menschen in der Heimat … nicht bereit waren, [Bandera] als Diktator zu akzeptieren“, und dass Banderas Programm „für die Widerstandsbewegung in der [Ukraine] unannehmbar war“. 1952 trat Bandera vorübergehend vom Amt des OUN-Chefs zurück, unter dem Druck „der wachsenden Opposition gegen seine Führung unter … hochrangigen nationalistischen Führern, die ihn wegen seiner totalitären Taktik ablehnten.“ Banderas spätere Gereiztheit und seine Beharrlichkeit, alle Facetten des ukrainischen Untergrunds im In- und Ausland selbst zu leiten, veranlassten die Briten, ihn 1953 fallen zu lassen. Da er keine hochrangigen Kontakte mehr hatte, die ihm zuhörten, stand Bandera nun im Abseits.

Dank seiner Selbstdarstellung in der Presse und im westdeutschen Rundfunk blieb Bandera aber bei Tausenden von ukrainischen Emigranten in Westdeutschland beliebt.  Seine sichtbare Aktivität veranlasste den westdeutschen Geheimdienst (BND) 1956 zur Kontaktaufnahme. Bis 1959 half der BND Bandera dabei, eine neue Generation ukrainischer Agenten aus Westdeutschland in die UdSSR zu schleusen. General Reinhard Gehlen, der Leiter des BND, hatte während des Krieges den Nachrichtendienst der Wehrmacht in der UdSSR geleitet (er war Chef der Abteilung Fremde Heere Ost, Red.). Er und seine Untergebenen waren sicherlich mit Banderas Kriegsvergangenheit vertraut. Weniger vertraut war ihnen die Tatsache, dass der BND inzwischen von sowjetischen Agenten durchdrungen war. Am 14. Oktober 1959 traf Bandera mit hochrangigen BND-Beamten zu einem Mittagessen zusammen, um die Ausweitung der Operationen in der Ukraine zu besprechen. Am nächsten Tag ermordete der KGB Bandera in seinem Wohnhaus in München.

Da Bandera seine eigene Legende förderte und die Sowjets hinter seinem Tod steckten, bezeichneten ihn Emigranten, die es nicht besser wussten, als den gemarterten Führer der Ukrainer im Ausland. Fünfzehnhundert Menschen nahmen an seiner Beerdigung in München teil. US-Beamte hingegen stellten fest, dass Banderas „Taktik der starken Hand“ und „Wettbewerb mit anderen Emigrantengruppen“ dazu führten, dass „viele Emigrantenfiguren sein Ableben persönlich offensichtlich nicht bedauern“.  Sein Tod bedeutete nichts für die CIA-Operationen gegen die sowjetische Herrschaft in der Ukraine, die von denselben Emigrantenführern abhingen, die, obwohl sie während des Krieges Anhänger von Bandera waren, ihren ehemaligen Chef als selbstdarstellerische Karikatur entsorgt hatten. Sie setzten ihre Arbeit unter der Vormundschaft der CIA bis zum Zusammenbruch der UdSSR fort. Dies ist aber eine andere Geschichte.

Es ist ein trauriger Ausdruck des ukrainischen Gedächtnisses, dass der Mann, der im Januar 2010 zum Helden der Ukraine erklärt wurde, eine Bewegung anführte, die tief in den Holocaust verstrickt war. Erfreulicher ist die Tatsache, dass zum Zeitpunkt von Stepan Banderas Tod die meisten ukrainischen Führer ihn längst als gefährlichen Scharlatan abgeschrieben hatten, der seiner eigenen Sache schadete. Als er starb, tanzte Bandera nur noch mit dem gefährlichsten Geheimdienst des Kalten Krieges, wo die Sowjets jeden seiner Schritte beobachten konnten. Mit anderen Worten: Diejenigen, die ihn heute als Helden bezeichnen, sind ebenso dumm wie sie widerwärtig sind. (Im Westen der Ukraine wird Bandera immer noch verehrt, wie das Aufmacherbild oben vom 1.1.2023 zeigt. Red.)

Zum Originalartikel von Norman J. W. Goda.
Siehe dazu auch «Nazi-Symbolik ist in der Ukraine omnipräsent» (auf Globalbridge.ch).
Siehe dazu auch: «So hat meine Grossmutter den Holocaust in der Ukraine überlebt» (auf Infosperber.ch)