Friedensformel oder Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln?
Am Samstag und Sonntag, 28. und 29. Oktober, fand in Malta ein Treffen statt, an dem nationale Sicherheits- und Außenpolitikberater aus 66 Ländern (dies gemäß ukrainischen Quellen, nach anderen Quellen „aus mehr als 50 Ländern“) teilnahmen, um den sogenannten „ukrainischen Friedensplan“ zu besprechen. Der an diesem Wochenende in Malta abgehaltene Gipfel war nun der dritte seiner Art nach den Treffen im Juni in Kopenhagen in Dänemark und im August in Jeddah in Saudi-Arabien.
Der von Malta auf Einladung der Ukraine organisierte Gipfel hatte eines der wichtigsten Ziele darin, den Ländern des „Globalen Südens“ den „ukrainischen Friedensplan“ vorzustellen. Viele dieser Länder werden von der Ukraine und dem Westen als zu fern gesehen und deshalb nicht daran interessiert, sich für eine Seite im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, der im Februar letzten Jahres ausbrach, zu entscheiden.
Der Gipfel fand in einem nicht genannten Hotel in Malta hinter verschlossenen Türen statt. Die Teilnehmerzahl stieg im Vergleich zum letzten Treffen leicht an. Im August waren 50 Länder bei dem Treffen in Jeddah. Nach Malta schickten einige Länder ihre Vertreter persönlich, andere nahmen nur via Zoom teil. Für die Schweiz war Botschafter Gabriel Lüchinger, Chef der Abteilung Internationale Sicherheit im Departement EDA, dabei. Ein großer Unterschied zum letzten Gipfel war die Abwesenheit Chinas. Nach dem letzten Treffen in Saudi-Arabien hatten viele im Westen gehofft, dass die Anwesenheit Chinas eine Distanzierung Chinas von Russland bedeuten würde. Am Ende entschied sich China jedoch, diesmal nicht teilzunehmen.
Und Russland?
Auch Russland war in Malta nicht dabei. Zum einen war Russland gar nicht eingeladen worden, zum anderen war Russland auch nicht interessiert daran, an einer Veranstaltung dieser Art teilzunehmen. Die Abwesenheit Russlands zeigt, dass der Ausdruck „Friedensgespräche“ unsachgemäß ist, um über diese Art von Treffen zu sprechen. Doch genau der Begriff „Friedensgespräche“ wird von vielen internationalen Medien und Nachrichtenagenturen aufgegriffen. „Die Ukraine führt in Malta Gespräche über die Friedensformel, Russland ist abwesend“, schreibt beispielsweise die Agentur Reuters. Als ob die Ukraine an Frieden interessiert wäre, Russland jedoch nicht.
Die ukrainische Interpretation des Begriffes „Friedensplan“
Doch eine Analyse, die über das flache verbale Framing und politische PR hinausgeht, zeigt, wie wenig Friedfertigkeit in dieser Initiative tatsächlich steckt. So berichtet beispielsweise der ukrainische staatliche Fernsehsender «Freedom» über das Treffen in Malta.
„Ein notwendiger Punkt für die Verwirklichung des ukrainischen Friedensplans ist, dass die Ukraine auf dem Schlachtfeld den Sieg erringen muss“, sagen ukrainische Experten.
„Verhandlungen mit Russland, das nur die Sprache des Stärkeren versteht, sind nur aus der Position des Siegers heraus möglich.“
Der ukrainische Sender spricht sogar über „die Kontrolle internationaler Partner über das russische Atomarsenal“. Das scheint ja schon ziemlich verwunderlich, um es gelinde zu formulieren. Aber es ist nicht das erste Mal, dass in der Ukraine ein derart ehrgeiziges Ziel zum Ausdruck gebracht wird, und zwar in aller Ernsthaftigkeit.
„Das Sanktionsregime gegen Russland darf in den nächsten 30 Jahren, am besten in den nächsten 50 Jahren, nicht aufgehoben werden“, sagt ein anderer Experte in demselben Bericht.
«Freedom» ist ein staatlicher Sender, wir möchten es nochmals bekräftigen, nicht irgendein unbedeutender Fernsehkanal aus der ukrainischen Provinz. Es ist einer der wenigen verbliebenen ukrainischen Sender, die auf Russisch senden, da es seit seiner Gründung im Jahr 2015 die Aufgabe hatte, ein russischsprachiges Publikum anzusprechen, um „die russische Propaganda zu bekämpfen“.
Dies ist also der Kern des „ukrainischen Friedensplans“, ein Ausdruck, der entschieden irreführend sein kann. Mehr als ein Friedensplan scheint es eine diplomatische Offensive zu sein. Diplomatie als eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, um Clausewitz zu paraphrasieren. Eine diplomatische Offensive, die angesichts der bescheidenen Ergebnisse der viel gepriesenen ukrainischen Gegenoffensive an Bedeutung noch gewinnt.
So äußerte sich beispielsweise ein Experte des «Center for European Policy Analysis» (CEPA), einem der wichtigsten amerikanischen Think Tanks, der großen Einfluss auf die Gestaltung der transatlantischen Beziehungen hat und sich stets sehr aktiv für die ukrainische Sache engagiert, zum Treffen in Jeddah: „Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass der Ausgang dieses Krieges irgendwo anders als auf dem Schlachtfeld entschieden wird. Aber die Ukraine muss sich offen für multilaterale Friedensbemühungen zeigen. In Jeddah geschah dies.“
Wir erinnern daran, dass der sogenannte „ukrainische Friedensplan“ vor einem Jahr erstmals von der Ukraine auf der UN-Generalversammlung vorgestellt wurde. Der ukrainische Friedensplan sieht den Abzug aller russischen Soldaten aus der Ukraine, einschließlich der Krim, und die Wiederherstellung der ukrainischen Kontrolle über das gesamte Territorium des Landes innerhalb der international anerkannten Grenzen von 1991 vor. Die Ukraine besteht darauf, dass dieser Punkt nicht verhandelbar sei.
Es ist klar, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass Russland einen solchen Plan akzeptieren könnte. Selbst in Kiew macht man sich diesbezüglich keine Illusionen. Tatsächlich heißt es in der Ukraine oft, dass Verhandlungen mit der aktuellen russischen Regierung und mit Putin als Präsident unmöglich seien. Kurz gesagt, ja zu den „Friedensplänen“, ja zu den „Friedensgesprächen“, aber es ist nicht klar, mit wem. Wir erinnern daran, dass der ukrainische Präsident Selenskyj aufgrund eines von ihm im letzten Jahr erlassenen Präsidialdekrets gar nicht mehr das Recht hat, Verhandlungen mit der Russischen Föderation zu führen.
Der Ausdruck „Friedensplan“ ist eine Formel, die vielen Hoffnung geben kann. Leider handelt es sich im Fall der Ukraine nicht um einen realistischen „Friedensplan“. Es gibt keine klare Absicht einer pragmatischen Lösung des Konflikts. Es handelt sich also eher um zeremonielle Erklärungen, nichts Konkretes, was an einen PR-Stunt erinnern kann. Im vergangenen Jahr gab es seit Beginn des Krieges echte Friedensgespräche. Russland und die Ukraine hätten praktisch eine Einigung erzielt, die Ukraine würde keine Gebiete verlieren und sich zur Neutralität verpflichten. Leider wurden die Vereinbarungen, wie hier auf Globalbridge.ch bereits mehrmals berichtet, sabotiert: Siehe hier und hier und gerade gestern wieder hier.
Dies dürfte jedem unvoreingenommenen Betrachter klar sein. Doch nein, im Westen besteht man darauf, den „ukrainischen Friedensplan“ als realisierbares Projekt, ja als einzig mögliches Szenario darzustellen. Der militärische und diplomatische Sieg der Ukraine sei die einzig akzeptable Lösung. Über Russland wird ständig gesagt, dass es alles auf den Krieg gesetzt habe, doch genau das Gleiche lässt sich auch über die westlichen Establishments und Institutionen sagen, die Frieden, jeden Friedensversuch und auch Verhandlungen ablehnten. „Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen“, schrieb Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, schon im April 2022.
Kurz gesagt, der „ukrainische Friedensplan“ scheint eine weitere Demonstration der „Politik des Spektakels“ zu sein, einer zeremoniellen Politik, die wie eine Reality-Show wirkt: nur Form, kein Inhalt. Ein Friedensplan sollte per Definition ein Programm sein, das sich den Frieden als konkretes Ziel stellt, nicht die Erklärung einer Liste von Kriegszielen oder ein Brief an den Weihnachtsmann. Die ukrainische Diplomatie, die keine lange Tradition hinter sich hat, scheint die Jugendsünden eines unendlichen Ehrgeizes zu zeigen, der sich vom Realitätssinn nicht begrenzen lassen will. Das echte Problem besteht aber darin, dass der ukrainische „Friedensplan“ auch von der gesamten westlichen Diplomatie unterstützt wird.
Heute wird der realistischen Schule der internationalen Beziehungen vorgeworfen, sie sei zynisch und in Wirklichkeit nicht mal so realistisch. Doch wenn wir uns das tägliche Spektakel der Politik der symbolischen Geste ansehen, die von der Welt vom „Ende der Geschichte“, der besten aller möglichen Welten, zur Rückkehr des Schreckgespenstes einer direkten Konfrontation zwischen Atommächten geführt hat, kann man nicht anders als schlussfolgern, etwas mehr Realismus wäre unbedingt nötig und vor allem auch erfolgsversprechender.
P.S. der Redaktion Globalbridge.ch: Der sogenannte «Peace Plan» oder die «Peace Formula», wie er auch genannt wird, ist kein Aufruf zu Friedensgesprächen, sondern die ukrainische Forderung an Russland, eine bedingungslose Kapitulation zu unterschreiben. Die „Sünden“ auf ukrainischer Seite, der Putsch auf dem Maidan 2014 und die Einsetzung einer neuen, USA-hörigen Regierung, die Nicht-Einhaltung von «Minsk II», die 8 Jahre andauernden Bombardierungen der Städte im Donbass mit gegen 15.000 Toten, die Schließung des Nord-Krim-Kanals zur Aushungerung der Krim-Bevölkerung, die kulturwidrige Sprachpolitik gegen die russischsprachige Bevölkerung, die Schließung zahlreicher nicht genehmer Medien, das Unwesen der ukrainischen Oligarchen, die extrem hohe Korruption der ukrainischen Verwaltung, die gezielte Interoperabilität mit den NATO-Truppen, etc etc, all das wird im sogenannten “Friedensplan“ mit keinem Wort erwähnt. Selenskyjs absolut inakzeptabe „Peace Formula“ kann in englischer und darunter in deutscher Sprache hier nachgelesen werden. (cm)