Diese Art von Arbeitsplätzen ist dank technischem Fortschritt verschwunden. Aber haben alle “überflüssig" gewordenen Mitarbeiterinnen auch einen neuen und besseren Arbeitsplatz gefunden? Die Arbeitslosigkeitsrate in Japan stieg von 2,6% im Jahr 1985 auf 5,4% im Jahr 2002. Das Bild zeigt die Produktion von CANON-Kameras in Japan Mitte der 1980er Jahre. (Foto Christian Müller)

Eine Milliarde «überflüssige Menschen» dank Künstlicher Intelligenz?

(Red.) Vor zehn Jahren, im Jahr 2013, veröffentlichte Ilija Trojanow ein kleines Büchlein, inkl. Literaturverzeichnis keine 100 Seiten stark, mit dem provokativen Titel «DER ÜBERFLÜSSIGE MENSCH». Der 1965 in Sofia in Bulgarien geborene Publizist, der aus beruflichen Gründen seines Vaters auch viele Jahre in Afrika lebte, machte in diesem seinem absolut hervorragenden Essay darauf aufmerksam, wie die immer raffiniertere Technik die brandgefährliche Spaltung der Menschheit in wenige Superreiche und immer mehr Arme noch zusätzlich verstärkt. Das Büchlein ist eine Pflichtlektüre für alle Politiker! Jetzt warnt auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz davor, dass die Künstliche Intelligenz (KI) viele zusätzliche Millionen von Menschen in die Armut abstürzen lassen wird – ein Horrorszenario.(cm)

„Ich bin zuversichtlich, dass die KI großartig sein wird, wenn wir das Richtige tun. Aber die Frage ist: Werden wir in unserem politischen Einflussbereich auch wirklich das Richtige tun? Und ich denke, das ist viel problematischer.“

Der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz sagte diese Woche, er sei sehr besorgt über das Potenzial der unregulierten Künstlichen Intelligenz, die globale Ungleichheit noch zu verstärken, die schon während der Coronavirus-Pandemie nachgerade explodierte, als Milliardäre ihren Reichtum in die Höhe schießen sahen, während Dutzende von Millionen in die Armut gedrängt wurden.

„Ich bin sehr besorgt“, sagte Stiglitz, der im Jahr 2001 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, gegenüber «Scientific American». „In gewisser Weise haben Roboter physische Routinearbeiten ersetzt. Und die künstliche Intelligenz ersetzt jetzt die Routinearbeit der Angestellten – oder sie ersetzt sie nicht, aber sie reduziert die Nachfrage. Ich denke also, dass Arbeitsplätze, die Routine-Jobs waren, gefährdet sein werden.“

„Und davon gibt es so viele, dass es einen makroökonomischen Effekt auf das Niveau der Ungleichheit haben wird“, fügte Stiglitz hinzu. „Es könnte auch das Gefühl der Desillusionierung verstärken: [An Orten, an denen die Deindustrialisierung stattfand, gab es einen] Anstieg der Todesfälle durch Verzweiflung. Sie waren an bestimmten Orten zu finden, aber diese Routinearbeit findet überall statt“.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der «Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung» (OECD) kommt zu dem Schluss, dass die KI „wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze haben wird“, da die Unternehmen die sich schnell entwickelnde Technologie weiterhin einsetzen. „Betrachtet man alle Automatisierungstechnologien einschließlich der KI, so fallen 27 Prozent der Arbeitsplätze in Berufen mit hohem Automatisierungsrisiko“, schätzt die OECD.

Stiglitz räumte ein, dass KI „mit den richtigen politischen Maßnahmen“ zu „höherer Produktivität und weniger Ungleichheit führen könnte, und es würde allen besser gehen“. „Aber man könnte sagen, dass die politische Ökonomie, die Art und Weise, wie unsere Politik bisher funktioniert hat, nicht in diese Richtung geht“, sagte Stiglitz. „Auf der einen Seite habe ich also die Hoffnung, dass KI großartig wäre, wenn wir das Richtige tun würden. Aber die Frage ist: Werden wir in unserem politischen Bereich das Richtige tun? Und ich denke, das ist viel problematischer.“

Stiglitz ist nicht der einzige Wirtschaftswissenschaftler, der sich Sorgen über die disruptiven und potenziell schädlichen Auswirkungen macht, die KI auf Arbeitnehmer in aller Welt haben könnte, insbesondere wenn die Regierungen den wachsenden Forderungen nach einer strengeren Regulierung der Technologie nicht nachkommen.

Yingying Lu, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für angewandte makroökonomische Analyse der «Crawford School of Public Policy», schrieb Anfang des Jahres, dass „obwohl Ökonomen unterschiedliche Meinungen zu den Auswirkungen von KI haben, es eine allgemeine Übereinstimmung unter den Wirtschaftsstudien gibt, dass KI die Ungleichheit erhöhen wird“. „Ein mögliches Beispiel hierfür könnte eine weitere Verlagerung des Gewinns von der Arbeit zum Kapital sein, wodurch die Arbeitsplätze noch mehr gefährdet werden“, fügte sie hinzu.“

Stiglitz warnte auch davor, dass die KI im Kontext eines Systems entwickelt wird, in dem „die Arbeitnehmer keine große Verhandlungsmacht haben. In einer solchen Welt könnte die KI ein Verbündeter des Arbeitgebers sein und die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer noch mehr schwächen, was die Ungleichheit noch verstärken könnte“, so Stiglitz. „Die Regierung muss versuchen, die Innovation so zu lenken, dass sie die Produktivität steigert und Arbeitsplätze schafft, statt sie zu vernichten.

Zum Originalbeitrag von Jake Johnson auf «Common Dreams», in dem zahlreiche Verlinkungen auf wissenschaftliche Studien zu diesem Thema eingefügt sind. So etwa wird dort auf eine UNDP-Studie verwiesen, wonach allein in den letzten drei Jahren weltweit zusätzliche 165 Millionen Menschen in die Armut abgerutscht sind (bei einer angenommenen Armutsgrenze von 3,65 US-Dollar, also USD 110 Monatseinkommen pro Kopf).

Es kann nicht intensiv genug zum Lesen empfohlen werden: Ilija Trojanow: Der überflüssige Mensch. Ein äusserst wichtiges Buch, um die heutige Situation und die ihr drohende Verschlechterung zu verstehen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. – Zur Biographie von Ilija Trojanow hier.

Und was machen all die Kleinbauern, wenn die moderne Technik ihre kleinen Äcker in industriell bewirtschaftete Monokulturen verwandelt? Die mitarbeitenden Ehefrauen werden weder bei der Berechnung der Arbeitslosenquote noch beim GDP mitgerechnet. Das Bild zeigt den Markt in Santa Cruz in Peru im Jahr 1995. (Foto Christian Müller)