Der Kopf des in Kiel stehenden Denkmals für Zar Peter III. Damit soll daran erinnert werden, dass dieser Mann in seiner kurzen Regierungszeit etliche fortschrittliche Dekrete erlassen hatte und dass die Stadt Kiel auf ihren russischen Zar durchaus stolz sein darf.

Eine außergewöhnliche Reise nach St. Petersburg

(Red.) Die Beziehungen zwischen Russland und den deutschen Landen sind nicht erst seit dem 20. Jahrhundert abwechslungsreich und interessant, zumal in früheren Jahrhunderten auch verwandtschaftliche Beziehungen im Adel hineinspielten. Eine besonders interessante Figur in diesem Bereich war Zar Peter III., der in Kiel geboren wurde. In Kiel gibt es deshalb einen Verein, der sich um diese historisch bedeutsame Persönlichkeit besonders kümmert und im vergangenen September eine Informationsreise nach St. Petersburg unternommen hat. Hier der Reisebericht eines Teilnehmers. (cm)

Seit einiger Zeit bin ich Mitglied der Deutsch-Russischen Gesellschaft Kiel. Dieser Kulturverein besteht seit vielen Jahrzehnten und setzt sich aktiv für Zusammenarbeit und gute und freundschaftliche Beziehungen mit den Menschen in der Russischen Föderation ein. Angesichts der sich derzeit immer weiter zuspitzenden gefährlichen Gegnerschaft zwischen den USA und den Regierungen des Westens einschließlich Deutschlands auf der einen Seite und der russischen Regierung auf der anderen Seite sind solche Kontakte aus meiner Sicht wichtiger als je zuvor.  Deshalb habe ich mich über die Einladung des Kieler Zarenvereins, zusammen mit meiner Frau an der oben genannten Reise vom 8. bis 14. September und der dort geplanten völkerverbindenden Aktion teilnehmen zu können, sehr gefreut, zumal ich vorher noch nie in St. Petersburg, dem früheren Leningrad, gewesen bin und so die Möglichkeit erhalten habe, in dieser überaus schwierigen Zeit eine der herausragenden Kulturhauptstädte der Welt mit eigenen Augen zu sehen und mit den Menschen dort zu sprechen.

Wirken des Kieler Zarenvereins

Über den von einer Gruppe von Historikern im Jahr 2008 gegründeten Kieler Zarenverein, der anhand der vorhandenen Archivalien eigene Forschungen zu Zar Peter III. (1728-1762) betreibt, informiert eine gelungene Website

Der in Kiel als einziger Sohn aus der Ehe zwischen Herzog Carl Friedrich von Holstein-Gottorf und Anna Petrowna, der ältesten Tochter Peters des Großen, geborene und 1762 auf den russischen Thron gelangte Zar Peter III. galt über fast 250 Jahre hinweg als wenig populär in Russland. Seine Gattin, die spätere Kaiserin Katharina die Große, die in ihrem Ehrgeiz schon früh Intrigen gegen ihn inszenierte und seinen Sturz nach nur 186 Tagen Regierungszeit herbeiführte, sorgte auch dafür, dass sein Ruf nachhaltig beschädigt wurde. 

Historiker begannen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert in ihren Forschungen, Peter III. differenzierter und objektiver zu beurteilen. Man würdigte jetzt zunehmend sein Reformwerk, das eine Modernisierung Russland vorantreiben sollte. 

Peter III. war von den Gedanken der Aufklärung bewegt und ein großer Bewunderer von Friedrich dem Großen. Er hat in seiner kurzen Regierungszeit tatsächlich über 200 fortschrittliche Dekrete erlassen. Dazu gehörten die Abschaffung der Folter und die Freilassung von politischen Gefangenen, die Ermöglichung von Schulbildung für die unteren Volksschichten und eine verbesserte Volksbildung, die Einführung einer Luxussteuer für Reiche, die Beschränkung der Rechte der Orthodoxen Kirche und vor allem erste Maßnahmen zur Aufhebung der Leibeigenschaft. 

Dem Wirken des Kieler Zarenvereins ist es gelungen, Sponsorengelder zu sammeln, sodass 2014 ein eindrucksvolles lebensgroßes Bronzedenkmal von Peter III. mitten in Kiel aufgestellt werden konnte, das von dem bekannten russischen Bildhauer Alexander Taratynov geschaffen worden ist. Das seit zehn Jahren am Kieler Schloss befindliche Denkmal stellt Peter III. überdies als Friedensstifter dar, denn durch seinen Waffenstillstand mit Preußen 1762 trug Peter III. ganz entscheidend dazu bei, den Siebenjährigen Krieg in Europa zu beenden, der etwa eine Million zivile und militärische Opfer gefordert hatte. So lenkt seit 2014 dieses eindrucksvolle höchst populäre interaktive Denkmal den Blick von Bewohnern und Touristen der Landeshauptstadt Kiel auf die ambitionierten Vorhaben des Holsteiners auf dem Zarenthron, der eine ungewöhnliche historische Persönlichkeit gewesen ist.

Festakt für das erste Denkmal Peters III. in Russland

Am 8. September 2024 reiste eine neunköpfige Delegation des Kieler Zarenvereins über Hamburg, Gdansk und Kaliningrad nach St. Petersburg. „Flugreisen des Vereins in die ehemalige Zarenhauptstadt in früheren Jahren dauerten von Hamburg aus zweieinhalb Stunden. Jetzt benötigen wir aufgrund der EU-Restriktionen zwei Tage“, beklagten Delegationsmitglieder. Dennoch zahlten sich die Strapazen für die Besucher aus. Bei Sonne und Temperaturen über 25 Grad konnte man das umfangreiche Besuchsprogramm genießen. 

Die Delegation des Kieler Zarenvereins wurde von der verantwortlichen Leitung der ehemaligen Residenz Peters III., Oranienbaum, begrüßt und zunächst durch den Palast und das gerade restaurierte Bilderhaus Peters III. geführt. Darauf folgte eine eindrucksvolle Zeremonie zur Übergabe des Denkmals vom Kieler Zarenverein an das Peterhof-Museums-Reservat.

Die Delegation aus Deutschland mit dem neuen Zar Peter III.-Denkmal in Oranienburg.

Ein weiterer Höhepunkt des Festaktes wurde von einem musikalischen Trio präsentiert: Eine erst kürzlich in den Archiven wiederentdeckte Auftragskomposition des Großfürsten Peter an den Italiener Domenico Dall’Oglio wurde den Gästen von Musikern mit historischen Instrumenten auf einer Violine, einem Cello und einem Cembalo dargeboten. Die Violine gehörte zur Sammlung Zar Peters III. und wurde im Jahr 1741 gefertigt.

Anschließend hatte die Direktion von Peterhof die deutschen und russischen Gäste des Festaktes zu einem kulinarisch anspruchsvollen Büfett im Park von Oranienbaum unter den milden Temperaturen eines ungewöhnlich schönen Spätsommerabends geladen. 

Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Peterhof Museen brachte dabei das als historisch zu bezeichnende außergewöhnliche deutsch-russische Ereignis auf den Punkt. Sie nannte es das „Mirakel von Oranienbaum“ und spielte damit auf das „Mirakel des Hauses Brandenburg“ an. So bezeichnete man den plötzlichen Friedensschluss Russlands unter Zar Peter III. mit Brandenburg-Preußen 1762, der Friedrichs Königreich vor dem Untergang bewahrte.

Als Resümee der feierlichen Übergabe des Denkmals – gestaltet vom gleichen Künstler – für den in Kiel geborenen russischen Zaren an das Peterhof-Museums-Reservat in Oranienbaum stellen die Mitglieder des Kieler Zarenvereins fest, dass nach nunmehr 262 Jahren der entscheidende symbolische Schritt erfolgt ist, das Urteil über die kulturellen und politischen Leistungen Peters III. künftig nicht nur in der Forschung, sondern auch in der populären Darstellung nach außen zu revidieren.

Totenehrung am Grab von Peter III.

Neben der offiziellen Übergabe des Denkmals in Oranienbaum und einer Vereinbarung über gemeinsame wissenschaftliche Projekte war ein weiterer Höhepunkt die Totenehrung in der Peter- und Pauls-Kathedrale am Grab von Peter III.. Zu diesem Zweck erhielten die Mitglieder der Kieler Delegation von der wissenschaftlichen Leiterin der Kathedrale, Marina Logunova, exklusiv den direkten Zugang zu den Gräbern der Romanow-Dynastie. 

Am marmornen Sarkophag des Herzogs von Holstein und Zaren Peters III. hatte eine Delegation vor elf Jahren ein Schmuckgefäß mit deutscher und russischer Inschrift plaziert, in dem sich Erde aus dem Kieler Schlossgarten befindet. Die Erde und die Kunstblumenbouquets mit Schleifen der jeweiligen Kieler Abordnungen der vergangenen Jahre in beiden Sprachen werden von der Leitung der Kathedrale seither wohl gehütet und befinden sich auch heute noch auf dem Grab des Kaisers. In diesem Jahr legte die Kieler Delegation Blumen nicht nur auf den Sarkophag Peters III., sondern ebenfalls auf die Gräber der unmittelbaren Familienmitglieder: seiner Mutter Anna Petrowna, seines Sohnes, des Kaisers Paul, und seiner Tante, der Zarin Elisabeth. 

Konzert und Bilderausstellung im Königsberger Dom

Da die umständliche Reise von Norddeutschland nach St. Petersburg über Danzig und Königsberg führt, durfte sich die Delegation auf ihrem Rückweg an einem Kurzbesuch in der alten Hauptstadt Ostpreußens, dem heutigen Kaliningrad, erfreuen. Diese Stadt hatte ich im Frühjahr 2023 anlässlich des 299. Geburtstags von Immanuel Kant im Rahmen einer Reise, die von der Deutsch-Russischen Gesellschaft Kiel organisiert worden war, zum ersten Mal besucht. 

Kaliningrad liegt in der russischen Oblast gleichen Namens, dem nördlichen Teil des früheren Ostpreußens. Sie ist deren attraktive Hauptstadt und hat ein lebendiges Kulturleben, in dem der bedeutende deutsche Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant (1724- 1804), der in Königsberg gelebt und gewirkt hat, in hohen Ehren gehalten wird.

Auch in Kaliningrad wurden wir diesmal, wie 2023, von russischen Freunden empfangen, die den Besuch eines Orgelkonzerts im Königsberger Dom organisiert hatten, das am 13. September, wie jedes Jahr, anlässlich des Jahrestages des Wiederaufbaus des Gotteshauses gegeben wurde. Anschließend hatte die Kieler Delegation das große Glück, im Dom eine beeindruckende Ausstellung des Kaliningrader Künstlers Romanas Borisowas zu besuchen. Die dort ausgestellten Aquarelle des Malers zeigen die Ruine des Königsberger Doms höchst eindrucksvoll aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Dom und das ganze Stadtzentrum waren bekanntlich bei der Bombardierung Königsbergs vor 80 Jahren im August 1944 von englischen Bombern fast völlig zerstört worden. 

Weiteres Programm unserer Reise

Neben dem offiziellen Programm gehörten an den verbliebenen Tagen der ereignisreichen Reise die obligatorische Stadtrundfahrt mit dem Bus und eine Bootfahrt auf der Newa und ihren Seitenarmen zum touristischen Programm. Dabei konnten wir die in St. Petersburg unzählig vorhandenen und im vollen Glanz strahlenden Prachtbauten und Perlen der Weltarchitektur aus dem 18. und 19. Jahrhundert bestaunen. Zum Kulturprogramm gehörte weiterhin ein Theaterbesuch. Ausgewählt hatten die Organisatoren unserer Reise im Theater in der Eremitage das Ballett „Schwanensee“ mit der Musik von Tschaikowski, das mich tief beeindruckt hat.

Untergebracht waren wir in einem erstklassigen Hotel im Zentrum von Petersburg, sodass wir es bei unseren abendlichen Spaziergängen nicht weit hatten zum Newski-Prospekt, auf dem bis tief in die Nacht ein reges Leben zu beobachten war. Nichts weist dort für die vielen Besucher und Touristen aus aller Welt darauf hin, dass Russland sich derzeit in einem schrecklichen Krieg in der Ukraine befindet, von dem der weltbekannte US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer sagt, dass die USA dafür die Hauptverantwortung tragen. Dieser Krieg muss auf diplomatischem Weg sofort beendet werden, wenn eine weitere unser aller Leben bedrohende Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg vermieden werden soll.

Am Schluss unserer Reise nach St. Petersburg war es einigen Teilnehmern ein Bedürfnis, das Mahnmal auf dem Piskarjowskoje-Friedhof zu besuchen, wo ein Teil der mindestens 1 Million Todesopfer der 900 Tage andauernden Hunger-Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht während des 2. Weltkriegs in Massengräbern bestattet worden ist. In einem Pavillon am Eingang des Komplexes sind neben Fotos die erschütternden Tagebucheinträge der 10-jährigen Tanja Sawitschewa ausgestellt. Dort heißt es: „Sawitschews sind tot. Alle sind tot. Nur Tanja ist übriggeblieben.“

Danksagung: Dem Vorsitzenden des Kieler Zarenvereins, Jörg Ulrich Stange, sei für die Unterstützung bei der Abfassung dieses Artikels gedankt. Jörg Ulrich Stange ist Autor des historischen Sachbuchs „1757-1762. Ostpreußen unter der Zarenherrschaft. Russlands Preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg“, das 2023 im Lau-Verlag, Reinbeck, erschienen ist. Außerdem hat der Lehrer für Geschichte und Englisch ein Buch für Kinder ab 6 Jahren über Peter III. mit dem Titel „Aufregung im Ostseeschloss“ geschrieben, das über die ersten 14 Lebensjahre des späteren russischen Kaisers in Kiel berichtet.    

Man beachte auch: St. Petersburg. Dumont-Reisetaschenbuch. Dumont Reiseverlag, 1. Auflage 2021, S. 246-247
Zum Autor: Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Kolenda

(Red.) Schön, dass es in Deutschland noch Vereine gibt, die sich für gute Beziehungen zwischen Deutschland und Russland einsetzen. Es gibt ja leider vor allem die gegenteiligen Bestrebungen. In Prag zum Beispiel hat der Bürgermeister von Prag 6 die Statue von Ivan Stepanowitsch Konev entfernen lassen, weil es nicht mehr ins westliche Narrativ passt, dass es die Rote Armee war, die Europa von der Nazi-Herrschaft befreite. Konev war jener russische General, dessen Truppen Auschwitz befreiten und der dann auch mithalf, Prag zu befreien. Siehe hier. (cm)