Die Ukraine ist das ärmste Land Europas – der Reichtum steckt in den privaten Geldsäckeln der dortigen Oligarchen und der korrupten Administration. Der Europäische Rechnungshof hat im Jahr 2021 geschätzt, dass jedes Jahr zig Milliarden Dollar einfach verschwinden. (Foto Christian Müller)

Die Ukraine in der EU? Was wäre zu erwarten?

Aktuelle Umfrage: Nur gut ein Drittel der EU-Bevölkerung befürwortet EU-Beitritt der Ukraine. Kiew erhielte ein Achtel des gesamten EU-Etats. Rückkehr ukrainischer Flüchtlinge für Wiederaufbau erforderlich.

(Eigener Bericht) – Vor dem heute beginnenden EU-Gipfel zeichnen sich weitreichende Konsequenzen eines etwaigen ukrainischen EU-Beitritts immer deutlicher ab. Eine aktuelle Analyse aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bestätigt, dass der Ukraine, wäre sie EU-Mitglied, rund ein Achtel des EU-Budgets zustünde – bis zu 180 Milliarden Euro. Reiche EU-Staaten wie Deutschland müssten netto erheblich mehr an die Union zahlen. Um den Wiederaufbau zu stemmen, wäre Kiew nicht nur auf weitere Hunderte Milliarden Euro angewiesen. Es müssten auch so viele ukrainische Flüchtlinge wie nur irgend möglich zur Rückkehr in das kriegszerstörte Land veranlasst werden. Von dem Plan, zwecks Finanzierung des Wiederaufbaus Auslandsguthaben der russischen Zentralbank zu beschlagnahmen, nimmt Brüssel inzwischen Abstand: Andere Länder könnten sich die Methode zum Vorbild nehmen und ihrerseits etwa deutsche Auslandsguthaben einziehen, um nie geleistete Reparationen für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg zu bekommen. Dabei zeigt eine aktuelle Umfrage, dass ein etwaiger EU-Beitritt der Ukraine von kaum einem Drittel der Bevölkerung der Union befürwortet wird.

Milliarden für den Krieg

Die Gelder, die Berlin und Brüssel der Ukraine zur Verfügung gestellt haben, um dem Land die Fortsetzung des Krieges zu ermöglichen, sind längst auf immense Summen angewachsen. So beziffert etwa der Ukraine Support Tracker des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) die Mittel, die die EU Kiew für militärische (5,6 Milliarden Euro), humanitäre (2,1 Milliarden Euro) und finanzielle (77,1 Milliarden Euro) Zwecke gewährt hat, auf insgesamt rund 84,8 Milliarden Euro.[1] Deutschland hat – als in absoluten Zahlen größter Unterstützer in der EU – bisher rund 20,9 Milliarden Euro gezahlt: 17,1 Milliarden Euro für militärische, 2,4 Milliarden Euro für humanitäre und 1,4 Milliarden Euro für finanzielle Belange. Es kommt eine alles in allem zweistellige Milliardensumme aus den anderen EU-Mitgliedländern hinzu. Die Bundesregierung hat eine Verdoppelung der künftigen militärischen Unterstützung von vier auf acht Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Die EU wiederum will auf ihrem heute beginnenden Gipfel den Transfer von 50 Milliarden Euro beschließen – 17 Milliarden Euro als Zuschuss, 33 als Kredit.[2]

Ein Achtel des EU-Haushalts

Sollte die EU der Ukraine wirklich die Mitgliedschaft verleihen, dann kämen weitere, noch viel höhere Kosten hinzu. Bereits Anfang Oktober wurde bekannt, dass interne Berechnungen der EU-Kommission den Anteil, den Kiew aus dem – aufgestockten – EU-Etat erhielte, mit rund einem Achtel beziffern; das wären 186 Milliarden Euro.[3] Ähnliches ergibt nun eine Untersuchung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die Analyse berechnet die Mittel, die Kiew aus dem EU-Etat zuständen, auf der Basis einer Bevölkerung, die von 43,8 Millionen Einwohnern im Jahr 2021 um ein gutes Viertel auf 31,0 Millionen Einwohner gesunken ist. Außerdem geht sie von ukrainischen Agrarflächen aus, die von 32,9 Millionen Hektar im Jahr 2021 kriegsbedingt auf nur noch 27,9 Millionen Hektar geschrumpft sind.[4] Je nach konkretem Berechnungsmodell kommt das IW auf einen Gesamtbetrag von 118 bis 180 Milliarden Euro; die Summe ist ein wenig niedriger als diejenige, die von der EU-Kommission errechnet wurde, stellt aber immer noch einen immensen Betrag dar. Um diesen zahlen zu können, werde an anderer Stelle gespart werden müssen, konstatiert das IW. Es schlägt vor, in Zukunft reiche Länder vom Unions-Kohäsionsfonds auszuschließen. Ärmere Regionen etwa in Ostdeutschland erhielten dann keine EU-Zuschüsse mehr.

Voraussetzungen für den Wiederaufbau

All das kommt zu den gewaltigen Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Ende des Krieges hinzu. Die Kyiv School of Economics berechnete den Wert der baulichen Schäden in der Ukraine im Juni 2023 auf rund 150,5 Milliarden US-Dollar.[5] Damit bewegt sie sich am unteren Ende der Skala. Die Weltbank schätzte die Wiederaufbaukosten im März 2023 auf gut 411 Milliarden US-Dollar, gestreckt über zehn Jahre. Seitdem haben die Zerstörungen weiter zugenommen. Im November riet die Bertelsmann Stiftung nach genauer Analyse eines etwaigen ukrainischen EU-Beitritts, man müsse den Wiederaufbau des Landes eng mit der Modernisierung seiner Wirtschaft und deren Anpassung an die Normen der EU verzahnen, um doppelte Kosten zu vermeiden.[6] Die Bertelsmann Stiftung wies zudem darauf hin, es müsse gelingen, die dramatisch geschrumpfte ukrainische Bevölkerung wieder so weit wie möglich auf ihre Vorkriegsgröße zu bringen, um den Wiederaufbau zu stemmen. Dazu müssten nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Millionen Ukrainer, die bereits vor Kriegsbeginn zur Erwerbsarbeit ins Ausland gegangen seien, zur Rückkehr veranlasst werden. Umfragen wecken Zweifel daran, dass dies gelingt. Demographen warnten bereits vor Monaten, der Wiederaufbau der Ukraine könne deshalb scheitern (german-foreign-policy.com berichtete [7]).

Risiken und Nebenwirkungen

Von dem früh geäußerten Plan, den Wiederaufbau der Ukraine durch die Nutzung fremden Vermögens zu finanzieren, hat die EU mittlerweile Abstand zu nehmen begonnen. Bereits im vergangenen Jahr hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt, Brüssel werde die rund 200 Milliarden Euro, die die russische Zentralbank auf Bankkonten in der EU deponiert habe, beschlagnahmen und sie zugunsten der Behebung der Kriegsschäden nach Kiew überweisen. Davon ist inzwischen kaum noch die Rede – aus drei Gründen. Zum einen fürchten diverse EU-Mitglieder, ein solcher Präzedenzfall könne andere Länder veranlassen, ihrerseits das Vermögen von EU-Staaten zu beschlagnahmen. Anlässe fänden sich genug – nicht zuletzt der Wunsch, Schäden völkerrechtswidriger Angriffskriege mit Beteiligung von EU-Staaten zu begleichen, etwa in Serbien (Jugoslawien-Krieg 1999), Irak (Irak-Krieg 2003) oder Libyen (Libyen-Krieg 2011). Zudem heißt es, wenn in der EU willkürlich fremdes Vermögen beschlagnahmt werden könne, werde die Bereitschaft, Währungsreserven in Euro anzulegen, weltweit sinken.[8] Nicht zuletzt wird von Befürchtungen in Berlin berichtet, Länder, denen man immer noch Reparationen für die riesigen Schäden im Zweiten Weltkrieg vorenthalte, könnten auf deutsches Auslandsvermögen zurückgreifen, sollte die EU das im Fall russischen Auslandsvermögens tun.

Nur ein Drittel

Während Berlin und Brüssel sich dramatisch anschwellenden Ausgaben für die Ukraine gegenübersehen, die nicht zuletzt bei einem EU-Beitritt des Landes anfielen, zeigt eine neue Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR), dass die Zustimmung in der Bevölkerung für eine Aufnahme der Ukraine in die Union schon heute eher schwach ausfällt. Der Umfrage zufolge, die in sechs EU-Staaten durchgeführt wurde, befürwortet lediglich in Dänemark (50 Prozent) und in Polen (47 Prozent) rund die Hälfte der Bevölkerung den EU-Beitritt des Landes.[9] Ansonsten ist die Zustimmung bloß in Rumänien stärker als die Ablehnung (32 gegen 29 Prozent). In Deutschland sprechen sich 37 Prozent für, 39 Prozent gegen eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine aus, in Frankreich 29 Prozent dafür und 35 Prozent dagegen; in Österreich fallen die Zustimmung mit 28 Prozent sowie die Ablehnung mit 52 Prozent am stärksten aus. Überall außer in Polen und in Rumänien gilt es als klar ausgemacht, dass ein EU-Beitritt der Ukraine negative Folgen für die Wirtschaft und für die Sicherheit sowohl der EU wie auch des jeweiligen Mitgliedstaates haben wird. Damit sind, sollte der heute beginnende EU-Gipfel die Aufnahmeperspektive für die Ukraine weiter konkretisieren, langfristig neue Spannungen innerhalb der EU in Sicht.

Fussnoten
[1] Ukraine Support Tracker. ifw-kiel.de.
[2] Hendrik Kafsack: Michel kürzt Budgetwünsche. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.12.2023.
[3] Henry Foy: EU estimates Ukraine entitled to €186bn after accession. ft.com 04.10.2023. S. auch EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine.
[4] Berthold Busch, Samina Sultan: Fiskalische Aspekte einer EU-Erweiterung. IW-Report 63/2023. Köln, 11.12.2023.
[5] Zwischen Friedensrendite und Hochrisiko. deutschlandfunk.de 27.10.2023.
[6] Outlier or not? The Ukrainian economy’s preparedness for EU accession. Gütersloh, November 2023.
[7] S. dazu „Ein irreversibler demographischer Schock“.
[8] Jan Diesteldorf: Ein Fluss russischer Gelder für die Ukraine? Eher ein Rinnsal. sueddeutsche.de 12.12.2023.
[9] New poll: Europeans open to Ukraine joining the EU despite security risks, but cool on further enlargement of the bloc ahead of crucial European Council summit. ecfr.eu.

Zum Originaltext auf www.german-foreign-policy.com

Siehe dazu auch den Bericht des Europäischen Rechnungshofes von 2021, wonach in der Ukraine durch die Korruption jährlich „zig Milliarden US-Dollars“ verschwinden.