Die OSZE-Autos auf dem Parkplatz vor der Residenz dieser Organisation, dem Hotel „Park Inn“, in Donezk

Die Stimme aus dem Donbass (XXXIII): Die Tätigkeit der OSZE-Mission im Donbass II

Die Vertreter der OSZE-Mission im Donbass sind gut qualifizierte Menschen und hervorragende Persönlichkeiten, die zum Friedenschutz aufrichtig beitragen wollten. Aber unter den harten Umständen unseres Kriegsalltags und starkem Druck aus dem Ausland konnten sie nicht immer alles machen, was sie wirklich wollten. Das akzeptieren wir. Neben den positiven Taten gab es auch negative Momente – bei uns war es so. Und das alles war unser Leben und unsere neue Lebenserfahrung.

Einer der wenigen Faktoren, die als Verbindungsglied zwischen den Kriegsparteien dient, ist die OSZE-Mission im Donbass. Am 17. Februar 2016 wurde eine Umfrage „Volkes Stimmung“ in Donezk durchgeführt, bei der zwei Fragen gestellt wurden: „Erfüllt die Organisation ihre Arbeit?“ und „Wie beurteilen Sie die Arbeit der Vertreter der OSZE-Mission in der DVR?“ Der erste Donezker, Oleg, antwortete darauf: „Sie hält es mit beiden Parteien. Es gibt nichts Objektives – so ist meine Antwort.“ Die Stadtbewohnerin Tatjana, die am Stadtrand im Petrower Bezirk von Donezk wohnte, erzählte folgendes: „In der Nacht gab es einen Beschuss. Niemand fuhr dorthin. Es wurden sehr oft die weit gelegenen Bezirke beschossen, wie Petrower oder Abakumowa. Ich sah sie dort kein einziges Mal! Viele Menschen denken, dass sie bloss sitzen und nichts machen: Sie fuhren dorthin nicht, bemerkten dort nichts, obwohl es Beschüsse gab.“ Der zweite Donezker, Vadim, sagte unter anderem, die OSZE übergebe unnötige Informationen. Die vierte Interviewte, Olga, meinte: „Sie erfüllen ihre Arbeit nicht besonders sachgerecht.“ Was ihre persönliche Einstellung zur OSZE-Mission angehe, so teilte sie folgendes mit: „Einerseits kann man sie verstehen, weil sie im anderen Teil der Ukraine ‚gebissen werden‘, andererseits werden sie hier auch kritisiert. Ich bin mir sicher, dass die Menschen versuchen, ihre Arbeit zu erfüllen. Aber sie erfüllen sie so, wie sie es können.“ Die nächste Frau, Elena, glaubte, dass „jeder seine eigene Meinung hat. Vielleicht beurteilen die OSZE-Beobachter die Situation nicht besonders objektiv, aber meine Einstellung ist positiv, denn jeder OSZE-Mitarbeiter ist an seinem Arbeitsplatz.“ Die nächste, Tatjana, war folgender Meinung: „Wenn die Menschen die Wahrheit sagen würden, dann wären sie geliebt. Und bei uns wird niemand geliebt, der keine Wahrheit sagt“. Ihre eigene Einstellung zur OSZE-Mission war so: „Einerseits wollen sie vielleicht etwas machen, aber andererseits können sie nicht machen, was sie machen müssen.“ Ein junger Mann, Andrej, dachte so: „Es gibt ihrerseits wenig praktische Taten in Richtung ‚Frieden‘. Wir alle streben danach, aber es gibt keine Fortschritte, d.h. sie tragen dazu nicht bei.“

Einen Monat später, am 17. März 2016, inspizierte die OSZE-Mission mit Aleksander Hug an der Spitze die Strecke Donezk – Gorlowka, wo eine Woche zuvor Kriegshandlungen geführt wurden. Das ist einer der grössten Verkehrsknotenpunkte auf dem Gelände der DVR. Wenn die Streitkräfte der Ukraine diese Zone zu einem Brückenkopf machen würden, dann würde das ihnen ermöglichen, den Block-Posten bei Jassinowataja zu besetzen, von wo aus sie nach Donezk, Jassinowataja, Makeewka und Gorlowka in die Offensive gehen und dann die DVR-Kämpfer in Gorlowka von der Versorgung abschneiden würden. Ausserdem ist dies eine Anhöhe: Wenn die ukrainische Seite dort ihre Artillerie aufstellen würde, dann könnte Donezk von dort kreuz und quer beschossen werden. Was aber die Zivilbevölkerung betrifft, so befindet sich hier die Donezker Wasserfilterstation, die Donezk, Jassinowataja und die unter ukrainischer Kontrolle stehende Stadt Awdeewka mit reinem Trinkwasser versorgt. Aleksander Hug verstand das sehr gut und widmete diesem Punkt die meiste Zeit während seines kurzen Aufenthalts in der DVR. „Wir werden weiter verifizieren, ob und wie die Seiten ihre Versprechen halten“, so Aleksander Hug. Ausserdem unterhielten sich die Vertreter der OSZE-Mission mit den Mitarbeitern der Donezker Wasserfilterstation, die meisten von ihnen sind Frauen. Und was erstaunlich ist: Sie sind bereit, trotz der Beschüsse zur Arbeit zu gehen! (Die Wasserfilterstation liegt genau in der Mitte zwischen den Positionen der ukrainischen Soldaten und der Donezker Kämpfer). Das einzige, worum sie bitten ist, die Sicherheitsgarantien zu gewährleisten. Auch gibt es hier Chlorlager, deren Beschädigung zu einer ökologischen Katastrophe in Donezk und den nahegelegenen Städten führen würde. Was noch von den Bewohnern des Donbass positiv eingeschätzt wurde, war die Inspektion der Waffen: Die OSZE-Mitarbeiter inspizierten die Positionen der Volksarmee, wobei sie sich persönlich vom Nichtvorhandensein schwerer Waffen vergewissern konnten, die laut Minsker Abkommen verboten wurden. Die Kämpfer der DVR verwendeten hier Maschinenpistolen, Maschinengewehre und verschiedene Typen von Granatwerfern. Vertreter des Verteidigungsministeriums der DVR teilten mit, dass die ukrainischen Streitkräfte auf dieser Strecke Panzer, schwere 82 mm- und 122 mm Minenwerfer, sowie schwere Rohrartillerie einsetzten.

Am 24. Mai 2016 berichtete Denis Puschilin über den Aufmarsch der OSZE-Polizeimission im Donbass, was die DVR und die LVR als Intervention ansehen würden. Und am 10. Juni 2016 fand in Donezk das vieltausendköpfige Meeting gegen die bewaffnete OSZE-Polizeimission statt. „Unter dem Deckmantel der bewaffneten OSZE-Polizeimission kann man hierher beliebige Terrormiliz von Typ ‚Pravyj Sektor‘ einführen, die in die notwendige Uniform eingekleidet werden“, so einer der Demonstranten. Der ukrainische Präsident Peter Poroschenko schlug mehrmals vor, die OSZE-Mission zu verstärken. Denis Puschilin erklärte: „Für die Streitkräfte der Ukraine werden bewaffnete OSZE-Beobachter zum leichten Schussziel. Und traditionsgemäss werden sie versuchen, uns die Schuld in die Schuhe zu schieben.“ Anfang Juni 2016 bemerkte der Aussenminister der Russischen Föderation Sergej Lawrow, Moskau sei bereit, einen Kompromiss einzugehen und sei damit einverstanden, dass laut dem OSZE-Beschluss die Beobachtergruppe eine Waffenschusserlaubnis für Selbstverteidigung habe – aber nur nach der Verabschiedung des Gesetzes über den besonderen Status des Donbass.“ Ein ähnliches Meeting gegen bewaffnete Intervention wurde am selben Tag, dem 10. Juni 2016, in Lugansk durchgeführt, wo 17.000 Personen teilnahmen. Wladislaw Dejnego, der stellvertretende Aussenminister der LVR, bedauerte, dass die von ihm zum Meeting eingeladenen OSZE-Vertreter nicht kamen.

Am 20. Juli 2017 unterhielten sich die OSZE-Vertreter mit den Bewohnern von Donezk über die Beschüsse von Seiten der Ukraine. Die erste Frau erzählte, am Vortage sei den ganzen Tag über geschossen worden. Ihre Mutter habe sie angerufen und gesagt: „Es landete im Gemüsegarten!“ So ‚ernteten‘ sie Tomaten, rote Beete und alles, was sie gepflückt hatten. Nun beeile sie sich, bis 18.00 Uhr nach Hause zu kommen, um nicht noch einmal unter Beschuss zu geraten. Ihre Familie habe die ganze Kriegszeit über hier gelebt. Am 3. Juni 2015 sei ihr Vater infolge eines Beschusses getötet worden. So lebe ihre Familie. Sie selbst arbeite als Tierärztin der Stadt Donezk und kümmere sich um das Wohl der Stadt, damit es in Donezk keine Infektionen gebe – eine schwierige Arbeit. Aleksander Hug erklärte, die OSZE-Beobachter würden versuchen, noch einmal zu kommen, um mehr solcher Geschichten zu hören. Die Frau antwortete, wenn man jetzt die Nachbarn rufe, dann könnten sie sofort noch mehr ähnliche Geschichten hören. Weinend wandte sie sich an die OSZE-Vertreter. „Machen Sie bitte, dass Frieden herrscht. Ich redete frei von der Leber. Damit es keine Morde und Zerstörungen der Häuser gibt und nicht mehr geschossen wird!“ 

Beim Gespräch mit einem Mann sagte Aleksander Hug, die OSZE würde die Beschüsse nur verifizieren. Die Frage nach deren Ende müsse man anschließend an die Menschen in grüner Uniform richten. Der Mann antwortete: „Als die Beschüsse von Seiten der Ukraine aus Marjinka begannen, schossen unsere ‚grünen Männchen‘ nicht. Ich schlafe draussen. Ich höre das alles, wer beginnt.“ Darauf reagierte Aleksander Hug: „Wir würden öfter hierher kommen, wenn uns die ‚grünen Männchen‘ öfter durchließen!“ 

Der nächste Bewohner, Tigran Petrossjan, sagte: „Sobald die OSZE-Mission kommt, gibt es Beschüsse. Helfen Sie? Sie machen nichts! Mir ist das egal, aber ich habe zwei Frauen zu Hause. Eine von ihnen ist eine 76-jährige Grossmutter, es fällt ihr schwer, mit zwei Stöcken zu gehen. In den Keller kann sie nicht mehr runtergehen. Im Haus gibt es keine Fenster, Türen, kein Dach. Niemand hilft. Wir warten zwei Jahre, bis wir Hilfe bekommen. Geben Sie mir Geld und ich gehe Poroschenko töten. Ich verstehe alles: Die Republik ist jung, wir existieren irgendwie. Ich wurde in Armenien geboren, zwei Jahre leistete ich Armeedienst. 34 Jahre lebe ich im Donbass! Sie – die Ukrainer – wollen, dass ich wegziehe.“

500 m weiter bat ein Mann die OSZE-Mission, unangemeldet zu kommen, um sich zu vergewissern, woher die Beschüsse kämen. „Die Ukraine beginnt zu schießen, und sie schießt nicht auf Block-Posten, sondern auf die Privathäuser – dann antworten die DVR-Kämpfer. Die Ukraine begann zu schießen, unsere hielten sich an die Minsker Abkommen.“ 

Am 15. Februar 2017 fand ein Meeting gegen die OSZE-Mission in Donezk vor deren Sitz, dem Hotel „Park Inn“, statt. Auf den Plakaten stand geschrieben: „Stoppen Sie den Krieg und die Schande!“ Den OSZE-Beobachtern wurde in die Schuhe geschoben, sie würden der Welt nicht erzählen, was wirklich in der DVR passiere. Die Vertreter der OSZE-Mission erklärten, sie hätten keine Waffen und könnten das Blutvergiessen nicht beenden. 

Das Jahr 2018 war durch eine Reihe von Autopannen und -unfällen, an denen OSZE-Vertreter schuld waren, gekennzeichnet. So ging am 30. Januar 2018 gegen 9 Uhr die Nachricht eines 69-jährigen Donezker Bürgers in der diensthabenden Milizabteilung des Kalininer Bezirks ein, sein Auto sei von einem Unbekannten auf dem Parkplatz angefahren worden. Dieser habe sich davongemacht, statt das Verkehrsunfallkommando zu rufen. Wie sich nach Zeugenbefragung und Videoaufnahme herausstellte, war daran ein OSZE-Mitarbeiter schuld, der zur verwaltungsrechtlichen Haftung herangezogen wurde. Am 7. März 2018 wurde vom Verkehrsunfallkommando desselben Kalininer Bezirks eine weitere Autopanne fixiert, an der ein amerikanischer OSZE-Beobachter schuld war. Am 23. Juli 2018 passierte eine neue Autopanne im Woroschilower Bezirk von Donezk, bei der ein OSZE-Beobachter einen Fahrzeugzusammenstoss verursacht hatte. Der Fahrer hatte das entgegenfahrende Auto nicht bemerkt. 

Am 10. September 2018 fand in Donezk ein Treffen der DVR-Menschenrechtsbeauftragten Darja Morosowa mit dem OSZE-Beobachter Tony Frisch statt, an dem auch die Verwandten der DVR-Gefangenen in ukrainischer Gefangenschaft, der Vermissten, sowie der DVR-Kämpfer, die aus der ukrainischen Gefangenschaft zurückkehrten, teilnahmen. Zu Beginn dieses Treffens schenkte Frau Morosowa im Namen der Bewohner von Donezk Herrn Frisch das Buch „Der unerklärte Krieg“. Danach besuchten sie eine Strafanstalt in Donezk, wo alle mit eigenen Augen die Bedingungen, unter denen die ukrainischen Gefangenen gehalten werden, sehen und sich mit ihnen persönlich unterhalten konnten.

Am 1. März 2022 verließ die OSZE-Mission den Donbass. 

Siehe auch diesen Text über Donezk, hier anklicken.