Die russische Sprache soll wieder populärer werden (Krim VI)
Wer andere Kulturen verstehen will, muss auch Fremdsprachen lernen. Die gegenwärtige Russophobie hat auch mit der Sprache zu tun.
Er war ein junger Mann in Washington D.C., seine Familie beschloss, er müsse Lawyer – Rechtsanwalt – werden. Da hörte er, rein zufällig, im Radio ein Lied, gesungen von einem ihm unbekannten Mann, in einer ihm unbekannten Sprache, und trotzdem war er wie verzaubert. Hier kann dieses Lied gehört werden: hier anklicken.
Julian Lowenfeld, so hiess der junge Mann, forschte nach, was für ein Lied es war und vom wem gesungen – und natürlich in welcher Sprache. Es war Russisch. Und weil er von diesem Lied so berührt war, ohne es zu verstehen, war sein spontaner Beschluss: Diese Sprache muss ich lernen.
Doch dann war alles nicht so einfach, denn Lawyer musste Julian Lowenfeld trotzdem studieren. Schon fast wollte er das Russisch-Sprachstudium wieder aufgeben, da stiess er auf einen Text von Alexander Puschkin – und erneut war er so ergriffen, dass es keinen anderen Weg mehr für ihn gab, als sich noch intensiver der russischen Sprache zu widmen. Heute ist Julian Henry Lowenfeld der bekannteste und erfolgreichste Übersetzer von Alexander Puschkins Werken ins Englische.
Jalta als idealer Tagungsort
Der Zufall wollte es, dass gerade in der Zeit, als ich diesen Frühling auf der Krim weilte, dort auch das fünfte «Livadia International Humanitarian Forum» stattfand. Ein paar hundert Sprachwissenschaftler, Publizisten, Politiker, Künstler und Russisch-Lehrer kamen Anfang Juni in Jalta zusammen, um über die russische Sprache und ihre Verbreitung zu diskutieren. Die Eröffnungssitzung fand im grossen Saal im Livadija Palace statt, nur wenige Meter hinter dem Raum, wo 1945 Stalin, Churchill und Roosevelt in Verhandlungen am buchstäblich «runden Tisch» Europa neu aufteilten (Siehe dazu den ersten Beitrag der Serie über die Krim).
Und an dieser Eröffnungs-Versammlung an diesem historischen Ort nahm auch Julian Lowenfeld teil, der Puschkin-Übersetzer, und erzählte diese seine persönliche Geschichte, wie er als US-Amerikaner die russische Sprache entdeckte und lieben gelernt hatte. Er forderte in seiner kurzen aber eindrücklichen Rede Russland auf, mehr Geld bereitzustellen, um auch ausserhalb Russlands die russische Sprache wieder bekannter und populärer zu machen. Sein Schlusssatz war druckreif: «Wer Puschkin liebt, kann Russland nicht hassen.»
Am zweiten Tag des Kongresses wurden in verschiedenen historischen Palästen, darunter auch wieder im Woronzow-Palast, wo 1945 Churchill untergebracht war, unterschiedliche Themen zur russischen Sprache und Kultur und auch zu Russland diskutiert. Dabei wurde auch mit Kritik an Russland nicht gespart. Die eine Teilnehmerin etwa forderte Russland in unmissverständlichen Worten auf, auf der Krim der wilden Bauerei ein Ende zu setzen. «Wenn auf der Krim so weitergebaut wird, wie in den letzten Jahren», so rief sie in den Saal, «wird dieser wunderschöne Flecken Erde bald nicht mehr das sein, was er war, immer noch ist und vor allem auch bleiben sollte: ein kleines Paradies».
Weder war es möglich, alle Reden simultan übersetzt zu bekommen, noch wäre es sinnvoll gewesen. Im Gegensatz zu mir hörte meine Übersetzerin aber meist aufmerksam zu. Ich meinerseits schnupperte ein wenig im Teilnehmerverzeichnis und entdecke da auch Leute, mit denen ich mich ohne Russisch unterhalten konnte – zum Beispiel englisch und italienisch mit Giulietto Chiesa.
Giulietto Chiesa ist ein italienischer Intellektueller aus dem politisch linken Spektrum, war mehrere Jahre Korrespondent für verschiedene italienische Zeitungen in Moskau und hat Dutzende von Büchern geschrieben, sein letztes im Jahr 2017: «Putinfobia». Giulietto und ich haben uns auf Anhieb gut verstanden – wenn auch eben nicht in russischer Sprache –, nicht zuletzt auch zum Thema Italien und seine gegenwärtige kulturelle Krise. Ihn ausgerechnet auf der Krim persönlich kennenzulernen, war natürlich eine Überraschung, aber auch eine echte Bereicherung.
Es sollten wieder mehr Leute Russisch lernen
Die Forderung, die russische Sprache wieder mehr zu fördern und sie auch für die westlichen Schüler und Studenten attraktiver zu machen, kann ich als Schweizer Journalist und ehemaliger Medien-Manager nur unterstützen. Von hundert Schweizer und deutschen Journalistinnen und Journalisten kann vielleicht eine oder einer Russisch, aber zwanzig von ihnen schreiben nichtsdestotrotz über die internationale Politik. Ihre Information beziehen sie – einseitig – aus dem englischsprachigen Raum. Die Weltsprache der Medien und Nachrichtenagenturen ist Englisch. Selber kein Russisch zu verstehen habe ich nie deutlicher als Mangel erlebt als auf meinen Reisen und Aufenthalten in der Ukraine, in Russland und jetzt auf der Krim – auch wenn ich da stets eine perfekte Dolmetscherin hatte.
Stünde mir zu, Russland eine Empfehlung zu geben, sie wäre ganz einfach: Man mache es wie Deutschland mit dem «Goethe-Institut» und gründe ein «Puschkin-Institut». Deutschland betreibt in 157 Städten in 98 Ländern Goethe-Institute, wo man zu einem wohlfeilen Preis Deutsch lernen kann, als Anfänger ebenso wie als bereits weit Fortgeschrittener. Alle Goethe-Institute haben auch eine Bibliothek mit deutschen Zeitschriften und Büchern und viele organisieren auch deutschsprachige Veranstaltungen. Ich kenne etliche Leute, die an einem Goethe-Institut Deutsch-Kurse genommen haben, darunter auch meine eigene Frau. Alle waren sehr zufrieden. Russland müsste das Konzept des Goethe-Instituts nur kopieren – man kann ja auch von den Erfahrungen und Errungenschaften Anderer profitieren.
Sie sind selber interessiert, in der Schweiz Russisch zu lernen? Hier geht es zum Verein der Russischlehrerinnen und -lehrer in der Schweiz VRUS: hier anklicken.
Sie zögern noch? Einfach nochmals das Lied von Bulat Okudschawa anklicken …
Siehe zur Situation auf der Krim heute
- den ersten Teil der Serie über die Krim (ein allgemeiner historischer und politischer Überblick)
- auch den zweiten Teil der Serie über die Krim (zu Sewastopol)
- den dritten Teil der Serie über die Krim (zu Kertsch mit den Katakomben und zur neuen Brücke auf das russische Festland)
- den vierten Teil der Serie über die Krim (über die vielen jungen Tataren, die die ihnen gebotene berufliche Chance packen)
- den fünften Teil der Serie über die Krim (über die Reisemöglichkeiten auf der Krim)
- den siebten Teil der Serie über die Krim (Persönliche Schlussfolgerungen des Autors)
Recherche vor Ort auf der Krim
Der Autor Christian Müller, Mitglied der Redaktionsleitung von Infosperber.ch, ist promovierter Historiker und Staatsrechtler und arbeitete über Jahrzehnte als Journalist und Redakteur und zuletzt als Medienmanager. Er besuchte die Krim zum ersten Mal im Jahr 2006 und wollte wissen, was sich seither verändert hat und wie die Situation auf der Krim für die dort lebenden Menschen heute ist: vor Ort auf der Krim recherchiert.
Um unabhängig zu sein und unabhängig informieren zu können, bestimmte Christian Müller alles selber: den Zeitpunkt seiner Reise, die Reiseroute, die Aufenthaltsorte (inkl. Hotels), von wem er sich informieren lassen und mit wem er reden wollte. Und er hat die ganze dreiwöchige Informationsreise aus eigener Tasche bezahlt. Das Einzige, wozu er die Unterstützung der Krim-Administration brauchte, waren der Besuch der neuen Schule für die Tataren in Simferopol, der Besuch des TV- und Radio-Senders der Tataren in Simferopol und die Besichtigung der sich noch im Bau befindlichen Moschee der Tataren (auch im Inneren), ebenfalls in Simferopol. Und aufgrund des aufgenommenen Kontakts mit den Behörden wurde er, da zeitlich zufällig übereinstimmend, zum fünften Forum zum Thema russische Sprache in Jalta eingeladen.
Als Dolmetscherin diente Christian Müller seine Ehefrau Anna Wetlinska, die die russische Sprache studiert hat, sie lückenlos versteht und ebenso perfekt spricht. Etliche der Gesprächspartner auf der Krim waren aber ihrerseits in der Lage, auch englisch zu kommunizieren.
Christian Müller hat auch die in den Krim-Konflikt involvierten Länder Russland und die Ukraine seit Mitte der 1980er Jahre mehrmals besucht.
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PS: Wer sich mehr für Italien als für Russland interessiert: Giulietto Chiesa kann man life auf Pandora-TV hören und sehen.