Schweizer Bundesrat 2021, vlnr: Viola Amherd, Simonetta Sommaruga, Ignazio Cassis, Guy Parmelain, Ueli Maurer, Alain Berset, Karin Keller-Sutter, Stabschef Walter Thurnherr (Bundeskanzler). (Foto CH admin)

Die Neutralität der Schweiz muss repariert und neu gestärkt werden!

Am 3. März 2022, nur wenige Tage, nachdem die Schweizer Regierung, der Bundesrat, mit der Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland die Schweizer Neutralität dramatisch verletzt hat, habe ich unter der Headline «Die Schweiz hat ihre Neutralität beerdigt. Ich schäme mich dafür.» über diese Schandtat berichtet. Nun gibt es eine Chance, die beschädigte Neutralität zu reparieren und vielleicht sogar zu stärken – trotz elendiglicher Partei-Propaganda-Spiele.

Die Schweiz wird von vielen Demokratie-Freunden in anderen Ländern ihres Systems der direkten Demokratie wegen bewundert oder gar beneidet. Wenn hier in der Schweiz eine vom Parlament gefällte Entscheidung der Bevölkerung nicht gefällt, kann mit einer Eingabe von 50’000 Unterschriften innerhalb maximal 100 Tagen nach dem Parlamentsentscheid verlangt werden, dass die stimmberechtigte Schweizer Bevölkerung mit einer Referendumsabstimmung das letzte Wort hat. Und wenn die Schweizer Bevölkerung einen besonderen Wunsch hat, kann sie mit einer sogenannten Volksinitiative mit 100’000 Unterschriften, die innerhalb 18 Monaten zusammengekommen sein müssen, verlangen, dass über eine angeregte oder ausformulierte Verfassungsänderung ebenfalls abgestimmt werden kann und muss. Beides sind demokratische Rechte, von denen die EU-Bürgerinnen und Bürger nur träumen können.

Die Unterschriftensammlung zu einer Neutralitätsinitiative läuft

Die skandalösen, die schweizerische Neutralität verletzenden Entscheidungen der Regierung schon anlässlich der Sanktionen gegen die Krim im Jahr 2014 und nun im Jahr 2022 mit den Sanktionen gegen Russland hat nun dazu geführt, dass eine Verfassungsänderungs-Initiative lanciert wurde und dafür Unterschriften gesammelt werden. Das ist eine absolut erfreuliche Geschichte!

Aber – ja, es gibt ein Aber! –, leider ist das Initiativ-Komitee eine rein parteipolitische Veranstaltung. Ginge es den Initianten wirklich vor allem und allein um die Stärkung der Neutralität, hätten sie ins Initiativ-Komitee prominente und glaubwürdige Personen aus allen Parteien genommen, um damit zu zeigen, dass es um ein gemeinsames Ziel der Schweizer Bevölkerung geht. Was aber haben sie gemacht? Die 26 Mitglieder des Komitees gehören alle der «Schweizerischen Volks-Partei» SVP oder im Tessin der «Lega» oder der SVP-nahen Vereinigung «Pro Schweiz» an oder gehören zumindest klar zu deren Sympathisanten. Besonders peinlich ist der Präsident des Komitees, der SVP-Nationalrat Walter Wobmann aus Solothurn, eine – zur Vermeidung einer treffenderen, aber möglicherweise justiziablen Formulierung hier diplomatisch ausgedrückt – ziemlich mediokre Figur. Wobmann rühmt sich, damals 2008 die Anti-Minarett-Initiative lanciert und am 29. November 2009 gewonnen zu haben – Fremdenfeindlichkeit gehört bei der SVP ja zum Erfolgsprogramm. Und sein politisches Meisterwerk ist die Schaffung einer Interessenten-Organisation „Pro Töff“ – für die Interessen der Motorradfahrer!

SVP-Nationalrat Walter Wobmann auf seinem Motorrad, Screenshot aus der «Automobil Revue» vom 29. Juni 2023.

Selbstverständlich hätte es auch prominente Neutralitäts-Unterstützer in den anderen großen Parteien gegeben, zum Beispiel Prof. Dr. Pascal Lottaz, der als Politologe zurzeit an der Universität Kyoto in Japan ausgerechnet zum Thema Neutralität forscht und natürlich weiss, wie erfolgreich die Schweiz als neutrales Land in der Vergangenheit in politischen oder sogar militärischen Konflikten als Vermittlerin zu einer friedlichen Lösung beitragen konnte. Aber nein, Pascal Lottaz ist Mitglied der Schweizer SP, hat in diesem Komitee also keinen Platz. Im Komitee sitzen SVP- und Lega-Politiker, «Pro Schweiz»-Mitglieder sowie etliche Unternehmer und andere in erster Linie Wirtschaftsinteressierte. Neutralität also vor allem im Interesse der Wirtschaftsbonzen.

Was kann der Grund für diese einseitige Zusammensetzung des Initiativ-Komitees sein? Man kann nur rätseln. Aufgrund von Umfragen darf man davon ausgehen, dass sich eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung eine ehrliche Neutralitätspolitik wünscht. Es gibt also eine echte Chance, dass die 100’000 notwendigen Unterschriften gefunden werden und dass dann am Abstimmungstag der Initiative auch zugestimmt wird. Auf dass dann die SVP behaupten kann, sie allein sei die Retterin der Neutralität! Ein parteipolitisches Meisterstück!

Leider gibt es derzeit aber auch viele Schweizerinnen und Schweizer, die die Initiative genau deshalb nicht unterschreiben, weil sie ein parteipolitisches Machwerk ist. Die Zusammensetzung des Initiativ-Komitees ist eine politische Peinlichkeit – um nicht zu sagen: eine Tragödie! – und ist, sofern es wirklich um die Neutralität der Schweiz geht und zur Rückführung der Schweiz als international gesuchte und dringend notwendige Vermittlerin in bilateralen und geopolitischen Konflikten, alles andere als klug und überhaupt nicht professionell. Schade!

Rhetorische Frage: Wie will die Schweiz ihre traditionelle Vermittler-Rolle bei internationalen Konflikten wieder spielen können, wenn aufgrund der von der Schweiz übernommenen EU-Sanktionen gegen Russland sogar der russische Außenminister nicht mehr ins international bedeutende Verhandlungs- und Vermittlungszentrum Genf reisen darf?

Meine persönliche Empfehlung? Ich selber werde die Initiative unterschreiben, zur verfassungsmässigen Stärkung der Schweizer Neutralität – bei gleichzeitig voller Verachtung des Solothurner SVP-Politikers Walter Wobmann und seiner fremdenfeindlichen SVP-Lega-Pro Schweiz-Kumpanen. Auch ein sympathischer formulierter Gegenvorschlag könnte ja noch zustande kommen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Kleines PS: Auch ich habe den Motorrad-Fahrausweis, schon seit 1975. Gegen anständige, vorsichtige und umweltschonende Motorrad-Fahrer habe ich selbstverständlich nichts.

Siehe dazu nochmals meinen damaligen Kommentar zur Neutralitäts-verletzenden Übernahme der EU-Sanktionen durch den damaligen Bundesrat.