Die Krim ist immer eine Reise wert (Krim V)
Die europäischen und US-amerikanischen Reisebüros bieten keine Reisen mehr in die Krim an. Die unsinnigen Sanktionen verbieten es.
Zum Jahreswechsel 2012/13 landete die Krim mit ihrem Schlösschen «Schwalbennest» unter den zwanzig attraktivsten Reisezielen des Jahres an erster Stelle: auf dem Umschlag der Traveler-Ausgabe der weltberühmten Zeitschrift «National Geographic Magazine». Diese Reisedestinationen muss man sehen («Our 20 Must-See Places for 2013»), stand da in grossen Lettern.
Ein gutes Jahr später, im Frühling 2014, war alles anders. Die Einwohner der Halbinsel Krim waren der Russland-feindlichen und vor allem auch gegen den Gebrauch der russischen Sprache gerichteten Aktivitäten und Gesetze der Ukraine, zu der die Krim staatsrechtlich gehörte, definitiv müde. Nach dem Putsch gegen den demokratisch gewählten Staatspräsidenten Wiktor Janukowytsch auf dem Maidan in Kiev organisierten sie ein Referendum und beschlossen grossmehrheitlich, wieder mit Russland vereinigt zu werden. Und Russland war damit gerne einverstanden (siehe dazu meinen ersten Bericht zur Krim auf Globalbridge, hier anklicken). Darauf hat die UNO mit einem Mehr von drei Stimmen (unter den Ja-Stimmenden waren auch die «neutrale» Schweiz und die Mini-Staaten Liechtenstein, Monaco, Andorra und San Marino) dieses Referendum als völkerrechtlich ungültig erklärt und Sanktionen gegen die Krim verhängt. Seither dürfen westliche Reisebüros keine Reisen mehr auf die Krim anbieten.
Man sollte trotzdem hinfahren, denn unter den Sanktionen leiden nicht zuletzt jene Leute, die vom Tourismus leben: die Besitzer und Angestellten von Hotels und Restaurants, die Taxi-Fahrer, die Souvenir-Verkäufer, aber zum Beispiel auch die Weinbauern (früher war der Krim-Sekt die Alternative zum teuren Champagner), die Fischer, und viele mehr. Die Krim hat touristisch viel zu bieten – und die Menschen auf der Krim sind sowas von gastfreundlich und hilfsbereit, wie man es in westlichen Ländern kaum erleben kann.
Wie kommt man hin?
Um auf die Krim zu kommen, muss man ein Visum für Russland haben. Was zum Beispiel in der Schweiz kein Problem ist. Weil man beim Antrag für das Visum die wichtigsten Reise-Ziele angeben muss oder zumindest sollte, haben wir ganz ehrlich Moskau und Simferopol angegeben. Es gab keine Probleme. Die Agentur verlangt für die Besorgung des Visums natürlich einen Preis (abhängig davon, wie schnell man das Visum haben muss), aber das ist ja auch ok.
Der Sanktionen wegen fliegt keine europäische Airline direkt nach Simferopol, also fliegt man am besten mit der russischen Aeroflot via Moskau nach Simferopol. Man kann das Ticket online bestellen und zahlen. No problem.
Wissen muss man, dass man auf der Krim keine Kreditkarten brauchen kann. Die sind, der Sanktionen wegen, alle gesperrt. Also Bargeld mitnehmen, am besten gleich Rubel (die man in Moskau noch aus dem Bankomat beziehen kann), oder auch Euros. Diese kann man auf den Banken in Jalta oder Sewastopol gegen Rubel eintauschen. Die Bankomaten auf der Krim kann man der Sanktionen wegen auch nicht benutzen.
In Simferopol kann man einen Mietwagen nehmen. Bei einzelnen Firmen kann man online mit Kreditkarte zahlen, zumindest wenn man das im Voraus organisiert.
Dann allerdings kommt ein grösseres Problem. Die Mietwagen haben kein GPS (kein sogenanntes «Navi»). Man muss im Flughafen fürs eigene Smartphone eine lokal funktionierende Simcard kaufen, die einen Monat lang den Gebrauch des Smartphones auf der Halbinsel Krim ermöglicht (kostet fast nichts). Und dann muss man das Handy als GPS brauchen. Wer das noch nie gemacht hat, kann es sich vor Ort vom Autovermieter erklären lassen. Und Achtung: Man ist dann über die «normale» Telefon-Nummer des Handys nicht mehr erreichbar, nur noch über die neue Nummer der neuen Simcard. WLAN/WiFi in den Hotels aber funktionieren normal, dort braucht man wie im Westen auch nur das lokale Passwort.
Gut ist natürlich, wenn man die Kyrillischen Buchstaben des russischen Alphabets etwas kennengelernt hat. Die meisten Ortstafeln an den Strassen sind nur in russischer Sprache angeschrieben. Nur gerade die Hinweisschilder auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, etwa auf den Livadija Palast, sind auch englisch und in lateinischen Lettern zu sehen. Aber man kommt auch ohne Kenntnisse der kyrillischen Buchstaben durch.
Preiswerte Hotels mit persönlicher Bedienung
In einem Punkt, so erklärte uns ein Tourismus-Experte vor Ort, sei die Krim noch nicht up-to-date: Man kenne die Vollpension mit 24-Stunden-Selbstbedienung, wie sie zum Beispiel an der Südküste der Türkei angeboten werde, noch nicht. Ein Problem? Ich persönlich – ich stehe dazu – ziehe die Bedienung durch freundliches Personal vor. Kann man sich was Schöneres vorstellen, als am Morgen in den Garten des Hotels zu gehen, der freundlichen Bedienung zu sagen, was man essen und trinken möchte, und dann ebenso persönlich bedient zu werden? Jeder hat seine Vorlieben. Wir sind auf die Krim gefahren, um möglichst viel von der lokalen Kultur mitzubekommen. Um das zu erreichen, muss man nicht in ein Hotel einer internationalen Hotel-Kette gehen, sondern die Augen offen halten für Hotels, die – im Idealfall – von einer Familie betrieben werden. Und diese Hotels gibt es auf der Krim noch.
Die Krim war schon lange ein beliebtes Reiseziel
Die Krim war bis 2014 ein klassisches Tourismus-Land für Gäste aus der ganzen Welt. Die meisten Gäste aber kamen natürlich aus der Ukraine, schon aus Distanzgründen. Nachdem sich die Krim im März 2014 aber mit Russland wiedervereinigt hatte, blieben die Ukrainer vorerst aus; es herrschte allseitig Verunsicherung. Mittlerweile kommen sie wieder, offensichtlich ist es grossen Bevölkerungsschichten der Ukraine egal, ob «ihr» Ferienparadies jetzt zum eigenen Land gehört oder zu einem Nachbarland – entgegen der offiziellen Doktrin aus Kiev. Schon im Jahr 2018 sollen es wieder über eine Million Ukrainer gewesen sein, die ihre Ferien auf der Krim verbrachten, und 2019 dürften es sogar über zwei Millionen sein.
Seit 2014 kommen nun aber auch mehr Russen. Die Halbinsel im Schwarzen Meer ist für sie eine ideale Ferien-Destination: nicht allzu weit weg, gleiche Sprache, gleiche Währung, phantastische Strände.
Ausgeblieben sind seit dem Frühling 2014 aber fast ganz die Touristen aus westlichen Ländern. Aufgrund der Sanktionen dürfen die Reiseveranstalter keine Reisen mehr auf die Krim anbieten, und, selbst in der Schweiz, sie halten sich daran. Auch die Kreuzfahrtschiffe dürfen in Jalta nicht mehr anlegen.
Individualreisen können den Sanktionen zum Trotz durchaus gemacht werden, so wie wir das im Frühling dieses Jahres auch getan haben. Wir sind zwar nicht hingefahren, um auf der Krim Badeferien zu machen, aber wir haben, neben dem Ziel, mit möglichst vielen Leuten über die jetzige Situation auf der Krim ins Gespräch zu kommen, durchaus auch sehr viele schöne und interessante Orte kennenlernen dürfen. Zur Nachahmung empfohlen!
Und was gibt es zu sehen?
Ein beliebtes Ausflugsziel an der südlichen Küste der Krim ist zum Beispiel der Woronzow-Palast, wenige Kilometer westlich von Jalta. Der Palast wurde 1828 erbaut, Architekt war Edward Blore, der auch einer der Architekten des Buckingham-Palastes in London war. Die Nordfassade ist neugotisch, die Südfassade maurisch gestaltet, das Innere ist heute ein Museum zur Geschichte des Fürstenhauses Woronzow. Anlässlich der Jalta-Konferenz im Jahr 1945 war hier Churchill mit seiner Delegation untergebracht.
Noch berühmter als der Woronzow-Palast ist der Livadija Palace in Jalta, wo Churchill, Roosevelt und Stalin 1945 über die neue Verteilung Europas diskutiert und entschieden haben. Aber darüber habe ich in meinem ersten Beitrag dieser Serie über die Krim ja bereits ausführlich berichtet.
Zu den «Musts» einer Krimreise gehört die Hafenstadt Sewastopol. Auch darüber habe ich bereits berichtet: in meinem zweiten Teil der Serie über die Krim heute. Nicht erwähnt dort habe ich Chersones, die südlichste Bucht von Sewastopol. Dort sind im 6. Jahrhundert vor Christus die Griechen gelandet und von dort aus erfolgte auch die Christianisierung Russlands, eingeleitet durch Wladimir I., der sich hier im Jahr 998 zum Christentum bekehrte.
Auch Kertsch ist ein «Must», und auch darüber habe ich in einem separaten Artikel ausführlich berichtet (hier anklicken). Mindestens zwei Sehenswürdigkeiten gehören auf den Reiseplan: die sogenannten Katakomben, in denen sich beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht Tausende von Soldaten und Zivilisten verschanzt hatten – und dabei schliesslich beim Wasserholen erschossen wurden oder verdursteten und verhungerten. Es gibt kaum eine andere Gedenkstätte in Europa, die die Schrecken eines Krieges so eindrücklich in Erinnerung ruft und vor Augen führen kann.
Aber natürlich ist auch die neue Brücke, die die Halbinsel Krim nun mit dem russischen Festland verbindet, echt sehens- und befahrenswert.
Auch das Innere der Krim ist interessant
Interessant auf der Krim ist aber nicht nur die Küstenregion. Sehr interessant ist vor allem auch die Region um Bachtschyssaraj. Über die Tataren, die dort ihr Zentrum hatten, habe ich in meinem vierten Artikel bereits berichtet (hier anklicken). Am Bergrand von Bachtschyssaraj gibt es aber auch das älteste christliche Kloster auf der Krim, ein in die Felsen hineingebautes Kloster aus dem 15. Jahrhundert, das – in Englisch – «Assumption Monastery of the Caves». Die dort lebenden Mönche sind gerne bereit, interessierten Leuten einige Räumlichkeiten im Felsen-Inneren zu zeigen. Diese Gelegenheit haben auch wir wahrgenommen. War ebenfalls eindrücklich.
Leider reichte die Zeit nicht mehr, auch Mangup Kale zu besuchen, nur etwa 20 km von Bachtschyssaraj entfernt. Weit oben am Berg können die Überreste einer riesigen Festung mit über sechs Kilometer Mauern besichtigt werden, die ursprünglich von den Chasaren, eines im 9. Jahrhundert zum jüdischen Glauben übergetretenen Volkes, erbaut wurde. Nach dem Zerfall der Chasaren-Herrschaft aber wurde die Festung von den Karäern als Fluchtort benutzt. Die Karäer sind eine besonders schriftgläubige jüdische Sekte, deren Angehörige im Zweiten Weltkrieg von der NS-Führung in Berlin im Gegensatz zu den «normalen» Juden nicht als Untermenschen deklariert wurden. Sie sollten so für eine Teilnahme an der Besetzung der Krim und Südrusslands durch die deutschen Truppen motiviert werden. Schliesslich aber wurden Hunderte von ihnen von der SS an der Front trotzdem ermordet. Die Nazi-Schergen vor Ort hatten wenig Verständnis für die – strategisch bedingten – differenzierten Einstufungen der Juden, Chasaren und Karäer durch die Nazi-Befehlshaber in Berlin.
Was sich hier in Bachtschyssaraj und in seinem Umfeld von 20 Kilometern in den letzten Jahrhunderten alles abgespielt hat, wäre Stoff für ein Dutzend Bücher oder mehr. (*)
Und die Krim einfach für Ferien zur Erholung?
Nur zum Schwimmen und Sonnenbaden auf die Krim zu fliegen, wäre, schon der doch relativ langen Flüge wegen, unsinnig. Wer seine Ferien gerne durchmischt, sich an einem Tag was ansehen möchte, am anderen aber lieber am Strand liegt, der liegt mit der Krim nicht falsch. Der ganzen Südküste entlang gibt es Dutzende von Stränden, die zum Schwimmen laden: Strände fern von Städten und Dörfern, ohne jede Infrastruktur, und Strände mit Coffee-Shops und anderen Annehmlichkeiten. Was – eine kleine Kritik muss hier angebracht werden – die öffentlichen Toiletten an den Stränden betrifft, ginge volles Lob daneben. In diesem Punkt besteht durchaus noch Nachhol-Bedarf.
Rückflug über Moskau – ein Nachteil?
Dass man wieder über Moskau von der Krim zurück nach Westeuropa fliegen muss, ist zwar etwas umständlich, aber man kann aus diesem Muss ja auch eine Chance machen – und zum Beispiel zwei oder drei Tage in Moskau bleiben und auch diese Stadt einmal aus der Nähe anschauen. Die Hotels sind zahlbar, die Taxis preisgünstig und es gibt überall auch geführte Besichtigungen in verschiedenen Sprachen.
Zur Geschichte der Chasaren und Karäer sei nochmals auf das äusserst informative Buch von Neal Ascherson: «Schwarzes Meer» verwiesen, das in deutscher Sprache leider nur noch in Bibliotheken und antiquarisch verfügbar ist.
Siehe zur Situation auf der Krim heute
- den ersten Teil der Serie über die Krim (ein allgemeiner historischer und politischer Überblick)
- auch den zweiten Teil der Serie über die Krim (zu Sewastopol)
- den dritten Teil der Serie über die Krim (zu Kertsch mit den Katakomben und zur neuen Brücke auf das russische Festland)
- den vierten Teil der Serie über die Krim (über die vielen jungen Tataren, die die ihnen gebotene berufliche Chance packen)
- den sechsten Teil der Serie über die Krim (zum Forum über die Verbreitung der russischen Sprache)
- den siebten Teil der Serie über die Krim (Persönliche Schlussfolgerungen des Autors)
Recherche vor Ort auf der Krim
Der Autor Christian Müller, Mitglied der Redaktionsleitung von Infosperber.ch, ist promovierter Historiker und Staatsrechtler und arbeitete über Jahrzehnte als Journalist und Redakteur und zuletzt als Medienmanager. Er besuchte die Krim zum ersten Mal im Jahr 2006 und wollte wissen, was sich seither verändert hat und wie die Situation auf der Krim für die dort lebenden Menschen heute ist: vor Ort auf der Krim recherchiert.
Um unabhängig zu sein und unabhängig informieren zu können, bestimmte Christian Müller alles selber: den Zeitpunkt seiner Reise, die Reiseroute, die Aufenthaltsorte (inkl. Hotels), von wem er sich informieren lassen und mit wem er reden wollte. Und er hat die ganze dreiwöchige Informationsreise aus eigener Tasche bezahlt. Das Einzige, wozu er die Unterstützung der Krim-Administration brauchte, waren der Besuch der neuen Schule für die Tataren in Simferopol, der Besuch des TV- und Radio-Senders der Tataren in Simferopol und die Besichtigung der sich noch im Bau befindlichen Moschee der Tataren (auch im Inneren), ebenfalls in Simferopol. Und aufgrund des aufgenommenen Kontakts mit den Behörden wurde er, da zeitlich zufällig übereinstimmend, zum fünften Forum zum Thema russische Sprache in Jalta eingeladen.
Als Dolmetscherin diente Christian Müller seine Ehefrau Anna Wetlinska, die die russische Sprache studiert hat, sie lückenlos versteht und ebenso perfekt spricht. Etliche der Gesprächspartner auf der Krim waren aber ihrerseits in der Lage, auch englisch zu kommunizieren.
Christian Müller hat auch die in den Krim-Konflikt involvierten Länder Russland und die Ukraine seit Mitte der 1980er Jahre mehrmals besucht.