Deutschlands schlechtes Gewissen …
Schon jedes Schulkind weiss es: Die Judenverfolgungen vor und im Zweiten Weltkrieg, für die Nazi-Deutschland verantwortlich war, sind ein tief trauriges Kapitel der neueren Geschichte. Dafür in Deutschland ein kollektiv schlechtes Gewissen zu haben, ist deshalb schon fast eine Norm: Geschätzt bis zu sechs Millionen Juden sind in Deutschland und nach Kriegsbeginn auch in einigen Nachbarländern umgebracht worden. Aber es gibt auch ein Thema, das konsequent ausgeblendet wird.
Ob der Satz der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2008 vor der israelischen Knesset, die Sicherheit Israels sei «deutsche Staatsräson», eine kluge Formulierung war, bleibe dahingestellt. Gerade auch jetzt wird das auch öffentlich wieder diskutiert. (Siehe zum Beispiel hier und hier und hier und hier)
Aber jetzt zu einem übersehenen Punkt. Da im deutschsprachigen und englischsprachigen Raum nur wenige Leute der russischen Sprache mächtig sind und zusätzlich behauptet wird, was im russischen Fernsehen gezeigt werde, sei ohnehin nur Kreml-Propaganda – notabene ein völliger Unsinn –, werden oft kluge Fragen und Gedanken, die dort in Moskau gestellt und diskutiert werden, im Westen gar nicht beachtet. Zum Glück gibt es in Brüssel den Gilbert Doctorow, der die Moskauer Diskussionen aufmerksam beobachtet und immer wieder darüber auf seiner Website in englischer Sprache berichtet. Und zum Glück gibt es in der Schweiz die Plattform Seniora.org, die Doctorows Berichterstattungen und Analysen ins Deutsche übersetzt und sie dann auch deutsch publiziert.
Ein gutes Beispiel ist eine Frage, die im Moskauer Fernsehen gestellt wurde. Konkret: Dass Deutschland der von Nazi-Deutschland betriebenen Juden-Verfolgungen und -Vernichtungen wegen ein schlechtes Gewissen habe, sei nachvollziehbar. Aber, warum hat Deutschland eigentlich nicht auch Russland gegenüber ein schlechtes Gewissen, wo doch Hitler-Deutschlands Versuch, die Sowjetunion zu erobern, in der gleichen Zeit auf der Sowjetseite geschätzte 27 Millionen Kriegsopfer forderte, davon mindestens die Hälfte Zivilisten, also 13 bis 14 Millionen? Allein schon die bewusste Belagerung und das Aushungern von Leningrad, heute St. Petersburg, führte zu rund einer Million zivilen Toten. Die meisten davon starben, wie von Deutschland gewollt, an Hunger.
Moderator Jewgeni Popow fragte in einer Diskussionsrunde des Programms «60 Minuten» rhetorisch: „Und erinnern sich die Deutschen nicht an ihre Verantwortung für die Ermordung von 27 Millionen Sowjetbürgern im Zweiten Weltkrieg? Fühlen sie sich nicht dafür verantwortlich, die Sicherheit Russlands heute zu gewährleisten?“
Warum hat Deutschland den Juden und Israel gegenüber ein schlechtes Gewissen? Und warum verbreitet es Russland gegenüber, wo immer es möglich ist, den puren Hass auf Russland? Warum liefert Deutschland jede Menge Waffen und Munition an die Ukraine, um Russland besiegen zu können, aber Olaf Scholz fliegt nach Tel Aviv, um Israel der Solidarität Deutschlands zu versichern, und er fliegt – auch Symbole werden verstanden! – mit einer Maschine der Bundeswehr, will heissen, im Bedarfsfall wird Deutschland Israel auch militärisch helfen?
Die vielleicht einfachste Interpretation dieses total unterschiedlichen Verhaltens ist die: Israel ist wohl der engste Verbündete der USA. Da sind auch engste Beziehungen zwischen Deutschland und Israel – im Sinne des strengen deutschen Gehorsams gegenüber den USA – nachgerade selbstverständlich. Umgekehrt im Falle Russland: Nicht jedes Schulkind, aber jeder auch nur halbbelesene deutsche Politiker und jede auch nur halbbelesene deutsche Politikerin wissen es: Für die USA wären gute Beziehungen zwischen Deutschland und Russland die größte Gefahr, denn nichts passt so gut zusammen wie die Technologie und Industrie auf deutscher Seite und die unendlichen Bodenschätze auf russischer Seite. Wenn diese beiden Länder zusammenkommen, haben die USA dem nichts Gleichwertiges entgegenzuhalten. Also muss alles getan werden, um zwischen diesen zwei Ländern politische und/oder wirtschaftliche Annäherungen zu vermeiden.
Und hier die politische Folgerung daraus:
Zur ganzen Rede von George Friedman.
Alles klar?
Oder bedauert Deutschland vielleicht auch heute noch, dass Hitler in seinem Feldzug Richtung Osten nicht erfolgreich war? Diese Erklärung wollen wir lieber schon gar nicht in Erwägung ziehen. Wie sähe Europa heute aus, wenn damals die Rote Armee die Hitler-Truppen in Stalingrad und Kursk nicht geschlagen hätte? Man darf gar nicht daran denken.