Ein diplomatischer Erfolg für China: Der Iran und Saudi-Arabien reden wieder miteinander. (Bild China-Gov)

Das Entstehen einer Multipolaren Weltordnung: China vermittelt zwischen Iran und Saudi-Arabien

Der Iran ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Auch über das politische System und innere Widersprüche, über Geschichte und Gegenwart, über die wirtschaftliche Situation, Kultur und Bildung weiß man wenig. Wie sehr Land und Gesellschaft unter den von den USA und der EU verhängten einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen (Sanktionen) zu leiden haben, wird von Politik und Medien kaum thematisiert. 

Geopolitisch ist der Iran für den von den USA geführten Westen ein Feindstaat, seit die US-Administration in Person von George W. Bush vor 21 Jahren Iran, Irak und Nordkorea auf einer „Achse des Bösen“ platziert hat. Den USA folgend sieht die EU in der Region des Nahen und Mittleren Ostens – geographisch Westasien – zukünftige Frontlinien zwischen Iran und Saudi-Arabien. Dabei gilt Saudi-Arabien als langjähriger Unterstützer und Partner des Westens, nicht zuletzt wegen der Öllieferungen. Als „sunnitisches Königreich“ kämpft es gegen den „bösartigen“ schiitischen Iran, wie es im US-Außenministerium heißt. 

Der tragische Tod einer jungen Frau auf der Wache iranischer „Sittenpolizei“ im Herbst 2022 führte zu Protesten im Iran, die von bewaffneten Gewalttätern gegen die iranische Führung benutzt wurden. Die Sicherheitskräfte reagierten, es gab Tote, viele Menschen wurden verhaftet. Bilder, die über „soziale Medien“ und den Satelliten-Fernsehsender Iran International verbreitet wurden, galten in den USA und Europa als Beweise dafür, dass eine „feministische Revolution“ im Iran entstanden war. Iranische Exilgemeinden und Exilparteien organisierten Demonstrationen, um die Protestbewegung im Iran zu unterstützen. Westliche Sanktionen, mediale und politische Unterstützung sollen den „Aufstand der Frauen“ stärken, um „das Regime“ zu isolieren und letztlich zu stürzen.

Es gibt – wie in jedem Land – viele innergesellschaftliche Probleme und – gemessen an westlichen Standards – Unfreiheiten. Dennoch gehört das Land zu den am meisten entwickelten Staaten der Region. Soziologisch wird die Entwicklung einer Gesellschaft an der Entwicklung der weiblichen Bevölkerung gemessen, besonders an der Alphabetisierung von Frauen, ihrem Bildungsstand, der Berufstätigkeit und an der Geburtenrate. Besuchten 1971 rund 36 Prozent der Mädchen eine Grundschule, waren es 2017 99 Prozent. Betrug der Anteil von Mädchen und jungen Frauen an den Hochschulen 1978 nur 3 Prozent, waren es 59 Prozent im Jahr 2018 und mehr als 60 Prozent 2022.

Deutsche Parteienstiftungen haben umfangreiche Programme unter der Parole „Frauen-Leben-Freiheit“ aufgelegt, die während der Proteste von Frauen im Iran gerufen worden war. Die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) veröffentlichte einen Text darüber, dass im Iran „feministische Weltgeschichte“ geschrieben werde. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (Die Linke) sieht den „Iran vor der Revolution“ und diskutiert, dass die Menschen „nichts weniger als den Sturz des Regimes“ wollten. 

Wer sagt, was die Menschen im Iran wollen?

Der Iran ist anders, als westliche Politik und Medien das Land darstellen. Der Iran ist vielfältiger, als iranische Oppositionelle im Exil es auf Kundgebungen und bei Fernsehdebatten vermitteln wollen. Wie im Irak 2003, in Syrien 2011, in Libyen 2011 und auch im Jemen, vermitteln Auslandsoppositionelle nicht das, was Oppositionelle im Land und die Menschen ganz allgemein fordern. Sich zum Fürsprecher für Menschen zu machen, die angeblich selber keine Stimme haben, trägt die Gefahr in sich, den Menschen Forderungen in den Mund zu legen, die sie gar nicht haben. Sicher wollen Frauen keinen Kleiderzwang und auch familienrechtliche Gleichstellung nicht nur auf dem Papier, sondern in der Praxis. Sicher wollen alle Iraner gute Lebensbedingungen und eine Arbeit, mit der sie genug verdienen, um die Familie zu ernähren und den Kindern eine gute Zukunft geben zu können. Doch wollen die Iraner die Isolation ihrer Heimat, mehr wirtschaftliche Strafmaßnahmen, keinen Dialog über das Atomprogramm und ja, vielleicht sogar, dass die Atomanlagen zerbombt werden, wie es Israel plant?

Oppositionsgruppen und Parteien im Iran und einzelne Oppositionelle suchen immer nach Wegen, sich innerhalb der gegebenen Bedingungen Freiraum für politische, persönliche und wirtschaftliche Entwicklung zu verschaffen. Militärische Drohungen von außen oder Waffenlieferungen, politische und wirtschaftliche Isolation und immer neue Sanktionen nutzen den Menschen nicht, ob sie Anhänger der islamischen Führung in Teheran sind oder nicht. Oppositionelle im Iran wollen keinen Krieg, sondern Veränderung, die sie und ihre Kinder auch noch erleben können. Sie wollen eine Zukunft in ihrer Heimat, sie wollen nicht erleben, was der Bevölkerung im Irak, in Libyen, Syrien oder Jemen wiederfahren ist. Sie wollen nicht, dass ihre Heimat und ihre Lebensgrundlagen zerstört werden.

Neue Chance für die Persische Golfregion

Nun hat China eine Annäherung zwischen den beiden großen Regionalmächten der Persischen Golfregion vermittelt. Iran und Saudi-Arabien haben schon lange erkannt, dass ihre Gemeinsamkeiten wichtiger sind als ihre Unterschiede. Die nutzlosen Stellvertreterkriege und Krisen in zahlreichen Ländern der Region und im jeweils anderen Land sind für alle Seiten teuer und zerstörerisch. 

Am 10. März unterzeichneten die Nationalen Sicherheitsberater beider Länder in Peking eine gemeinsame Erklärung für die Wiederaufnahme der bilateralen Beziehungen. Auch China unterzeichnete und verpflichtete sich so, als Vermittler und Garantiemacht für und mit beiden Seiten die Wiederherstellung der nachbarschaftlichen Beziehungen zu unterstützen. Angesichts der „brüderlichen Verbundenheit“ bekräftigten Iran und Saudi-Arabien ihren „gemeinsamen Wunsch, Unstimmigkeiten im Dialog und diplomatisch zu lösen“. 

Die Vereinbarung sieht vor, dass die Außenminister des Iran und Saudi-Arabiens die Öffnung ihrer jeweiligen Botschaften innerhalb von zwei Monaten vorbereiten. Beide Staaten verpflichten sich, die Souveränität des anderen zu respektieren und sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen. Ein bilaterales Abkommen zur Kooperation in Sicherheitsfragen vom April 2001 soll wieder in Kraft gesetzt werden. Ein Kooperationsabkommen für Wirtschaft, Handel, Investitionen, Technologie, Wissenschaft, Kultur, Sport und Jugend vom Mai 1998 soll reaktiviert werden. Die drei Unterzeichnerstaaten erklärten, sich gemäß der UN-Charta regional und international für Frieden und Sicherheit einzusetzen.

Die Vereinbarung wurde von dem langjährigen chinesischen Außenminister Wang Yi unterzeichnet, Mitglied im Politbüro des Zentralkomitees der KP-China und Direktor der Außenpolitischen Kommission der KP. Für Saudi-Arabien unterschrieb Staatsminister Musaad bin Mohammed al Aiban, der Nationale Sicherheitsberater. Für die Islamische Republik Iran unterzeichnete Ali Shamkhani die Vereinbarung, er ist Vorsitzender des Obersten Nationalen Sicherheitsrats.

Ausdrücklich wurde dem Irak und dem Sultanat Oman für deren Unterstützung gedankt. Delegationen beider Länder hatten sich 2021/22 mehrfach in beiden Ländern getroffen, um ihre Positionen auszuloten. Auch China wurde gedankt, das den Annäherungsprozess eng begleitet hatte. 

Vorbereitet worden war die Vereinbarung auf höchster Ebene vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der Mitte Februar den iranischen Präsidenten Ibrahim Raisi in Peking getroffen hatte. Im März 2021 hatten China und Iran einen auf 25 Jahre angelegten Plan für Zusammenarbeit und Investitionen unterzeichnet. Rund 100 gemeinsame Projekte für den Auf- und Ausbau von Infrastrukturen und Freihandelszonen waren vereinbart worden.

Anfang Dezember 2022 hatte Xi Jinping auf Einladung des saudischen Königs Salman Saudi-Arabien einen offiziellen Staatsbesuch abgestattet. Zwischen beiden Ländern bestehen seit 1990 diplomatische Beziehungen, 2016 wurde eine umfassende strategische Partnerschaft beider Länder vereinbart. Während seines Aufenthaltes in Saudi-Arabien nahm Xi Jinping am ersten Gipfeltreffen zwischen China und den Arabischen Staaten und an einem Treffen mit den Golfkooperationsstaaten (GCC) teil.

Am Montag wurde bekannt, dass der saudische König Salman den Präsidenten des Iran, Ibrahim Raisi zu einem Staatsbesuch eingeladen hat. Raisi nehme die Einladung an, hieß es aus seinem Büro. Iran sei bereit, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern auszuweiten. Ein Termin für den Staatsbesuch wird nicht vor der Wiedereröffnung beider Botschaften erwartet.

USA, EU und die Vereinten Nationen schienen überrascht und äußerten sich eher verhalten zu dem diplomatischen Meisterstück Chinas. Das Weiße Haus begrüßte das Abkommen, man werde aber abwarten müssen, ob der Iran seinen Verpflichtungen nachkommen werde. Das Büro des EU-Außenbeauftragten Joseph Borrell erklärte die Stabilisierung der arabischen Halbinsel entspreche der EU-Politik. Man sei bereit, mit allen Akteuren in der Region schrittweise, integrativ und transparent zusammenzuarbeiten. Das französische Außenamt forderte Iran auf, seine „destabilisierenden Aktivitäten“ in der Region einzustellen. Das Auswärtige Amt überließ es den Pressesprechern der Bundespressekonferenz, Fragen von Journalisten zu beantworten. UN-Generalsekretär Antonio Guterres ließ mitteilen, er biete weiterhin seine „guten Dienste an, um den regionalen Dialog auszuweiten“. Gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien seien wichtig für die Stabilität der Golfregion.

Frischer Wind weht über die Persische Golfregion

In allen Teilen der Region wurde die Entwicklung begrüßt. Man hofft auf ein Ende der Kriege im Jemen und in Syrien, auf eine politische Stabilisierung im Libanon, auf wirtschaftliche Kooperation und Stabilität, wenn das politische und ökonomische Klima sich verbessert. 

Lediglich Israel sieht sich als Verlierer seiner eigenen Konfrontationspolitik. Die Regierung ist vehement gegen ein Atomabkommen mit dem Iran und warnt gleichzeitig, dass der Iran bald atomare Waffen entwickeln könnte. Anders als Israel, das seit Jahrzehnten selber im Besitz von Atomwaffen ist, die es nie deklariert hat, stimmt der Iran der Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zu. Israelische Militärs und Politiker beschuldigen sich gegenseitig, dass Saudi-Arabien, mit dem die Beziehungen im Rahmen des „Abraham Abkommens“ normalisiert werden sollten, mit dem „Erzfeind“ Iran ein solches Abkommen schließen konnte. Der US-Plan, mit den arabischen Golfstaaten, Israel und der NATO einen militärischen Abwehrschirm gegen Iran zu errichten, dürfte vorerst auf Eis gelegt werden.

Eine multipolare Weltordnung entsteht

In vielerlei Hinsicht sei die Vereinbarung außergewöhnlich, erklärte Mohammad Ballout vom Zentrum für die Studien der Palästinensischen Einheit in Beirut (im Gespräch mit der Autorin). Seit langem sei es das erste Mal, dass eine Großmacht zwei Regionalstaaten dazu gebracht habe, nutzlose Streitigkeiten einzustellen. China habe mit beiden Staaten wirtschaftliche und politische Beziehungen geknüpft, die den Annäherungsprozess absichern könnten. „Nicht die USA geben den Weg vor, sondern China“, so Ballout. Im Mittleren Osten entstehe eine multipolare Weltordnung, das sei auch eine Auswirkung des Krieges in der Ukraine. Die USA hätten Vertrauen verspielt. „Sie sind kein ernst zu nehmender Partner mehr“. 

Ballout, der mehr als 30 Jahre für die libanesische Tageszeitung As Safir, die BBC, arabische und französische Medien aus Kriegen in Jugoslawien über Ruanda, Afghanistan, Irak, Libyen, Libanon und Syrien berichtet hat, betonte, dass die Entwicklung Zeit brauche und es sicherlich noch einige Hürden zu überwinden gebe. Wichtig sei, dass China gezeigt habe, dass es nicht nur ein Land der Händler sei, sondern Außenpolitik verstehe. China habe gezeigt, dass in der internationalen Politik ein völlig anderer Ansatz möglich sei: „Anders als die USA und die EU setzt China keine Sanktionen ein, sie drohen nicht. Sie handeln als Politiker und Diplomaten.“ Die USA hätten sich aus dem Mittleren Osten zurückgezogen, um China einzudämmen. „Und China landet im Mittleren Osten und füllt das Vakuum, dass die USA hinterlassen haben.“

Siehe dazu auch: «Saudi-Arabien eröffnet Konsulat in Damaskus wieder», auf Seniora.org

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