Die dreieinhalb Meter große Albert Einstein-Skulptur auf dem «Bistro Media» an der Badenfahrt 2023 (Foto CH-Media)

Albert Einstein und die Ironie des Schicksals – diesmal in Baden (Schweiz)

Gestern Sonntag ist die «Badenfahrt», das Jubiläumsfest für die erste Eisenbahn der Schweiz, die sogenannte «Spanischbrötlibahn» zwischen Zürich und Baden im Jahr 1847, nach zehn Tagen zu Ende gegangen – mit wieder deutlich über einer Million Besuchern. Eines der vielfältigsten und meistbesuchten Feste der Schweiz – einfach phantastisch! Doch was hat das mit Albert Einstein zu tun?

Albert Einstein ist in Aarau, der Hauptstadt des Schweizer Kantons Aargau, gut 25 km westlich von Baden, in die Kantonsschule – ins Gymnasium – gegangen. So wie, über hundert Jahre später, auch der Verleger des heute nachgerade gigantischen Schweizer Medienkonzerns CH-Media Peter Wanner in den frühen 1960er Jahren auch.(*) Ein guter Grund, in Aarau – oder eben sogar in Baden – an das weltbekannte Genie Albert Einstein zu erinnern. In Aarau zum Beispiel gibt es seit etlichen Jahren ein Restaurant «Einstein». Besitzer ist Medien-Mogul Peter Wanner. Und jetzt, an der Badenfahrt 2023, gibt es die gigantische Festwirtschaft «Media Bistro», betrieben von Peter Wanners Medien, Zeitungen, Radio und Fernsehstationen. Und auf dem Dach eben dieser Festwirtschaft sitzt riesengroß – wer wohl? – Albert Einstein! Eine 3.5m große Albert Einstein-Skulptur! Absolut wunderbar! Albert Einstein auch als Symbol für intelligenten, guten Journalismus?

Albert Einstein hat sich tatsächlich auch einmal prominent zum Journalismus geäussert, im Jahr 1949 aus Anlass der zu gründenden US-amerikanischen Monatszeitschrift «Monthly Review» mit dem Untertitel «An Independent Socialist Magazine». Er schrieb zum Thema «Krise und Sozialismus». Seine dort geäusserten Beobachtungen und Gedanken passen aber ebensogut in die heutige Zeit, in eine Zeit, in der die Medienlandschaften von einigen wenigen – kapitalistisch profitorientiert wirtschaftenden – Medienkonzernen beherrscht werden, die notabene alles Andere als eine gerechte und soziale Welt predigen. Albert Einstein also auch als Symbol für moderne Medien-Konzerne wie CH-Media? Das nennt man Ironie des Schicksals.

Der Mensch ist ein soziales Wesen – und er muss dieses pflegen

Albert Einsteins Text – ohne einen ersten Teil – ins Deutsche übersetzt:

«Ich bin jetzt an dem Punkt angelangt, an dem ich kurz aufzeigen kann, was für mich das Wesen der Krise unserer Zeit ausmacht. Sie betrifft das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft. Der Einzelne ist sich mehr denn je seiner Abhängigkeit von der Gesellschaft bewusst geworden. Aber er erlebt diese Abhängigkeit nicht als positives Gut, nicht als organisches Band, nicht als Schutzmacht, sondern als Bedrohung seiner natürlichen Rechte, ja sogar seiner wirtschaftlichen Existenz. Darüber hinaus ist seine Stellung in der Gesellschaft so beschaffen, dass die egoistischen Triebe seiner Veranlagung ständig akzentuiert werden, während sich seine sozialen Triebe, die von Natur aus schwächer sind, nach und nach verschlechtern. Alle Menschen, unabhängig von ihrer Stellung in der Gesellschaft, leiden unter diesem Prozess des Verfalls. Unwissentlich Gefangene ihres eigenen Egoismus geworden, fühlen sie sich unsicher, einsam und des naiven, einfachen und unkultivierten Lebensgenusses beraubt. Der Mensch kann den Sinn des Lebens, so kurz und gefährlich es auch ist, nur dadurch finden, dass er sich der Gesellschaft widmet.

Die wirtschaftliche Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft, wie sie heute besteht, ist meiner Meinung nach die wahre Quelle des Übels. Wir sehen vor uns eine riesige Gemeinschaft von Produzenten, deren Mitglieder unaufhörlich danach streben, sich gegenseitig der Früchte ihrer kollektiven Arbeit zu berauben – nicht mit Gewalt, sondern im Grossen und Ganzen unter getreuer Einhaltung der gesetzlich festgelegten Regeln. In dieser Hinsicht ist es wichtig zu erkennen, dass die Produktionsmittel, d.h. die gesamte Produktionskapazität, die für die Herstellung von Konsumgütern sowie von zusätzlichen Investitionsgütern benötigt wird, rechtlich gesehen Privateigentum des Einzelnen sein kann und zum grössten Teil auch ist.

Der Einfachheit halber werde ich in der folgenden Diskussion all diejenigen als ‹Arbeiter› bezeichnen, die nicht am Eigentum der Produktionsmittel beteiligt sind – was allerdings nicht ganz dem üblichen Gebrauch des Begriffs entspricht. Der Eigentümer der Produktionsmittel ist in der Lage, die Arbeitskraft des Arbeiters zu kaufen. Durch den Einsatz der Produktionsmittel produziert der Arbeiter neue Güter, die in das Eigentum des Kapitalisten übergehen. Der wesentliche Punkt in diesem Prozess ist das Verhältnis zwischen dem, was der Arbeiter produziert, und dem, was ihm bezahlt wird, beides gemessen am realen Wert. Insofern der Arbeitsvertrag ‹frei› ist, wird das, was der Arbeiter erhält, nicht durch den realen Wert der von ihm produzierten Güter bestimmt, sondern durch seine Mindestbedürfnisse und durch die Anforderungen der Kapitalisten an die Arbeitskraft im Verhältnis zur Anzahl der Arbeiter, die um Arbeitsplätze konkurrieren. Es ist wichtig zu verstehen, dass selbst in der Theorie die Bezahlung des Arbeiters nicht durch den Wert seines Produktes bestimmt wird.

Das Privatkapital neigt dazu, sich in wenigen Händen zu konzentrieren, teils aufgrund der Konkurrenz unter den Kapitalisten, teils weil die technologische Entwicklung und die zunehmende Arbeitsteilung die Bildung grösserer Produktionseinheiten auf Kosten der kleineren begünstigt. Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist eine Oligarchie des Privatkapitals, dessen enorme Macht auch von einer demokratisch organisierten politischen Gesellschaft nicht wirksam kontrolliert werden kann. Dies trifft zu, da die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften von politischen Parteien ausgewählt werden, die grösstenteils von Privatkapitalisten finanziert oder anderweitig beeinflusst werden (zum Beispiel von Konzern-Medien, Red.), die aus praktischen Gründen die Wählerschaft von der Legislative trennen. Die Folge ist, dass die Volksvertreter die Interessen der unterprivilegierten Bevölkerungsschichten nicht ausreichend schützen. Darüber hinaus kontrollieren die Privatkapitalisten unter den bestehenden Bedingungen zwangsläufig direkt oder indirekt die wichtigsten Informationsquellen (Presse, Radio, Bildung). Es ist daher für den einzelnen Bürger äusserst schwierig, ja in den meisten Fällen sogar ganz unmöglich, objektive Schlussfolgerungen zu ziehen und seine politischen Rechte intelligent zu nutzen.

Die Situation in einer Wirtschaft, die auf dem Privateigentum des Kapitals basiert, ist somit durch zwei Hauptprinzipien gekennzeichnet: Erstens befinden sich die Produktionsmittel (Kapital) in Privatbesitz, und die Eigentümer verfügen über sie nach eigenem Gutdünken; zweitens ist der Arbeitsvertrag frei. Natürlich gibt es in diesem Sinne keine rein kapitalistische Gesellschaft. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass es den Arbeitern durch lange und erbitterte politische Kämpfe gelungen ist, eine etwas verbesserte Form des ‹freien Arbeitsvertrags› für bestimmte Kategorien von Arbeitern durchzusetzen. Aber insgesamt gesehen unterscheidet sich die heutige Wirtschaft nicht viel vom ‹reinen› Kapitalismus.

Die Produktion wird für den Profit, nicht für den Gebrauch betrieben. Es ist nicht vorgesehen, dass alle arbeitsfähigen und arbeitswilligen Personen immer in der Lage sein werden, eine Beschäftigung zu finden; es existiert fast immer eine ‹Armee› von Arbeitslosen. Der Arbeiter hat ständig Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Da arbeitslose und schlecht bezahlte Arbeiter keinen profitablen Markt bieten, ist die Produktion von Konsumgütern eingeschränkt, und grosse Not ist die Folge. Technischer Fortschritt führt häufig eher zu mehr Arbeitslosigkeit als zu einer Erleichterung der Arbeitslast für alle. Das Profitmotiv ist in Verbindung mit dem Wettbewerb unter den Kapitalisten für eine Instabilität bei der Akkumulation und Nutzung des Kapitals verantwortlich, die zu immer schwereren Depressionen führt. Unbegrenzter Wettbewerb führt zu einer enormen Vergeudung von Arbeit und zu jener Lähmung des sozialen Bewusstseins der Individuen, die ich vorhin erwähnt habe.

Diese Lähmung des Individuums halte ich für das schlimmste Übel des Kapitalismus. Unser gesamtes Bildungssystem leidet unter diesem Übel. Dem Schüler wird eine übertriebene Konkurrenzhaltung eingeimpft, der dazu ausgebildet wird, den Erwerbserfolg als Vorbereitung auf seine zukünftige Karriere zu verehren.

Es gibt nur einen Weg

Ich bin überzeugt, dass es nur einen Weg gibt, diese gravierenden Übel zu beseitigen, nämlich durch die Errichtung einer sozialistischen Wirtschaft, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialen Zielen orientiert. In einer solchen Wirtschaft sind die Produktionsmittel im Besitz der Gesellschaft selbst und werden planmässig eingesetzt. Eine Planwirtschaft, die die Produktion an die Bedürfnisse der Gemeinschaft anpasst, würde die zu leistende Arbeit unter allen Arbeitsfähigen verteilen und jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind eine Existenzgrundlage garantieren. Die Erziehung des Einzelnen würde neben der Förderung seiner eigenen angeborenen Fähigkeiten versuchen, in ihm ein Verantwortungsgefühl für seine Mitmenschen zu entwickeln, anstelle der Verherrlichung von Macht und Erfolg in unserer heutigen Gesellschaft.

Dennoch ist es notwendig, daran zu erinnern, dass eine Planwirtschaft noch kein Sozialismus ist. Eine Planwirtschaft als solche kann mit der vollständigen Versklavung des Individuums einhergehen. Die Verwirklichung des Sozialismus erfordert die Lösung einiger äusserst schwieriger sozio-politischer Probleme: Wie kann man angesichts der weitreichenden Zentralisierung der politischen und wirtschaftlichen Macht verhindern, dass die Bürokratie allmächtig und überheblich wird? Wie können die Rechte des Einzelnen geschützt und damit ein demokratisches Gegengewicht zur Macht der Bürokratie gesichert werden?

Klarheit über die Ziele und Probleme des Sozialismus ist in unserem Zeitalter des Übergangs von grösster Bedeutung. Da unter den gegenwärtigen Umständen die freie und ungehinderte Diskussion dieser Probleme unter ein starkes Tabu geraten ist, betrachte ich die Gründung dieser Zeitschrift («Monthly Review», Red.) als einen wichtigen öffentlichen Dienst.»

Albert Einstein, 1878 – 1955. An den heutigen Medien hätte er keine Freude, auch nicht am Medien-Konzern CH-Media.

«Monthly Review» – es gibt diese Zeitschrift noch immer

«Monthly Review» erscheint noch immer, gedruckt auf Papier im handlichen B5-Format, und kann auch in Europa abonniert werden, in der preiswertesten Form schon für umgerechnet weniger als 50 Euros oder Schweizer Franken bei 11 Ausgaben im Jahr. Die Autoren der darin publizierten Beiträge sind meist erfahrene Wissenschaftler aus allen Forschungsrichtungen, die sich gegen die weltweit sich immer schneller und dramatischer öffnende Kluft zwischen Arm und Reich zur Wehr setzen.

* Auch der Autor dieses Artikels, Christian Müller, hat das Gymnasium in Aarau besucht, in den gleichen vier Jahren wie Peter Wanner, 1961 – 1964. Und für die Badenfahrt 1977 hat er, als junger Redakteur am «Badener Tagblatt», die Idee eines «Bistro de la Presse» gehabt, es eigenhändig installiert und betrieben, um den Leserinnen und Lesern zu ermöglichen, bei einem Glas Wein mit der Redaktion ins Gespräch zu kommen. Das geschah damals allerdings noch auf der Basis von Freiwilligen-Einsatz der jungen Redakteure und anderer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma, und finanziert war es damals noch aus der eigenen Tasche. Tempi passati.

Und hier noch ein besseres Foto vom gigantischen Albert Einstein auf dem Media Bistro, eingesandt von einem begeisterten Leser des Artikels auf Globalbridge.ch! Danke!