Der Westen muss seine bedingungslose Unterstützung für Kiew beenden
Alain Gabon, außerordentlicher Professor für Französisch und Vorsitzender der Abteilung für Fremdsprachen und Literaturen an der Virginia Wesleyan University in Virginia Beach, USA, hat auf der US-amerikanischen Plattform «Information Clearing House» einen Beitrag zur Mythisierung von Wolodymyr Selenskyj veröffentlicht – und Globalbridge.ch erlaubt, seinen Text ins Deutsche zu übersetzen und zu veröffentlichen. (cm)
Akademische Studien, dissidente Intellektuelle und die Geschichte selbst haben gezeigt, wie schnell sich unsere Informationssysteme in gigantische Propagandamaschinen verwandeln können, sobald Staaten in den Krieg ziehen.
Mitten im Russland-Ukraine-Krieg bieten die NATO und die Europäische Union ein perfektes Beispiel für diese Art von „Kriegskommunikation“. In Bezug auf Zensur, Desinformation und Propaganda erleben wir eine Wiederholung der Ereignisse während des Golfkriegs und der Invasion im Irak 2003.
Wohin man sich auch wendet, mit wenigen Ausnahmen kommen nur die Stimmen zu Wort, die die offizielle Parteilinie vertreten: NATO-Sprecher, pensionierte Offiziere, die zum lukrativen Geschäft der Sicherheitsberatung übergegangen sind, „geopolitische Experten“ (aber nur solche, die sich an das Drehbuch halten), politische Gegner Russlands, ukrainische Abgeordnete und andere Verbündete von Präsident Wolodymyr Selenskyj, der selbst Gegenstand eines sinnlosen Personenkults ist.
Die Verehrung und sogar Mythisierung Selenskyjs, die absurde Ausmaße angenommen hat, erklärt sich zum Teil durch die verständliche Abneigung gegen den Aggressor, den russischen Präsidenten Wladimir Putin, und durch das schauspielerische Talent Selenskyjs, eines professionellen Komikers, der die Gunst der Stunde genutzt hat, um sich radikal als Symbol des Widerstands, der Freiheit und der Demokratie zu profilieren – das Lager des Guten gegen das „absolut Böse“, das von Putin verkörpert wird, eine Art Mischung aus Che Guevara und Rambo.
Aber es liegt auch ein logischer Fehler vor, nämlich der Trugschluss, dass, wenn Putin der Superschurke ist und Selenskyj angreift, dieser zwangsläufig der gute und edle Held ist, der unsere bedingungslose Unterstützung verdient. Mit anderen Worten: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Aber wenn Putin tatsächlich der Bösewicht ist und die Ukraine ein Land ist, das angegriffen wird, dann macht das Putins Gegner nicht automatisch zu einem Heiligen, vor dem sich alle verneigen sollten.
Entmystifizierung von Selenskyj
Denn wer ist Selenskyj wirklich? Kurz gesagt: Er ist ein populistischer Demagoge und Manipulator; ein Autokrat an der Spitze eines Regimes, das man am besten als protofaschistisch bezeichnen kann, ohne Putins pathetisches Alibi einer „nazifizierten“ Ukraine zu übernehmen.
Mit seinem demagogischen Ruf „das Volk gegen die Eliten“, seinem rudimentären Wahlprogramm, seinen falschen Versprechungen zur Korruptionsbekämpfung, die gleich nach seiner Wahl vergessen wurden, und seinen brutalen autoritären Neigungen ist Selenskyj ein perfektes Beispiel für westlichen Populismus – Lichtjahre von seinem sorgfältig aufgebauten Medienimage entfernt. Erst letztes Jahr zeigten die Pandora Papers, wie er und sein enger Kreis von einem Netz von Offshore-Firmen profitierte. Seit dem Einmarsch der Russen scheinen die Experten diese Fakten bequemerweise „vergessen“ zu haben.
Laut dem jüngsten Korruptionsindex von Transparency International erreichte die Ukraine unter Selenskyj 32 von 100 Punkten auf einer Skala, bei der 0 für hochgradig korrupt und 100 für sehr sauber steht. Damit lag sie nur wenige Punkte vor Russland und gleichauf mit Ländern wie Sambia, Algerien und Ägypten, die von Korruption heimgesucht werden. Dies war bereits der Fall, bevor der Westen begann, Milliarden in die Ukraine zu pumpen.
Was Selenskyjs Zustimmungswerte betrifft, so befanden sie sich kurz vor Ausbruch des Krieges im freien Fall: 55 Prozent der ukrainischen Wähler sprachen sich gegen seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit aus. Selenskyj wurde also buchstäblich durch Putins Einmarsch im Februar gerettet, der sich für ihn und seine Kumpane als wahres Wunder erwiesen hat.
Auch das Kiewer Regime weist immer mehr protofaschistische Züge auf: den Personenkult, der das Staatsoberhaupt zu einer verehrten und unantastbaren Figur macht, die Militarisierung der Gesellschaft, die Überflutung der Medien und des kulturellen Raums mit Kriegspropaganda, die ständige Inszenierung eines kruden Krieger-Machismo, der dem Putins nicht unähnlich ist, die systematische Korruption und natürlich die Integration von Neonazi-Gruppen wie dem Asow-Regiment in die reguläre Armee.
Kriegspropaganda
Es ist eine tiefe Ironie, dass westliche Medien vor dem Krieg die Realität dieses Problems anerkannt haben – aber sobald der Krieg begann, wurden diese Gruppen auf magische Weise als „Freiheitskämpfer“ beschönigt und durch die typische Propaganda als heldenhafte Widerständler gepriesen. Jeder, der jetzt das Thema anspricht, wird sofort beschuldigt, Putins Propaganda zu verbreiten oder ein Agent des Kremls zu sein.
Noch schockierender, aber typisch für die Kriegspropaganda, ist die systematische Zensur jeglicher Informationen durch die dominierenden westlichen Medien, die die Selenskyj-Verehrung und die bedingungslose Unterstützung des Kiewer Regimes in Frage stellen würden.
In einem Präsidialdekret vom März verbot Selenskyj die Opposition, indem er die Aktivitäten von elf politischen Parteien, die beschuldigt wurden, Verbindungen zu Russland zu haben, suspendierte. So wurde die Invasion auf zynischste Weise als bequemer Vorwand genutzt, um mit der falschen Rhetorik der „Kollaboration mit dem Feind“ gegen die politische Opposition vorzugehen.
Selenskyj berief sich auch auf den Krieg, um die Medienfreiheit zu beseitigen, indem er die ukrainischen Fernsehsender zu einer einzigen Informationsplattform namens „United News“ zusammenlegte und verstaatlichte – eine Plattform, die ausschließlich seiner Propaganda diente.
Es sollte inzwischen klar sein, dass das Selenskyj-Regime von den fanatischsten und extremsten Eskalationisten aus der Ukraine und dem Ausland kontrolliert wird, angefangen bei US-Präsident Joe Biden, der jedes Gespräch über diplomatische Verhandlungen beiseite geschoben hat.
Selenskyj selbst, der durch den irrsinnigen Personenkult und seine Machtkonsolidierung schwindlig geworden ist, wurde so in der Illusion bestärkt, dass er militärisch „gewinnen“ kann – ohne überhaupt zu definieren, was „Sieg“ in dieser Situation bedeuten könnte, und noch weniger, wie viel mehr es sein eigenes Volk kosten wird. Obwohl er anfangs zu Verhandlungen und Kompromissen bereit war, hat er sich inzwischen auf die Seite der extremsten Kriegsfanatiker geschlagen, die sich nicht um das übrige Europa zu scheren scheinen, das sie lediglich als etwas betrachten, das sie für mehr Waffen und Geld ausbeuten können.
Rücksichtslose Eskalation
Die Interventionen der zahllosen ukrainischen Propagandisten, die unsere (Des-)Informationssysteme übernommen haben, machen deutlich, dass sie, wenn sie könnten, uns alle bereits in einen offenen und direkten Krieg mit der Atommacht Russland hineingezogen hätten. Wir wären gut beraten, wenn wir uns auch vor ihnen schützen würden.
Anstatt sich zu dieser rücksichtslosen militärischen Eskalation eines Krieges, der seine eigene Bevölkerung und sein Land verwüstet, ermutigen zu lassen, sollte Selenskyj stattdessen an den Verhandlungstisch gedrängt werden – zu seinem eigenen Wohl, dem seines leidenden Volkes und dem Wohl der Welt, die jetzt selbst unter einer Reihe von Rückschlägen leidet: Inflation, Energie- und Nahrungsmittelknappheit und ein militärisch-industrieller Komplex, der sich über die Aussicht freut, in den kommenden Jahren Billionen von Dollar kassieren zu können. Eine Einigung zur Beendigung des Krieges scheint möglich, da ein vernünftiger Friedensplan auf dem Tisch liegt.
Neben all den anderen Folgen hat die russische Invasion die von den USA geführte globale Nachkriegsordnung weiter zerrüttet, die zu einem Schlachtfeld zwischen den immer aggressiveren und imperialistischeren USA, die von der EU unterstützt und von Institutionen wie der NATO und der G7 instrumentalisiert werden, und dem antiwestlichen Block unter Führung Chinas und Russlands geworden ist, die nun offiziell als die beiden wichtigsten geopolitischen Bedrohungen des Westens bezeichnet werden. Daneben gibt es noch eine dritte Gruppe von bündnisfreien Ländern.
Es ist wichtig festzuhalten, dass die beiden letztgenannten Gruppen die große Mehrheit der Weltbevölkerung umfassen. Und trotz seines Triumphalismus ist es dem Westen nicht gelungen, den Rest der Welt in seinen Krieg gegen China und Russland hineinzuziehen.
Obwohl die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) die russische Invasion weitgehend verurteilt haben und in der UNO zunehmend mit dem Westen stimmen und eine friedliche Verhandlungslösung fordern, wollen die meisten Staaten – mit Ausnahme Syriens – letztlich neutral bleiben und die Beziehungen zu allen Parteien fortsetzen.
Der Nahe Osten aus der Ferne
Angesichts der starken Abhängigkeit des Nahen Ostens von allen beteiligten Parteien – Russland, der Ukraine und dem Westen – , speziell im Hinblick auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Energie und auch die nationale Sicherheit betreffend, wissen die dortigen Länder, dass sie nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren haben, wenn sie sich direkt in den Konflikt einmischen oder offen Partei ergreifen. Sie haben sich daher in unangenehmer Weise bemüht, sich vom Krieg zu distanzieren, ohne jemanden zu verprellen – ein schwieriger Balanceakt, der dazu führen kann, dass ihnen vorgeworfen wird, sie würden sich auf die Seite des Feindes schlagen, wenn sie sich dem westlichen Sanktionsregime entziehen.
Kurz gesagt, auf die Aufforderung im Stil des 11. Septembers „Ihr seid entweder für uns oder gegen uns“ hat MENA bisher geantwortet: „Wir sind mit keinem von beiden – oder besser gesagt, wir sind mit euch allen“.
Diese Weigerung, sich direkt in einen Konflikt einzumischen, der als fremd, westlich und weit entfernt angesehen wird, spiegelt sich deutlich in öffentlichen Meinungsumfragen wider. Trotz amerikanischer Bemühungen, die Regime des Nahen Ostens einzubinden, ergab eine Umfrage unter den Bürgern der Region, dass zwei Drittel „keine Haltung“ zu dem Krieg haben, während ein kleinerer Teil fast gleichmäßig zwischen der Unterstützung Russlands (16 Prozent) und der Ukraine (18 Prozent) aufgeteilt war. Es ist einfach nicht ihr Kampf.
Tatsächlich haben sich viele aktiv geweigert, sich auf die Seite der Ukraine und des Westens gegen Russland zu stellen, und zwar aus einer Reihe von Gründen, darunter die wahrgenommene westliche Heuchelei in Bezug auf den erklärten Grundsatz des Nichtangriffs und der Achtung der territorialen Souveränität (Irak, Libyen und Afghanistan spielen hier eine große Rolle), die rassistische Doppelmoral bei der Behandlung von Flüchtlingen und ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber dem Westen im Allgemeinen.
In der gegenwärtigen Atmosphäre, die von den fanatischsten Kriegsextremisten beherrscht wird, ist diese entschlossene Blockfreiheit – nicht zu verwechseln mit Apathie – erfrischend und klug. Sie signalisiert ein gesundes Verständnis dafür, wo die Interessen ihrer Nationen liegen, die Entschlossenheit, diesen angesichts des westlichen Drucks Vorrang einzuräumen, und einen entschlossenen Willen zur Unabhängigkeit.
(Zum Originaltext in englischer Sprache – mit unzähligen Links auf die Quellen der Informationen – auf «Information Clearing House» hier anklicken.)
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