
Essay | Zahlen bitte!
(Red.) Achtung: Der hier folgende Text von Stefan Nold ist kein Globalbridge-Beitrag „in eigener Sache“ und auch nicht von Globalbridge.ch bestellt! Stefan Nold hat sich aus eigenem Antrieb ein paar – zum Teil lustige – Gedanken gemacht, wie heute intellektuelle Arbeit bezahlt wird. Danach will er, wie er der Globalbridge-Redaktion vertraut hat, für zwei Monate Ruhe geben und sich an einem preisgünstigen Ort im europäischen Ausland vom deutschen Alltag erholen … (cm)
“Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert” sagt Paulus (1. Tim. 5, 18). Heute ist es normal, dass Autoren sich ihre Brötchen auf anderen Baustellen verdienen und ihre Werke wie Freibier verteilen. „Ich verachte Leute, deren Gehirn nicht in der Lage ist, ihren Magen zu füllen.“ [1] antwortet Galilei in einem Stück von Brecht auf den Vorwurf, er sei gegenüber dem Großherzog von Florenz zu unterwürfig. Zuvor beschwert er sich: „Wie soll ich arbeiten mit dem Gerichtsvollzieher in der Stube … Sie haben mir nicht so viel bezahlt, wie einem Kutscher, der ihnen die Weinfässer fährt. Vier Klafter Brennholz für zwei Vorlesungen über Mathematik.“ Stephan Schleim stellt fest „dass weite Teile des Internets unter dem Vorbehalt kommerzieller Anbieter und ihrer Interessen stehen.“[2] Er ist Professor, was heute auskömmlicher ist als zu Zeiten Galileis. Meinungsmacher sind heute:
- Penetrant plärrende Lautsprecher des Mainstreams, die nicht mehr selbst denken.
- Politiker und Beamte. Hochschullehrer sollen die Öffentlichkeit aufklären, aber es gibt auch andere Fälle. Deutschland rackert sich ab, um Typen wie Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin das Gehalt zu zahlen, damit der nebenher seinen Wälzer [3] schreiben konnte.
- Lobbyisten, die die Politik über ausgefuchste Pressemeldungen beeinflussen,
- Agenten anderer Länder von der CIA und ihren als NGO getarnten Kanälen bis zu RT, die aber auch regelmäßig hervorragende Beiträge abliefern können [4],
- Promis, die die Pflege des eigenen Egos zum Beruf gemacht haben,
- Cheerleader des Konsumterrors auf irgendwelchen Werbekanälen,
- vereinzelte „freischwebende“ Blogger [5][6], die ihre Zuwendungen selbst einwerben,
- Rentner oder Pensionäre, die in erster Linie ihre Altersgenossen erreichen,
- unbezahlte Idealisten, denen über kurz oder lang die Puste ausgeht
- und demnächst wohl die Algorithmen der künstlichen Intelligenz.
Das ist keine kritische Masse für neue Ideen, sondern ein Kessel mit ein paar kleinen Ventilen, um Druck abzulassen. „Wir haben eine Interessendemokratie. Eine Vielfalt von Interessengruppen trifft sich an der politischen Börse und macht in Anerkennung des bestehenden Staates nur noch einen Scheinkampf um den Anteil am Bruttosozialprodukt.“ [7] diagnostizierte 1967 Rudi Dutschke. Er sah sich als Revolutionär, „der durch intellektuelle Arbeit und sinnliche Erfahrungen zu der Erkenntnis kommt, diese Gesellschaft kann und soll verändert werden.“ [7] Das ist sehr wichtig, aber leben kann man davon erst Mal nicht. Dazu braucht es einen materiellen Unterbau.
Wie können alternative Medien dabei helfen? Zum Beispiel so: Unter jedem Artikel gibt es Buttons, z.B. von 0,10 € bis 5 €, damit die Leser die Autorin oder den Autor mit dem Betrag entlohnen können, der ihnen der Text wert war. Das ist keine Spende, mit denen die Reichen ihre Steuern senken können, sondern eine freiwillige Bezahlung. Wer das nicht kann, soll trotzdem lesen können, aber diejenigen, die im Restaurant Trinkgeld geben, sollten auch die honorieren, die sie mit geistigem Material versorgen. So wird ein Portal attraktiv – auch für die Leser. Man bezahlt monatlich einen festen Betrag, den man dann über die Buttons aufteilen kann. Ein bestimmter Prozentsatz wäre für den Betrieb des Portals vorgesehen. So können alternative Medien ohne Werbung wirtschaftlich erfolgreich sein, ihre Autoren leistungsgerecht bezahlen und fruchtbare Diskussionen anstoßen. Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden. Vielleicht beginnt ein junges Startup ein solches Pilotprojekt mit einer alternativen Plattform und macht etwas daraus.
(Red.) Falls Stefan Nold sich im selbstgewählten Ferienort nicht nur im Liegestuhl erholt, sondern sich auch ein bisschen umschaut und mit den Leuten redet, dann empfehlen wir ihm Studien zum Thema „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, das zwar in der UN-Charta erwähnt, aber von keiner Regierung der Welt korrekt eingehalten wird – mit wohl nur zwei Ausnahmen: das Saarland 1955 (Wahl zwischen Frankreich und Deutschland) und die Inselgruppe Neukaledonien 2018 (Wahl zwischen Frankreich und Eigenständigkeit). (cm)
Anmerkungen
[1] Brecht, Bertolt (1943) Leben des Galilei. 2. Galilei überreicht der Republik Venedig eine neue Erfindung, S. 504, S. 501-502, und 1: Galileo Galilei, Lehrer der Mathematik zu Padua, will das neue kopernikanische Weltsystem beweisen, S. 497. Die Stücke von Bertolt Brecht in einem Band. Suhrkamp Verlag, Vierte Auflage (1982) Frankfurt am Main.
[2] Schleim, Stephan (9.7.2025) Journalismus und der Auftrag zur Wahrheitsfindung. https://overton-magazin.de/top-story/journalismus-und-der-auftrag-zur-wahrheitsfindung/
[3] Sarrazin, Thilo (2010) Deutschland schafft sich ab. DVA Verlag: München.
[4] Henn, Dagmar (11.7.2025) Deutsche Politik: Die straflosen vier Prozent und ihre Katastrophen. https://dert.site/inland/250352-deutsche-politik-straflosen-vier-prozent/ Alle Beiträge: https://dert.site/search?q=Dagmar+henn&df=&dt=
[5] Matuschek, Milosz (2023 (?) – 2025) Freischwebende Intelligenz https://www.freischwebende-intelligenz.org/
[6] Röper, Thomas (2018 – 2025) Anti-Spiegel. Fundierte Medienkritik. Blog. https://anti-spiegel.ru/
[7] Dutschke, Rudi [1967) Wir fordern die Enteignung Axel Springers. SPIEGEL-Gespräch mit dem Berliner FU-Studenten Rudi Dutschke. Heft 28/1967, S. 29-33. DER SPIEGEL: Hamburg. https://www.spiegel.de/politik/wir-fordern-die-enteignung-axel-springers-a-66c4499f-0002-0001-0000-000046225038