Horst M. Teltschik, geboren 1940, ist ein ehemaliger deutscher politischer Beamter und Wirtschaftsmanager. Er war enger Vertrauter Helmut Kohls und im Bundeskanzleramt tätig. Von 1999 bis 2008 leitete er die Münchner Sicherheitskonferenz. Das Bild ist ein Screenshot aus dem Video, in dem er erklärt, wie Deutschland und Russland unter Kohl und Gorbatschow friedlich zusammenfanden. Siehe dazu den Link am Ende des Artikels.

Wou issn is Hirn? …  Wo ist denn sein Gehirn? Ein Kommentar zur Politik des deutschen Kriegsministers Boris Pistorius

«Wou issn is Hirn?» ist die Kernformel in der Comedy-Serie «Metzgerei Boggnsagg», die vom «Spiegel» mal als “Juwel unter den deutschen Comedyserien“ bezeichnet wurde. Im folgenden Kommentar geht es allerdings nicht um Comedy, sondern um eine heute sehr ernste Situation, tut doch die deutsche Polit-Elite alles, um eine weitere Eskalation in den Ukraine-Konflikt zu bringen. Ein aufmerksamer Historiker und guter Beobachter, Stefan Nold, hat Globalbridge.ch den folgenden, gut dokumentierten Kommentar zukommen lassen. (cm)

“Kriegstüchtig” [1] müssten wir werden, fordert einer unserer Minister, den man konsequenterweise dann auch als “Kriegsminister” bezeichnen sollte. Kriegstüchtig, was ist das? Verkehrstüchtig ist, wer sich und sein Fahrzeug unfallfrei nach Hause bringt. Wenn der eigene Sohn in den Krieg zieht, denken die Eltern nur eins: „Hauptsache, er kommt heil zurück.“ 

Richard Timberlake war im Zweiten Weltkrieg Copilot auf einem B-17 Bomber und wurde bei einem Einsatz über Deutschland verwundet. Später war er in den USA ein bekannter Wirtschaftsprofessor. Über seine Zeit als Soldat hat er ein Buch geschrieben. Tenor: Im Krieg war das wichtigste Ziel von Dick Timberlake, das Leben von Dick Timberlake zu erhalten. [2] [3] Er zitiert Arthur Hoppe, einen Journalisten des San Francisco Chronicle: “Ich glaube es gab im 2. Weltkrieg ein paar, die für Freiheit und Demokratie gekämpft haben, aber während meiner drei Jahre in der Navy habe ich keinen davon getroffen. Wir haben gekämpft, um am Leben zu bleiben. Das ist der wahre Schrecken des Krieges.“ 

In den letzten Kriegswochen sollte mein Vater beim Einschießen der Artillerie nach vorne gehen, um die Position der Einschläge zurück an die Geschützstellung zu funken. Er berichtet: „Als mein Feldwebel zu einem unserer Panzer ging, die sich vorne gut versteckt hatten, und sagte, was wir vorhatten, meinte der Kommandant: „Ihr seid wohl verrückt geworden. Wir haben uns hier verständigt, tun uns gegenseitig nicht weh und warten das Ende des Krieges ab. Es ist eh bald alles vorbei.“ Man einigte sich darauf, beim Einschießen ein wenig so zu tun als ob. Der Feldwebel und der Kommandant waren erfahrene Leute, „kriegstüchtig“ im besten Sinne des Wortes. Während dessen tobte 100 Kilometer entfernt die Schlacht um Wien mit circa 75.000 Toten und 150.000 Verwundeten auf beiden Seiten innerhalb eines Monats.

„Kriegstüchtig“ zu sein, heißt zuallererst, seinen Verstand zu gebrauchen und keine sinnlosen und unnötigen Risiken einzugehen. Das gilt vor allem für die Führung. Mit Feigheit hat das nichts zu tun. Dwight D. Eisenhower war der Oberkommandierende der Alliierten bei der Landung in der Normandie. Er wusste genau, dass dabei viele Menschen ums Leben kommen würden, aber er hat mit sorgfältiger Planung und ungeheurem Materialeinsatz alles dafür getan, um die Verluste seiner Leute so gering wie möglich zu halten. Später, in seiner Abschiedsrede als US-Präsident, hat er eindringlich vor den Gefahren des „militärisch-industriellen Komplexes“ [4] gewarnt. Vor kurzem hat Friedrich Merz, Spitzenkandidat der CDU bei der nächsten Wahl, gesagt, er würde als Kanzler Russland ein 24-Stunden-Ultimatum stellen: Entweder sofortige Einstellung der Kämpfe oder Deutschland liefert Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine [5] zusammen mit den Geodaten [6], um damit Ziele tief in Russland treffen zu können, „nicht nur Ölraffinerien, sondern Ministerien“, wie sein Kollege Kiesewetter im Februar bereits gefordert hatte. [7] Auf Antenne Bayern gibt es die Serie „Metzgerei Boggnsagg“ [8], die immer mit dem Wortwechsel schließt: „Wou issn is Hirn?“ „Wo ist denn sein Gehirn?”- „Da wo‘s hi ghört.“ In der CDU scheint das heute nicht mehr der Fall zu sein.

1993 war Helmut Kohl zu Besuch in St. Petersburg und sprach mit dem Bürgermeister. Wladimir Putin, damals dessen Vize, war dabei und erinnerte kürzlich an Kohls Worte bei diesem Treffen: „Wenn Europa ein unabhängiges Zentrum der globalen Zivilisation bleiben möchte, geht das nur gemeinsam mit Russland. Wir müssen unsere Kräfte bündeln.“ [9] Horst Teltschik, Kohls Chef der außen- und sicherheitspolitischen Abteilung, hat über diese Zeit gesagt: „Die damaligen Politiker haben alles getan, um ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis aufzubauen.“ [10] Heute reden deutsche Generäle über die Zerstörung der Krimbrücke [11], wollen deutsche Politiker Ministerien in Moskau angreifen. Dann sind wir laut Putin im Krieg mit Russland. [12] Die Taurus können wir selbst liefern, Franzosen und Briten benötigen für ihre Raketen die Zustimmung der USA – und die ist derzeit mehr als fraglich. Wir wären also allein und nicht durch Artikel 5 des NATO-Vertrags geschützt. Russlands Antwort wäre wohl „symmetrisch“: Raffinerie für Raffinerie, Ministerium für Ministerium, Brücke für Brücke, „Auge um Auge, Zahn um Zahn, … Brandmal um Brandmal“ (2. Mose 21,24) Wozu das – noch dazu im Alleingang? Soll nach der Ukraine auch Deutschland zerstört werden?

Es kann noch schlimmer kommen. Was ist, wenn die Ukraine wie angekündigt [13] die Bombe baut? Vor kurzem hat Moskau seine nukleare Triade getestet. Man sah, wie jemand ein Kommando entgegen nimmt: „Bestätige, Befehl erhalten! Paarweise Übertragung des Befehls an die Abschussrampe … Überprüfung der eingegebenen Daten auf Korrektheit. Daten korrekt. Achtung Start.“ Dann drückt jemand eine rote Taste. [14] Mit dramatischer Musik unterlegt sieht man, wie eine Interkontinentalrakete in einem gewaltigen Feuerschwall abhebt, sieht eine andere Rakete aus dem Meer hochsteigen und die nächtliche Landung eines Atom-Bombers. Eine Choreographie des Todes wie aus dem Kubrick-Film „Dr. Seltsam“ [15] – nur in echt. Versteht bei uns niemand diesen Hinweis mit dem Zaunpfahl? 

Vor einem Jahr hatte ich Boris Pistorius in einem Brief eindringlich davor gewarnt, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern. [16] Bislang hat Scholz dem Druck der Kriegstreiber standgehalten und das nicht gemacht. Aber auch die SPD ist – ebenso wie CDU, Grüne und FDP – bereit, Wohlstand, Renten, Sozialsystem, Staatsfinanzen, Infrastruktur und ökologische Wende (war da was?) für einen Krieg mit Russland zu ruinieren. „Wou issn is Hirn?“ – „Wo ist denn sein Gehirn?“ „Hirn is aus. Kommt vorerst nicht wieder rein.“

Der deutsche Verteidigungsminister – besser wäre Kriegsminister! – Boris Pistorius bedauert, dass in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft worden ist. (Foto Tagesschau)

Zum Autor: Dr. Stefan Nold, Jahrgang 1959, studierte Elektrotechnik und promovierte an der TH Darmstadt. Seit 1991 ist er Inhaber eines Ingenieurbüros mit den Schwerpunkten optische Inspektionssysteme und intelligente Kameras für die Landtechnik. Zudem ist er Aktivist und Mitbegründer verschiedener erfolgreicher lokaler Bürgerinitiativen in Darmstadt und Umgebung.

Siehe unbedingt das Video mit dem Vortrag von Horst Teltschik aus dem Jahr 2019, in dem er erklärt, wie der Friede zwischen Russland und Deutschland zustande kam. Vor allem die ersten 20 Minuten sind extrem wichtig! (cm)

Fussnoten:

[1] Pistorius, Boris (10.11.2023) Rede auf der jährlichen Bundeswehrtagung: Berlin.https://www.zdf.de/nachrichten/heute-in-deutschland/bundeswehr-muss-kriegstuechtig-werden-100.html Minute 0:0:15 – 0:0:20. ZDF: Mainz.

[2] Timberlake, Richard (2002) They never saw me then. Xlibris: Bloomington (USA) zitiert nach [3]

[3] Henderson, David R.(11.11.2024) A veteran‘s day tribute. Antiwar.com (Division of Randolph Bourne Institute: Redwood CA (USA) https://original.antiwar.com/henderson/2024/11/11/a-veterans-day-tribute-2/ Zitat im Original: “I suppose there were a few in World War II who were fighting for freedom or democracy, but in my three years in the Navy I never met one of them. … We were fighting to stay alive. And that is the true horror of war.”

[4] Eisenhower, Dwight D. (17.1.1961) Farewell address. Final TV Talk 1/17/61 (1), Box 38, Speech Series, Papers of Dwight D. Eisenhower as President, 1953-61, Eisenhower Library. www.archives.gov/milestone-documents/president-dwight-d-eisenhowers-farewell-address  National Archives and Records Administration (NARA): College Park, MD (USA)

[5] Merz Friedrich (12.11.2024) Interview mit dem Stern zitiert nach: Markus Klöckner: Mehr Waffen, Aufrüstung und Abschreckung: Was CDU-Chef Merz als Kanzler für den Ukraine-Krieg bedeuten würde. Die Weltwoche: CH-Zollikon. https://weltwoche.de/daily/mehr-waffen-aufruestung-und-abschreckung-was-cdu-chef-merz-als-kanzler-fuer-den-ukraine-krieg-bedeuten-wuer-de/

[6] Hegmann, Gerhard (30.9.2021) Zentimetergenaue Geodaten: Diese Karten der Bundeswehr identifizieren Putins Riesenreich exakt wie nie. https://www.welt.de/wirtschaft/plus234119738/Bundeswehr-bestellt-hochaufloesende-Russlandkarten.html Die Welt: Hamburg,

[7] Kiesewetter, Roderich (9.2.2024) Gespräch mit Katja Theise. Kiesewetter: Den Krieg nach Russland tragen. https://www.dw.com/de/kiesewetter-den-krieg-nach-russland-tragen/a-68215200 Deutsche Welle: Bonn.

[8] Regenauer, Bernd (1997) Metzgerei Boggnssagg. Antenne Bayern: Ismaning. Video-Clip siehe z.B: https://www.youtube.com/watch?v=f_K-4pFX1Mg

[9] Putin, Wladimir (7.11.2024) Valdai Club Discussion Meeting, Sochi: „ I will indulge in recalling a conversation with former Chancellor Kohl in 1993, when I chanced to be present during his conversation with the then mayor of St Petersburg. I had not forgotten my German then and acted as the interpreter… Unexpectedly, Kohl said that the future of Europe, if it wanted to remain an independent centre of the global civilisation, could only be together with Russia, that we must join our efforts. My jaw dropped. He went on in the same spirit… ” http://en.kremlin.ru/events/president/news/75521 The President of Russia; Moscow.

[10] Teltschik, Horst (25.6.2019) im Gespräch mit Florian Rötzer. Bericht: Bulgan Molor-Erdene (23.7.2019) „Völker vergessen Geschichte nicht“ https://www.heise.de/tp/features/Voelker-vergessen-Geschichte-nicht-4477016.html Minute 23:46-23:51. Heise Medien GmbH & Co KG: Hannover. Anmerkung: Dieses Gespräch sollte sich jeder anhören, der wissen will, was die deutsche Einheit möglich gemacht hat und was wir tun sollten, um den gegenwärtigen Konflikt mit Russland friedlich zu lösen.

[11] Maier, Michael (1.3.2024) Brisanter Audio-Mitschnitt: Taurus-Raketen für Angriff auf Krim-Brücke? https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/brisanter-audio-mitschnitt-taurus-raketen-fuer-angriff-auf-krim-bruecke-li.2192733 Berliner Zeitung: Berlin

[12] Putin, Wladimir (12.9.2024) St. Petersburg. Answer to a media question. Question: .. we have been hearing statements at a very high level in the UK and the United States that the Kiev regime will be allowed to strike targets deep inside Russia using Western long-range weapons. … Could you comment on what is going on? Answer: … the key point  is that only NATO military personnel can assign flight missions to these missile systems. Ukrainian servicemen cannot do this. If this decision is made, …it will mean that NATO countries– the United States and European countries – are at war with Russia. And if this is the case, then, … we will make appropriate decisions in response to the threats that will be posed to us. http://en.kremlin.ru/events/president/news/75092 The President of Russia: Moscow.

[13] Meldung zum NATO-Gipfel in Brüssel (18.10.2024) Beitritt oder Atomwaffen – Ukraine stellt NATO Ultimatum. https://www.focus.de/politik/nato-beitritt-fuer-die-ukraine-selenskyj-droht-mit-atomwaffen-bei-ablehnung_id_260404163.html Focus / Burda Forward GmbH: München.

[14] RT (30.10.2024) Nuklear-Manöver: Russische Streitkräfte starten Interkontinentalraketen. https://dert.site/kurzclips/video/224156-nuklear-manoever-russische-streitkraefte-starten/ TV-Novosti: Moskau.

[15] Kubrick, Stanley (1964) Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb). Stanley Kubrick: GB, USA.

[16] Nold, Stefan (16.9.2023) Glasige Augen. Brief an den Verteidigungsminister. Aus: Kein Frieden – keine Zukunft. Schlagt Brücken und versteht eure Feinde. Kapitel III.5, S. 55. Stefan Nold: Darmstadt. (Open Source) https://overton-magazin.de/wp-content/uploads/2024/07/Nold-KeinFriedenKeineZukunft-24720sN.pdf