Der deutsche Bundeswehr-Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck hält Waffenlieferungen mit dem Zweck, Russen zu töten, für “ethisch vertretbar".(Screenshot)

Wer Waffen liefert, will töten helfen!

(Red.) «Der deutsche Militärbischof Franz-Josef Overbeck bekräftigt, dass aus christlicher Sicht Waffenlieferungen an die Ukraine „ethisch vertretbar“ sind. Das sagte er jetzt in einem Interview mit Radio Vatikan.» So war es vor ein paar Tagen auf «Vatican-News» zu lesen. Hier das kurze Interview inklusive Einleitung und am Schluss eine Stellungnahme der Redaktion. (cm)

«Für Overbeck, der auch Bischof von Essen ist, geht es um eine schwierige Abwägung, „sowohl im Blick auf die Erreichung der Kriegsziele als auch im Blick auf die Frage der Mittel, die dafür angewandt werden“. Es sei dafür zu sorgen, „dass der Schaden möglichst klein gehalten wird“; zugleich müssten „das hohe Gut des Friedens in Freiheit“, aber auch der Menschenwürde berücksichtigt werden. „Wenn man das zusammennimmt – und das, finde ich, passiert zu selten! –, wäre noch eine große Aufgabe zu erledigen.“

Radio Vatikan: Muss Deutschland Waffen liefern? Auch den Taurus?

Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen und katholischer Militärbischof: „Innerhalb der Aufgaben, die die Bundeswehr jetzt zu erledigen hat, gehört natürlich die Verteidigung der Freiheit zu den ganz großen herausforderungsvollen Zielen, auch der politischen wie der militärischen Tätigkeiten. Und hier ist deutlich, dass angesichts der Aggressionen Russlands gegenüber der Ukraine ein Krieg geführt wird, der eigentlich im Blick auf die Ukraine Vernichtungsperspektiven hat. Von daher, meine ich, ist es ethisch vertretbar (ich kann mich nicht zu den entsprechenden Waffengattungen verhalten, das tue ich auch nicht), um der Selbstverteidigung willen entsprechend tätig zu werden und auch Gewalt nicht nur anzudrohen, sondern Gott sei’s geklagt, dann möglicherweise, wie wir ja auch sehen, anzuwenden, um sich selbst zu schützen, aber auch die Werte, um die es dabei geht.

Das ist schon eine ethische Herausforderung erster Güte. Mich erinnert das immer an den heiligen Thomas von Aquin, der deutlich gesagt hat: Gerade in ethischen Fragen ist es bedeutsam, dass das Ziel, auf das hin wir uns ausrichten, ein gutes sein muss – und von daher gesehen die Mittel auf dem Weg zu diesem Ziel auch gute sein sollen, gegebenenfalls aber eben auch in einer Güterabwägung Schaden erzeugen können, der allerdings leider nicht abwendbar ist. Und das ist ja, wenn Waffen gebraucht werden müssen, der Fall.“

Radio Vatikan: Gerade das maßgeblich von Thomas von Aquin entwickelte Konzept eines gerechten Krieges ist von Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ nahezu eingestampft worden. Franziskus redet außerdem – vielleicht auch missverständlich – vom Hissen weißer Fahnen, weil er Friedensgespräche, sofern möglich, befördern will. Ist der Papst da auf dem Holzweg?

Militärbischof Overbeck: „Der Papst hat eine Perspektive, die sich bei „Fratelli tutti“ bis in das Jahr 2020 zieht, als dieser Text veröffentlicht wurde und deutlich gemacht hat, dass wir in ganz verschiedenen Rollen unsere Aufgabe wahrnehmen müssen, heute für Frieden zu sorgen. Er versteht sich vor allen Dingen als ein Mahner dessen, was sein Namensgeber, der heilige Franziskus von Assisi, ja auch immer getan hat: Ohne Gewalt für den Frieden einzutreten. Und diese prophetisch-kritische Stimme braucht die Welt, auch damit nicht in diesen schrecklichen, gewaltreichen Auseinandersetzungen diese oft leise Stimme des Friedens völlig verstummt.“

Radio Vatikan: Gibt es in dieser Debatte einen Aspekt, der Ihnen aus christlicher Sicht wichtig erscheint, der aber nicht genug vorkommt?

Militärbischof Overbeck: „Ich glaube, dass der herausfordernde Aspekt jetzt darin besteht, Güterabwägung zu treffen. Und Güterabwägung braucht Perspektiven, sowohl in prinzipienethischer Weise als auch prozessethisch. Das scheint mir jetzt eine der großen Herausforderungen zu sein, genau diese Abwägungsprozesse zu begründen, sowohl im Blick auf die Erreichung der Kriegsziele als auch im Blick auf die Frage der Mittel, die dafür angewandt werden. Erst recht, wenn es sich um so schreckliche Gewaltmittel handelt, wie wir ja jetzt immer wieder sehen. Hier brauchen wir Prinzipien, die sagen, dass der Schaden möglichst klein gehalten wird, die Frage der Gerechtigkeit und der Tapferkeit noch eine größere Rolle spielen müssen als bisher, und dass es letztlich um das hohe Gut des Friedens in Freiheit, aber auch um die Würde des Menschen als Person geht. Wenn man das zusammennimmt – und das, finde ich, passiert zu selten! –, wäre noch eine große Aufgabe zu erledigen.“

Radio Vatikan: Wenn ich es herunterbrechen sollte auf eine Frage, dann würde ich sagen: Kann man wirklich den Krieg immer weiter verlängern mit dem Drama, das damit verbunden ist? Oder sollte man irgendwann sagen: Jetzt muss aber ein Frieden kommen, auch wenn nur ein Kompromiss dahintersteht, weil sich solches Leiden nicht einfach perspektivlos immer weiterziehen lässt?

Militärbischof Overbeck: „Hier ist Rechtsfrieden angeraten – und der bedeutet, sich an das Völkerrecht zu halten. Und Sie wissen, was das gerade im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bedeutet. Die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsfriedens durch das Halten des Völkerrechtes macht diese Perspektive so schwierig, weil es nicht einfach gehen kann und darf, dass ein Aggressor auf diese Weise Recht bekommt, weil er mit möglichst schrecklichen Waffen kämpft. Das würde dann am Ende bedeuten, dass es hier um das Recht des Stärkeren geht und nicht um die Stärke des Rechts, und Rechtssicherheit braucht ein starkes Recht.“

(Das Interview führte Stefan von Kempis auf dem Erfurter Katholikentag.)

Stellungnahme der Redaktion: Ich, Christian Müller, Herausgeber der Plattform Globlalbridge.ch, habe eine der Argumentation des deutschen Militärbischofs Overbeck entgegengesetzte Meinung. «Liebe Deinen Nächsten!» und «Du sollst nicht töten!» sind die beiden wichtigsten Gebote der christlichen Glaubenslehre. Basierend darauf müssten sich die christlichen Würdenträger sowohl in der Ukraine wie auch in Israel uneingeschränkt für einen Waffenstillstand und für Verhandlungen einsetzen und dezidiert gegen die Waffenlieferungen ankämpfen, denn wer Waffen liefert, will, dass damit getötet wird.

Als ich 1964 die obligatorische Rekrutenschule in der Schweizer Armee absolvieren musste, habe ich mich – aus denselben Gründen – jeweils geweigert, am sonntäglichen Feldgottesdienst teilzunehmen. Ich wurde dann regelmässig vom zuständigen Oberleutnant im Kantonnement eingeschlossen, mit der Begründung: Wenn ich in der Zeit des Feldgottesdienstes in die Kneipe gehen dürfe, dann könnte das andere Soldaten dazu bewegen, dem Feldgottesdienst ebenso fernzubleiben. Die Schweizer Armee war – und ist vermutlich immer noch – dankbar, die moralische Unterstützung der christlichen Kirchen zu haben.

Das Interview mit dem deutschen Militärbischof Franz-Josef Overbeck kann auch als Podcast angehört werden (siehe die graue Box in der Mitte des Beitrags der Vatican-News).