Wenn in der Schweizer Hauptstadt die Polizei knapp wird …
Der Bundesplatz gilt als symbolischer Ort für die politische Meinungsfreiheit in der föderalen Schweiz. Die 7‘000 Quadratmeter vor dem Bundeshaus und der Nationalbank haben immer wieder geschichtsträchtige Demonstrationen beherbergt – etwa für den Frieden und die Frauenrechte oder gegen AKWs und die Covid-Massnahmen. Doch jetzt hat die Berner Stadtregierung Grosskundgebungen in der Innenstadt bis vorläufig Weihnachten verboten. Der Bundesplatz dient also bloss noch dem Wochenmarkt oder Staatsbesuchen.
Als Grund gibt die Exekutive an, dass die Stadt keine weiteren Sicherheitsaufgaben neben andern anfallenden Ereignissen bewältigen könne, als da sind: Ex-US-Präsident Bill Clinton spricht im Kursaal (11.11., meist für Honorare von mehreren 100‘000 Franken), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besucht die Schweiz(15.11.), YB spielt in der Champion League gegen Roter Star Belgrad (28.11.), der Zibelemärit (27.11.) und natürlich die verschiedenen Weihnachtsmärkte.
Der zuständige Gemeinderat Reto Nause (Partei „Die Mitte“) erklärt in der „NZZ“ (11.11.), es seien bereits mehrere Pro-Palästina-Kundgebungen und Israel-Mahnwachen in Bern durchgeführt worden, und es gebe kein Recht, im Wochenrhythmus zum gleichen Thema Demonstrationen abzuhalten. Neben der Meinungsfreiheit sei auch die Wirtschaftsfreiheit ein Grundrecht. Und diese werde bei so vielen Kundgebungen eingeschränkt.
Staatsrechtler monieren, das Grundrecht auf Demonstrationen zu beschneiden, sei nur möglich, wenn es belastbare Hinweise auf eine konkrete Gefahr gebe (Prof. Andreas Stöckli, NZZ, 10.11.). Ein pauschales Verbot sei derzeit kaum zu rechtfertigen. Rechtlich fragwürdig sei es auch, wenn die Behörden (wie in Bern) Fussballspiele oder Veranstaltungen wie den Zibelemärit höher gewichten als politische Kundgebungen. Ein totales, undifferenziertes Demoverbot sei unverhältnismässig und widerrechtlich, sagt die Vereinigung Demokratischer Juristen und Juristinnen in „Blick“ (09.11.). Angeprangert wird ein massiver Eingriff in die Versammlungsfreiheit.
Kommerz und Prominenz behalten auch im behäbigen Bern die Oberhand, politische Demonstrationen sind offensichtlich nur unbequem, für deren Sicherung gibt es gegenwärtig offiziell zu wenig Polizisten. Die heimelige Ruhe soll nicht von strittigen Parolen gestört werden. Eigentlich müsste unsere Staatsform solche Manifestationen aushalten können, selbstverständlich ohne rassistische Plakate und Reden. Sonst verkommt die Schweiz zur reinen Sonntagsdemokratie.