Kursk! «Im Juli 1943 wollen Hitler und seine Generale bei Kursk noch einmal einen großen Sieg gegen die Sowjetarmee erzwingen. "Die besten Verbände, die besten Waffen" sollen den Erfolg der am 5. Juli beginnenden Operation garantieren. Knapp 800.000 Soldaten mit 2.500 Panzern und Sturmgeschützen bietet die Wehrmacht noch einmal auf. Doch die letzte deutsche Großoffensive des Zweiten Weltkrieges scheitert.» (Zitat Dr. Daniel Niemetz). Dass die ukrainische Armee für ihren Einmarsch Richtung Kursk erneut deutsche Panzer eingesetzt hat, hat in Deutschland zu Recht zu Diskussionen geführt. (Im Bild eine Wehrmacht-Kolonne bei Kursk im Jahr 1942.)

Was passiert in der Region Kursk?

(Red.) Ukrainische Truppen haben die Grenzen zu Russland überschritten und ein paar hundert Quadratkilometer russisches Land erobert und besetzt. Mittlerweile rühmen sie sich, auch drei wichtige Brücken in diesem Gebiet zerstört und damit den Nachschub für die russische Armee vor Ort empfindlich erschwert zu haben. Die USA haben dieser grenzüberschreitenden Aktion der Ukraine offensichtlich zugestimmt. Aber ist sie wirklich mehr, als einfach eine weitere Provokation und Eskalation im Stellvertreter-Krieg der USA? (cm)

Das Eindringen der Ukraine in russisches Gebiet in der Region Kursk hat viele überrascht. Im letzten Sommer war die groß angekündigte ukrainische Gegenoffensive schmerzhaft gescheitert. Nach Ansicht vieler optimistischer westlicher Beobachter hätte die ukrainische Gegenoffensive den Verlauf des Krieges zu Gunsten der Ukraine entscheiden sollen. Die westlichen Berichte strotzten vor Vorfreude für die Ukraine und Schadenfreude für Russland. Die ukrainische Gegenoffensive, die die Krim hätte befreien sollen, eroberte ein einziges Dorf.

Dieses Jahr waren die Erwartungen an die Ukraine dementsprechend viel bescheidener. Monatelang hatte Russland die Initiative an der Front gehabt. Die Ukraine schien im Donbass in Bezug auf Ausrüstung und Personal komplett überfordert zu sein. Doch am Ende gelang es der Ukraine, asymmetrisch zu handeln.

Angesichts der geografischen Merkmale der Grenze zwischen Russland und der Ukraine ist es jedoch erstaunlich, dass ein solches Manöver erst jetzt, zweieinhalb Jahre nach Beginn der letzten Phase des Krieges, versucht wurde. Die Grenze zwischen der Ukraine und Russland hat keine natürliche Barriere und verläuft über Hunderte und Aberhunderte von Kilometern entlang ausgedehnter Felder. Bis vor einigen Jahren, als die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine mehr oder weniger normal waren, war die Grenze zwischen Russland und der Ukraine über weite Strecken nicht einmal markiert.

Es ist schwer zu verstehen, welche Dynamik die Kämpfe in der Region Kursk an der Grenze zur Ukraine im Moment haben. Russland wurde überrumpelt, so viel ist sicher. Der Ukraine ist es gelungen, einige Dörfer und die kleine Stadt Sudscha mit 5.000 Einwohnern, die etwa fünf Kilometer von der Grenze entfernt liegt, unter ihre Kontrolle zu bringen. Sudscha liegt an der Straße zwischen der ukrainischen Stadt Sumy und der russischen Regionalhauptstadt Kursk, etwa 100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Die Stadt gilt als strategisch wichtig, da durch diese die russische Gaspipeline verläuft, die dann nach Europa weiterführt. Die Ukraine hätte gerne die Kontrolle über den Knotenpunkt Sudscha übernommen. Es scheint paradox, dass trotz des Krieges russisches Gas all die Jahre durch die Ukraine weiter fließen konnte.

Andere haben das Kernkraftwerk Kursk in der Nähe der Stadt Kurtschatow, etwa 40 Kilometer westlich der Regionalhauptstadt, als mögliches Ziel des ukrainischen Vorstoßes genannt. Dieses Ziel hätte doch ein viel tieferes Eindringen, mindestens weitere 40 Kilometer, erfordert. Der anfängliche überraschende Schwung der ukrainischen Offensive scheint aber verloren gegangen zu sein, das Kraftwerk bleibt ein weit entferntes Ziel. Die Russen würden es sicherlich mit Hartnäckigkeit verteidigen.

Andere haben von den ukrainischen Eroberungen als mögliches Druckmittel bei Verhandlungen mit Russland gesprochen. Dies ist aber eine merkwürdige Theorie. Denn bis vor wenigen Wochen lehnten die Ukraine und der Westen jede Art von Verhandlungen mit Russland strikt ab. Viele wichtige europäische Medien, die sich zuletzt über Kanonenschüsse sehr zu freuen scheinen, haben mehrmals jede Verhandlung mit Russland mit dem Münchner Abkommen von 1938 verglichen. Die Billigkeit solcher Vergleiche schien sie nicht im Geringsten zu stören. Leute, die zu Verhandlungen aufriefen, wurden sofort beschuldigt, auf der Seite eines neuen Hitlers zu stehen und vor dem Absoluten Bösen feige zu sein. Jetzt sind Verhandlungen plötzlich eine Möglichkeit, über die man nachdenken kann. Der Berater des ukrainischen Präsidenten, Mykhailo Podolyak, erklärte: „Wenn wir über mögliche Verhandlungen sprechen — ich betone: mögliche —, müssen wir die Russische Föderation an den Tisch zwingen. Zu unseren eigenen Bedingungen. Wir haben absolut nicht vor, zu betteln: »Bitte, setzen Sie sich an den Tisch, um zu verhandeln«. Stattdessen verfügen wir über bewährte, wirksame Zwangsmittel“. 

Einerseits hatten der Westen und die Ukraine oft öffentlich erklärt, es sei verfrüht und unmoralisch, über Verhandlungen mit Russland zu sprechen. Auf der anderen Seite hatte Russland oft erklärt, es sei offen für Verhandlungen. Doch der Westen beharrte darauf, dass es Putin war, der nicht verhandeln wollte. Ein schwer zu lösender logischer Knoten.

Das Gebiet, das die Ukraine jetzt nach eigenen Angaben kontrolliert, ist etwa 1.000 Quadratkilometer groß, was in etwa der Größe der Insel Rügen entspricht. Zum Vergleich: Berlin, die größte Stadt in Deutschland, hat eine Fläche von etwa 900 Quadratkilometern. 

Krieg ist natürlich Krieg und die offiziellen Verlautbarungen der ukrainischen und russischen Regierungen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Auch die der westlichen Regierungen, übrigens, die bis zum Hals in den Krieg verwickelt sind und unendlich Waffen liefern. 

Journalisten ist der Zugang zu dem Gebiet Kursk bis auf wenige Ausnahmen in der Regel verwehrt. Eine dieser Ausnahmen war eine Journalistin des italienischen Staatsfernsehens (RAI), die in Begleitung ukrainischer Soldaten die Stadt Sudscha besuchte und eine zweiminütige Reportage daraus machte. Hier wird gezeigt, wie die italienische Journalistin mit ukrainischen Soldaten über die ukrainisch-russische Grenze fährt. Anschließend besuchen sie die Stadt Sudscha, in der weiterhin gekämpft wird. Nach Angaben der Journalistin ist die Stadt aber von den Ukrainern kontrolliert, obwohl im Hintergrund Schüsse zu hören sind. Das Betreten eines Kampfgebietes erfordert auf jeden Fall immer sehr viel Mut. 

Doch selbst solche Berichte, die den Anschein erwecken, die Ereignisse an der Frontlinie authentisch wiederzugeben, sind mit Vorsicht zu genießen. Wir wollen uns hier aber nicht mit langatmigen Überlegungen zur simulierten Realität im Stil von Jean Baudrillard aufhalten. Tatsache ist, dass die ukrainischen Soldaten in den zwei Minuten viel zu Wort kommen — wie könnte es auch anders sein, denn die Journalistin war ja in ihrer Begleitung unterwegs. Aber es wird nur die ukrainische Perspektive präsentiert, ohne jegliche kritische Distanz. 

In Sudscha angekommen, bemerkt die Journalistin einige Leichen, die noch auf der Straße liegen — zum Glück ohne sie zu zeigen — und spricht dann mit einigen Zivilisten, die noch in der Stadt sind. 

„Warum haben Sie beschlossen, hier zu bleiben?“, fragt die Journalistin auf Englisch (die italienische Übersetzung scheint nicht genau mit dem Original übereinzustimmen, aber wir wollen nicht zu pedantisch sein).

„Die Russen haben uns gesagt, dass wir hier bleiben sollen, und dann sind sie gegangen“, antwortet ein junges Mädchen. Andere Stimmen im Hintergrund bestätigen das.

„Sie haben euch allein gelassen“, sagt die Journalistin.

Dann fragt die Journalistin das Mädchen, weiter auf Englisch.

„Und wie sind die ukrainischen Soldaten, sie sind höflich, oder?“ 

Es ist eine seltsame Frage. Als ob man damit die Antwort andeuten wollte. Das kleine Mädchen kann nur mit einem lakonischen „Ja“ antworten.

Der Bericht endet mit den Worten eines ukrainischen Soldaten: „Sehen Sie den Unterschied zwischen uns und den Russen? Bei uns werden die Häuser der Bewohner nicht zerstört“.

Kurzum, es bleibt der Beigeschmack eines etwas parteiischen Journalismus. An einer Stelle zeigt einer der ukrainischen Soldaten auf ein Straßenschild mit der Aufschrift „Belgorod“ und sagt mit euphorischer Stimme: „Nächstes Mal bringen wir Sie dorthin“. Das sieht eher wie kriegerischer Journalismus als Kriegsjournalismus aus. 

Es betrifft leider nicht nur eine Reportage im italienischen Fernseher. Viel Journalismus ist in den letzten Jahren ein bisschen zu wenig überparteilich und ein bisschen zu engagiert geworden. Wenn das deutsche Fernsehen mit Stolz die deutschen Panzer auf russischem Territorium zeigt, merken sich die Russen solche Sachen. Die Bilder der deutschen Panzer in der Region Kursk wecken im kollektiven Gedächtnis Russlands keine sehr positiven Erinnerungen (Hinweis: die Schlacht bei Kursk im Jahr 1943). 

In Russland wurde man bald auf die italienische Reportage aufmerksam. Die Reaktion war nicht schön. Die italienische Botschafterin in Russland erhielt eine Protestnote. Nach Berichten der italienischen Presse soll die Botschafterin etwas über die Pressefreiheit geschwafelt haben und über die Tatsache, dass die italienische Regierung keine Kontrolle über italienische Journalisten hat, nicht einmal über die von staatlichen Sendern. Pressefreiheit bedeutet aber nicht, dass man ungestraft absolut alles sagen kann, was man will. Und das ist der Grund, warum die Russen so wütend wurden. Auch in Sudscha.

Da ich nicht in der Lage war, persönlich in das Gebiet der Kämpfe zu reisen, hatte ich über das soziale Netzwerk VK (das russische Äquivalent zu Facebook) Kontakt zu einigen Einwohnern der Stadt Sudscha aufgenommen. In meiner Nachricht hatte ich mich als „italienischer Journalist“ vorgestellt. Das war ein Fehler. Die Einwohner der Stadt, die wahrscheinlich von den italienischen Journalisten gehört hatten, die einige Tage zuvor dort gewesen waren, reagierten nicht besonders gut. Viele der Leute, die ich zu interviewen versuchte, antworteten verärgert: „Fragen Sie doch Ihre italienischen Kollegen, wie die Lage hier aussieht!“.

Mit anderen war es etwas leichter zu reden, aber der Ton war immerhin ziemlich angespannt. Eine Frau sprach von zivilen Opfern, Leute, die von ukrainischen Soldaten getötet werden sollten. Eine Anschuldigung, die sicherlich nicht gut zu dem Mythos des „guten ukrainischen Soldaten“ passt. Es handelt sich jedoch um eine Anschuldigung, die nicht unabhängig überprüft werden konnte. 

Sicher ist, auf der Grundlage von Videomaterial, das im Internet zu finden ist, dass viele ukrainische Soldaten an Trolling-Szenen beteiligt zu sein scheinen. Sie parodieren die Sprache, die in Russland seit mehreren Jahren in Bezug auf das Thema des russischen Irredentismus im Donbass verwendet wurde. So sprechen auch die ukrainischen Medien ironisch von der „Befreiung“ von Sudscha und den Dörfern in der Region Kursk. Die Ukraine hat sogar die Gründung der „Volksrepublik Kursk“ angekündigt. Dieser Schritt hat eindeutig einen rein symbolischen Charakter und ist eine Reaktion auf die Gründung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk vor zehn Jahren. 

In der Wahrnehmung vieler Ukrainer, einer Wahrnehmung, die jahrelang kunstvoll kultiviert wurde, dauert der Krieg zwischen der Ukraine und Russland schon zehn Jahre, wenn nicht sogar zehn Jahrhunderte. Viele in der Ukraine sind heute von Rachegefühlen getrieben.

Es ist nicht immer sehr sinnvoll zu versuchen, sich ein Bild der Welt zu machen, indem man sich auf das stützt, was die großen Medien sagen. Die Medien sollen der Spiegel der Welt sein. Und sie sind ein solcher Spiegel, ja, aber ein höchst verzerrter Spiegel. Die Welt ist nicht so kurz vor der Apokalypse, wie man meinen könnte, wenn man so viel Zeit vor dem Fernseher verbringt oder verschiedene Zeitungen liest. 

Das ist eine Wahrheit, die den Fachleuten der Medienbranche leider nicht so gut gefällt. Medienleute haben viele wertvolle Eigenschaften — Bescheidenheit gehört jedoch selten dazu. Medienleute identifizieren ihre Arbeit mit der absoluten Wahrheit. Wenn sie kritisiert werden, reagieren sie wie beleidigte Jungfrauen: Wie können Sie es wagen, die Pressefreiheit anzugreifen? Wie können Sie es wagen, die Wahrheit in Frage zu stellen? 

In ähnlicher Weise scheinen die Bürger von Sudscha und viele andere in Russland den allgemeinen Willen der europäischen Völker danach zu beurteilen, was die europäischen Medien über Russland schreiben oder zeigen. Sie identifizieren den medialen Diskurs mit dem, was die Leute in den europäischen Ländern wollen. So bekommen sie den Eindruck, dass die europäischen Völker einen Krieg gegen Russland führen wollen, weil man diesen Eindruck aus den europäischen Medien gewinnen kann. Die Medien sind jedoch nicht immer ein Spiegel der allgemeinen Stimmung der verschiedenen Bevölkerungen.

Die großen Medien haben die nötigen Mittel, um Bilder und Geschichten an weit entfernten Orten zu erfassen und genießen Zugang zu sehr wichtigen Menschen. Sie behalten daher die Fähigkeit, die Realität in den Köpfen von Millionen von Menschen zu formen. Es bleibt zu hoffen, dass dies nicht zu einer weltweiten Katastrophe führt.

Siehe dazu auch einen Artikel auf ANTI-SPIEGEL zu den italienischen Fernsehaufnahmen bei Kursk.