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Von Eiern und Butter: Was kostet das Leben in Russland wirklich?
(Red.) Der Wechselkurs des Rubel ist gefallen. Damit wird das Reisen in andere Länder für die Russen teurer. Aber auf das Leben in Russland selbst, wo man vor allem von inländischen Produkten lebt, hat das keinen großen Einfluss. Unser Mann in Russland, Stefano di Lorenzo, zeigt, dass das Leben in Russland trotz Teuerung deutlich günstiger ist als in den Staaten der EU – von der Schweiz gar nicht zu reden. (Ich zahle beim Bio-Bauer für sechs Eier 5 Franken oder umgerechnet EUR 5.38.) Auch das Reisen innerhalb von Russland ist viel günstiger als in der EU. (cm)
In den letzten Wochen wurde, auch in der europäischen Presse, viel über die Inflation in Russland und den Fall des Rubels gesprochen. Einige dieser Artikel scheinen sogar eine gewisse Schadenfreude zu zeigen: ach, dieses Russland, das in den letzten Jahren so viel Geld für Rüstung ausgibt (nach einigen Berechnungen sollen bis heute 40 % des Haushalts für den Verteidigungs- und Sicherheitsapparat ausgegeben werden), macht sich nicht die Mühe, für seine Bürger eine angemessene Lebensqualität zu schaffen, so scheint die Botschaft zu lauten. Aber wie stark sind die Preise im vergangenen Jahr wirklich gestiegen? Und wie viel kostet das Leben heute in Russland wirklich? Diese letzte Frage wird nicht oft gestellt. In der Vorstellung vieler Europäer ist Russland immer noch ein bettelarmes Land, in dem der Durchschnittsbürger nur sehr mühsam über die Runden kommt. In Deutschland liegt das mediane Einkommen vor Steuern laut Statistik bei 43750 Euro brutto pro Jahr, also etwa 3650 Euro brutto pro Monat. Das monatliche mediane Gehalt in Moskau oder Sankt Petersburg ist sicherlich niedriger als ein deutsches Gehalt, ganz zu schweigen im Vergleich zu einem schweizerischen oder österreichischen Gehalt. Aber wenn man die Kaufkraft berechnet, kann die Lebensqualität selbst bei einem Durchschnittsgehalt in Moskau und auch im Rest des Landes mehr als zufriedenstellend sein. Die Wahrheit ist, dass viele Waren und Dienstleistungen in Russland heute deutlich weniger kosten als in Deutschland oder anderen europäischen Ländern.
Bereits letztes Jahr haben wir über die Preise und Lebenshaltungskosten in Russland geschrieben. Wie stark haben sich die Preise im vergangenen Jahr verändert?
Hier finden Sie eine Übersicht der Preise in Russland in diesem Jahr, im November 2024, im Vergleich zu vor einem Jahr:
Beginnen wir mit den absolut notwendigen Konsumgütern, also den Lebensmitteln.
Eier. Anfang des Jahres war viel davon die Rede: „Wirtschaftliche Schwierigkeiten wie in der Sowjetunion: Russlands Präsident Putin hat jetzt ein Eier-Problem“, schrieb Business Insider, ohne jede Spur von ironischer Übertreibung, was unter anderen auch von Watson.de und der FAZ berichtet wurde, „Putin in der Eier-Krise“, „Inflation in Russland: Putins Eierproblem“. Aber wie viel kostet eine Packung Eier in Russland?
Vor einem Jahr konnte man eine 10er-Packung großer Eier bester Qualität in einem Supermarkt im mittleren-hohen Segment für 90 Rubel, damals etwa 90 Cent, kaufen. Heute kosten die gleichen Eier 130 Rubel, etwa 1,15 Euro nach dem heutigen Wechselkurs.
Butter. Gerade die Butter war in den letzten Wochen in aller Munde: Die Leute in Russland sollen so verarmt sein und die Inflation so stark galoppieren, dass die Menschen nun gezwungen sind, Butter zu stehlen, möchte man meinen, wenn man viele Artikel in der westlichen Presse liest. Und tatsächlich haben einige Supermärkte beschlossen, die Butter mit diebstahlsicheren Behältern zu schützen. Dies ist jedoch in den meisten Supermärkten nicht der Fall, nicht alle haben Angst vor Butterräubern.
Was stimmt: Offiziellen Statistiken zufolge ist der Preis für Butter im letzten Jahr um 25,7 % gestiegen. Nach unserer Recherche konnte man vor einem Jahr ein 200-Gramm-Stück klassischer Butter für etwa 200 Rubel kaufen, was bei dem damaligen Wechselkurs etwa 2 Euro entsprach. Heute liegt der Durchschnittspreis für ein solches Stück Butter zwischen 220 und 270 Rubel.
Und der Butterpreis ist im vergangenen Jahr nicht nur in Russland gestiegen, wie selbst t-online bemerkt: „Nicht nur in Russland, sondern in vielen europäischen Ländern erreichen die Butterpreise aktuell Rekordhöhen. Ein Grund dafür ist der gesunkene Fettgehalt in der Rohmilch, der die Produktion von Butter erschwert. Die genauen Ursachen sind noch nicht abschließend geklärt, doch Experten vermuten mehrere Faktoren: eine veränderte Fütterung mit mehr Kraftfutter und weniger Gras, Stress bei den Tieren, hohe Temperaturen oder die gesteigerte Milchleistung pro Kuh, die den Fettgehalt beeinflussen könnte.“
1 Kilo Brot: Vor einem Jahr konnte man ein 1 Kilo Brot für 70 Rubel kaufen, was nach dem damaligen Wechselkurs 70 Eurocent entsprach. Ein Jahr später sind die Brotpreise nach offiziellen Angaben um 12,7 Prozent gestiegen. Es gibt viele verschiedene Brotsorten, und es ist schwierig, die Kosten für ein „durchschnittliches“ Brot zu beziffern. Die Kosten für ein Kilo Brot variieren stark, je nachdem, ob es sich um Graubrot (wahrscheinlich die beliebteste Brotsorte in Russland), Weiß- oder Schwarzbrot handelt. Ein 1 Kilo schwerer Laib klassischen russischen Brotes kostet heute etwa 90 Rubel.
Barilla-Nudeln (Importware): 1 Packung Spaghetti, 450 Gramm, kostet 125 Rubel, 1,10 Euro. Vor einem Jahr kostete die gleiche Packung Spaghetti italienischer Produktion einen Euro. Es gibt mehrere andere Marken von in Russland hergestellten Nudeln, die noch weniger kosten.
1 kg Hühnerbrust. Vor einem Jahr 5 Euro, heute ist der Preis mehr oder weniger gleich geblieben.
1 kg Rindfleisch. Letztes Jahr 6 Euro, dieses Jahr 7 Euro, wobei wir nicht versucht haben, das billigste Angebot zu finden, sondern den Durchschnittspreis zu ermitteln.
1 kg Tomaten, in einem Supermarkt des mittleren-hohen Segments: 207 Rubel, etwa 1,85 Euro.
1 kg Kartoffeln, in einem Supermarkt des mittleren-hohen Segments: 100 Rubel, 0,89 Euro.
BigMac. 222 Rubel kostet heute in Russland ein BigMac, nach heutigem Kurs etwa 1,97 Euro. Letztes Jahr kostete er 186 Rubel. In Deutschland kostet ein BigMac heute 6,39 Euro. Für den gleichen Betrag kann man in Russland dreieinhalb BigMacs essen. Die britische Zeitschrift The Economist verwendet seit Jahren den sogenannten BigMac-Index, um das Preisniveau in verschiedenen Ländern zu vergleichen. Wenn an diesem Indikator etwas dran wäre, müssten die Preise in Russland dreieinhalbmal niedriger sein als in Deutschland. Aber das ist natürlich nicht bei allen Waren der Fall. (Ja, McDonald’s hat Russland bereits 2022 verlassen, aber das russische Äquivalent Vkusno i Tochka, das McDonald’s-Filialen übernommen hat, verkauft genau die gleichen Produkte)
Döner: In Moskau kostet ein Schaurma, oder Shawarma, das hier in Russland beliebter ist als der klassische Döner, den wir in Deutschland kennen, etwa 300 Rubel, 2,66 Euro. Wie viel kostet ein Döner heute in Berlin, München oder Zürich?
Bonus:
Eine Pizza Margherita „nach neapolitanischer Art“ in einem „italienischen“ Restaurant in der zentralen Promenadestraße von Sotschi, einem großen Ferienort im Süden Russlands am Schwarzen Meer, kostete uns etwa 700 Rubel, 6,21 Euro. 1 großes Bier 300 Rubel, 2,66 Euro.
Aber der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein.
Verkehrsmittel:
Fahrkarte für die Moskauer Metro. 70 Rubel in der teuersten Variante, ohne die wiederaufladbare Troika-Karte, etwa 62 Euro-Cent. Vor einem Jahr kostete eine Einzelfahrt 56 Rubel. Ein Monatsabonnement kostet dagegen 2870 Rubel, nach heutigem Wechselkurs 25,47 Euro.
Zug von Moskau nach Sankt Petersburg (Entfernung ca. 704 Kilometer) und von Moskau nach Kasan (894 Kilometer), für denselben Tag und für eine Woche später:
Zug Moskau – Sankt Petersburg für den gleichen Tag. Economy: 5500 Rubel, etwa 49 Euro, Business Class 14000 Rubel, etwa 125 Euro. Zug Moskau – Sankt Petersburg in einer Woche: ab weniger als 10 Euro für einen der klassischen, langsamen Züge, die bis zu 9 oder mehr Stunden für die Strecke zwischen den beiden russischen Hauptstädten brauchen können, während ein Schnellzug, der sogenannte Sapsan, der weniger als 4 Stunden braucht, ab etwa 35 Euro zu haben ist.
Zug Moskau – Kasan für denselben Tag: ab 40 Euro für die zweite Klasse, 100 Euro für die erste Klasse.
Zug Moskau – Kasan in einer Woche: 2000 Rubel oder 17,75 Euro für die zweite Klasse im offenen Wagen, der sogenannte Platzkart, 6200 Rubel oder 55 Euro für die erste Klasse.
Bonus:
Zug Moskau – Wladiwostok (Strecke über 9000 Kilometer, Reisedauer zwischen sechs und sieben Tagen).
Für den Tag selbst: 17000 Rubel, was nach dem aktuellen Wechselkurs etwa 151 Euro entspricht.
Zug Moskau – Wladiwostok in einer Woche: 12184 Rubel oder 108 Euro für einen Platz in einem offenen Abteil, 16389 Rubel oder 146 Euro für einen Platz in einem geschlossenen Abteil („Coupé“).
Übernachten
3- oder 4-Sterne-Hotels für eine Nacht in Moskau, Sankt Petersburg, Nowosibirsk und Sotschi, ohne sich zu sehr zu bemühen, das günstigste Angebot zu finden:
Moskau ist eine riesige Stadt, und die Preise für Hotels variieren je nach Region stark. Ein Drei-Sterne-Hotel lässt sich leicht für rund 30 Euro pro Nacht finden. In wenigen Minuten finden wir auch ein Vier-Sterne-Hotel in einer ziemlich zentralen Gegend (zwei Kilometer vom Kreml entfernt) für etwa 5000 Rubel pro Nacht, 44,50 Euro.
Sankt Petersburg: Drei-Sterne-Hotel in zentraler Lage ab 2280 Rubel oder 20 Euro. Innerhalb von Sekunden können wir auch Vier-Sterne-Hotels in einer ziemlich zentralen Gegend zwischen 30 und 40 Euro pro Nacht finden.
Nowosibirsk: Drei-Sterne-Hotels in zentraler Lage ab weniger als 20 Euro pro Nacht. Für 30 Euro pro Nacht können wir auch schnell ein Vier-Sterne-Hotel in zentraler Lage finden.
Sotschi (nicht in der Hochsaison): Ein Hotel für 25 Euro pro Nacht in zentraler Lage zu finden, ist nicht schwierig. Auch Vier-Sterne-Hotels in zentraler Lage für rund 30 Euro pro Nacht sind schnell gefunden.
Kultur, Unterhaltung und Medien:
Bücher. Neuerscheinungen, Hardcover, zwischen 700 und 1200 Rubel im Durchschnitt, beim heutigen Wechselkurs 6,21 und 10,65 Euro. Klassiker als Taschenbuch: zwischen 200 und 500 Rubel.
Zeitungen: Eine Zeitung kostet in Russland zwischen 20 und 50 Rubel, also zwischen 18 und 44 Cent. Die Preise können je nach Kiosk leicht variieren.
Kino. Eine Kinokarte in Moskau kostet im Durchschnitt zwischen 300 und 600 Rubel, also 2,66 und 5,33 Euro.
Telefonie (30 GB monatlich): 30 GB monatlicher Internetverkehr ohne ein spezielles Abonnement kosten 670 Rubel, 5,95 Euro.
Unbegrenztes Internet zu Hause: zwischen 4 und 8 Euro pro Monat in Moskau, mit verschiedenen Tarifplänen, die auch digitales Fernsehen beinhalten.
Fazit: Die Preise mögen im vergangenen Jahr für einige Konsumgüter gestiegen sein. Aber das Leben in Russland kostet immer noch deutlich weniger als in jedem westeuropäischen Land.
Journalismus ist naturgemäß keine genaue Widerspiegelung der realen Welt, wie sie wirklich ist. Das wäre ja uninteressant. Heute können sich wenige Medien leisten, eine nüchterne Ausgewogenheit zu bewahren, weil sie täglich um die Aufmerksamkeit vieler Leser kämpfen müssen, die leicht abgelenkt und gelangweilt sind. Trotz seines erklärten Anspruchs auf trockene Objektivität neigt der Journalismus immer dazu, das Glas allzu oft nur halb leer zu sehen: negative Geschichten haben immer einen stärkeren Reiz, besonders wenn über Russland geschrieben wird. Schreiben über Russland ist ein eigenes literarisches Genre mit eigenen Regeln und Klischees, von denen man nur selten abweicht. Klischees haben eine Anziehungskraft, die die nüchterne und langweilige Alltagsrealität nur selten bieten kann. Schließlich berichten Journalisten immer für ein bestimmtes Publikum und sind es gewohnt, mit den Vorurteilen und Vorannahmen des Durchschnittslesers zu spielen, eines Durchschnittslesers, der wenig über Russland weiß, der noch nie in Russland war, der sich wenig für Russland interessiert und nur vom Hörensagen etwas über Russland versteht. Ob sich das ändern kann?