US-Diplomatie mit Bomben – Blinken auf Blitzreise im Mittleren Osten – eine Lösung ist nicht in Sicht
Vom 4. – 8. Februar reiste US-Außenminister Antony Blinken durch den Mittleren Osten. Auf der Blitzreise, die Blinken von Saudi-Arabien über Ägypten und Katar nach Israel und zur Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah/Westjordanland führte, wollte der US-Außenminister mit den „Partnern“ in Saudi-Arabien, Ägypten, Katar, Israel und mit der palästinensischen Autonomiebehörde im von Israel besetzten Westjordanland die Pläne Washingtons für eine „stärker integrierte, friedliche Region“ diskutieren, „die dauerhafte Sicherheit für Israelis und Palästinenser gleichermaßen bietet.“
Um den Gazakrieg zu beenden, setzt Washington auf die Freilassung der israelischen Geiseln in Gaza und eine humanitäre Kampfpause, um Hilfsgüter in den Küstenstreifen zu liefern. Für die Lösung des jahrzehntealten Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern schlägt Washington – nicht ganz neu – eine Zwei-Staaten-Lösung vor. Eine Ausweitung des Gazakrieges will die Biden-Administration verhindern, allerdings sollen gleichzeitig „geeignete Schritte“ unternommen werden, um „US-Personal und das Recht auf freie Schifffahrt im Roten Meer zu schützen.“
Gemeint ist, dass die USA gegen tödliche und andere Drohnenangriffe regionaler Kampfverbände (Irak, Syrien, Jemen) militärisch zurückschlagen wird und das auch bereits getan hat. Gemeint ist auch die US/GB-Militäroperation namens „Operation Prosperity Guardian“ (dt. etwa „Wächter zum Schutz des Wohlstandes“) gegen die Ansar Allah (Houthi Bewegung) im Jemen, um den „freien Welthandel“ durch die Meerenge Bab al Mandab und im Roten Meer zu schützen. Jemen, der inzwischen fast täglich von den beiden NATO-Staaten bombardiert wird, gilt als das „Armenhaus der arabischen Welt“.
Die eigentliche Botschaft von Antony Blinken in der Region ist eng mit den US-Interessen verbunden. Washington will Israel als strategischen Bündnispartner in der Region stabilisieren, Saudi-Arabien soll seine Beziehungen mit Israel „normalisieren“, um ein militärisch-politisches Bündnis – ähnlich der NATO – mit anderen Staaten zu bilden, die wie Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre bilateralen Beziehungen mit Israel bereits „normalisiert“ haben. Saudi-Arabien soll im Gegenzug für die „Normalisierung“ mit Israel ein Militärabkommen mit den USA erhalten, für das Riad auch Sicherheitszusagen fordert, ähnlich wie es innerhalb der NATO üblich ist. Zudem wird Saudi-Arabien Hilfe bei der Entwicklung von (ziviler) Atomenergie in Aussicht gestellt. Humanitäre Feuerpausen in Gaza, Hilfslieferungen für die Bevölkerung und die Freilassung der israelischen Geiseln werden gebraucht, um Israel und Saudi-Arabien zusammenzubringen.
Um die US-Vorherrschaft in der Region zu unterstreichen, hatten US-Streitkräfte kurz vor der Blinken-Reise mit 125 Raketen auf mindestens 85 Ziele auf 7 Stellungen regionaler Kampfverbände im syrisch-irakischen Grenzgebiet gefeuert. Dabei waren nach Angaben aus Syrien und Irak mehr als 30 Zivilisten und Soldaten getötet worden. Blinkens Abreise wurde wenige Tage später erneut von einem US-Angriff auf einen Kommandeur der Hascht Shaabi im Osten von Bagdad begleitet. Neben dem „Ziel“ Wissam Mohammad Saber, bekannt als Abu Baqer Al-Saedi, wurden zwei Begleiter in einem Fahrzeug getötet, das von einem gezielten US-Drohnenangriff zerfetzt wurde. Die USA bezeichnet ihre Angriffe in der Region als „Selbstverteidigung“ gemäß Artikel 51 der UN-Charta. Konkret werden sie mit einem tödlichen Drohnenangriff auf eine US-Basis im jordanisch-syrischen Grenzgebiet begründet, bei der drei US-Soldaten getötet wurden. Das Ziel, „Tower 22“, dient der Aufklärung und der Versorgung der US-Militärbasis „Al Tanf“, die illegal auf syrischem Territorium errichtet wurde.
Zwischen Waffenstillstand und Angriffen
Es war das fünfte Mal seit den Angriffen palästinensischer Kämpfer am 7. Oktober 2023, dass der US-Außenminister durch die Region tourte. Seine Rhetorik für humanitäre Feuerpausen und Hilfen, für eine friedliche Region und die Lösung des jahrzehntealten Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern stößt in der arabisch-muslimischen Welt auf Skepsis.
Noch bevor Blinken wieder nach Washington zurückkehrte, wurde bekannt, dass seine Vermittlungsmission in der Region wenig Zustimmung erhielt. Ägypten drohte, den Friedensvertrag mit Israel (26.3.1979) zu lösen, sollte Israel die Palästinenser aus dem Gazastreifen in die ägyptische Wüste Sinai vertreiben. Saudi-Arabien ließ Blinken wissen, dass eine „Normalisierung“ der Beziehungen mit Israel nur in Frage komme, wenn der Krieg in Gaza beendet sei, die israelische Armee sich aus dem Küstenstreifen zurückgezogen habe und wenn Israel einen unabhängigen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt anerkannt habe. In Katar wurde Blinken die „generell positive“ Reaktion der Hamas auf einen Waffenstillstandsplan mitgeteilt, der von den Geheimdiensten der USA (CIA), Israels (Mossad), von Ägypten und Katar vorgelegt worden war. In Tel Aviv allerdings machte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gegenüber Blinken klar, dass die von der Hamas vorgelegten Änderungen an dem Entwurf für ihn unakzeptabel seien. Israel werde „bis zum totalen Sieg“ die Hamas in Gaza bekämpfen, so Netanyahu. Er habe die israelischen Streitkräfte angewiesen, eine Offensive auf die südisraelische Stadt Rafah vorzubereiten.
Die Hamas hatte nach mehrtägigen Beratungen einem Vorschlag für einen Waffenstillstand prinzipiell zugestimmt, hat aber Berichten zufolge eigene Forderungen hinzugefügt. Der ursprüngliche Vorschlag war Ende Januar von Geheimdienstmitarbeitern des israelischen Mossad, der US-amerikanischen CIA, von Ägypten und Katar in Paris ausgehandelt worden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters, die nach eigenen Angaben das Papier „eingesehen“ habe, soll die Hamas einen dreistufigen Waffenstillstand über 135 Tage (jeweils 45 Tage) vorgeschlagen haben, der zum Ende des Krieges führen solle.
Das israelische Militär teilte derweil mit, dass von den vermutlich 136 israelischen Geiseln, die noch in Gaza sind, mindestens 30 nicht mehr leben. Die Hamas hatte Israel wiederholt gewarnt, dass die „israelischen Gefangenen“ in Gaza – wie die Palästinenser – den israelischen Bombardierungen ausgesetzt und mit dem Tode bedroht seien.
Gaza in der Schwebe
Internationale und UN-Hilfsorganisationen warnen seit Tagen vor einem israelischen Großangriff auf Rafah, wo aktuell mehr als eine Million Menschen auf engstem Raum, in einfachen Zelten, in Regen und Wind versuchen, sich zu schützen. Neben Kämpfen zwischen israelischen Truppen und palästinensischen Kämpfern sind die Menschen ungebremsten Bombardierungen der israelischen Streitkräfte aus der Luft, von Land und vom Wasser ausgesetzt. Hilfslieferungen warten am Grenzübergang Rafah, weil die israelische Seite ihre Durchfahrt mit unübersichtlichen Kontrollen der Waren verzögert und verschleppt. Krankenhäuser werden von der israelischen Armee belagert und alle Zugänge gesperrt, bevor die Ärzte aufgefordert werden, die Einrichtung zu evakuieren.
Die Al Amal-Klinik in Khan Younis wurde Anfang der Woche nach einer 14-tägigen Belagerung von den israelischen Streitkräften zur Evakuierung von Kranken und schutzsuchenden Inlandsvertriebenen gezwungen. Rund 8000 Menschen machten sich auf den Weg nach Rafah, das Israel trotz Markierung als „sicheres Gebiet“ seit Beginn des Krieges bombardiert. UNICEF und andere UN-Hilfsorganisationen sowie der UN-Generalsekretär Antonío Guterres sprechen von katastrophalen, unhaltbaren Zuständen für die Bevölkerung. Für Kinder sei das Leben in Gaza ein „nicht endender Albtraum“, so ein UNICEF-Sprecher.
„Sollen wir alle verhungern?“
Ein Familienvater, der der Autorin bekannt ist, namentlich aber nicht genannt werden möchte, sandte nach langer Pause vor wenigen Tagen an seine Freunde in Deutschland die folgende Nachricht:
„Liebe Freundinnen und liebe Freunde,
vor einer Woche mussten wir wieder unsere Notunterkunft verlassen, weil sie bombardiert wurde. Zum vierten Mal mussten wir unsere Habseligkeiten irgendwie zusammenpacken und wieder nach einer anderen Unterkunft suchen. Und das während um uns herum in Sichtweite geschossen wurde und Bomben fielen.
Auch wo wir jetzt sind, ist es jetzt eng und menschenunwürdig. Das Dach ist nicht dicht und der Regen kommt durch. Und es hat in letzter Zeit einige Tage ununterbrochen geregnet und es ist kalt. Als hätten wir nicht ohne den Regen schon genug Probleme zu bewältigen.
Der Platz in der Unterkunft reicht nicht für alle, deshalb schlafen die Männer reihum draußen im Zelt. Ich habe keine warmen Socken, keinen warmen Pullover. Nichts. Ich friere wie auch die anderen und kann deshalb nicht schlafen. Und ich kann auch nicht schlafen, weil um uns herum die Bomben zu hören sind und die Krankenwagen. Immer könnten auch wir getroffen werden. Seit vier Monaten ist dieser Gedanke, sind die Ängste, die Sorge um die Familie immer da. Nein, ich habe mich nicht an dieses Leben gewöhnt. Wir alle nicht. Und hinzukommt, dass wir uns von der Welt, von der Weltpolitik total verlassen fühlen.
Wir leben unter unvorstellbaren Bedingungen. Wir haben nichts getan und müssen leiden und die Welt schaut zu. Oder sie hat uns inzwischen vergessen.
Täglich kämpfen wir ums Überleben und sind immer damit beschäftigt, Lebensmittel zu finden. Alle sind wir dünner geworden, denn es gibt nicht genug zu essen. Die Hilfe durch die UNWRA kommt nur sehr langsam an und ist immer zu wenig. In den vergangenen Monaten habe ich kaum etwas davon bekommen.
Ich habe gehört, dass die Welt und auch Deutschland jetzt jede Lebensmittelunterstützung durch die UNWRA gestoppt hat. Ich kann es kaum glauben, denn das bedeutet, dass wir alle verhungern sollen. Wenn wir nicht durch Bomben sterben, sollen wir verhungern. Das will auch Deutschland? Was sagen meine Freundinnen und Freunde dazu? Lasst ihr uns alle verhungern?
Auf dem privaten Markt wird fast nichts mehr angeboten und wenn, dann zu astronomischen Preisen, die wir uns nicht leisten können. Sogar Grundnahrungsmittel sind unerschwinglich. 10 Eier kosten umgerechnet 8 Euro, 1kg Zwiebeln auch 8 Euro. Baby Windeln kosten das Paket mehr als 65 Euro. Gemüse, Salz, Zucker, Öl, das alles können wir uns nicht leisten. Seit Beginn des Krieges werden keine Medikamente für den privaten Markt mehr eingeführt. Unsere Gehälter haben wir seit Oktober nicht bekommen.
Das alles ist der Wahnsinn. Wie soll es weitergehen?
Unser Leben in Gaza ist unerträglich
1. weil wir von Tod und Zerstörung umgeben sind
2. weil wir kein Dach über dem Kopf haben
3. weil wir kaum etwas zu essen und zu trinken finden
4. weil die Luft, die uns umgibt, durch Bombenexplosionen extrem verschmutzt ist
5. weil Krankheiten und Verletzungen nicht behandelt werden können
Damit uns ein kleines bißchen Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben bleibt, setzt euch bitte dafür ein, dass der Beschluss des Internationalen Gerichtshofs für Gerechtigkeit!!! ICJ umgesetzt wird und dieser Wahnsinn mit einem vollständigen Waffenstillstand aufhört.
In der Hoffnung, dass dieser furchtbare Krieg sofort beendet wird, verbleibe ich mit traurigen Grüßen ….“.
Weitere aktuelle Bilder aus Rafah hier.