Ulrich Heyden: Mein Weg nach Russland
Der deutsche Journalist Ulrich Heyden lebt seit 30 Jahren in Russland und hat als freiberuflicher Journalist für viele Medien, unter anderem die deutsche Zeitung «der Freitag» und die Schweizer «WOZ Die Wochenzeitung», gearbeitet. Im Jahr 2022 beendeten jedoch die meisten westlichen Publikationen die Zusammenarbeit mit ihm: Der deutsche Journalist war nicht bereit, die Klischees des westlichen Narrativs über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu übernehmen. Heute schreibt Heyden hauptsächlich für die NachDenkSeiten.
Väter und Söhne
In seinem neuesten Buch „Mein Weg nach Russland. Erinnerungen eines Reporters“, das neulich im österreichischen Verlag ProMedia erschienen ist, erzählt der Autor die Geschichte seiner Beziehung zu Russland. Es ist eine autobiografische Erzählung, die zum Teil auf dem Kontrast zwischen Vater und Sohn basiert und zu einer Reflexion über die Bedeutung der Geschichte und das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland führt. Ulrich Heydens Vater hatte nämlich als Offizier der Wehrmacht am Einmarsch in die Sowjetunion teilgenommen. Seine Haltung gegenüber Russland war stets von einem gewissen Überlegenheitskomplex gegenüber dem russischen Volk geprägt, ganz im Einklang mit der nationalsozialistischen Ideologie, die die Slawen als Untermenschen ansah.
Die Einstellung des Sohnes zu Russland könnte nicht unterschiedlicher sein. Heyden spricht von einer aufrichtigen Neugier rund um Russland und dem Wunsch nach Ehrlichkeit in Bezug auf die deutsche Geschichte, den Überfall auf die Sowjetunion und den von den Nazis geführten Vernichtungskrieg. Dabei geht es nicht nur um eine aseptische historische Rekonstruktion. Bei einer öffentlichen Lesung von dem Buch, die der Berliner Gesprächskreis der «NachDenkSeiten» organisiert hat, ist der Autor zu Tränen gerührt, als er eine Passage über Sergej, den Großvater seiner russischen Frau, liest. Sergej war von Beruf Gärtner gewesen, er starb im Alter von 30 Jahren in einem niedersächsischen Konzentrationslager und wurde im Dezember 1941 in einem Massengrab ausgesetzt. Für sowjetische Häftlinge war dies damals kein ungewöhnliches Schicksal, denn für sie, die als Untermenschen, als Angehörige einer minderwertigen Rasse galten, gab es keine Baracken wie für Häftlinge aus „zivilisierten“ Nationen, etwa Frankreich oder England. Allein im KZ Oerbke – genannt Stalag XI D 321 –, wo der Großvater von Heydens Frau starb, fanden 30.000 sowjetische Häftlinge den Tod. Die Zahl der sowjetischen Kriegsopfer liegt bei über 20 Millionen. Eine ungeheuerliche Zahl.
Doch trotz allem, so Heyden, gab es nach dem Krieg und gibt es heute auf russischer Seite keine Feindseligkeit gegenüber den Deutschen, keine Hochnäsigkeit oder Hochmut. Im Gegenteil, die russische Gastfreundschaft und Herzlichkeit erwiesen sich als außergewöhnlich, vor allem für einen Norddeutschen. Der Vaterländische Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird, und der Sieg bleiben eine Quelle des Stolzes auf die immensen Opfer des russischen Volkes, aber es gibt keine russischen Ressentiments gegenüber den Deutschen. Leider kann man das heute von vielen europäischen Völkern gegenüber den Russen nicht behaupten.
Nach Russland mit Liebe
Aber es gibt nicht nur Geschichte, sondern auch Humor in Heydens Buch, etwa wenn er von seinen ersten Versuchen erzählt, in Russland als junger Mann die Liebe zu finden. Es waren die 1990er Jahre, die Zeit des Jelzin’schen Experiments, es war ein Land mit einer improvisierten und kaputten Marktwirtschaft, die am Rande des Kollapses war. Viele junge russische Frauen träumten davon, einen westlichen Mann zu finden. 1990 war das immens populäre Lied „American Boy“ erschienen. Der Text lautete:
„American boy, American joy,
American boy for always time.
American boy, ich gehe weg mit dir
Ich gehe mit dir weg – Moskau Lebewohl“
Der junge freiberufliche Journalist Heyden verfügte jedoch nicht über die wirtschaftliche Stabilität, um die Fluchtträume der jungen russischen Frauen zu verwirklichen. Aber er konnte trotzdem etwas Liebe finden. Es muss auch gesagt werden, dass sich die Zeiten heute sehr geändert haben. Westliche Männer, die in der Illusion nach Moskau eilen, russische Frauen würden ihnen in die Arme springen, nur weil sie Europäer oder Amerikaner sind, würden eine herbe Enttäuschung erleben.
Als Reporter im Donbass
Spaß beiseite, denn die Geschichte wird wieder ernst. Heyden hat eine Weile auch in der Ukraine gelebt und kennt dieses Land auch gut, er hat die Entwicklung der Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine seit der Auflösung der Sowjetunion verfolgt. In den letzten Jahren hat er auch den Donbass besucht, der zwischen 2014 und 2022 Schauplatz von Krieg und häufigen Kämpfen zwischen der ukrainischen Zentralregierung und den „prorussischen Separatisten“ war. Heyden hat auch ein Buch über den Donbass geschrieben, es heißt „Der längste Krieg in Europa seit 1945“. Im Donbass haben die Kämpfe, trotz der Minsker Vereinbarungen vom September 2014 und Februar 2015, bei denen Frankreich und Deutschland als Garanten auftraten, nie aufgehört. Dies ist eine Dimension des russisch-ukrainischen Konflikts, von der wir heute nicht sehr oft hören. Vielleicht weil sie das transatlantische Narrativ widerlegen würde, das von fast allen europäischen Medien mit missionarischem Enthusiasmus übernommen wurde: dass nämlich die russische Aggression im Februar 2022 ohne jeglichen Grund, aus dem Nichts und ohne Kontext erfolgte.
Aus diesem und vielen anderen Gründen ist Heydens Buch „Mein Weg nach Russland“ sehr lesenswert. Das Buch kann hier direkt beim Verlag bestellt oder im Buchhandel erworben werden.