Ukrainische Sommeroffensive: Wenn Überheblichkeit Menschenleben kostet
Gerne wäre Wolodymyr Selenskyj als strahlender Sieger an den NATO-Gipfel nach Vilnius gereist und hätte dort die Führer der westlichen Länder ermutigt, noch schnell vor dem Endsieg in den Krieg gegen Russland einzusteigen. Das Timing stimmte: Mit zwei neugebildeten Armeekorps, von denen jedes zwei bis drei Wochen handlungsfähig ist, hätten die militärischen Operationen im Osten der Ukraine Anfang Juni eigentlich kurz vor dem Abschluss stehen sollen. Aber die lange angekündigte Sommeroffensive der ukrainischen Armee blieb bisher weit hinter den gesteckten Zielen zurück.
Während ein Teil der westlichen Medien nun jeden noch so kleinen Erfolg als strategischen Sieg feiert, sprechen andere schon vom Fiasko der ukrainischen Sommeroffensive (1). Für letzteres ist es noch zu früh. Die Ukraine kann diese wohl noch etwas weiterführen, aber realistischerweise muss man deren Erfolgschancen nach unten korrigieren.
Bachmut / Artemovsk
Das Hauptaugenmerk der ukrainischen Führung galt der Stadt Bakhmut (russisch Artemovsk), deren Verlust Ende Mai trotz hartnäckiger Gegenwehr und Zuführung neu gebildeter Reserven nicht verhindert werden konnte. Die Hoffnung, der Abzug der PMC „Wagner“ und ihre Ablösung durch reguläre russische Armeeverbände schaffe ein Schwächemoment, das ausgenützt werden könne, erfüllte sich nicht. Die Angriffe der ukrainischen Armee, namentlich der 101. Territorial Verteidigungsbrigade auf Yahidne/Yagodnoe und der 5. Sturm-Brigade auf Klishiivka haben bezüglich Breite und Angriffstiefe wohl kaum die Erwartungen erfüllt, welche die höhere Führung der Ukraine in sie gesetzt hatte. Von personell neu aufgefüllten und mit westlichen Waffen ausgerüsteten Brigaden hätte man eigentlich erwarten dürfen, dass sie auf bis zu 10 km Frontbreite in 10 bis 15 km Tiefe vorstoßen. Die Einnahme der erwähnten Ortschaften dürfte wohl das erste Ziel der angreifenden Truppen gewesen sein. Eine Wiederholung der Angriffe ist möglich, wenn die ukrainische Führung bereit ist, die zu erwartenden hohen Verluste von Infanterie-Angriffen zu akzeptieren. Für die Rückeroberung der ganzen Stadt Bachmut/Artemovsk gegen eine, mit einer Luftlandebrigade verstärkten Motorisierten Schützendivision reichen die ukrainischen Kräfte in diesem Abschnitt aber nicht aus.
Die Russen haben das Gros ihrer Kräfte, im Kern die 150. Motorisierte Schützendivision, entgegen ihrer üblichen Einsatzverfahren weit vorne im Sicherungsstreifen aufgestellt und sichern ihre erste eigentliche Verteidigungsstellung 20 km hinter der Front mit schwachen Kräften (2). Sie sind aber sicher bereit, sich auf diese Stellung zurückfallen zu lassen, wenn die Ukrainer die Sicherungsstellungen durchbrechen sollten. Davon sind diese aber weit entfernt.
Karte: Lage im Raum Bachmut/Artemovsk
Quelle: Karte Live UA Map, Ergänzungen Verfasser
Schon vor der Einnahme von Bachmut/Artemovsk durch die Kämpfer der „Gruppe Wagner“ führte die ukrainische Seite permanent Verstärkungen heran, um eine Stadt zu halten, deren unmittelbarer militärischer Wert eher bescheiden war. Auch die neuerlichen Angriffe der ukrainischen Truppen sind wohl eher durch die Bedürfnisse des Informationskriegs bedingt. Das Sterben für Schlagzeilen geht weiter.
Raum Kherson – Donetsk
Vielfach war der Süden der Oblast Saporoschje als Hauptangriffsrichtung der ukrainischen Armee in der Sommeroffensive genannt worden. Während die einen die Unterbrechung der Landverbindung zwischen Rostow-am-Don auf die Krim als Ziel bezeichneten, träumten andere schon von der Rückeroberung der Stadt Mariupol. Auch Angriffe von Verbänden in Kompaniestärke im Raum Belgorod vermochten davon nicht abzulenken. Auf der 150 km langen Front vom Dnipro/Dnepr südlich von Saporoschje bis in den Raum Dokuchaevsk südlich von Donetsk sind die Ukrainer zahlenmäßig in etwa gleich stark wie die verteidigenden Russen. Auch hier brachten die Angriffe ganz im Westen Richtung Vasylivka, südlich von Orikhiv/Orekhov und bei Vugledar/Ugledar nur Erfolge taktischen Ausmaßes. Die circa 20 Brigade-Äquivalente, die auf russischer Seite an der Front stehen, reichten bislang aus, um die ukrainischen Angriffe noch im Sicherungsstreifen abzuwehren. Auch hier stehen die ukrainischen Truppen noch weit von der ersten Verteidigungsstellung entfernt. Die russischen Reserven sind in ihrem Umfang komfortabel. Am Verkehrsknotenpunkt Tokmak stehen zwei Regimenter und Kämpfer einer PMC bereit, um zusammen mit der Panzerabwehrreserve der Artilleriebrigaden allfällige ukrainische Durchbrüche abzuriegeln oder die vorbereiteten Verteidigungsstellungen in Tokmak zu beziehen.
Auf ukrainischer Seite genügen die an der Front aufgestellten Kräfte für die Verteidigung und die Sicherung einer Angriffsgrundstellung. Sollten die Ukrainer hier einen operativ bedeutenden Durchbruch erzielen wollen, müssten sie alle ihre vorhandenen Reserven in einem circa 20 km breiten Abschnitt zusammenziehen, um nach dem Durchbruch durch die russische Sicherungslinie die erste Verteidigungslinie zu durchbrechen und weiter nach Tokmak zu stoßen, einem wichtigen Zwischenziel auf dem Weg zum Asowschen Meer. Im Lichte der Kräfteverhältnisse ist davon auszugehen, dass sie sich an den Befestigungen von Tokmak festbeißen und dort liegenbleiben würden. Von einer Unterbrechung der Verbindung zwischen Rostow-am-Don zur Krim auf der Route von Mariupol über Berdiansk und Melitopol nach Chongar sind sie so weit entfernt, wie zu Beginn der Sommeroffensive.
Karte: Lage im Süden der Oblast Saporoschje und Möglichkeiten einer ukrainischen Offensive
Quelle: Karte Live UA Map, Ergänzungen Verfasser
Bislang ergaben die Hauptanstrengungen der ukrainischen Armee in den Räumen Bachmut und Saporoschje keine operativ bedeutenden und damit in allfälligen Verhandlungen verwertbare Ergebnisse. Wenn aber ein Angriff in einer Richtung sich festfährt, sollte man die Angriffsrichtung oder zumindest den Schwerpunkt wechseln, das lernen bereits Kommandanten der taktischen Stufe. Angesichts der großen Distanzen, des Zustands des Verkehrsnetzes und der russischen Flieger und Abstandwaffen benötigen die Ukrainer für Umgruppierungen operativen Ausmaßes wahrscheinlich Wochen. Ob es ein kluges Vorgehen der Ukrainer war, gleichzeitig in Bachmut und östlich von Saporoschje anzugreifen, ist zu bezweifeln. Aber selbst, wenn dies als Fehler erkannt werden sollte, ist die ukrainische Armee kaum in der Lage, diesen in nützlicher Frist zu korrigieren.
Herbe Kritik aus den USA
Speerspitze des Angriffs der ukrainischen Armee im Süden der Oblast Saporoschje war die 47. Mechanisierte Brigade, die auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Deutschland mit westlichen Waffen ausgerüstet und nach westlicher Doktrin ausgebildet worden war. Der Plan für ihren Angriff soll auch dort entwickelt und im Taktik-Simulator KORA einer Prüfung unterzogen worden sein (3). Das berichtete der ehemalige Angehörige der US-Marineinfanterie und Spezialist für Nachrichtendienst Scott Ritter. Er selbst hat Erfahrung mit Simulationsübungen. Im Oktober und November 1991 hatte er sich an Simulationsübungen beteiligt, mit denen der Angriffsplan des US Marine Corps auf die irakischen Stellungen in Kuwait überprüft wurde (4). Die Überprüfung von taktischen Entschlüssen im Wargaming – so ersetzt man das verpönte Wort „Kriegsspiel“ heute – und in Simulationsübungen ist heutzutage Standard. Die Schweizer Armee nutzt hierfür ihre Taktik-Simulatoren auf dem Waffenplatz Thun und an der Generalstabsschule In Kriens, wo auch eigens ein großer Raum für Kriegsspiele auf Landkarten eingerichtet wurde (5). Ritter kritisiert, dass die Ausrüstung, Kampfmoral, Führung und der Ausbildungsstand der russischen Truppen in den Stellungen südlich von Orikhiv/Orekhov unterschätzt und als Folge davon die ukrainischen Erfolgschancen zu optimistisch beurteilt worden seien:
«According to the Institute for the Study of War, the Russians “responded to the Ukrainian attack with an uncharacteristic [sic] degree of coherency” while executing “their formal tactical defensive doctrine” in repelling Ukrainian attacks southwest of Orekhov.»
Und er spart nicht mit Kritik:
«NATO trainers, … knowingly sent the men of the Ukrainian 47th Mechanized Brigade and scores of other Ukrainian brigades to their deaths … neither NATO nor the United States cares about the lives of the Ukrainians they have undertaken to train in the horrific art of war.» (6)
Als ehemaliger Mitarbeiter der US-Nachrichtendienste verfügt Ritter womöglich über Informationen aus seinen alten Netzwerken. Seine schweren Vorwürfe an die Adresse der deutschen und US-amerikanischen Instruktoren in Grafenwöhr sind aber möglicherweise übertrieben, denn diese hatten ihre – offensichtlich unkorrekten – Informationen über Ausrüstung, Ausbildung und Moral der russischen Truppen wohl nicht aus erster Hand, sondern am ehesten von den Ukrainern selbst. Hierfür zeichnet dann primär der Chef des militärischen Nachrichtendienstes der ukrainischen Streitkräfte (GUR), Kyrylo Budanow verantwortlich, der selbst den Angriff russischer Kinzhal-Raketen auf das Hauptquartier seines Dienstes Ende Mai nicht vorhergesehen hatte (7). Berichte, wonach er bei diesem Angriff verletzt worden sei, stellten sich zwar als unrichtig heraus; hier war russischerseits möglicherweise der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen (8). Aber die Falschmeldungen zeigten, wer das eigentliche Ziel des Angriffs gewesen war, sodass Budanow sich gezwungen sah, ein paar Tage auf Tauchstation zu gehen (9). Auch seine Prognose vom vergangenen Februar, Russland werde den Krieg nicht mehr lange durchhalten können, erwies sich als falsch (10).
Solange die Ukraine und der im Informationsbereich teilweise von ihr abhängige Westen die russische Armee unterschätzen, wird es dieser leicht fallen, ihre Gegner immer aufs Neue zu überraschen. Das sind Probleme, die auch in Zukunft immer wieder auftauchen werden, solange westliche Politiker lieber der Boulevard-Presse und PR-Agenturen glauben, als ihren Nachrichtendiensten.
An anderen Abschnitten der Front haben sich die ukrainischen Angriffe ebenfalls festgefahren, wie am Westrand von Donetsk in Mariinka und Avdiivka/Avdeevka. Im Norden der Front östlich des Oskol-Flusses, von Kreminna/Kremennaya bis an die russische Staatsgrenze sind nun offenbar die Russen ihrerseits zum Angriff übergegangen. Diese erreichten bislang allerdings auch nur taktische Ausmaße. Nach der Zerstörung des Damms von Nova Kakhovka hatte mancher Kommentator darauf getippt, dass der untere Dnipro zum Hauptschauplatz der Kämpfe werden könnte. Dort setzten die ukrainischen Streitkräfte in den letzten Tagen mit Booten über den Fluss. Mehr als Stoßtrupps sind das offenbar aber nicht gewesen. Der Abschnitt bleibt nach wie vor ungünstig für einen groß angelegten Angriff.
Karte: Übersicht über die Front, gelb ukrainische Gebietsgewinne seit 1. Juni, orange russische
Quelle: Live UA map, Ergänzungen Verfasser
Eine neue Blutmühle?
Über ihre eigenen Verluste geben die Konfliktparteien in Kriegen in der Regel keine oder unrichtige Angaben, die gegnerischen übertreiben sie gerne. Dazu kommt, dass beim Einsatz gegen schweres Gerät der Gegenseite oftmals nur festgestellt werden kann, ob man getroffen hat, während der effektive Schaden nicht sofort festgestellt werden kann. Nimmt man aber die Anzahl der Panzer und sonstigen gepanzerten Kampffahrzeuge, welche die russische Seite zerstört haben will, nicht als bare Münze, sondern als Gradmesser für die Intensität der Kämpfe, so kommt man zum Schluss, dass der 3. Juni den Zeitpunkt darstellt, an welchem gewaltsame Aufklärung der Ukrainer in einen eigentlichen Angriff überging. Die Verlustzahlen bei Artillerie-Geschützen zeigen, dass die Artillerie-Vorbereitung am 1. Juni begonnen haben muss. In der letzten Juni-Woche nahm die Intensität der Kämpfe offenbar ab, was damit zusammenhängen dürfte, dass die in der ersten Phase eingesetzten Verbände nach zweieinhalb Wochen an die Grenzen ihrer Durchhaltefähigkeit gekommen waren. Das ist wenig überraschend. Inzwischen berichtet die russische Seite, die Ukrainer hätten ihre Taktik geändert und würden mit Infanterie-Verbänden in Zugs- bis Kompaniestärke angreifen, denen Panzer folgen. Der ukrainische Verteidigungsminister Reznikov verkaufte dieses Vorgehen implizit als gewaltsame Aufklärung, als er am Rande des NATO-Gipfels in Vilnius erklärte, die ukrainischen Truppen würden nun die schwachen Stellen beim russischen Gegner suchen. Die Intensität der Kämpfe ist momentan aber nach wie vor über dem Niveau vom vergangenen Mai, als die Ukrainer wirklich gewaltsame Aufklärung betrieben. Reznikovs Äußerungen sind kritisch zu betrachten.
Abbildung: ukrainische Verluste an Panzern und Artillerie-Geschützen pro Tag
Quelle: Verfasser
Wenn die ukrainische Armee nun auch noch die bisher nicht eingesetzten taktischen und ihre operativen Reserven in mehreren Abschnitten der Front einsetzt, dann kann sie ihre Offensive noch mehrere Wochen weiter aufrechterhalten. Danach sind dann aber keine Reserven mehr vorhanden, die eingreifen könnten, wenn den Russen irgendwo ein Durchbruch gelingen sollte. Ob die ukrainische Führung dieses Risiko einzugehen bereit ist, wird sich noch zeigen müssen. Sicher ist aber, dass die ukrainische Führung auch durch den angriffsweisen Einsatz von Verbänden der Territorialverteidigung gewillt ist, hohe Personalverluste zu akzeptieren, auch wenn Reznikov in Vilnius das Gegenteil behauptete (11).
Neue Waffen für die Ukraine
Die anlässlich des NATO-Gipfels in Vilnius durch Bundeskanzler Scholz in Aussicht gestellten 25 Panzer des Typs Leopard-1A5 und 40 Schützenpanzer Marder genügen für die Neuausrüstung von zwei Bataillonen, die wiederum nur taktische Erfolge erzielen können (12). Das weiß man sowohl in Berlin als auch in Kiew. Diese Fahrzeuge werden den russischen Panzern des Typs T-90 und den neueren Versionen des Schützenpanzers BMP nicht standhalten können, wenn sie auf solche treffen sollten. Bereits im März verstärkten die Ukrainer die gelieferten Leopard-2 mit Reaktiv-Zusatzpanzerungen (13). Offenbar waren sie mit deren Schutz nicht zufrieden, was nicht überrascht. Die Reaktiv-Zusatzpanzerung verbessert zwar den Schutz gegen Hohlladungsgeschosse, behebt die Schwächen des Leopard-2 aber nicht, wenn er mit Pfeilgeschossen beschossen werden sollte. Darüber hinaus erhöht die Zusatzpanzerung das Gewicht der Leoparden, was ihre Beweglichkeit im Gelände weiter einschränken dürfte.
Deutschland ist mit Versprechen von Waffenlieferungen vorgeprescht. Ob weitere NATO-Verbündete noch in der Lage sind, moderne Waffen in großem Umfang zu liefern, ist unsicher. Selbst wenn dies der Fall sein sollte: Die Ausrüstung von weiteren Armeekorps und Divisionen wird kaum mehr möglich sein und damit rücken Erfolge operativen Ausmaßes außer Reichweite.
Werbespots aus Brüssel
Sollte sich die Lage an der Front für sie nicht verschlechtern, dann können sich die Russen ein Spiel auf Zeit leisten, bis die westliche Großzügigkeit bei Waffenlieferungen – und allenfalls auch die Fähigkeit zu Waffenlieferungen – abkühlt. Bis die versprochenen Waffen in der Ukraine eintreffen, wird es Frühherbst werden. Bis Ende des Monats Oktober ist das Wetter im Südosten der Ukraine traditionell trocken und mild. Danach wird sich das Zeitfenster für groß angelegte Offensiven für Monate schließen.
Die vollmundigen Ankündigungen einer Rückeroberung der Krim und einer vollständigen Vertreibung russischer Truppen von ukrainischem Territorium erwiesen sich bisher als falsch. Wenn sie mehr als nur Moral-Booster im Informationskrieg gewesen sein sollten, dann waren sie Ausdruck der Selbstüberschätzung der Ukrainer und der Unterschätzung ihres Gegners. Diese Überheblichkeit haben die Ukrainer in den letzten Wochen teuer bezahlt. Die politische und militärische Führung der Ukraine steht nun vor einer Entscheidung: Will sie die Offensive mit den noch zur Verfügung stehenden Reserven weiterführen und damit alles auf eine Karte setzen, oder will sie die Intensität der Kampfhandlungen senken und die Ankunft neuer Waffen aus dem Westen abwarten?
Vilnius hat Selenskyj die Grenzen der Hilfsbereitschaft des Westens aufgezeigt: Dieser ist nach wie vor nicht bereit, sich um ukrainischer Territorien willen in einen Krieg mit Russland zu stürzen. Die westlichen Waffenlieferungen zielen darauf ab, der Ukraine zu helfen, ihre Verhandlungsposition gegenüber Russland zu verbessern. Mehr ist nicht vorgesehen. Dieses Verhalten des Westens entlarvt aber Losungen, wonach in der Ukraine die Werte des Westens verteidigt würden, als Werbespots.
Die Ukraine kann jetzt nicht viel mehr tun, als Russland noch möglichst viel Schaden zuzufügen. Mit dem Einsatz von ballistischen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen demonstriert der Kreml auf der anderen Seite fast täglich, dass auch er in diesem üblen Spiel am längeren Hebel sitzt. In dieser Beziehung, aber auch nur in dieser, fallen die Interessen des Westens mit jenen der Ukraine zusammen. Wenn Selenskyj seine Verhandlungsposition stärken will, kann er es auf diplomatischem Weg versuchen, am ehesten mittels einer Charme-Offensive in Richtung China und der BRICS-Staaten generell. Diese werden ihn aber nur unterstützen, wenn sie die Ukraine im globalen Konkurrenzkampf nicht mehr auf der Seite des Westens sehen. In diesem Sinne braucht der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine womöglich bald mehr als diese selbst, wenn Selenskyj und sein Kabinett auf Kriegskurs gehalten werden sollen. Sollte dieser eine Kehrtwende vollziehen, steht der Westen auf der Verliererseite.
Zum Autor des obenstehenden Artikels: Ralph Bosshard studierte Allgemeine Geschichte, osteuropäische Geschichte und Militärgeschichte, absolvierte die Militärische Führungsschule der ETH Zürich sowie die Generalstabsausbildung der Schweizer Armee und arbeitete 25 Jahre als Berufsoffizier (Instruktor). Er absolvierte eine Sprachausbildung in Russisch an der Staatlichen Universität Moskau sowie eine Ausbildung an der Militärakademie des Generalstabs der russischen Armee. Mit der Lage in Osteuropa und Zentralasien ist er aus seiner sechsjährigen Tätigkeit bei der OSZE vertraut, in der er als Sonderberater des Ständigen Vertreters der Schweiz und Operationsoffizier in der Hochrangigen Planungsgruppe tätig war.
Anmerkungen:
- Siehe „On The Failure Of The Ukrainian Counterattack“, bei Moon of Alabama, 16.06.2023, online unter https://www.moonofalabama.org/2023/06/on-the-failure-of-the-ukrainian-counterattack.html.
- Siehe Сергей Нахимов: 150-я Идрицко-Берлинская мотострелковая дивизия Сухопутных войск РФ: от Рейхстага до Марьинки, bei Amalnews Военний, 30.06.2023, online unter https://amalantra.ru/150-motostrelkovaya-diviziya/, in russischer Sprache.
- Siehe zum Simulator die Herstellerseite von IABG: https://www.iabg.de/geschaeftsfelder/verteidigung-sicherheit/leistungen/smart-tools/simulations-und-trainingssysteme.
- Siehe Scott Ritter: Here’s how NATO trainers knowingly sent Ukrainian troops to their deaths in this month’s counteroffensive against Russia, bei Azerbaycan24, 23.06.2023, online unter https://www.azerbaycan24.com/en/here-s-how-nato-trainers-knowingly-sent-ukrainian-troops-to-their-deaths-in-this-month-s-counteroffensive-against-russia/. Vgl. auch Zaini Majeed: Former US Intel Officer Calls Ukraine’s Counteroffensive ‚dead End, Bizarre Fantasy‚, bei R.republicworld.com, 07.06.2023, online unter https://www.republicworld.com/world-news/russia-ukraine-crisis/former-us-intel-officer-calls-ukraines-counteroffensive-dead-end-bizarre-fantasy-articleshow.html.
- Der Verfasser war während dreier Jahre an der Generalstabsschule beruflich tätig.
- Siehe Scott Ritter: Here’s how, a.a.O.
- Siehe „Kiewer Geheimdienst räumt russischen Raketenangriff auf eigene Zentrale ein“, bei Redaktionsnetzwerk Deutschland, 21.06.2023, online unter https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-kiewer-geheimdienst-raeumt-russischen-angriff-auf-eigene-zentrale-ein-3QCRYR7OJJNNFENNHE5XBEN54U.html, „Ukrainischer Geheimdienst bestätigt russischen Angriff auf eigene Zentrale“, bei Welt, 21.06.2023, online unter https://www.welt.de/politik/ausland/article245981648/Ukraine-News-Kiewer-Geheimdienst-bestaetigt-russischen-Angriff-auf-eigene-Zentrale.html und „Selenskyj: Offensive «langsamer als gewünscht», aber mit Fortschritten – das Nachtupdate“, bei Watson, 22.06.2023, online unter https://www.watson.ch/international/ukraine/140434589-nachtupdate-offensive-langsamer-als-gewuenscht-aber-mit-fortschritten: „… der Kiewer Geheimdienst räumt eine Attacke auf sein Hauptquartier ein“
- Siehe Lars Wienand, Camilla Kohrs, D. Mützel: Geheimdienstchef in Berliner Klinik? Ukraine dementiert, bei T online, 15.06.2023, online unter https://www.t-online.de/nachrichten/ukraine/id_100192898/geheimdienstchef-budanow-in-berliner-klinik-ukraine-dementiert.html und „Russische Rakete verletzt Chef des ukrainischen Geheimdienstes: Kyrylo Budanow liegt schwer verletzt im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin“, bei Weltwoche, 15.06.2023, online unter https://weltwoche.ch/daily/russische-rakete-verletzt-chef-des-ukrainischen-geheimdienstes-kyrylo-budanow-liegt-schwer-verletzt-im-bundeswehrkrankenhaus-in-berlin/. Ursprung der Falschmeldungen war eine „Ente“ von RIA Novosti gewesen: „Источник сообщил о тяжелом ранении главы ГУР Минобороны Украины Буданова“, bei RIA Novosti, 15.06.2023, online unter https://ria.ru/20230615/budanov-1878413689.html, in russischer Sprache.
- Kurz vor dem NATO-Gipfel besuchte er offenbar als Begleiter Zelenskys die Schlangeninsel: Siehe https://t.me/sanya_florida/10076.
- Siehe „Ukrainischer Geheimdienstchef Budanow «Russland ist nicht für lange Kämpfe bereit»“, bei Blick, 28.02.2023, online unter https://www.blick.ch/ausland/ukrainischer-geheimdienstchef-budanow-russland-ist-nicht-fuer-lange-kaempfe-bereit-id18356837.html.
- Siehe „Auftakt des Nato-Gipfels: Berlin schnürt Ukraine-Waffenpaket“, bei Spiegel, 11.07.2023, online unter https://www.stern.de/politik/ausland/vilnius–auftakt-des-nato-gipfels–berlin-schnuert-ukraine-waffenpaket-33638058.html und NATO-GIPFEL IN VILNIUS: Dämpfer für Ukraine – Aber mehr Waffen für Krieg gegen Russland, bei WELT Thema, auf YouTube, 12.07.2023, online unter https://www.youtube.com/watch?v=Wl2izQ-4Ur4. Reznikov: „… nicht die Sowjet-Taktiken unseres Gegners übernehmen“
- Siehe „Scholz schnürt Waffenpaket für Ukraine“, bei Handelsblatt, 11.07.2023, online unter https://www.handelsblatt.com/dpa/vilnius-scholz-schnuert-waffenpaket-fuer-ukraine/29251356.html. Neben den 40 Schützenpanzern „Marder“ und 25 Kampfpanzer „Leopard 1A5“ sind noch fünf Bergepanzer, zwei Abschussgeräte für Patriot-Flugabwehrraketen, 20’000 Schuss Artilleriemunition, Aufklärungsdrohnen, Mittel zur Abwehr von Drohnenangriffen und ein Sanitätspaket enthalten.
- Siehe https://t.me/sanya_florida/9941. Vgl. Ольга Робейко: Эксперт оценил эффективность динамической защиты „Контакт-1“ на танках Leopard, bei UNIAN, 30.03.2023, online unter https://www.unian.net/weapons/leopard-spaset-li-tank-dinamicheskaya-zashchita-kontakt-1-foto-12198681.html und Зачем на немецкие танки Leopard 2 в Украине устанавливают динамическую защиту (фото), bei Fokus.ua, 31.03.2023, online unter https://focus.ua/voennye-novosti/558122-zachem-na-nemeckie-tanki-leopard-2-v-ukraine-ustanavlivayut-dinamicheskuyu-zashitu-foto).