Joachim Gauck, ein Bild aus dem Jahr 2014 (Foto https://hpd.de/node/18832)

So plädiert der professionelle Christ für mehr Waffen und mehr Krieg!

(Red.) Joachim Gauck, studierter Theologe und seinerzeit praktizierender Pastor der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Lüssow und in Rostock-Evershagen, von mehreren Universitäten mit dem Ehrendoktor ausgezeichnet und mit den verschiedensten Preisen nachgerade überschüttet, schließlich von 2012 bis 2017 deutscher Bundespräsident, hat einmal mehr ein Buch geschrieben: «Erschütterungen». – Aus aktuellem Anlass eine kritische Rezension.

Es sei gleich eingangs gestanden: Ich habe in der Neuen Zürcher Zeitung NZZ vom 26. Mai eine Rezension des neuen Buches von Joachim Gauck und seiner Mitautorin Helga Hirsch gelesen: eine uneingeschränkte Laudatio! Autor der extrem positiven Rezension war Josef Joffe, ehemaliger und wohl nicht ganz freiwillig zurückgetretener Herausgeber der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit». Das machte mich gleichzeitig neugierig und skeptisch, denn Josef Joffe ist jener äusserst prominente deutsche Medien-Mann, der schon seit Jahren für eine stärkere Militarisierung Deutschlands plädiert und an der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 nach der höchst bemerkenswerten Rede Wladimir Putins als erster – gewollt provozierender! – Fragesteller, wie Horst Teltschik, der damalige Chef dieser Konferenz in seinem Buch «Russisches Roulette» auf Seite 167ff berichtet, die anschließende mediale Kritik und Verurteilung Putins und Russlands einleitete. (Josef Joffes Plädoyer für mehr Aufrüstung Deutschlands auf der Frontseite der «Zeit» vom 20. Februar 2020 war für mich, Christian Müller, denn auch der Grund, «Die Zeit», die ich seit Jahrzehnten abonniert hatte, definitiv abzubestellen, wie ich es damals auch öffentlich begründete.) Also her mit dem Buch von Gauck und hinein in die aktuelle Thematik!

Das neue Buch von Joachim Gauck mit dem Titel «Erschütterungen» ist denn auch in der Tat selbst erschütternd. Der christliche Pastor Gauck schreibt seitenlang, wie die deutsche Friedensbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg ein Fehler war und wie es jetzt nur einen richtigen Weg gebe: der Ukraine so viel und so schnell und so moderne Waffen wie nur möglich zu liefern, um Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Aus dem christlichen Pastor ist ein kriegsgeiler Machtpolitiker geworden. Nicht zufällig ist Gauck ja auch Mitglied des Vereins «Atlantik-Brücke», die sich für eine enge Verbindung zwischen Deutschland und den USA einsetzt.

Ein Paar Zitate aus dem Buch:

«Der Westen sollte sich ehrlich machen. Wenn wir einen Sieg der Ukraine ermöglichen wollen, müssen wir in ganz anderer Weise als bisher zu Waffenlieferungen bereit sein.» (Seite 133)

«Wer jetzt für einen Waffenstillstand in einer teilweise besetzten Ukraine plädiert, begünstigt gewollt oder ungewollt die Seite Putins.» (Seite 132)

«Die Rede von Olaf Scholz am 27. Februar war die wohl einschneidenste Korrektur in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik seit Jahrzehnten. Scholz verkündete ein Sonderprogramm von 100 Milliarden Euro für den Aufbau einer leistungsfähigen Bundeswehr, versprach, künftig auch in Deutschland die Zwei-Prozent-Marke für Verteidigungsausgaben einzuhalten, und stellte die Beschaffung von Kampfdrohnen und -flugzeugen für die Bundeswehr in Aussicht.» (Seite 111)

Und zur Rede von Olaf Scholz: «Ein Erkenntnisgewinn und ein politischer Kurswechsel, den ich nicht erwartet hatte und den ich ohne Wenn und Aber befürworten kann. Es war die Verabschiedung von einem Russlandbild, das überwiegend von Wunschdenken geprägt und das in weiten Teilen Deutschlands verbreitet war.» (Seite 111)

«Ich möchte mir nicht ein Deutschland vorstellen, das ohne nuklearen Schutzschild der USA auskommen muss.» (Seite 118)

«Wer erfolgreich verhandeln will, darf dies nicht aus einer Position der Schwäche heraus tun.» (Seite 134)

«So ist es angesichts des gegenwärtigen Angriffskrieges eine bittere, aber unumstößliche Wahrheit: Je schneller und je mehr Waffen der Westen liefert, umso eher lassen sich dem Aggressor seine Möglichkeiten für weiteres aggressives Vorgehen nehmen, ein tragbarer Frieden mit einer souveränen Ukraine finden und die Sicherheit Europas gewährleisten.» (Seite 218)

Und zum Verhalten der deutschen Regierung schreibt Joachim Gauck fünf Seiten vor dem Ende seines Buches: «Wenn Menschen erfahren, welche Entscheidungen warum getroffen wurden und was auf sie zukommt, entsteht Vertrauen, das auch in schwierigen Zeiten trägt, wenn die Regierung Maßnahmen ergreift, die nicht bei allen auf Zustimmung stoßen. Entschlossene Führung ist in der liberalen Demokratie keine Gefahr, sondern ein Gebot.»

Das Wort «Führung» in diesem Satz lässt den geschichtsbewussten Leser nachgerade erschauern. Joachim Gauck ist Sohn von Eltern, die beide Mitglied der NSDAP waren. Auch sie hatten der damaligen «Führung» – oder damals eben dem «Führer» – vertraut.

Und damit zu einem letzten Punkt: Joachim Gauck versucht auch, den Sieg der Sowjetunion über die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zu relativieren. Auf Seite 133 zählt er auf, welche und wie viele Waffen die USA der Sowjetunion damals zur Unterstützung im Kampf gegen Hitler geliefert haben. Der – unausgesprochene – Schluss daraus: Die Waffen waren und sind auch heute entscheidend. Was sind schon Kriegsopfer, Soldaten und Zivilisten?

Ein zweites Geständnis meinerseits: Ich habe von den 217 Seiten Text des neuen Buches nur gut 150 gelesen. Es galt erneut, eine schlaflose Nacht zu vermeiden. Dieser christliche Pastor, der das grundlegende, das wichtigste christliche Gebot, den Frieden zu suchen, mit Füssen tritt, ist damals am 18. März 2012 von der deutschen Bundesversammlung im ersten Wahlgang mit der absoluten Mehrheit zum deutschen Bundespräsidenten gewählt worden. Würde das gleiche jetzt, nach diesem Buch, erneut geschehen, man wäre echt in Gefahr, antideutsche Gefühle zu entwickeln. So ein Buch kann eigentlich nur Machtmenschen wie Josef Joffe gefallen, der schon seit vielen Jahren für eine militärische Wiedererstarkung Deutschlands eintritt. Und allenfalls der NZZ-Redaktion, die ihrerseits nichts unterlässt, für mehr Waffen für die Ukraine und für mehr Hass auf Russland zu plädieren. Leitartikel auf der Frontseite der NZZ am Samstag, 6. Mai 2023: «Waffen statt Wunschdenken» (Zur Online-Ausgabe dieses NZZ-Leitartikels, der online allerdings eine andere Headline hat als der gedruckte Leitartikel auf der Frontseite der NZZ.)


Siehe dazu auch «Die Meinungseinfalt hat sich durchgesetzt» zu einem Gespräch mit Joachim Gauck auf Schweizer Radio SRF (von Helmut Scheben)