So leiden in Syrien die Menschen unter den westlichen Sanktionen
(Red.) Wo immer ein Land mit Sanktionen bestraft werden soll, trifft es nicht die Regierung, nicht die Reichen und die Oberschicht, sondern die Menschen in ihrem Alltag, in ihrem täglichen Kampf um Wasser und Nahrung, wie sie ihn oft schon seit Generationen geführt haben, jetzt aber behindert werden und vielleicht sogar zusätzlich unter Kriegsfolgen zu leiden haben. Die deutsche Journalistin Karin Leukefeld lebt seit Jahren in Damaskus und beschreibt hier anschaulich, wie in Syrien die Pistazien-Bauern versuchen, ihre Pistazien-Kulturen wieder zu pflegen und die Früchte wieder international zu verkaufen – und wie etliche trotzdem aufgeben und zum Überleben dann sogar auswandern müssen. (cm)
Der Sommer in Syrien ist außergewöhnlich heiß in diesem Jahr. Es geht auf den Herbst zu, doch die Temperaturen sind noch über 40 Grad. Im vergangenen Winter gab es nur wenig Schnee. Obwohl es viel regnete und die Wasserreservoirs und Brunnen im Frühsommer gut gefüllt waren, liegt über dem Land eine große Trockenheit. Die Bauern stellen sich auf eine geringere Ernte als im Vorjahr ein. Neben der Wasserknappheit wird ihre Arbeit durch den Mangel an Düngemitteln, an Treibstoff und Ersatzteilen erschwert, die für die vielen zerstörten Maschinen und Verarbeitungsanlagen gebraucht werden.
Nach mehr als zehn Jahren Krieg, leidend unter der Belagerung des reichen Europas, das seit 2011 einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Syrien verhängt hat, unter der Besatzung der Türkei und der US-Armee, völkerrechtswidrig dem Beschuss Israels und dem Diebstahl landeseigener Ressourcen ausgesetzt, ist das reiche Agrarland Syrien in schlechtem Zustand. Solange international und regional der politische Wille fehlt, dem Land wieder auf die Beine zu helfen, ist der Spielraum innerhalb Syriens gering, den Menschen gesellschaftliche Perspektiven zu bieten. Während die einen versuchen, Syrien zu verlassen, andere für Hilfspakete in Lagern Schlange stehen, wieder andere ihr Leben riskieren, um über das Mittelmeer Richtung Europa zu gelangen, nehmen viele Syrer die Herausforderung der schwierigen Lage an, um für sich und ihre Familien das Leben zu meistern. Zu diesen gehören die Pistazienbauern in Morek.
Ein konkretes Beispiel
Morek ist ein kleiner Ort im Norden der Provinz Hama. Es liegt unmittelbar an der Provinzgrenze zu Idlib und gilt als Zentrum des syrischen Pistazienanbaus. Besonders beliebt ist die „Fistiq Halabi“, die Aleppo Pistazie. Doch sie ist nur eine von zahlreichen Sorten, die von den Pistazienbauern Syriens seit Generationen herangezogen werden. Vor dem Krieg gehörte Syrien zu den Top-Pistazienlieferanten der Welt. Hinter den USA, Iran und der Türkei lag Syrien auf Platz vier der Länder, die die Welt mit Pistazien versorgten, gefolgt von Afghanistan, Spanien und einigen anderen Ländern. Der Krieg änderte alles.
Morek und die umliegenden Dörfer waren acht Jahre lang (2012-2020) Schauplatz von Kämpfen zwischen der syrischen Armee und bewaffneten islamistischen Regierungsgegnern. 2018 errichtete die türkische Armee in unmittelbarer Nähe von Morek eine Militärbasis zum Schutz der bewaffneten Gruppen, die „das Regime stürzen“ wollten. Ein Jahr später wurde die türkische Basis von der vorrückenden syrischen Armee umstellt. Im Oktober 2020 schließlich zog die Türkei – auf Druck und unter dem Schutz russischer Unterhändler – Soldaten und Ausrüstung von der Basis bei Morek ab und zerstörte die Anlage.
Morek war wieder frei, doch es lag – wie die meisten umliegenden Dörfer – in Trümmern. Nach und nach kehrten die Pistazienbauern zurück und begutachteten die Schäden. Mehr als eine Million Bäume waren zerstört, berichtet Dschihad Mohamed, der aus Morek stammt und die Abteilung für Pistazienanbau leitet, eine Unterabteilung des syrischen Landwirtschaftsministeriums. Das Büro ist in Hama, das etwa 30 Kilometer südlich von Morek liegt.
Mit Pistazien aufgewachsen
Der 58jährige Agraringenieur Dschihad Mohammed ist mit Pistazien aufgewachsen. Vater, Großvater und Urgroßvater waren Pistazienbauern. Alles, was man über Pistazien wissen muss, lernte er von seinem Vater. Er erinnere sich noch gut, wie er als Kind geholfen habe, die kostbaren kleinen Früchte zu pflücken. Am frühen Morgen, noch vor Sonnenaufgang, seien sie zunächst mit Eseln, später mit den Motorrädern oder Treckern in die Haine gezogen. Als er älter wurde, sei er mit dem Vater nach Hama, später bis Aleppo auf den Markt gefahren, um die Pistazien zu verkaufen.
„Pistazien haben mich mein Leben lang begleitet“, sagt Agraringenieur Mohammed in seinem Büro am Stadtrand von Hama. Auf den Tischen stehen kleine Teller mit frischen Pistazien, es wird starker Kaffee serviert. In der Ecke des Raums steht ein selbst gebauter Ofen, in dem Pistazien getrocknet werden können.
Pistazien, Mandeln, Oliven – so viele Bäume seien durch den Krieg zerstört worden, sagt er. „Sie wurden gefällt, andere verbrannt.“ Die Pistazienbauern versuchten nun, die Bäume zu retten. „Sie werden mit Wundbalsam behandelt, aber der muss importiert werden, ist teuer und schwer zu bekommen.“ Früher habe der Staat den Bauern geholfen und den Einkauf von Dünger, Diesel, Werkzeug, Maschinen und allem, was für die Baumpflege erforderlich war, mit Zuschüssen unterstützt. Das sei nach dem Krieg nicht mehr möglich. Allerdings hätten die Bauern, die viele Bäume verloren hätten, neue Bäume erhalten, fügt Mohammed hinzu. „Die neuen Bäume tragen ihre ersten Früchte nach acht bis zehn Jahren. Wenn ein Bauer sehr geschickt ist, und die Umstände sind gut, kann er schon nach sechs Jahren die erste Ernte einbringen.“
Ein gesunder Pistazienbaum könne Hunderte Jahre Früchte tragen, sagt Mohammed und zeigt das Bild eines mehr als tausendjährigen Pistazienbaumes bei Ain Tineh, nördlich von Damaskus. Die Pistazienart sei entscheidend, wie alt die Bäume werden könnten. Und wie beschreibt er die Lage heute im Vergleich zu der Zeit vor dem Krieg? „Das lässt sich überhaupt nicht vergleichen“, sagt er nach kurzem Zögern. „Wir fangen wieder bei null an.“
Die Kosten des Anbaus seien sehr hoch. Wegen der EU-Sanktionen – in Syrien spricht man von Belagerung oder Blockade – könnten keine Ersatzteile und auch kein Dünger importiert werden. Aus Dünger könne man auch Sprengstoff machen, so die Begründung. Außerdem habe Syrien keine Devisen, um auf dem Weltmarkt einkaufen zu können. Die syrische Zentralbank sei von der EU blockiert, kein Händler könne ein Auslandsgeschäft über die Zentralbank abwickeln, wie es normalerweise gehandhabt werde. Teuer sei der Transport, weil es kaum Diesel gebe. Syrien habe keine Kontrolle über die eigenen Öl- und Gasressourcen, die von Fremden, von US-Soldaten besetzt seien. „Was sollen wir tun?“ Der Agraringenieur zuckt verlegen mit den Schultern. Auch wenn er es nicht sagt, weiß er doch, dass die Regierung in Damaskus über Zwischenhändler Öl von den besetzten, nationalen syrischen Ölfeldern kaufen muss.
Was man wissen muss: Es ist ein offenes Geheimnis, dass mehrmals wöchentlich Konvois mit Öl über die syrisch-nordirakische Grenze fahren, um syrisches Öl im Nordirak oder in der Türkei zu verkaufen. Die Konvois werden vom US-Militär begleitet. Der Verlust, der Syrien dadurch entsteht, wurde kürzlich vom syrischen Außenministerium mit 107 Milliarden US-Dollar angegeben. EU-Sanktionen, Besatzung, das US-Caesar-Gesetz haben einen Ring von Verboten um Syrien gelegt, der dem Land die Luft abschnürt. EU und USA begründen ihre Maßnahmen als Strafe für die syrische Regierung und das Militär, weil sie das Volk unterdrückten. Unternehmen werden bestraft, weil sie die staatliche Unterdrückung unterstützten. Die USA bezeichnen das „Caesar-Gesetz“ als „Gesetz zum Schutz der Zivilbevölkerung“. – Ergebnis dieser „schützenden“ Strafmaßnahmen ist eine Blockade notwendigen Wiederaufbaus und der Mangel im ganzen Land an wichtigen Ressourcen. Mangel treibt die Preise in die Höhe und fördert Korruption. Die Menschen zahlen den Preis. (kl)
Die Pistazienbauern versuchen die täglichen, praktischen Schwierigkeiten zu überwinden. Da fehlt es an Wasser, erklärt Dschihad Mohammed. Ohne Diesel könnten keine Pumpen betrieben werden, um den mangelnden Regen in diesem Jahr auszugleichen. Grundwasser könne den Regen ohnehin nicht ersetzen, fügt er hinzu. „Regen bewässert die Bäume ausdauernd und von oben und Regen versorgt die Erde im Umkreis der Bäume sehr gleichmäßig mit Wasser“, erklärt er. Das könne mit gepumptem Wasser aus der Tiefe nicht gewährleistet werden. Die Mandel- und Olivenbäume könnten bei ausbleibendem Regen in der Zukunft Probleme bekommen, sagt der Agraringenieur. Die Pistazie sei widerstandsfähiger. Bei Salamieh, östlich von Hama, beginne die syrische Wüste und „dort wachsen Pistazien, die stark genug sind, mit wenig Wasser auszukommen.“ Eine gute Ernte betrage derzeit bis zu 70.000 Tonnen, rechnet Mohammed vor. Eine geringe Ernte bringe etwa 40.000 Tonnen. Er rechne in diesem Jahr mit etwa 50.000 Tonnen, vor allem, weil es so wenig geregnet habe.
Die Pistazienhaine seien in privater Hand, im Familienbesitz, erklärt der Agraringenieur weiter. Der Staat unterhalte südlich von Aleppo lediglich eine Forschungsanlage, wo neue Pflanzenarten für trockene Gebiete entwickelt würden. Agraringenieur Mohammed spricht von ICARDA, dem Internationalen Zentrum für landwirtschaftliche Forschung in Trockengebieten. Die Ländereien von ICARDA erstrecken sich östlich entlang der zentralen Autobahnverbindung M1, die die Provinzen Idlib und Aleppo trennt. Vor dem Krieg arbeiteten Wissenschaftler aus aller Welt an der Erforschung von Pflanzen für Trockengebiete. In der Hochzeit des Krieges nach 2012 war die Anlage zwischen den bewaffneten islamistischen Gruppen, die von Idlib herkommend Aleppo stürmen wollten, und der syrischen Armee, die Aleppo verteidigte, umkämpft. „Die bewaffneten Gruppen stahlen alles, was sie im ICARDA Zentrum kriegen konnten“, erinnerte sich ein ausländischer Mitarbeiter im Gespräch mit der Autorin 2013. „Sie stahlen den gesamten Fuhrpark, alle Computer und Anlagen.“
Der Anbau
Dschihad Mohammed lädt zu einer Fahrt nach Morek ein. Als erstes steuert er einen Pistazienhain an. Die reifen roten Früchte der »Fistik Halabi«, der Aleppo-Pistazie, leuchten in der Sonne. Der Wächter des Hains ist in der Mittagshitze unter dem Schutz eines großen Sonnenschirms eingenickt und springt auf, um den Besuch zu begrüßen. Die Arbeiter seien schon nach Hause gegangen, erklärt er. In der Mittagshitze werde nicht gearbeitet. Gepflückt werde von Sonnenaufgang bis etwa 11.00 Uhr, sagt Mohammed. Früher sei die Arbeit von Männern gemacht worden, heute werde die Arbeit fast vollständig von Frauen gemacht. Nach dem Pflücken würden die Haine bewacht, bis die Pflückerinnen früh am nächsten Morgen zurückkehrten. Sollte es Probleme geben, könne der Wächter das per Mobiltelefon melden. Das Gerät ist an einen Solar-Aku angeschlossen. In einer Kühltasche bewahrt der Mann Essen und Wasser auf.
Agraringenieur Mohammed geht voraus in den Hain und zeigt, wie die Bauern versuchen, die Bäume zu retten, die nur teilweise verbrannt, abgeholzt oder durch Granatenbeschuss zerrissen wurden. Einem teilweise verbrannten Baum wird ein gesunder Baum beigepflanzt und nach einem Jahr werde man sehen, ob der verletzte Baum neue Triebe bekommen habe, erklärt er. Von Beschuss zerrissenen Bäumen werden die Wunden an Stamm oder Astwerk gesäubert und mit Wundbalsam verschlossen. Dann müsse man sehen, ob der Baum die Kraft habe, neu auszuschlagen. Bäumen, die auf einer Hälfte gesund und nur teilweise verletzt wurden, werden an den gesäuberten Wunden Stecklinge aufgepflanzt und gut befestigt. Herr Mohammed führt zu einem Baum, der gut auf diese Behandlung angesprochen hat. Aus dem verzweigten alten Stamm ragen zahlreiche neue Äste hervor. Sie haben bereits dichtes Blattwerk hervorgebracht, doch noch wachsen die Früchte nur auf den alten Ästen, die den Krieg überstanden haben.
Man merkt Herrn Mohammed an, wie eng er mit den Pistazien verbunden ist. Als Kind habe er häufiger die Nacht zwischen den Bäumen im Hain verbracht, erinnert er sich. „Wenn die Hitze nachlässt und es kühl wird, knacken die Schalen und öffnen sich“, sagt er und lächelt. Der Wächter stimmt zu und lacht: „Knack! Knack! Das sind die Pistazien in der Nacht.“ Vorsichtig hebt der Agraringenieur die Fruchtdolde an einem der Bäume hoch, die Nüsse sitzen wie rote Blüten daran. Rot ist die äußere Schale an der frischen Pistazie, darunter befindet sich die braune Schale und darunter der Kern.
Ernte und Verarbeitung
Nach dem Pflücken werden die Pistazien auf einen Hof gebracht, wo ihnen in einer Art Waschanlage die rote, äußere Haut abgewaschen wird. Das Wasser mit den Resten der äußeren Haut wird durch ein Abflußrohr in eine Kompostanlage gespült, die starken Geruch entwickelt. Aus dem Kompost werde natürlicher Dünger gewonnen, den die Bauern verwenden, weil sie anderen Dünger nicht kaufen könnten, erklärt der Agraringenieur. „Wie nennt man das bei Euch in Europa? Biodünger, ganz natürlich.“
Nach dem Waschvorgang werden die Nüsse in ihrer braunen Schale auf dem Innenhof ausgebreitet und mit einer Harke verteilt. Drei Tage lang werden sie getrocknet. Dann werden die Früchte je nach Sorte in Säcken verpackt und in die Verarbeitungsanlage gebracht. Dschihad Mohammed ist in seinem Element. Geduldig erklärt er, welche unterschiedlichen Pistazien es gibt und für welche Verarbeitung sie sich am besten eignen. Um die Unterschiede zu erkennen, bedarf es eines geübten Auges und Erfahrung. „Hier haben wir die Fistiq Halabi, die Rote Aleppo Pistazie, man nennt sie auch Assuri“, sagt Mohammed. „Das hier ist die Nab Jamal, der Zahn vom Kamel„, fährt er fort und lächelt. „Das hier ist die Aburika, sie hat einen Parfüm-ähnlichen Duft und wird wegen ihrer Größe gerne verschenkt. Hier haben wir die Weiße Assuri, die ein bißchen wie der Zahn vom Kamel schmeckt und auch geröstet und gesalzen wird. Dann gibt es hier noch die Baturi, sie schmeckt sehr ähnlich wie die iranischen Pistazien.“ Die syrischen Pistazienbauern hätten mittlerweile 30 verschiedene Sorten entwickelt, in den USA dagegen gebe es nur eine Sorte Pistazien, die Kerman Pistazie. Und die stamme ursprünglich aus Persien, dem heutigen Iran.
Die Verarbeitungsanlage liegt im Kellergeschoss des Hauses der Brüder Jasser und Mohamed Kazem. Das Haus ist eines der wenigen Gebäude, die in Morek wiederhergestellt wurden. Hier werden die getrockneten Pistazien nach Größe von der Verarbeitungsanlage sortiert und geschält. „Die ganz am Ende übrigbleiben, werden von Hand nochmals sortiert“, erklärt der Agraringenieur. „Diese Pistazien werden gern für die Herstellung von Süßigkeiten genutzt.“
Alle erhielten den gleichen Lohn, betont Mohammed: „Pro Stunde bekommen die Arbeiterinnen und Arbeiter 5.000 syrische Lira (Syrische Pfund). Das Kilo Pistazien koste je nach Qualität in Morek 16.000 SYP. In Aleppo wird das Kilo für 21.000 SYP verkauft, in Damaskus muss man für ein Kilo bis zu 25.000 SYP bezahlen.“ Auf dem Schwarzmarkt erhält man im September 4.400 SYP für einen US-Dollar. Der Stundenlohn beträgt also umgerechnet etwas mehr als einen US-Dollar. Ja, für syrische Verhältnisse sei das ein guter Lohn, bestätigt Dschihad Mohammed. Es sei Saisonarbeit und die Arbeit sei hart.
«Bitte tun Sie etwas!»
Die Brüder Jasser und Mohammed Kazem errichteten 2020 im Keller ihres Elternhauses in Morek die erste Pistaziensortieranlage nach dem Krieg. Die Autorin traf die Brüder damals und auch andere Pistazienbauern. Die Männer weinten, als sie der ausländischen Journalistin ihre erste Pistazienernte nach acht Jahren Krieg präsentierten.
Die Brüder Kazem gaben der Autorin damals einen Appell mit auf den Weg. Sie wollten den Leuten in Europa und insbesondere in Deutschland etwas sagen:
„Bitte tun Sie etwas, damit die europäischen Sanktionen gegen Syrien aufgehoben werden. Diese Bestrafung schadet den Leuten, nicht der Regierung. Alle Syrer müssen darunter leiden. Wir wollen leben und arbeiten, unsere Häuser wiederaufbauen. Helfen Sie, damit die Sanktionen aufgehoben werden.“
Während Mohammad Kazem sprach, wurde sein Bruder Jasser still und stützte seinen Kopf in die Hände. Als er wieder aufblickte, standen ihm Tränen in den Augen.
In den zwei Jahren seitdem hat sich nicht viel verändert. Die Sanktionen wurden nicht aufgehoben, niemand organisierte dafür Großdemonstrationen in den europäischen Hauptstädten. Morek liegt noch immer in Trümmern, die Verarbeitungsanlage, gebaut von Technikern in Morek, arbeitet wie zuvor. Der große Tisch, auf dem die abschließende Sortierung der Pistazien mit Hand erfolgt, steht wie damals in einem großen Raum. Die Stühle sind leer, die Frauen haben Mittagspause. Später, wenn es kühler wird, werden sie die nächste Schicht beginnen.
Den Pistazien verdanken wir alles
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Dschihad Mohammed hat noch Termine in Hama, die Autorin wird weiter nach Aleppo fahren. Ein Arbeiter verteilt kalte Limonade, einen Moment herrscht Schweigen. Wie wird es weitergehen mit dem Pistazienanbau in Syrien? Die jungen Menschen versuchen das Land zu verlassen, viele Arbeiter fehlen. Der Agraringenieur nickt und sagt, alle hofften, dass es mit Idlib eine Einigung geben werde, damit die Familien, die dorthin geflohen seien, in die Dörfer um Morek zurückkehren und wieder das Land bestellen könnten. Er und drei seiner Brüder hätten viele Donum (1 Donum = ca. 900 m²) Pistazienhaine vom Vater und Großvater geerbt. Seine Brüder seien alle im Ausland, um dort zu arbeiten, er sei in Syrien geblieben und trage die Verantwortung für die Pistazien. Er selber habe zwei Söhne. Einer sei als Arzt in Deutschland, der Jüngere sei 16 und gehe noch in die Schule. Er habe die Tochter gefragt, ob sie einen Teil der Ländereien übernehmen und bearbeiten wolle. Doch sie werde bald heiraten und ihrem Mann folgen, nach Dubai. Er lacht: „Was soll ich machen? Alles, was wir haben, verdanken wir den Pistazien und unseren Vorfahren, die sie gepflanzt und verpflegt haben. Wir Pistazienbauern können nicht aufhören. Wir arbeiten dafür, dass die nächste Generation eine gute Zukunft haben wird.“
Nachtrag
Auf der Rückfahrt von Aleppo wenige Tage später machen wir erneut in Morek halt. Abseits des offiziellen Pistazienmarktes am Ortseingang steht vor einer Halle ein großer Lastwagen, der von jungen Männern beladen wird. In jedem Karton sind elf Kilogramm frisch gepflückte Aleppo-Pistazien abgepackt, erklärt der Händler Abu Ahmed stolz. Die Lieferung sei für den Libanon bestimmt. Der Mann überwacht das Beladen des Lastwagens genau, Paket für Paket wird der Preis mit einer Rechenmaschine addiert. Abu Ahmed ist mit seiner Ernte und dem Verkauf zufrieden. Im Libanon würden die Früchte verarbeitet und neu verpackt. Dann komme ein Stempel darauf, und die guten Fistik Halabi aus Morek würden als Made in Lebanon in alle Welt verkauft. Ahmed zuckt mit den Schultern: „So ist das heute. Aber wir haben für diese Pistazien schwer gearbeitet.“
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Siehe dazu auch: «Sanktionen treffen immer die Falschen: vor allem die Armen» (von Christian Müller)