Noch benützen die ukrainischen Soldaten vor allem automatische Waffen aus der Zeit der Sowjetunion ... aber siehe weiter unten, was mit den vom Westen gelieferten neuen Waffen geschieht – mit Bild! Hier im Bild eine modifizierte PKM-GPMG von Kalaschnikov.

So landen die an die Ukraine gelieferten Waffen in kriminellen Organisationen

(Red.) Die wissenschaftlichen Spezialisten in der Thematik „Kriminelle Organisationen“ schätzen, dass bereits 500’000 Feuerwaffen – darunter vor allem auch Maschinen-Pistolen und Maschinen-Gewehre – aus der Ukraine an kriminelle Organisationen verkauft wurden. 60 Prozent der an die Ukraine gelieferten Waffen, so die Schätzung, seien bereits wieder aus der Ukraine verschwunden. Ein aktuelles Interview auf RAI mit einem wissenschaftlichen Kriminologen bringt etwas Licht in diese – von den großen Medien verschwiegene – höchst gefährliche Situation. (cm)

Pierluigi Mele: Prof. Musacchio, was passiert derzeit in Bezug auf den Waffenhandel in der Ukraine?

Vincenzo Musacchio: Die Ukraine stellt in dieser Hinsicht eine echte Katastrophe ohne Präzedenzfall dar, da in diesen drei Kriegsjahren fast 500.000 Schusswaffen verschwunden sind. Unter den verschwundenen Waffen befinden sich Sturmgewehre, Präzisionsgewehre und automatische Pistolen. Aufgrund dieser Situation machen die Mafiagruppen ein Vermögen, da sich bisher niemand darum gekümmert hat, die Waffen zu verfolgen, die in die Ukraine geliefert wurden und weiterhin geliefert werden. Die russischen und ukrainischen Mafiagruppen kontrollieren den Schwarzmarkt und verkaufen an den Meistbietenden (Terroristen, Mafiagruppen, gewöhnliche Kriminelle) Waffen, mit denen sogar gepanzerte Fahrzeuge in die Luft gesprengt werden können. Es ist nicht das erste Mal, dass die organisierte Kriminalität von Kriegen profitiert. Ich erinnere meine Studenten oft daran, wie die ‚Ndrangheta eine große Menge an Waffen aus dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien gekauft hat. Bei den anschließenden Beschlagnahmungen entdeckten die Ermittlungsbehörden hochgefährliche Waffen wie Bazookas, Sprengstoff und Kalaschnikows. Leider wiederholt sich die Geschichte in der Ukraine.

Pierluigi Mele: Warum haben Sie als Beispiel das Geschehen im ehemaligen Jugoslawien angeführt?

Vincenzo Musacchio: Weil dieser Konflikt sich sofort zu einem großen Geschäft für die organisierte Kriminalität entwickelt hat. Nach dem Ende der Feindseligkeiten stellte die enorme Menge an Waffen, die noch im Umlauf war, sofort einen Bereich dar, mit dem sich viel Geld verdienen ließ. Die organisierte Kriminalität nutzte das korrupte System, um sich Sturmgewehre, Pistolen und Munition anzueignen, die auf den Schwarzmarkt gelangten. Viele Waffen wurden gegen Geld verkauft. Einige der damaligen Waffen sind noch heute im Umlauf und wurden beispielsweise von der ‚Ndrangheta und der apulischen Mafia verwendet.

Pierluigi Mele: Warum gab und gibt es keine Überwachung dieser Waffen durch die Lieferstaaten?

Vincenzo Musacchio: Genau das ist der beunruhigendste Aspekt. Die einzige Antwort, die mir spontan einfällt, betrifft das korrupte System, das sich hinter dem Verkauf und Handel mit Waffen verbirgt. Die Nicht-Rückverfolgbarkeit dieser Waffen begünstigt den Schwarzmarkt und damit die Mafia und den Terrorismus. Das Fehlen eines Rückverfolgungssystems macht es unmöglich, die Herkunft der bei Polizeieinsätzen sichergestellten Waffen festzustellen. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass sich die Kriegsvorräte mit der Zeit immer mehr auf dem internationalen Schwarzmarkt verteilen. Die russische und die ukrainische Mafia zeigen die Neigung dieser Region zum illegalen Waffenhandel. Europol und Eurojust hatten bereits 2022 detaillierte Berichte über das Risiko vorgelegt, dass die in die Ukraine gelieferten Waffen auf den Schwarzmarkt gelangen und damit illegale Kreisläufe von kriminellen Mafia- und Terrororganisationen alimentieren könnten. Zu den gefährdeten Materialien zählten Sprengstoffe, Militärgranaten, AK-12-Delta-Force-Sturmgewehre, Präzisionsgewehre und Panzerabwehrminen.

Pierluigi Mele: Welche Rolle spielen die Mafiaorganisationen in diesen kriminellen Bereichen?

Vincenzo Musacchio: Die Mafiaorganisationen kaufen Waffen nicht nur für sich selbst, sondern nutzen sie auch als Tauschware. Die Waffenarsenale bilden das militärische und korrupte Vermögen der kriminellen Organisationen, das auch dazu genutzt werden kann, Einschüchterungs- und Korruptionsmacht zu demonstrieren. Die Waffen selbst dienen dazu, ihre Macht auszuüben, wenn Korruption nicht funktioniert. Der Zugang zu einem immer größer werdenden Schwarzmarkt bedeutet eine Stärkung ihres Einflusses in verschiedenen kriminellen Bereichen, darunter der Drogenhandel und das korrupte Mafiasystem.

Pierluigi Mele: Gibt es für die Mafia neben Waffen noch andere Geschäfte, die aus dem Krieg hervorgehen?

Vincenzo Musacchio: An erster Stelle steht sicherlich der Wiederaufbau nach dem Krieg. Die enormen Geldströme, die nach Kriegsende in die Ukraine fließen werden, sind ein Glücksfall für die Mafia. Es gibt auch neue Möglichkeiten für die organisierte Kriminalität. In der Ukraine entwickelt sich bereits ein Schwarzmarkt für lebensrettende Medikamente: Insulin, Antibiotika, Medikamente zur Blutstillung. Auch der Konsum von natürlichen und chemischen Drogen wird zunehmen. Die russische und die ukrainische Mafia verdienen Millionen Euro, indem sie auch den Handel mit Menschen und menschlichen Organen ausnutzen. Ohne eine angemessene Überwachung in diesen Bereichen besteht die Gefahr, dass die Ukraine zum nächsten großen Geschäft für transnationale Mafiaorganisationen wird.

Pierluigi Mele: Was wird der illegale Waffenhandel aus der Ukraine mit sich bringen?

Vincenzo Musacchio: Den sicheren Verkehr dieser Waffen in Europa und in Ländern, die von Terrorismus und Mafia geprägt sind. Dieser Strom wird die Arsenale verschiedener krimineller Organisationen füllen, darunter auch die italienischen Mafiagruppen, allen voran die ‚Ndrangheta, die mächtigste und internationalste unter ihnen. Die in Serbien hergestellten Raketenwerfer gehörten neben automatischen Waffen und Präzisionswaffen aus dem Balkan zu den Waffen, die bei der ‚Ndrangheta beschlagnahmt wurden. Viele terroristische Organisationen haben Sturmgewehre vom Typ AK-47 eingesetzt, von denen viele Varianten aus den Regionen des ehemaligen Jugoslawiens stammen.

Pierluigi Mele: Warum ist es so einfach, Kontrollen in einem so sensiblen Bereich wie dem Waffenhandel zu umgehen?

Vincenzo Musacchio: Weil das Geldvolumen, das in diesem militärischen Segment umläuft, fast 150 Milliarden Dollar beträgt. Dieser große Geld- und Waffenfluss gibt vor allem wegen der mangelnden Rückverfolgbarkeit der Waffen Anlass zur Sorge. 60 % der an die Ukraine gelieferten Waffen sind bereits vom Radar verschwunden (Quelle: Pentagon). Diese an die Armee in Kiew gelieferten Waffen sind bereits in der von kriminellen Organisationen kontrollierten Schattenwirtschaft gelandet.

Ein Beispiel nur: Bei insgesamt 13 Hausdurchsuchungen in Ober- und Niederösterreich am 26. Juni 2023 haben Sicherheitsbehörden Langwaffen im Wert von rund 1,5 Millionen Euro sichergestellt. Insgesamt wurden ca. 35 Langwaffen, ca. 25 Maschinenpistolen, ca. 100 Pistolen, über tausend Waffenteile, ca. 400 Signalwaffen und mehr als 10.000 Schuss Munition sowie Granatwerfer und Rauch- und Nebelwurfkörper gefunden. (Bild Keystone/APA/BMI)

Pierluigi Mele: Sind diese Daten wirklich besorgniserregend?

Vincenzo Musacchio: Sehr besorgniserregend. Der Anstieg des Waffenhandels aus der Ukraine ist für alle offensichtlich. Als Beweis genügt ein Blick auf die Zahl der Beschlagnahmungen von 2015 bis 2024: ein in der Weltkriminalitätsgeschichte beispielloser Anstieg. Viele Waffen gelangen über die polnische Grenze in die Ukraine, wo sie sortiert und an die Frontgebiete verteilt werden. Sobald sie jedoch die Grenze überschritten haben, verliert sich die Spur vieler Waffen, und der Schmuggel floriert natürlich. Im Jahr 2024 beschlagnahmte Europol ein Flugabwehrmaschinengewehr vom Typ ZU-23-2, das für etwa 8.000 Dollar zum Verkauf angeboten wurde, während im August 2024 in Lemberg eine Gruppe von Waffenhändlern mit einem Arsenal von hundert Pistolen, zwanzig Sturmgewehren, dreißig Granaten und fast fünfzigtausend Schuss Munition zerschlagen wurde. Dies ist nur ein kleiner Teil dessen, was tatsächlich im europäischen und internationalen Waffenhandel geschieht.

Pierluigi Mele: Was erwartet uns in naher Zukunft?

Vincenzo Musacchio: Ein illegaler Handel, ähnlich wie er bereits auf dem Balkan stattgefunden hat. Die weit verbreitete Verfügbarkeit von Waffen (auch technologisch hochentwickelten wie beispielsweise Drohnen) wird, wie bereits erwähnt, einen Bereich darstellen, den die Mafia ausnutzen wird, insbesondere unter den derzeitigen schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Das Volkseinkommen (BIP) der Ukraine ist seit Beginn des Krieges drastisch gesunken, und Millionen von Bürgern haben das Land verlassen. Die bereits vor dem Konflikt endemische Korruption ist ein weiterer Faktor, der dazu beitragen könnte, dass Waffen unter die Kontrolle krimineller Organisationen gelangen, die in der westlichen Hilfe eine Chance sehen, die sie sich nicht entgehen lassen wollen. Was uns in naher Zukunft erwartet, ist sicherlich eine erhebliche Gefahr, die nicht nur ganz Europa, sondern auch den Rest der Welt betreffen wird.

(Red.) Zu Vincenzo Musacchio: Kriminologe, Dozent am RIACS in Newark. Er ist bekannt für sein Engagement im Kampf gegen die Mafia und für seine Ausbildungstätigkeit in Bereichen, die die Kultur der Legalität betreffen. Er hat an verschiedenen italienischen Universitäten und an der Alta Scuola di Formazione della Presidenza del Consiglio dei Ministri (Hochschule für Ausbildung des Ministerpräsidenten) in Rom unterrichtet. Derzeit hält er Kurse in den Vereinigten Staaten und unterrichtet Mitglieder der Polizei, darunter auch die New Yorker Metropolitan Police, in Strategien zur Bekämpfung der transnationalen organisierten Kriminalität. Er ist Mitglied des Rutgers Institute on Anti-Corruption Studies (RIACS) in Newark (USA) und Forscher an der Hochschule für strategische Studien zur organisierten Kriminalität des Royal United Services Institute in London. Er war Schüler von Giuliano Vassalli und arbeitete mit Antonino Caponnetto zusammen, außerdem stand er in Briefkontakt mit Giovanni Falcone. Seine Studien konzentrieren sich auf die Kriminologie mafiöser Organisationen und den internationalen Drogenhandel. Er ist Urheber von Bildungsprogrammen wie dem Projekt „Legalità Bene Comune” (Legalität als Gemeingut) in Schulen aller Schulstufen. Er tritt regelmäßig in nationalen Fernsehsendungen der RAI wie „Presa Diretta”, „Newsroom” und „Report” sowie in anderen nationalen und lokalen Medien auf, um über Mafia- und Kriminalitätsfälle zu berichten. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel zu Themen des Strafrechts und der Kriminologie verfasst. Im Jahr 2019 wurde ihm in Casal di Principe von den Angehörigen des von der Camorra ermordeten Priesters die besondere Auszeichnung des Nationalpreises „Don Giuseppe Diana” verliehen. Am 27. Dezember 2022 verlieh ihm der Präsident der Republik die Auszeichnung Cavaliere dell’Ordine al Merito della Repubblica Italiana (Ritter des Verdienstordens der Italienischen Republik). Seine Arbeit gegen die Mafia brachte ihm Morddrohungen ein, die ihn jedoch nicht von seiner Anti-Mafia-Tätigkeit abhielten.

(Red.) Zum Originalartikel auf RAI in italienischer Sprache.

(Red.) Zur Korruption in der Ukraine siehe auch diesen Beitrag von Christian Müller: hier.

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