Der russische Staatspräsident Wladimir Putin wird in der russischen Bevölkerung nach wie vor hoch geschätzt. Vor allem hat man nie vergessen, wie er die Situation in Russland nach den katastrophalen Jelzin-Jahren 1991-1999 massiv verbessert hat. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Levada attestiert ihm eine Zustimmung von um die 80 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung.

So funktionieren am Wochenende die Wahlen in Russland

(Red.) Während der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj die Wahlen, die jetzt im März 2024 hätten stattfinden sollen, des Krieges wegen einfach abgesagt hat, das Risiko einer schwachen Stimmbeteiligung und eines für ihn nicht besonders guten Resultates also gar nicht erst eingehen wollte, lässt sich der russische Staatspräsident Wladimir Putin einmal mehr ordentlich wählen. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist auch mit seiner Politik gegenüber der Ukraine einverstanden, denn die Provokationen insbesondere der USA, Großbritanniens und der NATO sind in Russland Ende 2021 und Anfang 2022 verstanden worden. (cm)

An diesem Wochenende findet in Russland die Präsidentschaftswahl statt. Es wird an drei Tagen, vom 15. bis 17. März, gewählt. Seit Wochen wird in Russland eifrig Wahlwerbung gemacht, in Moskau und anderen russischen Städten hangen Plakate an Gebäuden und in Supermärkten, die die Russen zum Wählen einladen. Im Fernsehen läuft die Informationskampagne rund um die bevorstehenden Wahlen ununterbrochen. 

Trotzdem sind wir im Westen daran gewöhnt, diese Wahlen ausschließlich als eine inszenierte Veranstaltung zu betrachten. Als ob es sich nicht um echte Wahlen handelte, als ob das Ergebnis bereits feststünde. „Im russischen Fernsehen gibt es vor den Wahlen nur ein Programm: Putin“, so schrieb neulich zum Beispiel die angesehene amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press. Das stimmt nicht ganz, könnte man kontern, denn die Wahlkampfwerbespots aller Kandidaten werden im Fernsehen übertragen, und die drei Kandidaten, die Putin herausfordern, sind in zahlreichen Fernsehdebatten aufgetreten. Putin war nicht mal dabei, er nimmt in der Regel an den Debatten nicht teil. In den Augen der europäischen und US-amerikanischen Beobachter und Journalisten sind die Auftritte der anderen Kandidaten jedoch offensichtlich völlig irrelevant. Es handele sich ja nur um Kremlmarionetten, so wird ständig behauptet. Vor allem Angesichts des kürzlichen Todes des Oppositionellen Nawalny, in dem der Westen den einzigen wirklichen Gegner Putins sah, die einzige wahre Hoffnung für das Russland der Zukunft. 

Doch wie so vieles, was über Russland geschrieben und gesagt wird, ist auch diese Darstellung der russischen Wahlen ausgesprochen karikaturistisch. Apropos Karikatur: In einem kürzlich erschienenen Artikel auf der Website von Radio Free Europe/Radio Svoboda ist eine Zeichnung zu sehen: es sind zwei Wahlurnen abgebildet, die eine von Putin, die andere von dem Kandidaten Boris Nadeschdin, der offiziell von den Wahlen ausgeschlossen wurde, weil er nicht die für die Teilnahme erforderliche Anzahl von 100,000 Unterschriften sammeln konnte. Vor der Wahlurne von Putin steht nur ein Mann, vor der von Nadeschdin eine ganze Menge. Fiktion oder Realität? Stellt diese Karikatur wirklich die Realität der Wahlen im heutigen Russland dar?

Wenn man sich die Umfragen anschaut, kann man das nicht bestätigen. Nach Angaben des WZIOM (Wserossijski tsentr isutschenija obschtschestwennogo mnenija; zu Deutsch: „Allrussisches Zentrum der Erforschung der öffentlichen Meinung“) würde Putin heute 82% der Stimmen erhalten, bei einer Wahlbeteiligung von 71%.

Dies sind keine fiktiven Zahlen, die von irgendeinem Forschungsinstitut, das mit der Regierung unter einer Decke steckt, aus der Luft gegriffen sind. Die Zahlen entsprechen Putins Zustimmungsrate, vom Levada-Zentrum regelmäßig veröffentlicht, eines der bekanntesten und angesehensten soziologischen Forschungsinstitute in Russland. 

Kurz gesagt, Radio Free Europe/Radio Svoboda – notabene ein nicht ganz freies und unabhängiges Medium, da es vollständig vom US-Kongress finanziert wird – bietet in diesem Fall nicht gerade eine objektive Darstellung der Realität.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, wer aus dieser Wahl als Sieger hervorgehen wird. Es mag paradox erscheinen, aber Putin hat in den letzten turbulenten Jahren seine Macht gefestigt. Hunderttausende Russen haben das Land verlassen, vor allem diejenigen, die gegen den Krieg und die Regierung Putins waren. Wer Putin nicht mochte, konnte gehen. Es mag sich ein bisschen brutal anhören, aber so war das. Die anderen, die geblieben sind, scheinen mit Putin grundsätzlich einverstanden zu sein.

Die Wahlergebnisse in Russland mögen dem Westen nicht gefallen, aber angesichts der – unabhängigen – Umfragen kann Putins Popularität nicht in Frage gestellt werden. Es ist daher nicht korrekt, diese Wahlen einfach als Betrug zu bezeichnen. Natürlich, wenn man diese einfachen, aber unbequemen Tatsachen bemerkt, läuft man immer Gefahr, einfach als prorussisch, d.h. per definitionem als trügerisch, diskreditiert zu werden. Doch wenn Putin populär bleibt, ist es journalistische Pflicht, dies als objektive Tatsache anzuerkennen, ob es uns nun gefällt oder nicht. 

Putins Herausforderer

Drei sind Putins Herausforderer für das Präsidentenamt in diesem Jahr, zwei weniger als 2018. Damals traten sogar zwei Kandidaten aus der radikalen Opposition an. Eine davon war Ksenia Sobtschak, eine liberale Journalistin und eine alte Familienbekanntschaft von Putin. Tatsächlich hatte Putin seine politische Karriere in den 1990er Jahren bei Ksenia Sobtschaks Vater, Anatolij Sobtschak, begonnen. Es heißt, dass deshalb eine besondere Beziehung zwischen Putin und Sobtschak besteht und dass Sobtschak Dinge erlaubt werden, die für andere nicht möglich wären. Sobtschak hatte 2018 Putin in den Fernsehdebatten nicht von heftiger Kritik verschont. Auch Grigorij Jawlinski, ein Liberaler und seit den Neunziger Jahren eines der bekanntesten Gesichter der prowestlichen Opposition in Russland, hatte 2018 an den Wahlen teilgenommen. Also, eine Scheinopposition für Scheinwahlen war das nicht wirklich. Am Ende erhielt Ksenia Sobtschak 1,68% der Stimmen, Jawlinski 1,05%. Putin dagegen über 77%.

Heute sind zwei der drei Kandidaten, die diesmal Putin herausfordern, Vertreter systemischer und traditioneller Parteien. Eine ist die liberal-demokratische Partei LDPR, die trotz ihres Namens wenig Liberales an sich hat und eher als nationalistisch bezeichnet werden kann, im Jahr 1992 gegründet vom im Jahr 2022 verstorbenen Politiker Wladimir Schirinowski. Bei der anderen handelt es sich um die kommunistische Partei, deren Wahlslogan „Wir haben mit dem Kapitalismus gespielt und jetzt reicht’s“ alles zu sagen scheint. Traditionell hat der Kandidat der Kommunistischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen immer den zweiten Platz belegt, von 1996, dem Jahr der ersten Präsidentschaftswahlen im unabhängigen Russland, und bis 2018. Dieses Jahr könnte es jedoch anders laufen.

Der vierte Kandidat ist ein junger Unternehmer, gerade einmal 40 Jahre alt, Wladislaw Dawankow heißt er. Dawankow ist stellvertretender Sprecher der Duma, des russischen Parlaments, und vertritt bei den Wahlen gleichzeitig die Partei „Nowje Ljudi“ („Neue Leute“) und die „Partja rosta“, die „Partei des Wachstums“. Kurzum, es handelt sich um die klassische Wählergruppierung, die für Fortschritt und wirtschaftlichen Erfolg eintritt. Vielleicht ein etwas jugendliches Programm, das viele schöne Dinge in einer unbestimmten Zukunft mit ein paar schönen einfachen Slogans verspricht. Am Ende müssen ja auch optimistisch gesinnte junge Leute jemanden wählen können. 

Interessant ist, dass sich die Partei „Nowje Ljudi“ in ihrem Programm offen für ein friedliches Russland und für Verhandlungen im laufenden Krieg ausgesprochen hat. Eine Position, die zwar nicht extrem aggressiv verkündet wird, die aber der Kandidat Dawankow auch in Fernsehdebatten geäußert hat. Schade, dass die westliche Presse fast nichts über ihn schreibt. In einem der ganz wenigen Artikel, die diesem Putin-Herausforderer gewidmet sind, titelte die Berliner Zeitung vor einigen Wochen: „Wladislaw Dawankow: Putins chancenloser Gegner – deshalb kandidiert er überhaupt“.

Zwei weitere Kandidaten, die Journalistin Ekaterina Duntsowa und der ehemalige Abgeordnete und Moskauer Stadtrat Boris Nadezhdin, waren nach Angaben der westlichen Presse zuvor von der Wahl ausgeschlossen worden, weil sie gegen den Krieg waren. Die Anwesenheit eines Kandidaten wie Dawankow im Bulletin scheint dieses Argument zu widerlegen. Dawankow hat sogar erklärt, dass er bereit ist, mit dem ausgeschlossenen Kandidaten Boris Nadeschdin zusammenzuarbeiten. Ein riskanter Schritt? Trotzdem wird Dawankows Name im Bulletin stehen.

Einigen Umfragen zufolge könnte Wladislaw Dawankow sogar den zweiten Platz erreichen. Maksim Kats, ein oppositioneller Journalist, ein ehemaliger Weggefährte Nawalnys – der sich nach einem Streit mit Nawalny von ihm distanziert hatte, wie es bei Nawalny leider oft der Fall war – und eines der bekanntesten Gesichter der Opposition, rief vor kurzem dazu auf, für Dawankow zu stimmen.

Macht der Mehrheit

Aller Voraussicht nach wird Putin diese Wahl gewinnen. Trotz aller Probleme der letzten Jahre hat Putin auch heute noch die Unterstützung vieler Menschen in Russland. Zwar haben in den letzten zwei Jahren viele Russen – wir sprechen von Hunderttausenden – das Land verlassen, doch Millionen sind geblieben. Und viele, viele von ihnen unterstützen Putin, wie auch die Umfragen des Levada-Zentrums zeigen. Levada ist ein unabhängiges Zentrum für soziologische Studien. Es ist nicht vom Kreml kontrolliert, der Kreml hat es im Gegenteil sogar als ausländischen Agenten eingestuft. Es ist also kein Organ des Kremls, das offizielle Propaganda betreibt. Am Rande sei erwähnt, dass der Kreml der größte Auftraggeber von Umfragen in Russland ist, um die öffentliche Meinung zu testen und dementsprechend auf die Stimmung in der Bevölkerung zu achten und zu reagieren. Der Kreml ist also kein rein repressives Machtorgan, das gegenüber der öffentlichen Meinung völlig taub ist, wie es im Westen oft dargestellt wird. Und wenn die Russen ihre Regierung unterstützen, dann nicht nur, weil sie vom Fernsehen hypnotisiert sind und keine Zeitungen lesen.

Dem Westen soll Russland angeblich nicht gefallen, weil es nicht demokratisch sei. Aus westlicher Sicht sei eine nicht demokratische Regierung unter keinen Umständen eine legitime Regierung. Angesichts der scheinbar überwältigenden Mehrheit der Russen, die hinter dem derzeitigen Präsidenten Putin stehen, fragt man sich, was in einer Demokratie die Hauptquelle der Legitimität sein sollte, wenn nicht die Unterstützung der Mehrheit. Es geht hier nicht darum, Phänomene zu beurteilen, sondern sie einfach zur Kenntnis zu nehmen. Es geht hier nicht darum, Putinversteher oder Putingegner zu sein. Man kann lange über die Gefahr diskutieren, dass sich eine Demokratie in eine Diktatur der Mehrheit verwandelt, aber man kann die Tatsache nicht ignorieren, dass eine Demokratie per Definition die Macht der Mehrheit bedeutet, ob wir es mögen oder nicht. Wenn uns die Mehrheit nicht gefällt, dann liegt das Problem nicht im Mangel an Demokratie.

Der französische Historiker und Anthropologe Emmanuel Todd beschrieb Russland kürzlich in seinem neuesten Buch La Défaite de l’Occident als autoritäre Demokratie, im Gegensatz zu den klassischen liberalen Demokratien, die wir in Europa gewohnt sind. Für Todd ist übrigens der demokratische Charakter der westlichen Regierungen heute verloren gegangen, der Westen habe sich in eine liberale Oligarchie verwandelt, so der französische Wissenschaftler. Wie zu erwarten war, haben ihm diese und ähnliche Argumente den Vorwurf eingebracht, pro-russisch zu sein, ein Vorwurf, der darauf abzielt, jeden Anschein von Glaubwürdigkeit eines jeden Arguments zu zerstören. Schade, dass man Putins Wählerschaft nicht so einfach herabsetzen kann, indem man sie als zu pro-russisch bezeichnet…

Anmerkung Red. Globalbridge.ch: Wenig überraschend nimmt der Schweizer Medien-Konzern CH-Media – Aargauer Zeitung, St. Galler Tagblatt, Luzerner Zeitung, etc etc – die Wahlen in Russland heute, 14. März 2024, zum Anlass, den russischen Präsidenten als absoluten Primitivling darzustellen. Und Achtung, der Konzern zögert nicht, auch die Russinnen und Russen, die Putin mögen oder gar hochachten – notabene die Mehrheit in Russland – in den Dreck zu ziehen. (cm).