So demontieren Schweizer Politiker die Schweizer Neutralität
Die Schweizerische Eidgenossenschaft – die «Confoederatio Helvetica», deshalb das CH auf den Autos – ist historisch seit dem Wiener Kongress 1815 neutral. Zusammen mit dem Ruf des Schweizer Geschäftsmannes Henry Dunant, aus dessen Erlebnissen nach der Schlacht von Solferino im Jahr 1859 und dessen Ideen das «Internationale Rote Kreuz» entstanden ist, hat sich die Schweiz einen hervorragenden Ruf als internationale Vermittlerin und als Interessen-Vertreterin zwischen verfeindeten Staaten erworben. Doch das schert die jetzige politische Führungsebene in Bern nicht, eine einseitig NATO-freundliche Politik zu betreiben.
«Das erste parlamentarische Gipfeltreffen der internationalen Krim-Plattform findet am 25. Oktober 2022 in Zagreb in Kroatien statt. Rund fünfzig internationale Parlamentarierdelegationen werden erwartet, um über die Zukunft der Krim zu diskutieren. Nationalratspräsidentin Irène Kälin (Grüne, AG) vertritt die Schweiz. Die Teilnehmenden werden eine gemeinsame Erklärung verabschieden, in welcher sie die Besetzung der Krim verurteilen und die im Anschluss an die Konferenz veröffentlicht wird.»
Wo konnte man Proteste sehen? Da reist die damalige Präsidentin des Schweizer Nationalrates, die Aargauerin Irène Kälin von der Partei der Grünen, im Oktober 2022 nach Zagreb, um an einem parlamentarischen Gipfeltreffen der von der Ukraine geschaffenen «Krim Plattform» teilzunehmen. Wie man aus dem offiziellen Text aus Bundesbern mit Datum 21. Oktober entnehmen kann, sollte dort nicht etwa diskutiert werden, sondern, alles bereits im voraus festgelegt, die «Besetzung» der Krim durch Russland verurteilt werden. Und Irène Kälin stellt sich dort als formelle Vertreterin der Schweiz vor. Ein Auszug aus ihrer Rede (Übersetzung cm):
«Im Namen des Schweizer Parlaments möchte ich zunächst der Ukraine und Kroatien für die Ausrichtung dieses ersten parlamentarischen Gipfels der Internationalen Krim-Plattform danken. [ ] Dass wir heute als Parlamentarier – als Vertreter des Volkes – hier versammelt sind, ist ebenfalls ein Zeichen. Denn auf diese Weise bringen wir die Solidarität unseres Volkes mit unseren ukrainischen Brüdern und Schwestern zum Ausdruck. – Diese Plattform ist heute wichtiger denn je. Vor mehr als acht Jahren hat Russland die Krim unter klarer Verletzung des Völkerrechts annektiert. Im Nachhinein ist klar, dass diese Annexion kein isolierter Vorfall war, sondern lediglich die erste Phase eines größeren, brutalen Plans. [ ] Ich möchte auch unsere große Besorgnis über die Menschenrechtslage auf der Krim zum Ausdruck bringen. In Berichten von Menschenrechtsorganisationen wird von schwerwiegenden Einschränkungen insbesondere der Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit berichtet. Sie berichten auch von zahlreichen Fällen willkürlicher Verhaftungen sowie von Zwangsumsiedlungen. [ ] Die Bevölkerung der Krim hat einen doppelten Schlag erlitten: Zuerst die Annexion vor acht Jahren und die Verschlechterung der Menschenrechtslage. Und nun die umfassende Aggression gegen die Ukraine, begleitet von einer weiteren Einschränkung der Grundfreiheiten, der jüngsten Verhängung des Kriegsrechts und der Zwangsrekrutierung von Krimbewohnern durch die russische Armee. [ ] Die Unterstützung der Schweiz für eine ukrainische Krim ist unerschütterlich. Die Krim ist die Ukraine!»
Da geht also eine prominente Schweizer Politikerin an ein internationales Treffen, dessen Abschlussverlautbarung bereits vor dem Treffen feststeht, und sie behauptet, im Namen der Schweizer Bevölkerung zu sprechen. In ihrer Rede allerdings zeigt sie in aller Deutlichkeit, dass sie von der Krim und deren Bevölkerung nicht die geringste Ahnung hat. Wäre sie nämlich einmal auf der Krim gewesen, dann wüsste sie, dass die Menschen auf der Krim die Wiedervereinigung mit Russland ausdrücklich wollten und dies in einem freien Referendum zum Ausdruck brachten. Der Autor dieser Zeilen war, nicht zum ersten Mal, im Jahr 2019 mehrere Wochen persönlich auf der Krim und hat in gut hundert Gesprächen mit Krim-Bewohnern – von der Reinigungsfrau im Hotel in Jalta bis zur Uni-Dozentin in Sebastopol – keine Person gefunden, die zurück zur Ukraine möchte. Aber was kümmern eine Schweizer Politikerin – die grüne Nationalratspräsidentin! – schon die Wünsche und Hoffnungen von Menschen in einem anderen Land? Dass es auch völkerrechtlich berechtigte Gründe gab, nach dem Putsch auf dem Kiever Maidan und der illegitimen Einsetzung einer neuen, jetzt USA-abhängigen Regierung, eine Sezession vorzunehmen, ist der Politdame in Bern offensichtlich völlig egal – «geht ihr total am Arsch vorbei», wie Otto-Normalbürger es formulieren würde. Und was ist mit der Schweizer Neutralität, die sie als gewählte Nationalrätin doch einhalten müsste? Sie pfeift drauf!
Und jetzt im Februar 2023 ein neues, aktuelles Beispiel
Eine formelle Verlautbarung aus dem Berner Bundeshaus:
«Der Chef der Armee empfängt den NATO-Oberbefehlshaber in Europa zu einem Arbeitsbesuch
Bern, 10.02.2023 – Am 9. Februar 2023 stattete General Christopher G. Cavoli, der NATO-Oberbefehlshaber in Europa (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR), der Schweizer Armee einen Arbeitsbesuch ab. Im Zentrum der Gespräche mit dem Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, stand die Intensivierung der Kooperation mit der NATO. [ ]
Während des Besuchs haben sich Korpskommandant Süssli und General Cavoli unter anderem über die Lage in der Ukraine und über die Auswirkungen des Kriegs auf Europa und die NATO ausgetauscht. Ein weiteres Thema war das neue strategische Konzept, das die NATO Ende Juni 2022 an ihrem Gipfeltreffen in Madrid verabschiedete und das der Zusammenarbeit und dem Dialog mit Partnerstaaten wie der Schweiz grosses Gewicht beimisst.
Zusammenarbeit erhöht Verteidigungsfähigkeit
In seinem Zusatzbericht zum Sicherheitspolitischen Bericht 2021 informierte der Bundesrat im September 2022 über seine Absicht, die internationale Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen innerhalb des neutralitätsrechtlichen Rahmens zu verstärken. Dies insbesondere mit der NATO und deren Mitgliedstaaten. Beiträge an die Europäische Sicherheit und vertiefte Kooperation erhöhen die Verteidigungsfähigkeit der Armee und stärken damit die Sicherheit der Schweiz. Die Schweiz nimmt seit 1996 an der Partnerschaft für den Frieden mit der NATO teil. In diesem Rahmen verbessert die Armee seither ihre Zusammenarbeitsfähigkeit (Interoperabilität) mit der NATO.
Konkrete Möglichkeiten, über die derzeit diskutiert wird, sind beispielsweise die Entsendung von Schweizer Stabs- und Verbindungsoffizieren in die NATO-Kommandostruktur oder weitere Beteiligungen an NATO-Kompetenzzentren (Centres of Excellence, CoE). Seit Sommer 2021 beteiligt sich die Schweiz bereits am Cooperative Cyber Defence CoE im estnischen Tallinn, um ihre Cyberabwehr zu verbessern. Auch die allfällige Beteiligung von Schweizer Truppen an multinationalen Übungen ist Gegenstand der Gespräche. [ ]
Stärkung der bilateralen Kooperation
Zusätzlich zu seiner NATO-Funktion ist General Cavoli Kommandant der amerikanischen Streitkräfte in Europa (United States European Command, USEUCOM). Beim Besuch wurden auch Möglichkeiten zur Stärkung der bilateralen Kooperation diskutiert. Grundlage dafür ist ein Ausbildungsabkommen, das die Schweiz im Mai 2020 mit den USA abgeschlossen hat.»
Ende der offiziellen Mitteilung aus Bern.
Der langen Rede kurzer Sinn: Die Schweiz möchte enger mit der NATO und militärisch auch enger mit den USA zusammenarbeiten. Und das als neutraler Staat!
Diese von der Schweizer Regierung, von beiden Parlamentskammern und von deren Administratoren betriebene Politik ist ein klarer Verrat an der Schweizer Neutralität. Ist die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung aber wirklich willens, künftig wie Deutschland und andere EU- und NATO-Staaten ihre Zukunft nach den Weltbeherrschungswünschen der USA zu gestalten? Dieser USA, die seit Jahrzehnten in bald allen Weltregionen militärische Interventionen mit Hunderttausenden von Kriegsopfern auf dem Gewissen haben?
… und die Schweizer Medien machen mit!
Das Schlimme an der ganzen Geschichte: Alle vier grossen Schweizer Medienkonzerne, Ringier, Tamedia (TX Group), NZZ und CH-Media, berichten und kommentieren ebenfalls getreu nach den Wünschen der NATO und der USA. Nur noch relativ kleine Medien wagen eine andere Meinung, darunter – ausdrücklich zur regelmässigen Lektüre empfohlen! – die «Weltwoche», die «Zeit-Fragen», das «Zeitgeschehen im Fokus» oder auch der «Schweizer Standpunkt». Für die Schweiz als freiheitliches und bisher neutrales Land ist die gegenwärtige Medienlandschaft eine echte Tragödie – und eine Schande, die hoffentlich so auch in die Geschichtsbücher eingehen wird, unter ausdrücklicher Nennung der dafür verantwortlichen Konzern-Mehrheitseigentümer.
Siehe dazu die sieben Berichte von Christian Müller über die Krim und ihre Bevölkerung, hier anklicken.