Schweiz: Nach der Neutralität jetzt auch die Musterdemokratie abgeschafft
– und das vor allem dem Geld zuliebe! Ein aktueller Kommentar zur Schweizer Politik.
Am 20. Dezember 2019 bewilligten die beiden Schweizer Parlamente Ständerat und Nationalrat für die Beschaffung von 36 neuen Kampfjets einen Kredit in Höhe von 6 Milliarden Franken – und Folgekosten in Höhe von geschätzt weiteren 20 Milliarden. Resultat im Ständerat: 33 Ja, 10 Nein, 1 Enthaltung. Resultat Nationalrat: 123 Ja, 68 Nein, 5 Enthaltungen. Dagegen wurde das in der Schweizer Musterdemokratie mögliche Referendum erhoben. An der darauffolgenden Volksabstimmung am 27. September 2020 stimmten 51 Prozent der teilnehmenden Schweizer Stimmbürger für den Kauf.
Als am 30. Juni 2021 durch den formellen Beschluss des Bundesrates bekannt wurde, dass das zuständige Ministerium, das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, keinen europäischen Kampfjet kaufen will, sondern den US-amerikanischen F-35, wurde gesetzeskonform eine Initiative gegen diesen Kauf gestartet – «Stop F-35» – und es wurden wieder Unterschriften dafür gesammelt. Hätte man, so die Begründung, damals bei der Abstimmung im Herbst 2020 gewusst, dass US-amerikanische Kampfjets gekauft werden sollen, die von den USA jederzeit per Knopfdruck gegroundet – ausser Betrieb gesetzt – werden können, dann wäre die damalige Abstimmung anders verlaufen. Und folgerichtig wurden erneut – diesmal die für eine Initiative notwendigen 100’000 Unterschriften – für eine neue Abstimmung zusammengebracht, die Initiative «Stop F-35», und am 16. August 2022, mehr als sechs Monate vor der gesetzlich begrenzten Frist am 1. März 2023, eingereicht. Die Begründung: Der US-amerikanische Kampfjet ist ein Kampfjet für Angriffskriege, er ist nicht geeignet für die Verteidigung eines Kleinstaates, und er macht die Schweiz total abhängig von den USA: «In Zukunft wird der US-Geheimdienst immer mit im F-35-Cockpit sitzen.»
Jetzt aber, am 15. September 2022, hat der Nationalrat als zweite Kammer nach dem Ständerat der Regierung, dem Bundesrat, die Bewilligung erteilt, die 36 US-Kampfjets F-35 zu kaufen und den Kaufvertrag mit den USA zu unterscheiben. Begründung: Die Offerte der USA laufe im März 2023 ab. Werde diese Frist nicht eingehalten, drohe eine zeitliche Verspätung der Lieferung und ein höherer Preis. Damit haben beide Parlamentskammern die korrekt zustande gekommene Initiative gegen diesen Kauf definitiv ausgetrickst. Noch ist offen, ob die Abstimmung nun überhaupt stattfindet.
Am 28. Februar 2022 hat der Bundesrat mit der pauschalen (!) Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland – ohne Diskussion in den Parlamenten und ohne Volksabstimmung – bereits die schweizerische Neutralität abgeschafft. Jetzt haben die beiden Parlamentskammern auch noch die demokratischen Rechte der Bevölkerung ausser Kraft gesetzt.
Und wie haben die vier grossen privaten Medien-Konzerne der deutschsprachigen Schweiz, NZZ, Ringier, TX Group und CH Media, in ihren Zeitungen darauf reagiert? Ein Aufschrei? Massive Proteste und scharfe Kommentare gegen diese Ausserkraftsetzung der demokratischen Rechte der Bevölkerung? Nichts davon! Aber auch gar nichts. Nur gerade das abendliche «Echo der Zeit» wagte einen kritischen Kommentar.
Politisch ein Skandal, historisch eine Tragödie.
PS vom 20. September 2022: Eine Schande für die Schweiz! Nachdem der Nationalrat als zweite Kammer nach dem Ständerat die Volksinitiative «Stop F-35!» demokratieverachtend ausgetrickst hat, hat das Ministerium «Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport» VBS den Vertrag mit den USA bereits vier Tage später rechtsgültig unterschrieben. Die Schweiz eine Musterdemokratie? Die Walliser Bundesrätin Viola Amherd hat sie mit Erfolg beerdigt. Die Initianten der Volksinitiative haben ihre Initiative nun auch formell zurückgezogen. (cm)