Russlands elektronisches Visum – ein Jahr danach: es funktioniert!
(Red.) Während der Westen es den Russen immer schwerer macht, auch mal herzukommen und unsere Länder zu bereisen und zu bestaunen, öffnet Russland seine Türen: Kommt doch mal rüber, seht Euch unsere Städte an, unsere historischen Sehenswürdigkeiten, unsere Natur! Und redet mit den Leuten! Die meisten Russinnen und Russen sind gastfreundlich und hilfsbereit, und viele verstehen auch andere Sprachen. – Unser Autor in Moskau schaut zurück auf das Jahr seit der Einführung des elektronischen Visums. (cm)
In den letzten Jahren wurde Russland als einer der Hauptfeinde des Westens und all dessen dargestellt, wofür der Westen steht: Menschenrechte, Demokratie, Freiheit. Russland wird jetzt sogar als Mitglied einer neuen Achse des Bösen bezeichnet, ein Bündnis von Ländern, die den Westen hassen, nur weil wir im Westen so gut und tugendhaft sind. Manche mögen diese Behauptungen für übertrieben halten. Es gäbe keine Russophobie im Westen, es sei alles nur russische Propaganda. Aber es gibt viele Beispiele solcherDarstellungen, und nicht nur in der Bild-Zeitung. Russland steht da als Achse des Bösen, als ein Ort, von dem sich jeder vernünftige Mensch besser fernhalten sollte. Über Russland kursieren seit geraumer Zeit Schauergeschichten. Vielleicht brauchen viele Menschen ja wirklich einen mythischen Ort, auf den sie ihre Horrorphantasien projizieren können. Horrorgeschichten sind anscheinend für viele ziemlich anziehend.
Dass die Realität des Lebens in Russland im Jahr 2024 nicht so schrecklich ist, wie sie oft dargestellt wird, haben wir hier auf Global Bridge schon oft geschrieben. Wir lieben keine einfachen Bewertungen und Karikaturen, sie sind etwas für faule und selbstgefällige Menschen.
Russland wird als Land bezeichnet, das tief in seinem Wesen aggressiv ist, ein Land, das absolut ohne Grund Nachbarländer angreift, nur weil es imperialistisch ist und die demokratischen Werte verachtet. Russland sei ein Land, das kurz vor dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch stehen würde.
Gegen Karikaturen und falsche Bilder über Russland gibt es ein Gegenmittel, das sich in vielen Fällen als sehr wirksam erweisen kann: eine kurze Reise nach Russland.
Das elektronische Visum wird ein Jahr alt
Bis vor kurzem brauchten europäische Bürger ein traditionelles Visum, um Moskau, Sankt Petersburg oder andere russische Städte zu besuchen. Ein Visum zu bekommen, konnte zeitaufwändig und manchmal etwas teuer sein. Man musste etliche Dokumente vorlegen, oft eine Einladung bekommen oder sich an eine Reiseagentur wenden. Russland wandte den Europäern gegenüber den Grundsatz der Gegenseitigkeit an, da Russen ein Visum benötigen, um nach Europa einzureisen.
Die Bedingungen für die Erteilung europäischer Visa für russische Bürger sind in den letzten Jahren schwieriger geworden, und einige Länder haben die Ausstellung von Touristenvisa für russische Bürger ganz eingestellt. Den russischen Bürgern wird zum Teil vorgeworfen, direkt für den Krieg in der Ukraine verantwortlich zu sein, das sei der Grund.
Russland hingegen hat beschlossen, den genau entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Russland hat seine Grenzen für Europäer geöffnet. Seit einem Jahr, seit August letzten Jahres, können europäische Bürger ganz einfach im Internet ein eVisum für Russland für einen Zeitraum von insgesamt 16 Tagen beantragen.
Das Visum berechtigt zur einmaligen Einreise als Gast oder Geschäftsreisender, als Tourist sowie zur Teilnahme an wissenschaftlichen, kulturellen, soziopolitischen, wirtschaftlichen und sportlichen Veranstaltungen. Die Bearbeitungszeit des Visums beträgt maximal vier Tage. Das Visum ist ab dem Ausstellungsdatum 60 Tage lang gültig.
Gibt es eine bessere Möglichkeit, ein Land zu verstehen, über das in den letzten Jahren so viel gesprochen wurde, als es zu besuchen und es mit eigenen Augen zu sehen? Natürlich kann man in zwei Wochen kaum hoffen, die kollektive Seele des größten Landes der Welt, des europäischen Landes mit der größten Bevölkerung tief zu verstehen — Russland ist übrigens kulturell ein europäisches Land, aber eben nicht nur europäisch. Aber zwei Wochen sind immer noch besser als gar nichts. Zwei Wochen in Russland sind besser, als alles passiv zu übernehmen, was das Fernsehen über Russland erzählt.
Ein Jahr nach seiner Einführung haben nach Angaben des russischen Außenministeriums mehr als eine halbe Million ausländische Bürger das eVisum zur Einreise nach Russland genutzt.
China führt die Rangliste mit 254.200 chinesischen Staatsbürgern an, die dank des eVisums nach Russland einreisen konnten. Dabei hilft es auch, dass es direkte Flugverbindungen zwischen Russland und China weiterhin gibt. Auf den Straßen von Wladiwostok, der Endstation der Transsibirischen Eisenbahn, mit Blick auf den Pazifischen Ozean, wimmelt es von chinesischen Touristen. Für das Jahr 2023 gab es in der Hauptstadt des russischen Fernen Ostens mehr als 100.000 Besucher aus China.
An zweiter Stelle nach der Zahl der Einreise nach Russland steht Saudi-Arabien mit 43.400 ausgestellten elektronischen Visa.
Und schließlich, was vielleicht die überraschende Note sein könnte: Gleich hinter Saudi-Arabien folgt Deutschland. In den letzten zwölf Monaten wurden 42.600 elektronische Visa an deutsche Staatsbürger ausgestellt.
Man kann nicht wirklich sagen, dass in Deutschland heute eine Haltung übermäßiger Sympathie gegenüber Russland vorherrscht. Im Gegenteil, im Tonfall des politischen, gesellschaftlichen und medialen Diskurses ist eine starke Abneigung gegen Russland unschwer zu erkennen.
Aber in Deutschland leben mindestens eine halbe Million Spätaussiedler, in Russland geborene Menschen deutscher Herkunft, die seit den 1990er Jahren nach Deutschland gezogen sind. Viele von ihnen haben die deutsche Staatsbürgerschaft erworben und ihre russische Staatsangehörigkeit aufgegeben. Nach deutschem Recht ist es ihnen nicht gestattet, sowohl die deutsche als auch die russische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Viele der so genannten Russlanddeutschen haben familiäre Bindungen zu Russland. Unter den Empfängern von eVisa gibt es sicherlich viele von ihnen.
Heute besuchen nicht viele Europäer Russland. Doch in gewisser Weise war es noch nie so einfach gewesen wie heute. Zumindest vom Standpunkt der Bürokratie aus gesehen.
Wie man von Europa aus nach Russland kommt und welche Hindernisse man dabei überwinden muss, haben wir schon vor einiger Zeit geschrieben.
Es geht jetzt nicht darum, russische Propaganda zu machen und Russland in einem guten Licht zu porträtieren. Das Schreckgespenst der russischen Propaganda schwebt schon seit mindestens zehn Jahren in den Köpfen der Europäer und bereitet ihnen große Sorgen. Alles, was nicht dem typischen Bild von Europa als dem Land des Guten und der Tugend und Russland als dem Land des Bösen entspricht, wird in die Kategorie „russische Propaganda“ gesteckt. Das ist eine sehr bequeme — und faule — Haltung.
Wir halten es stattdessen für wichtig, die Dinge so zu zeigen, wie sie in Wirklichkeit sind. Wir sind sicher, dass viele von denen, die sich für einen Besuch in Moskau, Sankt Petersburg, Rostow oder Kasan entscheiden, sehr angenehm überrascht sein werden. Und dass sie in Russland nicht nur schöne Gebäude und viel Kultur bewundern werden, sondern auch ein gastfreundliches Volk. Keine Unmenschen, sondern Menschen, die uns Westeuropäern in vielen Hinsichten viel ähnlicher sind, als man heute zu sagen pflegt.
(Red.) Achtung: Für jene, die gerne eine Reise nach Russland machen würden, aber aus sprachlichen oder anderen Gründen nicht allein gehen wollen und einen Anschluss an eine Gruppenreise suchen, ist der Schweizer Vital Burger der beste Ansprechpartner. Siehe hier sein Programm für die nächsten Monate mit Reisen nach Russland, nach Belarus und auch in den Iran.